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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] fahr brauchet; vielmehr aber man diese vorher
durch allerhand Liebkosungen einschläfen muß/
denen man unempfindlich ein- oder ander Glied
abschneiden wil. Zeno fing hierauf an: Die
Priester hörten nicht auf Menschen zu seyn/ und
also wäre kein Wunderwerck/ daß einige zu weit
gingen/ oder sich in etwas vergriffen. Wären
doch die Könige leicht zu zehlen/ und die Nahmen
der grossen Staats-Diener hätten in einem Rin-
ge raum/ welche nicht über die Gräntzen ihrer
rechtmässigen Gewalt geschritten wären. Die-
semnach liesse sich wegen etlicher oder vieler Prie-
ster mißbrauchten Macht/ oder übel angewehr-
ter Güter der sämtlichen Priesterschafft weder
die Ehren-Staffeln verschliessen/ noch die Brun-
nen der Freygebigkeit verstopfen. Am aller-
wenigsten hätte Deutschland Urfache darzu;
allwo die meisten Priester sich selbst der dürftig-
sten Armuth und der gehorsamsten Demuth
verlobten. So hätte er auch bey denen für-
nehmsten Druyden/ welche gleich mit bey dem
Steuer-Ruder des Vaterlandes/ unter den
Fürsten sässen/ eine in Asien ungemeine Be-
scheidenheit/ und eine solche Liebe des gemeinen
Wesens gefunden/ daß sie mit Freuden ihre äl-
teste Stiffs-Einkunfften für das Heil des Vol-
ckes ausgeleeret/ und das Armuth mit ihrem
Uberflusse versorgt hätten. Also wäre die Prie-
sterschafft wohl ein Meer/ in welches viel Flüsse
ihr Wasser zinseten; aber aus selbtem auch alle
Brunnen ihr Wasser/ entweder durch offene
Röhren ihrer Freygebigkeit/ oder durch die ver-
borgenen Adern des Göttlichen Segens/ welche
die Priester durch ihre Andacht immer
rinnend machten. Wie viel unglückseliger
wäre Asien und Comagene/ wo die Priester tau-
send Götter verehrten/ und durch tausenderley
Erfindungen sich müheten blutsäugende Aegeln
des Volckes zu seyn. Welche Priester wären
in der Welt berühmter/ als die nackten Brach-
manen Jndiens? Gleichwohl aber bestünde bey
ihnen nicht nur die Fürstliche Herrschafft und
[Spaltenumbruch] Oberkeitliche Gewalt/ sondern ihr Wille wäre
einestrenge Richtschnur aller andern Menschen/
und dieser Willkühr an jener Gesetze durch ein
Seil des allerstrengsten Gehorsams angefässelt.
Die Hände wären ihnen gebunden/ ihre Vernunft
verdüstert/ daß niemand nichts/ als durch die
Augen der Brachmanen zu sehen glaubte. Ohne
ihr Erlaubnüß dörfften sie nichts essen/ ihnen
nicht die Haare abschneiden/ noch sich in dem hei-
ligen Ganges baden/ noch sonst einig Gelübde
abgelten. Sie verkaufften nicht nur denen
Heyrathenden das Wasser dieses unerschöpfli-
chen Stromes zehnmal theuerer/ als ander-
werts den besten Wein; sondern auch den Küh-
Mist wiegen sie den Einfältigen als ein groß
Heiligthum gegen zweymal so viel Gold aus.
