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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] Brahman tödten/ und der Todschläger müste
mit entblöstem Haupte/ ungewaschenen Glie-
dern/ und zerrissenen Kleidern zwölf Jahr in
des Ermordeten Hirnschale Allmosen sammlen/
auch alles gebettelte daraus essen und trincken.
Welche Beschreibung mir genungsam zu ver-
stehen gab/ daß diese Leute in Jndien höher/ als
bey den Egyptiern die Priester/ bey den Per-
sern die Weisen/ bey den Galliern die Druy-
den/ bey den Spaniern die Turditanen am
Brete wären. Diesemnach unterließ ich nicht
durch tieffe Ehrerbietung seine Gewogenheit
zu gewinnen/ und so wol durch Erzehlung unse-
rer Weißheits-Lehren/ als durch Verwunde-
rung über ihrer tiessinnigen Geheimnüsse ihm
ein und anders heraus zulocken. Meine erste
Sorgfalt ließ ich über seiner Kleidung und Auf-
zuge aus/ und erforschte: warum sie auch bey
rauhem Winde nichts als die Geburts-Glieder
mit Leinwand verdeckten? Warum sie ein von
dreyen gezwirneten Schnüren zusammen ge-
fügtes Band über die lincke Schulter gegen der
rechten Seiten unter dem rechten Arme trü-
gen/ und niemals ablegten? Der Brahman
Zarman lächelte/ und fing an: Mein Sohn/
warum binden die Priester des Jupiters zu
Rom/ welche nicht mit unbedecktem Haupte ge-
hen dörffen/ ihnen einen Fadem um das Haupt/
und bleiben zuläßlich unbedeckt? Und warum
hencken die Richter in Egypten einen Vogel
an Hals? Warum tragen die Priester eine
Mütze von dünner Leinwand auf dem Haupte?
Die auf dem Eylande Madagascar an denen
zwey vörderstern Fingern lange Nägel wie Vo-
gelklauen? Wie ich nun ihm hierüber keinen
gewissen Bescheid zu geben wuste/ fuhr er fort:
Gott/ dessen tägliche Priester wir sind/ wollen
von uns Nackten die Opffer empfangen/ zur
Anzeigung/ daß unsere Andacht keine Hülle
irrdischen Beysatzes haben/ sondern die reine
Seele sich ohne anhangenden Leim der Erde/
oder ohne den Firnüß der Heucheley zu Gott
[Spaltenumbruch] schwingen solle. Daher einige unserer Brü-
der aus Jrrthum keinen Faden an ihrem Leibe
leiden. Aber wer wolte glauben/ daß Gott ei-
ne solche Blösse beliebete/ welche eine Decke der
Uppigkeit/ und eine Ursache der Aergernüß
seyn kan. Unsere Hülle ist wie der Egyptischen
Priester nicht aus Wolle/ sondern aus Lein-
wand bereitet. Denn jener Uberfluß der Thie-
re stehet der Priester Reinligkeit nicht an; wol
aber der Flachs/ der mit seiner blauen Blume
die Farbe des Himmels/ mit seinem aufwärts
steigenden Stängel aber die Aufschwingung
der Seele von irrdischem Staube fürbildet.
Jedoch ist diese meine Hülle aus einer gantz an-
dern vom Feuer unversehrlichen Leinwand be-
reitet/ welche von ihren Flecken nicht durch
Wasser/ sondern durchs Feuer gesaubert wird.
