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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] wenn man seinen Feind zu bekriegen hat/ sich
nicht ehe von seinen eigenen Schwachheiten/ als
von des Feindes Tugend überwinden lassen.
Diese wäre bey den Römern unvergleichlich/
als welche ihr meistes Leben mit den Waffen
hinbrächten; allen ihren Ruhm aber durch selb-
te erlangten; ja niemand kein Ehren-Amt zu
bekleiden fähig wäre/ der nicht zum minsten zehn
Jahr zu Felde gedienethätte. Zu geschweigen/
daß die zu Fuß dienenden Kriegs-Leute eher
nicht als nach zwantzigjährigen Diensten er-
lassen würden; und die Römer auch beym Frie-
den ihre Wffaen durch stete Kriegs-Ubungen
also brauchten/ daß weder selbte noch ihre Tapf-
ferkeit verrostete. Nichts destoweniger/ wenn
sie alle ja mit den Römern zu brechen für gut
ansähen/ wäre er nicht gemeint/ mit seinem Be-
dencken des mehrern Theils Schluß zu stören/
und sich in seine Gedancken dergestalt zu verlie-
ben/ daß er aller andern Urtheil als unrechte ver-
werffen solte. Denn man solte in Rathschlägen
allezeit das beste rathen/ und doch auch dem/ was
man für schlimm hielte/ beyfallen/ wenn es die
meisten billichten. Sintemahl das beste/ wel-
chem nur wenig folgten/ schlimmer wäre als das
ärgste; welches alle auszuüben auf sich nehmen.
Daß übrigens Qvintilius Varus ihn und an-
dere Hülffs-Völcker wider die Sicambrer be-
ruffen/ habe ihnen freylich zu einem guten Vor-
wand gedienet/ ihre Völcker ohne Verdacht zu-
sammen zu führen. Dahero sey er bereit un-
ter diesem Scheine einen Schlüssel ins Römi-
sche Läger zu finden. Segemer des Segesthes
Bruder schlug hiemit auff seinen Degen/ mel-
dende: Wenn ihn auch Segesthes nicht findet/
so ist hier einer verhanden. Und wenn wir dis-
mahl den Römern nicht den Weg wieder über
den Rhein weisen/ können wir uns nicht beschwe-
ren/ daß es uns an Gelegenheit/ sondern an
Hertze und an der Wissenschafft uns selbte nü-
tze zu machen/ gemangelt habe. Sie hätten
ohne diß ihren Feind allzu großwachsen/ und
[Spaltenumbruch] die Flamme zu sehr zu Schwunge kommen las-
sen; welche sie gar verzehren würde/ wenn sie
selbter so lange zusehen würden/ biß die Römische
Macht aus Dalmatien ihnen vollends über
den Hals käme. Also wäre die Geschwindig-
keit wider geschwinde Kranckheit die heilsam-
ste Artzney. Hiermit stimmten alle andere Für-
sten und Grossen ein/ standen von ihren Taffeln
auff/ verehrten den Cherustischen Hertzog als ih-
ren obersten Feldherrn/ und wünschten ihm
glückliche Uberwindung seiner und ihrer Feinde.

Hertzog Herrmann/ auff welchen numehr
aller anwesenden Augen gerichtet waren/ ließ in
seinem Antlitze und Geberden nicht das gering-
ste Merckmahl eines entweder verwirrten oder
freudigen Gemüths blicken. Denn ob wohl der
Glantz neuer Würden sonst insgemein die Ver-
nunfft nichts anders als die übermäßigen Son-
nenstrahlen das Gesichte verdüstern; so war doch
diesem Helden; welcher in sich ein auskomment-
liches Maaß hatte die gantze Welt zu beherr-
schen/ bey diesem neuen Wachsthume nichts
neues noch hoffärtiges; Sintemahl dergleichen
Auffblehung nichts minder ein gewisses Zeichen
einer Gemüths-Kranckheit/ als die Geschwulst
der Leibes-Gebrechen/ und eine augenscheinli-
che Andeutung ist/ daß solche Ehre zu groß für
das Behältniß einer so engbrüstigen Seele sey.