Die Dürstenden müsten ehe erdürsten/ als ohne
eines Brachmans Einwilligung aus einem of-
fenen See trincken; und die wohl zwantzig
Tage-Reisen weit vom Ganges entlegene Leute
wären von denen Brachmanen ihr versiegeltes
Wasser gegen einer schweren Schatzung zu ih-
rem Labsal zu holen verpflichtet. Wenn ein
Jndianer was verliere/ müste er zur Straffe sei-
ner Unachtsamkeit eben so viel seinen Priestern
bezahlen/ oder er würde bey Nachbleibung dessen
als ein Verfluchter aus der Gemeine gestossen/
aus welcher ohne diß wenig in ihre Tempel kom-
men/ und niemand aufer denen Brachmanen ih-
rer Götter Bilder anrühren dörffte/ gegen wel-
che Deutschland wegen seiner bescheidenen und
glimpflichen Priesterschafft sich glückselig zu
schätzen/ und ihren zuweilen mit unterlauffenden
Schwachheiten/ wie kluge Aertzte gewissen
Kranckheiten/ etwas nachzusehen hätte. Denn
das hohe Priesterthum mit Gewalt an sich zu
reissen/ oder ihnen die Flügel allzu sehr zu ver-
schneiden/ wäre ein im Gewissen nichts minder
bedenckliches/ als in der Ausübung schweres
und der gemeinen Ruhe gefährliches Werck.
Daher wolte er dem Feldherrn nimmermehr

rathen
B b b b 2

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] fahr brauchet; vielmehr aber man dieſe vorher
durch allerhand Liebkoſungen einſchlaͤfen muß/
denen man unempfindlich ein- oder ander Glied
abſchneiden wil. Zeno fing hierauf an: Die
Prieſter hoͤrten nicht auf Menſchen zu ſeyn/ und
alſo waͤre kein Wunderwerck/ daß einige zu weit
gingen/ oder ſich in etwas vergriffen. Waͤren
doch die Koͤnige leicht zu zehlen/ und die Nahmen
der groſſen Staats-Diener haͤtten in einem Rin-
ge raum/ welche nicht uͤber die Graͤntzen ihrer
rechtmaͤſſigen Gewalt geſchritten waͤren. Die-
ſemnach lieſſe ſich wegen etlicher oder vieler Prie-
ſter mißbrauchten Macht/ oder uͤbel angewehr-
ter Guͤter der ſaͤmtlichen Prieſterſchafft weder
die Ehren-Staffeln verſchlieſſen/ noch die Brun-
nen der Freygebigkeit verſtopfen. Am aller-
wenigſten haͤtte Deutſchland Urfache darzu;
allwo die meiſten Prieſter ſich ſelbſt der duͤrftig-
ſten Armuth und der gehorſamſten Demuth
verlobten. So haͤtte er auch bey denen fuͤr-
nehmſten Druyden/ welche gleich mit bey dem
Steuer-Ruder des Vaterlandes/ unter den
Fuͤrſten ſaͤſſen/ eine in Aſien ungemeine Be-
ſcheidenheit/ und eine ſolche Liebe des gemeinen
Weſens gefunden/ daß ſie mit Freuden ihre aͤl-
teſte Stiffs-Einkunfften fuͤr das Heil des Vol-
ckes ausgeleeret/ und das Armuth mit ihrem
Uberfluſſe verſorgt haͤtten. Alſo waͤre die Prie-
ſterſchafft wohl ein Meer/ in welches viel Fluͤſſe
ihr Waſſer zinſeten; aber aus ſelbtem auch alle
Brunnen ihr Waſſer/ entweder durch offene
Roͤhren ihrer Freygebigkeit/ oder durch die ver-
borgenen Adern des Goͤttlichen Segens/ welche
die Prieſter durch ihre Andacht immer
rinnend machten. Wie viel ungluͤckſeliger
waͤre Aſien und Comagene/ wo die Prieſter tau-
ſend Goͤtter verehrten/ und durch tauſenderley
Erfindungen ſich muͤheten blutſaͤugende Aegeln
des Volckes zu ſeyn. Welche Prieſter waͤren
in der Welt beruͤhmter/ als die nackten Brach-
manen Jndiens? Gleichwohl aber beſtuͤnde bey
ihnen nicht nur die Fuͤrſtliche Herrſchafft und
[Spaltenumbruch] Oberkeitliche Gewalt/ ſondern ihr Wille waͤre
eineſtrenge Richtſchnur aller andern Menſchen/
und dieſer Willkuͤhr an jener Geſetze durch ein
Seil des allerſtrengſten Gehorſams angefaͤſſelt.