Denn dessen Gebrauch ziehen die Heiligen alle-
zeit dem Wasser für; nicht zwar/ daß wir mit
denen albern Persern und Chaldeern das Feuer
für einen Gott halten; Denn weder dieser Völ-
cker Weisen/ noch ihr Lehrmeister Zoroaster/ der
in ihre Tempel/ Paläste und Hölen das Feuer
zum ersten eingeführet/ hat diesen Aberglauben
gehabt/ sondern solches allein als ein Ebenbild
des alles verzehrenden Gottes andächtig be-
trachtet/ und daher eingeführet/ daß in den Opf-
fern des Horus von Pfirschken/ in des Osiris
vom Lorberbaume/ in der Jsis von Wermuth
das Holtz verbrennet/ und in den heiligen Oer-
tern viel Ampeln angezündet werden musten;
wiewol Gott/ der das Licht selber ist/ dieser Lich-
ter gar nicht bedarf. Dieses Absehen/ und daß die
Seele sich noch flüchtiger/ als das mehr unreine
Feuer zu Betrachtung Gottes/ der sich einem
unserer Heiligen in einem Pusche in Gestalt
des Feuers offenbaret/ empor heben solle/ ver-
anlasset mich mit dieser feurigen Leinwand etli-
che Glieder zu verhüllen/ und meinen Leib zu
Erduldung gleichmäßiger Flammen geschickt
zu machen. Das dreygezwirnte Band aber/
welches wir selbst ohne Spinnrad aus freyer

Hand

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] Brahman toͤdten/ und der Todſchlaͤger muͤſte
mit entbloͤſtem Haupte/ ungewaſchenen Glie-
dern/ und zerriſſenen Kleidern zwoͤlf Jahr in
des Ermordeten Hirnſchale Allmoſen ſam̃len/
auch alles gebettelte daraus eſſen und trincken.
Welche Beſchreibung mir genungſam zu ver-
ſtehen gab/ daß dieſe Leute in Jndien hoͤher/ als
bey den Egyptiern die Prieſter/ bey den Per-
ſern die Weiſen/ bey den Galliern die Druy-
den/ bey den Spaniern die Turditanen am
Brete waͤren. Dieſemnach unterließ ich nicht
durch tieffe Ehrerbietung ſeine Gewogenheit
zu gewinnen/ und ſo wol durch Erzehlung unſe-
rer Weißheits-Lehren/ als durch Verwunde-
rung uͤber ihrer tieſſinnigen Geheimnuͤſſe ihm
ein und anders heraus zulocken. Meine erſte
Sorgfalt ließ ich uͤber ſeiner Kleidung und Auf-
zuge aus/ und erforſchte: warum ſie auch bey
rauhem Winde nichts als die Geburts-Glieder
mit Leinwand verdeckten? Warum ſie ein von
dreyen gezwirneten Schnuͤren zuſammen ge-
fuͤgtes Band uͤber die lincke Schulter gegen der
rechten Seiten unter dem rechten Arme truͤ-
gen/ und niemals ablegten? Der Brahman
Zarman laͤchelte/ und fing an: Mein Sohn/
warum binden die Prieſter des Jupiters zu
Rom/ welche nicht mit unbedecktem Haupte ge-
hen doͤrffen/ ihnen einen Fadem um das Haupt/
und bleiben zulaͤßlich unbedeckt? Und warum
hencken die Richter in Egypten einen Vogel
an Hals? Warum tragen die Prieſter eine
Muͤtze von duͤnner Leinwand auf dem Haupte?
Die auf dem Eylande Madagaſcar an denen
zwey voͤrderſtern Fingern lange Naͤgel wie Vo-
gelklauen? Wie ich nun ihm hieruͤber keinen
gewiſſen Beſcheid zu geben wuſte/ fuhr er fort:
Gott/ deſſen taͤgliche Prieſter wir ſind/ wollen
von uns Nackten die Opffer empfangen/ zur
Anzeigung/ daß unſere Andacht keine Huͤlle
irrdiſchen Beyſatzes haben/ ſondern die reine
Seele ſich ohne anhangenden Leim der Erde/
oder ohne den Firnuͤß der Heucheley zu Gott
[Spaltenumbruch] ſchwingen ſolle. Daher einige unſerer Bruͤ-
der aus Jrrthum keinen Faden an ihrem Leibe
leiden. Aber wer wolte glauben/ daß Gott ei-
ne ſolche Bloͤſſe beliebete/ welche eine Decke der
Uppigkeit/ und eine Urſache der Aergernuͤß
ſeyn kan. Unſere Huͤlle iſt wie der Egyptiſchen
Prieſter nicht aus Wolle/ ſondern aus Lein-
wand bereitet. Denn jener Uberfluß der Thie-
re ſtehet der Prieſter Reinligkeit nicht an; wol
aber der Flachs/ der mit ſeiner blauen Blume
die Farbe des Himmels/ mit ſeinem aufwaͤrts
ſteigenden Staͤngel aber die Aufſchwingung
der Seele von irrdiſchem Staube fuͤrbildet.
