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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünftes Buch
[Spaltenumbruch] rathen diese Flamme anzurühren. Was lan-
ge Jahre so weichlich gehalten worden/ wäre
schwer zu etwas härterem ohne Gefahr zu ge-
wehnen. Und also sey es besser ein Auge zuzu-
drücken/ als ohne Frucht etwas verzweifeltes ver-
neuern. Denn die Wieder-Einführung der alten
Schärffe und besserer Sitten sey schädlich und
unzeitig/ wenn selbte erstarret/ unsere Kräfften
aber abgenommen hätten. Und es sey so denn
mit einer solchen Herrschafft/ wo die Gebrechen
zu Sitten worden/ wie mit alten siechhaften Lei-
bern beschaffen; da die Artzney die schädlichen
Feuchtigkeiten nur rege machte/ und den sonst
noch eine gute Weile angestandenen Tod be-
schleunigte. Das Volck selbst sey durch die
Länge der Zeit schon dahin gebracht/ daß sie die
Gebrechen der Priester ietzt so sehr liebten/ als sie
für Alters ihre Andacht und Tugenden werth
gehalten. Den Adel kitzelte es/ daß sie dem äl-
testen Sohne ihre Güter verlassen/ die jüngern
durch die Würde eines Priesterthums abstatten/
und derogestalt den Glantz ihres Geschlechtes
erhalten/ oder auch erhöhen könten. Daher
würde unter seinen Räthen und den Werck-
zeugen seines Vorhabens niemand seyn/ der
nicht Theil an diesem Ubel/ und zu diesem Ber-
ge einen Karn voll Erde getragen hätte. Auch
gäbe es unter den Unterthanen solche Leute/
welche den Veränderungen so gram wären/ daß
ihnen für ihrer erlangten Freyheit eckelte. Die
von der grausamsten Dienstbarkeit kaum er-
löseten Römer hätten die Tarquinier wieder
einzuruffen sich gelüsten lassen. Und ein ver-
wehntes Volck fluchtete nichts minder dem/
der seine Wolfarth suchte/ als die am Feber
kranck liegenden denen/ welche ihnen bey wäh-
render Hitze das schädliche Wasser zu geben
verweigerten: Er wüste zwar wohl/ daß auch
durch linde Mittel kluge Fürsten vielem Ubel
abhülffen. Alleine auch alle eingewurtzelte
Kranckheiten des Leibes nehmen selbte nicht
[Spaltenumbruch] an/ sondern erforderten Stärcke/ Reinigun-
gen und scharffes Aderlassen. Wie viel we-
niger wären die so hoch entbrennten Be-
gierden des Gemüthes mit laulichten Säff-
ten zu leschen. So fühlete auch keine Spin-
ne so geschwinde/ wenn nur ein Finger einen
Faden ihres Gewebes anrührete/ als die Prie-
sterschafft/ wenn man ihren Freyheiten mit
einem Tritte zu nahe käme. Also sey es bes-
ser bey so zweifelhaftem Ausschlage so kräfftige
Schwachheiten nicht anrühren/ als es durch
unzeitigen Eifer offenbar machen/ daß wir
selbten nicht gewachsen sind. Denn für dero-
gleichen Gesetzen wird noch immer mit
Furcht/ es werde verboten werden/ gesündigt.
Wenn es aber nach dem Verbot den Ver-
brechern ungenossen ausgehet/ verschwindet
nicht nur alle Furcht und Scham bey den
Unterthanen/ sondern auch alles Ansehen bey
dem Fürsten.

Aber/ fuhr Zeno fort/ ich muß wieder auf den
Lust-Garten meines Gebürges kommen; dar-
innen Oropastes/ Syrmanus/ und ich/ zwar eine
gute Zeit unser Ergetzligkeit pflegten/ endlich aber
theils aus Andacht/ theils aus Begierde der
Neuigkeit/ auf die Spitze des Caucasus/
und in das Heiligthum des Prometheus zu
kommen verlangten. Wir reiseten einen
gantzen Tag in diesem lustigen Thale über
allerhand mit Wein/ Oel- und Granat-
Aepfel-Bäumen bedeckte Hügel; des andern
Tages kamen wir auf ein neues Gebürge/
welches zwar überaus hoch/ gegen der aber
uns nun für dem Gesichte liegenden Spitze des
Caucasus/ nur gleichsam für Maulwurffs-
Hauffen anzusehen war. Mit dem Abende
kamen wir an den Fuß des Berges/ und
nach dem wir nur etliche Stunden geru-
het/ stiegen wir mit unsern Maul-Thie-
ren Berg-auf/ weil die Hitze des Tages
daselbst fast nicht zu reisen verstattet. Am