Die Haͤnde waͤrẽ ihnẽ gebunden/ ihre Vernunft
verduͤſtert/ daß niemand nichts/ als durch die
Augen der Brachmanen zu ſehen glaubte. Ohne
ihr Erlaubnuͤß doͤrfften ſie nichts eſſen/ ihnen
nicht die Haare abſchneiden/ noch ſich in dem hei-
ligen Ganges baden/ noch ſonſt einig Geluͤbde
abgelten. Sie verkaufften nicht nur denen
Heyrathenden das Waſſer dieſes unerſchoͤpfli-
chen Stromes zehnmal theuerer/ als ander-
werts den beſten Wein; ſondern auch den Kuͤh-
Miſt wiegen ſie den Einfaͤltigen als ein groß
Heiligthum gegen zweymal ſo viel Gold aus.
Die Duͤrſtenden muͤſten ehe erduͤrſten/ als ohne
eines Brachmans Einwilligung aus einem of-
fenen See trincken; und die wohl zwantzig
Tage-Reiſen weit vom Ganges entlegene Leute
waͤren von denen Brachmanen ihr verſiegeltes
Waſſer gegen einer ſchweren Schatzung zu ih-
rem Labſal zu holen verpflichtet. Wenn ein
Jndianer was verliere/ muͤſte er zur Straffe ſei-
ner Unachtſamkeit eben ſo viel ſeinen Prieſtern
bezahlen/ oder er wuͤrde bey Nachbleibung deſſen
als ein Verfluchter aus der Gemeine geſtoſſen/
aus welcher ohne diß wenig in ihre Tempel kom-
men/ und niemand aufer denen Brachmanen ih-
rer Goͤtter Bilder anruͤhren doͤrffte/ gegen wel-
che Deutſchland wegen ſeiner beſcheidenen und
glimpflichen Prieſterſchafft ſich gluͤckſelig zu
ſchaͤtzen/ und ihren zuweilen mit unterlauffenden
Schwachheiten/ wie kluge Aertzte gewiſſen
Kranckheiten/ etwas nachzuſehen haͤtte. Denn
das hohe Prieſterthum mit Gewalt an ſich zu
reiſſen/ oder ihnen die Fluͤgel allzu ſehr zu ver-
ſchneiden/ waͤre ein im Gewiſſen nichts minder
bedenckliches/ als in der Ausuͤbung ſchweres
und der gemeinen Ruhe gefaͤhrliches Werck.
Daher wolte er dem Feldherrn nimmermehr

rathen
B b b b 2
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[563/0619] Arminius und Thußnelda. fahr brauchet; vielmehr aber man dieſe vorher durch allerhand Liebkoſungen einſchlaͤfen muß/ denen man unempfindlich ein- oder ander Glied abſchneiden wil. Zeno fing hierauf an: Die Prieſter hoͤrten nicht auf Menſchen zu ſeyn/ und alſo waͤre kein Wunderwerck/ daß einige zu weit gingen/ oder ſich in etwas vergriffen. Waͤren doch die Koͤnige leicht zu zehlen/ und die Nahmen der groſſen Staats-Diener haͤtten in einem Rin- ge raum/ welche nicht uͤber die Graͤntzen ihrer rechtmaͤſſigen Gewalt geſchritten waͤren. Die- ſemnach lieſſe ſich wegen etlicher oder vieler Prie- ſter mißbrauchten Macht/ oder uͤbel angewehr- ter Guͤter der ſaͤmtlichen Prieſterſchafft weder die Ehren-Staffeln verſchlieſſen/ noch die Brun- nen der Freygebigkeit verſtopfen. Am aller- wenigſten haͤtte Deutſchland Urfache darzu; allwo die meiſten Prieſter ſich ſelbſt der duͤrftig- ſten Armuth und der gehorſamſten Demuth verlobten. So haͤtte er auch bey denen fuͤr- nehmſten Druyden/ welche gleich mit bey dem Steuer-Ruder des Vaterlandes/ unter den Fuͤrſten ſaͤſſen/ eine in Aſien ungemeine