Er gebrauchte gegen die Fürsten eben die Ehrer-
bietung als vorher/ und als gegen seines glei-
chen. Ja durchgehends stellte er sich so/ als wenn
er die Feldherrschafft leichter überkäme/ als zu
haben verlangte; Massen nur diese letztere Be-
gierde zu herrschen eben so wohl kein Mittel
in ihrer Bezeugung zu treffen weiß; als das
Gelücke zwischen Gebot und Fußfall selb-
tes zu beobachten pflegt. Daher er sich denn
auch erklärete: Er empfinde in sich ein so unbe-
schreibliches Vergnügen über der neuen Ein-
tracht der deutschen Fürsten und über dem für
die allgemeine Wohlfarth gemachten Schlus-
se; diesen auszuführen wäre sein einiges Abse-

hen/
D 2

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] wenn man ſeinen Feind zu bekriegen hat/ ſich
nicht ehe von ſeinen eigenen Schwachheiten/ als
von des Feindes Tugend uͤberwinden laſſen.
Dieſe waͤre bey den Roͤmern unvergleichlich/
als welche ihr meiſtes Leben mit den Waffen
hinbraͤchten; allen ihren Ruhm aber durch ſelb-
te erlangten; ja niemand kein Ehren-Amt zu
bekleiden faͤhig waͤre/ der nicht zum minſten zehn
Jahr zu Felde gedienethaͤtte. Zu geſchweigen/
daß die zu Fuß dienenden Kriegs-Leute eher
nicht als nach zwantzigjaͤhrigen Dienſten er-
laſſen wuͤrden; und die Roͤmer auch beym Frie-
den ihre Wffaen durch ſtete Kriegs-Ubungen
alſo brauchten/ daß weder ſelbte noch ihre Tapf-
ferkeit verroſtete. Nichts deſtoweniger/ wenn
ſie alle ja mit den Roͤmern zu brechen fuͤr gut
anſaͤhen/ waͤre er nicht gemeint/ mit ſeinem Be-
dencken des mehrern Theils Schluß zu ſtoͤren/
und ſich in ſeine Gedancken dergeſtalt zu verlie-
ben/ daß er aller andern Urtheil als unrechte ver-
werffen ſolte. Denn man ſolte in Rathſchlaͤgen
allezeit das beſte rathen/ und doch auch dem/ was
man fuͤr ſchlimm hielte/ beyfallen/ wenn es die
meiſten billichten. Sintemahl das beſte/ wel-
chem nur wenig folgten/ ſchlimmer waͤre als das
aͤrgſte; welches alle auszuuͤben auf ſich nehmen.
Daß uͤbrigens Qvintilius Varus ihn und an-
dere Huͤlffs-Voͤlcker wider die Sicambrer be-
ruffen/ habe ihnen freylich zu einem guten Vor-
wand gedienet/ ihre Voͤlcker ohne Verdacht zu-
ſammen zu fuͤhren. Dahero ſey er bereit un-
ter dieſem Scheine einen Schluͤſſel ins Roͤmi-
ſche Laͤger zu finden. Segemer des Segeſthes
Bruder ſchlug hiemit auff ſeinen Degen/ mel-
dende: Wenn ihn auch Segeſthes nicht findet/
ſo iſt hier einer verhanden. Und wenn wir dis-
mahl den Roͤmern nicht den Weg wieder uͤber
den Rhein weiſen/ koͤñen wir uns nicht beſchwe-
ren/ daß es uns an Gelegenheit/ ſondern an
Hertze und an der Wiſſenſchafft uns ſelbte nuͤ-
tze zu machen/ gemangelt habe. Sie haͤtten
ohne diß ihren Feind allzu großwachſen/ und
[Spaltenumbruch] die Flamme zu ſehr zu Schwunge kommen laſ-
ſen; welche ſie gar verzehren wuͤrde/ wenn ſie
ſelbter ſo lange zuſehen wuͤrden/ biß die Roͤmiſche
Macht aus Dalmatien ihnen vollends uͤber
den Hals kaͤme. Alſo waͤre die Geſchwindig-
keit wider geſchwinde Kranckheit die heilſam-
ſte Artzney. Hiermit ſtimmten alle andere Fuͤr-
ſten und Groſſen ein/ ſtanden von ihren Taffeln
auff/ verehrten den Cheruſtiſchen Hertzog als ih-
ren oberſten Feldherrn/ und wuͤnſchten ihm
gluͤckliche Uberwindung ſeiner uñ ihrer Feinde.