Mor-

Fuͤnftes Buch
[Spaltenumbruch] rathen dieſe Flamme anzuruͤhren. Was lan-
ge Jahre ſo weichlich gehalten worden/ waͤre
ſchwer zu etwas haͤrterem ohne Gefahr zu ge-
wehnen. Und alſo ſey es beſſer ein Auge zuzu-
druͤckẽ/ als ohne Frucht etwas verzweifeltes ver-
neuern. Denn die Wieder-Einfuͤhrung der altẽ
Schaͤrffe und beſſerer Sitten ſey ſchaͤdlich und
unzeitig/ wenn ſelbte erſtarret/ unſere Kraͤfften
aber abgenommen haͤtten. Und es ſey ſo denn
mit einer ſolchen Herrſchafft/ wo die Gebrechen
zu Sitten worden/ wie mit alten ſiechhaften Lei-
bern beſchaffen; da die Artzney die ſchaͤdlichen
Feuchtigkeiten nur rege machte/ und den ſonſt
noch eine gute Weile angeſtandenen Tod be-
ſchleunigte. Das Volck ſelbſt ſey durch die
Laͤnge der Zeit ſchon dahin gebracht/ daß ſie die
Gebrechen der Prieſter ietzt ſo ſehr liebten/ als ſie
fuͤr Alters ihre Andacht und Tugenden werth
gehalten. Den Adel kitzelte es/ daß ſie dem aͤl-
teſten Sohne ihre Guͤter verlaſſen/ die juͤngern
durch die Wuͤrde eines Prieſterthums abſtatten/
und derogeſtalt den Glantz ihres Geſchlechtes
erhalten/ oder auch erhoͤhen koͤnten. Daher
wuͤrde unter ſeinen Raͤthen und den Werck-
zeugen ſeines Vorhabens niemand ſeyn/ der
nicht Theil an dieſem Ubel/ und zu dieſem Ber-
ge einen Karn voll Erde getragen haͤtte. Auch
gaͤbe es unter den Unterthanen ſolche Leute/
welche den Veraͤnderungen ſo gram waͤren/ daß
ihnen fuͤr ihrer erlangten Freyheit eckelte. Die
von der grauſamſten Dienſtbarkeit kaum er-
loͤſeten Roͤmer haͤtten die Tarquinier wieder
einzuruffen ſich geluͤſten laſſen. Und ein ver-
wehntes Volck fluchtete nichts minder dem/
der ſeine Wolfarth ſuchte/ als die am Feber
kranck liegenden denen/ welche ihnen bey waͤh-
render Hitze das ſchaͤdliche Waſſer zu geben
verweigerten: Er wuͤſte zwar wohl/ daß auch
durch linde Mittel kluge Fuͤrſten vielem Ubel
abhuͤlffen. Alleine auch alle eingewurtzelte
Kranckheiten des Leibes nehmen ſelbte nicht
[Spaltenumbruch] an/ ſondern erforderten Staͤrcke/ Reinigun-
gen und ſcharffes Aderlaſſen. Wie viel we-
niger waͤren die ſo hoch entbrennten Be-
gierden des Gemuͤthes mit laulichten Saͤff-
ten zu leſchen. So fuͤhlete auch keine Spin-
ne ſo geſchwinde/ wenn nur ein Finger einen
Faden ihres Gewebes anruͤhrete/ als die Prie-
ſterſchafft/ wenn man ihren Freyheiten mit
einem Tritte zu nahe kaͤme. Alſo ſey es beſ-
ſer bey ſo zweifelhaftem Ausſchlage ſo kraͤfftige
Schwachheiten nicht anruͤhren/ als es durch
unzeitigen Eifer offenbar machen/ daß wir
ſelbten nicht gewachſen ſind. Denn fuͤr dero-
gleichen Geſetzen wird noch immer mit
Furcht/ es werde verboten werden/ geſuͤndigt.
Wenn es aber nach dem Verbot den Ver-
brechern ungenoſſen ausgehet/ verſchwindet
nicht nur alle Furcht und Scham bey den
Unterthanen/ ſondern auch alles Anſehen bey
dem Fuͤrſten.

Aber/ fuhr Zeno fort/ ich muß wieder auf den
Luſt-Garten meines Gebuͤrges kommen; dar-
innen Oropaſtes/ Syrmanus/ und ich/ zwar eine
gute Zeit unſer Ergetzligkeit pflegtẽ/ endlich aber
theils aus Andacht/ theils aus Begierde der
Neuigkeit/ auf die Spitze des Caucaſus/
und in das Heiligthum des Prometheus zu
kommen verlangten. Wir reiſeten einen
gantzen Tag in dieſem luſtigen Thale uͤber
allerhand mit Wein/ Oel- und Granat-
Aepfel-Baͤumen bedeckte Huͤgel; des andern
Tages kamen wir auf ein neues Gebuͤrge/
welches zwar uͤberaus hoch/ gegen der aber
uns nun fuͤr dem Geſichte liegenden Spitze des
Caucaſus/ nur gleichſam fuͤr Maulwurffs-
Hauffen anzuſehen war. Mit dem Abende
kamen wir an den Fuß des Berges/ und
nach dem wir nur etliche Stunden geru-
het/ ſtiegen wir mit unſern Maul-Thie-
ren Berg-auf/ weil die Hitze des Tages
daſelbſt faſt nicht zu reiſen verſtattet. Am