Be- ſcheidenheit/ und eine ſolche Liebe des gemeinen Weſens gefunden/ daß ſie mit Freuden ihre aͤl- teſte Stiffs-Einkunfften fuͤr das Heil des Vol- ckes ausgeleeret/ und das Armuth mit ihrem Uberfluſſe verſorgt haͤtten. Alſo waͤre die Prie- ſterſchafft wohl ein Meer/ in welches viel Fluͤſſe ihr Waſſer zinſeten; aber aus ſelbtem auch alle Brunnen ihr Waſſer/ entweder durch offene Roͤhren ihrer Freygebigkeit/ oder durch die ver- borgenen Adern des Goͤttlichen Segens/ welche die Prieſter durch ihre Andacht immer rinnend machten. Wie viel ungluͤckſeliger waͤre Aſien und Comagene/ wo die Prieſter tau- ſend Goͤtter verehrten/ und durch tauſenderley Erfindungen ſich muͤheten blutſaͤugende Aegeln des Volckes zu ſeyn. Welche Prieſter waͤren in der Welt beruͤhmter/ als die nackten Brach- manen Jndiens? Gleichwohl aber beſtuͤnde bey ihnen nicht nur die Fuͤrſtliche Herrſchafft und Oberkeitliche Gewalt/ ſondern ihr Wille waͤre eineſtrenge Richtſchnur aller andern Menſchen/ und dieſer Willkuͤhr an jener Geſetze durch ein Seil des allerſtrengſten Gehorſams angefaͤſſelt. Die Haͤnde waͤrẽ ihnẽ gebunden/ ihre Vernunft verduͤſtert/ daß niemand nichts/ als durch die Augen der Brachmanen zu ſehen glaubte. Ohne ihr Erlaubnuͤß doͤrfften ſie nichts eſſen/ ihnen nicht die Haare abſchneiden/ noch ſich in dem hei- ligen Ganges baden/ noch ſonſt einig Geluͤbde abgelten. Sie verkaufften nicht nur denen Heyrathenden das Waſſer dieſes unerſchoͤpfli- chen Stromes zehnmal theuerer/ als ander- werts den beſten Wein; ſondern auch den Kuͤh- Miſt wiegen ſie den Einfaͤltigen als ein groß Heiligthum gegen zweymal ſo viel Gold aus. Die Duͤrſtenden muͤſten ehe erduͤrſten/ als ohne eines Brachmans Einwilligung aus einem of- fenen See trincken; und die wohl zwantzig Tage-Reiſen weit vom Ganges entlegene Leute waͤren von denen Brachmanen ihr verſiegeltes Waſſer gegen einer ſchweren Schatzung zu ih- rem Labſal zu holen verpflichtet. Wenn ein Jndianer was verliere/ muͤſte er zur Straffe ſei- ner Unachtſamkeit eben ſo viel ſeinen Prieſtern bezahlen/ oder er wuͤrde bey Nachbleibung deſſen als ein Verfluchter aus der Gemeine geſtoſſen/ aus welcher ohne diß wenig in ihre Tempel kom- men/ und niemand aufer denen Brachmanen ih- rer Goͤtter Bilder anruͤhren doͤrffte/ gegen wel- che Deutſchland wegen ſeiner beſcheidenen und glimpflichen Prieſterſchafft ſich gluͤckſelig zu ſchaͤtzen/ und ihren zuweilen mit unterlauffenden Schwachheiten/ wie kluge Aertzte gewiſſen Kranckheiten/ etwas nachzuſehen haͤtte. Denn das hohe Prieſterthum mit Gewalt an ſich zu reiſſen/ oder ihnen die Fluͤgel allzu ſehr zu ver- ſchneiden/ waͤre ein im Gewiſſen nichts minder bedenckliches/ als in der Ausuͤbung ſchweres und der gemeinen Ruhe gefaͤhrliches Werck. Daher wolte er dem Feldherrn nimmermehr rathen B b b b 2

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/619>, abgerufen am 22.11.2024.