Hertzog Herrmann/ auff welchen numehr
aller anweſenden Augen gerichtet waren/ ließ in
ſeinem Antlitze und Geberden nicht das gering-
ſte Merckmahl eines entweder verwirrten oder
freudigen Gemuͤths blicken. Denn ob wohl der
Glantz neuer Wuͤrden ſonſt insgemein die Ver-
nunfft nichts anders als die uͤbermaͤßigen Son-
nenſtrahlen das Geſichte verduͤſtern; ſo war doch
dieſem Helden; welcher in ſich ein auskomment-
liches Maaß hatte die gantze Welt zu beherr-
ſchen/ bey dieſem neuen Wachsthume nichts
neues noch hoffaͤrtiges; Sintemahl dergleichen
Auffblehung nichts minder ein gewiſſes Zeichen
einer Gemuͤths-Kranckheit/ als die Geſchwulſt
der Leibes-Gebrechen/ und eine augenſcheinli-
che Andeutung iſt/ daß ſolche Ehre zu groß fuͤr
das Behaͤltniß einer ſo engbruͤſtigen Seele ſey.
Er gebrauchte gegen die Fuͤrſten eben die Ehrer-
bietung als vorher/ und als gegen ſeines glei-
chen. Ja durchgehends ſtellte er ſich ſo/ als wenn
er die Feldherrſchafft leichter uͤberkaͤme/ als zu
haben verlangte; Maſſen nur dieſe letztere Be-
gierde zu herrſchen eben ſo wohl kein Mittel
in ihrer Bezeugung zu treffen weiß; als das
Geluͤcke zwiſchen Gebot und Fußfall ſelb-
tes zu beobachten pflegt. Daher er ſich denn
auch erklaͤrete: Er empfinde in ſich ein ſo unbe-
ſchreibliches Vergnuͤgen uͤber der neuen Ein-
tracht der deutſchen Fuͤrſten und uͤber dem fuͤr
die allgemeine Wohlfarth gemachten Schluſ-
ſe; dieſen auszufuͤhren waͤre ſein einiges Abſe-

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[27/0075] Arminius und Thußnelda. wenn man ſeinen Feind zu bekriegen hat/ ſich nicht ehe von ſeinen eigenen Schwachheiten/ als von des Feindes Tugend uͤberwinden laſſen. Dieſe waͤre bey den Roͤmern unvergleichlich/ als welche ihr meiſtes Leben mit den Waffen hinbraͤchten; allen ihren Ruhm aber durch ſelb- te erlangten; ja niemand kein Ehren-Amt zu bekleiden faͤhig waͤre/ der nicht zum minſten zehn Jahr zu Felde gedienethaͤtte. Zu geſchweigen/ daß die zu Fuß dienenden Kriegs-Leute eher nicht als nach zwantzigjaͤhrigen Dienſten er- laſſen wuͤrden; und die Roͤmer auch beym Frie- den ihre Wffaen durch ſtete Kriegs-Ubungen alſo brauchten/ daß weder ſelbte noch ihre Tapf- ferkeit verroſtete. Nichts deſtoweniger/ wenn ſie alle ja mit den Roͤmern zu brechen fuͤr gut anſaͤhen/ waͤre er nicht gemeint/ mit ſeinem Be- dencken des mehrern Theils Schluß zu ſtoͤren/ und ſich in ſeine Gedancken dergeſtalt zu verlie- ben/ daß er aller andern Urtheil als unrechte ver- werffen ſolte. Denn man ſolte in Rathſchlaͤgen allezeit das beſte rathen/ und doch auch dem/ was man fuͤr ſchlimm hielte/ beyfallen/ wenn es die meiſten billichten. Sintemahl das beſte/ wel- chem nur wenig folgten/ ſchlimmer waͤre als das aͤrgſte; welches alle auszuuͤben auf ſich nehmen. Daß uͤbrigens