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[564/0620] Fuͤnftes Buch rathen dieſe Flamme anzuruͤhren. Was lan- ge Jahre ſo weichlich gehalten worden/ waͤre ſchwer zu etwas haͤrterem ohne Gefahr zu ge- wehnen. Und alſo ſey es beſſer ein Auge zuzu- druͤckẽ/ als ohne Frucht etwas verzweifeltes ver- neuern. Denn die Wieder-Einfuͤhrung der altẽ Schaͤrffe und beſſerer Sitten ſey ſchaͤdlich und unzeitig/ wenn ſelbte erſtarret/ unſere Kraͤfften aber abgenommen haͤtten. Und es ſey ſo denn mit einer ſolchen Herrſchafft/ wo die Gebrechen zu Sitten worden/ wie mit alten ſiechhaften Lei- bern beſchaffen; da die Artzney die ſchaͤdlichen Feuchtigkeiten nur rege machte/ und den ſonſt noch eine gute Weile angeſtandenen Tod be- ſchleunigte. Das Volck ſelbſt ſey durch die Laͤnge der Zeit ſchon dahin gebracht/ daß ſie die Gebrechen der Prieſter ietzt ſo ſehr liebten/ als ſie fuͤr Alters ihre Andacht und Tugenden werth gehalten. Den Adel kitzelte es/ daß ſie dem aͤl- teſten Sohne ihre Guͤter verlaſſen/ die juͤngern durch die Wuͤrde eines Prieſterthums abſtatten/ und derogeſtalt den Glantz ihres Geſchlechtes erhalten/ oder auch erhoͤhen koͤnten. Daher wuͤrde unter ſeinen Raͤthen und den Werck- zeugen ſeines Vorhabens niemand ſeyn/ der nicht Theil an dieſem Ubel/ und zu dieſem Ber- ge einen Karn voll Erde getragen haͤtte. Auch gaͤbe es unter den Unterthanen ſolche Leute/ welche den Veraͤnderungen ſo gram waͤren/ daß ihnen fuͤr ihrer erlangten Freyheit eckelte. Die von der grauſamſten Dienſtbarkeit kaum er- loͤſeten Roͤmer haͤtten die Tarquinier wieder einzuruffen ſich geluͤſten laſſen. Und ein ver- wehntes Volck fluchtete nichts minder dem/ der ſeine Wolfarth ſuchte/ als die am Feber kranck liegenden denen/ welche ihnen bey waͤh- render Hitze das ſchaͤdliche Waſſer zu geben verweigerten: Er wuͤſte zwar wohl/ daß auch durch linde Mittel kluge Fuͤrſten vielem Ubel abhuͤlffen. Alleine auch alle eingewurtzelte Kranckheiten des Leibes nehmen ſelbte nicht an/ ſondern erforderten Staͤrcke/ Reinigun- gen und ſcharffes Aderlaſſen. Wie viel we- niger waͤren die ſo hoch entbrennten Be- gierden des Gemuͤthes mit laulichten Saͤff- ten zu leſchen. So fuͤhlete auch keine Spin- ne ſo geſchwinde/ wenn nur ein Finger einen Faden ihres Gewebes anruͤhrete/ als die Prie- ſterſchafft/ wenn man ihren Freyheiten mit einem Tritte zu nahe kaͤme. Alſo ſey es beſ- ſer bey ſo zweifelhaftem Ausſchlage ſo kraͤfftige Schwachheiten nicht anruͤhren/ als es durch unzeitigen Eifer offenbar machen/ daß wir ſelbten nicht gewachſen ſind. Denn fuͤr dero- gleichen Geſetzen wird noch immer mit Furcht/ es werde verboten werden/ geſuͤndigt. Wenn es aber nach dem Verbot den Ver- brechern ungenoſſen ausgehet/ verſchwindet nicht nur alle Furcht und Scham bey den Unterthanen/ ſondern auch alles Anſehen bey dem Fuͤrſten. Aber/ fuhr Zeno fort/ ich muß wieder auf den Luſt-Garten meines Gebuͤrges kommen; dar- innen Oropaſtes/ Syrmanus/ und ich/ zwar eine gute Zeit unſer Ergetzligkeit pflegtẽ/ endlich aber theils aus Andacht/ theils aus Begierde der Neuigkeit/ auf die Spitze des Caucaſus/ und in das Heiligthum des Prometheus zu kommen verlangten. Wir reiſeten einen gantzen Tag in dieſem luſtigen Thale uͤber allerhand mit Wein/ Oel- und Granat- Aepfel-Baͤumen bedeckte Huͤgel; des andern Tages kamen wir auf ein neues Gebuͤrge/ welches zwar uͤberaus hoch/ gegen der aber uns nun fuͤr dem Geſichte liegenden Spitze des Caucaſus/ nur gleichſam fuͤr Maulwurffs- Hauffen anzuſehen war. Mit dem Abende kamen wir an den Fuß des Berges/ und nach dem wir nur etliche Stunden geru- het/ ſtiegen wir mit unſern Maul-Thie- ren Berg-auf/ weil die Hitze des Tages daſelbſt faſt nicht zu reiſen verſtattet. Am Mor-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/620>, abgerufen am 26.11.2024.