Jedoch iſt dieſe meine Huͤlle aus einer gantz an-
dern vom Feuer unverſehrlichen Leinwand be-
reitet/ welche von ihren Flecken nicht durch
Waſſer/ ſondern durchs Feuer geſaubert wird.
Denn deſſen Gebrauch ziehen die Heiligen alle-
zeit dem Waſſer fuͤr; nicht zwar/ daß wir mit
denen albern Perſern und Chaldeern das Feuer
fuͤr einen Gott halten; Denn weder dieſer Voͤl-
cker Weiſen/ noch ihr Lehrmeiſter Zoroaſter/ der
in ihre Tempel/ Palaͤſte und Hoͤlen das Feuer
zum erſten eingefuͤhret/ hat dieſen Aberglauben
gehabt/ ſondern ſolches allein als ein Ebenbild
des alles verzehrenden Gottes andaͤchtig be-
trachtet/ und daher eingefuͤhret/ daß in den Opf-
fern des Horus von Pfirſchken/ in des Oſiris
vom Lorberbaume/ in der Jſis von Wermuth
das Holtz verbrennet/ und in den heiligen Oer-
tern viel Ampeln angezuͤndet werden muſten;
wiewol Gott/ der das Licht ſelber iſt/ dieſer Lich-
ter gar nicht bedarf. Dieſes Abſehen/ und daß die
Seele ſich noch fluͤchtiger/ als das mehr unreine
Feuer zu Betrachtung Gottes/ der ſich einem
unſerer Heiligen in einem Puſche in Geſtalt
des Feuers offenbaret/ empor heben ſolle/ ver-
anlaſſet mich mit dieſer feurigen Leinwand etli-
che Glieder zu verhuͤllen/ und meinen Leib zu
Erduldung gleichmaͤßiger Flammen geſchickt
zu machen. Das dreygezwirnte Band aber/
welches wir ſelbſt ohne Spinnrad aus freyer

Hand
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[660/0716] Fuͤnfftes Buch Brahman toͤdten/ und der Todſchlaͤger muͤſte mit entbloͤſtem Haupte/ ungewaſchenen Glie- dern/ und zerriſſenen Kleidern zwoͤlf Jahr in des Ermordeten Hirnſchale Allmoſen ſam̃len/ auch alles gebettelte daraus eſſen und trincken. Welche Beſchreibung mir genungſam zu ver- ſtehen gab/ daß dieſe Leute in Jndien hoͤher/ als bey den Egyptiern die Prieſter/ bey den Per- ſern die Weiſen/ bey den Galliern die Druy- den/ bey den Spaniern die Turditanen am Brete waͤren. Dieſemnach unterließ ich nicht durch tieffe Ehrerbietung ſeine Gewogenheit zu gewinnen/ und ſo wol durch Erzehlung unſe- rer Weißheits-Lehren/ als durch Verwunde- rung uͤber ihrer tieſſinnigen Geheimnuͤſſe ihm ein und anders heraus zulocken. Meine erſte Sorgfalt ließ ich uͤber ſeiner Kleidung und Auf- zuge aus/ und erforſchte: warum ſie auch bey rauhem Winde nichts als die Geburts-Glieder mit Leinwand verdeckten? Warum ſie ein von dreyen gezwirneten Schnuͤren zuſammen ge- fuͤgtes Band uͤber die lincke Schulter gegen der rechten Seiten unter dem rechten Arme truͤ- gen/ und niemals ablegten? Der Brahman Zarman laͤchelte/ und fing an: Mein Sohn/ warum binden die Prieſter des Jupiters zu Rom/ welche nicht mit unbedecktem Haupte ge- hen doͤrffen/ ihnen einen