Qvintilius Varus ihn und an- dere Huͤlffs-Voͤlcker wider die Sicambrer be- ruffen/ habe ihnen freylich zu einem guten Vor- wand gedienet/ ihre Voͤlcker ohne Verdacht zu- ſammen zu fuͤhren. Dahero ſey er bereit un- ter dieſem Scheine einen Schluͤſſel ins Roͤmi- ſche Laͤger zu finden. Segemer des Segeſthes Bruder ſchlug hiemit auff ſeinen Degen/ mel- dende: Wenn ihn auch Segeſthes nicht findet/ ſo iſt hier einer verhanden. Und wenn wir dis- mahl den Roͤmern nicht den Weg wieder uͤber den Rhein weiſen/ koͤñen wir uns nicht beſchwe- ren/ daß es uns an Gelegenheit/ ſondern an Hertze und an der Wiſſenſchafft uns ſelbte nuͤ- tze zu machen/ gemangelt habe. Sie haͤtten ohne diß ihren Feind allzu großwachſen/ und die Flamme zu ſehr zu Schwunge kommen laſ- ſen; welche ſie gar verzehren wuͤrde/ wenn ſie ſelbter ſo lange zuſehen wuͤrden/ biß die Roͤmiſche Macht aus Dalmatien ihnen vollends uͤber den Hals kaͤme. Alſo waͤre die Geſchwindig- keit wider geſchwinde Kranckheit die heilſam- ſte Artzney. Hiermit ſtimmten alle andere Fuͤr- ſten und Groſſen ein/ ſtanden von ihren Taffeln auff/ verehrten den Cheruſtiſchen Hertzog als ih- ren oberſten Feldherrn/ und wuͤnſchten ihm gluͤckliche Uberwindung ſeiner uñ ihrer Feinde. Hertzog Herrmann/ auff welchen numehr aller anweſenden Augen gerichtet waren/ ließ in ſeinem Antlitze und Geberden nicht das gering- ſte Merckmahl eines entweder verwirrten oder freudigen Gemuͤths blicken. Denn ob wohl der Glantz neuer Wuͤrden ſonſt insgemein die Ver- nunfft nichts anders als die uͤbermaͤßigen Son- nenſtrahlen das Geſichte verduͤſtern; ſo war doch dieſem Helden; welcher in ſich ein auskomment- liches Maaß hatte die gantze Welt zu beherr- ſchen/ bey dieſem neuen Wachsthume nichts neues noch hoffaͤrtiges; Sintemahl dergleichen Auffblehung nichts minder ein gewiſſes Zeichen einer Gemuͤths-Kranckheit/ als die Geſchwulſt der Leibes-Gebrechen/ und eine augenſcheinli- che Andeutung iſt/ daß ſolche Ehre zu groß fuͤr das Behaͤltniß einer ſo engbruͤſtigen Seele ſey. Er gebrauchte gegen die Fuͤrſten eben die Ehrer- bietung als vorher/ und als gegen ſeines glei- chen. Ja durchgehends ſtellte er ſich ſo/ als wenn er die Feldherrſchafft leichter uͤberkaͤme/ als zu haben verlangte; Maſſen nur dieſe letztere Be- gierde zu herrſchen eben ſo wohl kein Mittel in ihrer Bezeugung zu treffen weiß; als das Geluͤcke zwiſchen Gebot und Fußfall ſelb- tes zu beobachten pflegt. Daher er ſich denn auch erklaͤrete: Er empfinde in ſich ein ſo unbe- ſchreibliches Vergnuͤgen uͤber der neuen Ein- tracht der deutſchen Fuͤrſten und uͤber dem fuͤr die allgemeine Wohlfarth gemachten Schluſ- ſe; dieſen auszufuͤhren waͤre ſein einiges Abſe- hen/ D 2

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/75>, abgerufen am 22.11.2024.