Fadem um das Haupt/ und bleiben zulaͤßlich unbedeckt? Und warum hencken die Richter in Egypten einen Vogel an Hals? Warum tragen die Prieſter eine Muͤtze von duͤnner Leinwand auf dem Haupte? Die auf dem Eylande Madagaſcar an denen zwey voͤrderſtern Fingern lange Naͤgel wie Vo- gelklauen? Wie ich nun ihm hieruͤber keinen gewiſſen Beſcheid zu geben wuſte/ fuhr er fort: Gott/ deſſen taͤgliche Prieſter wir ſind/ wollen von uns Nackten die Opffer empfangen/ zur Anzeigung/ daß unſere Andacht keine Huͤlle irrdiſchen Beyſatzes haben/ ſondern die reine Seele ſich ohne anhangenden Leim der Erde/ oder ohne den Firnuͤß der Heucheley zu Gott ſchwingen ſolle. Daher einige unſerer Bruͤ- der aus Jrrthum keinen Faden an ihrem Leibe leiden. Aber wer wolte glauben/ daß Gott ei- ne ſolche Bloͤſſe beliebete/ welche eine Decke der Uppigkeit/ und eine Urſache der Aergernuͤß ſeyn kan. Unſere Huͤlle iſt wie der Egyptiſchen Prieſter nicht aus Wolle/ ſondern aus Lein- wand bereitet. Denn jener Uberfluß der Thie- re ſtehet der Prieſter Reinligkeit nicht an; wol aber der Flachs/ der mit ſeiner blauen Blume die Farbe des Himmels/ mit ſeinem aufwaͤrts ſteigenden Staͤngel aber die Aufſchwingung der Seele von irrdiſchem Staube fuͤrbildet. Jedoch iſt dieſe meine Huͤlle aus einer gantz an- dern vom Feuer unverſehrlichen Leinwand be- reitet/ welche von ihren Flecken nicht durch Waſſer/ ſondern durchs Feuer geſaubert wird. Denn deſſen Gebrauch ziehen die Heiligen alle- zeit dem Waſſer fuͤr; nicht zwar/ daß wir mit denen albern Perſern und Chaldeern das Feuer fuͤr einen Gott halten; Denn weder dieſer Voͤl- cker Weiſen/ noch ihr Lehrmeiſter Zoroaſter/ der in ihre Tempel/ Palaͤſte und Hoͤlen das Feuer zum erſten eingefuͤhret/ hat dieſen Aberglauben gehabt/ ſondern ſolches allein als ein Ebenbild des alles verzehrenden Gottes andaͤchtig be- trachtet/ und daher eingefuͤhret/ daß in den Opf- fern des Horus von Pfirſchken/ in des Oſiris vom Lorberbaume/ in der Jſis von Wermuth das Holtz verbrennet/ und in den heiligen Oer- tern viel Ampeln angezuͤndet werden muſten; wiewol Gott/ der das Licht ſelber iſt/ dieſer Lich- ter gar nicht bedarf. Dieſes Abſehen/ und daß die Seele ſich noch fluͤchtiger/ als das mehr unreine Feuer zu Betrachtung Gottes/ der ſich einem unſerer Heiligen in einem Puſche in Geſtalt des Feuers offenbaret/ empor heben ſolle/ ver- anlaſſet mich mit dieſer feurigen Leinwand etli- che Glieder zu verhuͤllen/ und meinen Leib zu Erduldung gleichmaͤßiger Flammen geſchickt zu machen. Das dreygezwirnte Band aber/ welches wir ſelbſt ohne Spinnrad aus freyer Hand

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/716>, abgerufen am 22.11.2024.