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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] umb den Lucius etwas zu besänftigen schickte das
Gift der obersten Priesterin; worüber die gewei-
heten Jungfrauen in höchste Bekümmernüß/ ich
aber in gröste Verwirrung gerieth/ und die Prie-
sterin aufs beweglichste ersuchte: Sie möchte das
Gift mir zu trincken geben/ und hierdurch auf ein-
mal so wohl ihrem/ als meinen Kummer abhelffen.
Aber sie war unerbittlich/ sondern sie tranck das
Gift selbst aus/ und fing an: Jch weiß gewiß/
daß es die Aertztin Diana mir nicht wird schaden
lassen/ und durch diß Wunderwerck dem Got-
tes-Verächter Lucius eine ewige Hertzens-
Angst einjagen. Wir erstarreten alle über die-
sem Beginnen und Glauben/ noch mehr aber
über dem wunderwürdigen Ausschlage/ in dem
die Priesterin die geringste Veränderung nicht
davon empfand. Lucius ward hiervon zwar
benachrichtigt/ aber er antwortete nichts anders/
als daß die Massilier ihn viel zu alber ansehen/
wenn sie ihren Betrug ihm unter einem thörich-
ten Aberglauben aufzubinden vermeynten.
Dahero solten sie mich ihm gestellen/ oder er wol-
te selber den Tempel stürmen. Diese Ent-
schlüssung versetzte die gantze Stadt/ insonder-
heit aber die geistlichen Jungfrauen in kein ge-
ringes Schrecken/ und mich in Furcht/ man
würde mich bey äuserster Gefahr aus dem Tem-
pel stossen. Dahero ließ ich mich nach abgeleg-
tem Gelübde ewiger Jungfrauschafft zu einer
Priesterin einweihen/ umb der besorglichen Ver-
stossung/ und des Lucius toller Brunst vorzu-
kommen. Hilff Himmel/ rieff ich/ sagte Fla-
vius von sich! Hat gleichwohl der üppige Ne-
benbuhler Lucius das Glücke gehabt/ daß er
durch Verursachung dieses Gelübdes mich auf
mein Lebtage unglückselig gemacht? Nach mei-
nem mit gleichsam tauben Ohren angehörten
Wehklagen/ erzehlte mir Dido ferner: Der
Rath und zwey Priester des Jupiters liessen den
zu Stürmung des Tempels sich rüstenden Lu-
cius beweglich abmahnen. Der Rath hielt ihm
ein: Daß Lucius hierdurch ihre Götter erzürn-
[Spaltenumbruch] te/ die alte Freundschaft beyder Völcker beleidigte.
Sintemal Massilien mehr für eine Schwester/
als eine Magd der Stadt Rom zu halten wäre.
Denn sie hätte bey ihrem Ursprunge mit den
Römern ein ewiges Bündnüß gemacht/ selbtes
nie versehret/ und in Glück und Unglück sich ih-
re treueste Freundin bezeigt. Sie wäre/ als
Brennus sie verbrennet/ umb Rom im Leide ge-
gangen/ hätte alles Gold zum Lösegelde des Ca-
pitolium vorgeschossen/ und sie hätten zu Rom
auf den Schauspielen unter den Raths-Herren
ihren gleichen Sitz. Dahero die Stadt nicht
nur zu Beschirmung ihrer Heiligthümer in
Aufruhr gerathen/ sondern der Käyser selbst die-
se Gewalt-That ungnädig empfinden würde.
Die Priester aber dreuten ihm die unnachbleib-
liche Rache der Götter an/ und machten ihm
eingedenck: Wie Brennus die Stürmung des
Delphischen Tempels und den Raub des Gol-
des daraus so schrecklich gebüsset hätte. Pro-
serpina hätte am Pyrrhus die Entweihung ihres
Sicilischen Heiligthums mit Umbschlagung al-
les Glückes und seinem Untergange ernstlich ge-
rächet. Jhre Diana aber wäre nichts anders
als Cynthia im Himmel/ und Proserpina in der
Hölle. Die Persen wären in der Potideischen
Belägerung durchs Wasser erbärmlich umb-
kommen/ weil sie einen Tempel des
Neptun verunehret/ und Amilcar hätte
nach Beraubung der Erycinischen Venus we-
der Stern noch Glücke mehr gehabt. Den
Göttern und ihrer Rache wären aber auch die
Römer unterwürffig. Diese wären durch ei-
nen gewaltsamen Sturm beschädigt worden/
als sie sich erkühnet nur etliche heilige Bilder von
Delphis nach Rom zu führen. Die geweihe-
ten Jungfrauen aber wären lebhaftere und also
heiligere Bilder der Götter/ als die Marmel-
und güldenen. Clodius wäre gar recht an der
Pforte des der Cybele gewiedmeten Hauses er-
schlagen worden/ weil er zu Rom in ihren Tem-
pel vermessentlich gegangen. Griechen und

Egy-

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] umb den Lucius etwas zu beſaͤnftigen ſchickte das
Gift der oberſten Prieſterin; woruͤber die gewei-
heten Jungfrauen in hoͤchſte Bekuͤmmernuͤß/ ich
aber in groͤſte Verwirrung gerieth/ und die Prie-
ſterin aufs beweglichſte erſuchte: Sie moͤchte das
Gift mir zu trincken gebẽ/ und hierdurch auf ein-
mal ſo wohl ihrem/ als meinẽ Kummer abhelffẽ.
Aber ſie war unerbittlich/ ſondern ſie tranck das
Gift ſelbſt aus/ und fing an: Jch weiß gewiß/
daß es die Aertztin Diana mir nicht wird ſchaden
laſſen/ und durch diß Wunderwerck dem Got-
tes-Veraͤchter Lucius eine ewige Hertzens-
Angſt einjagen. Wir erſtarreten alle uͤber die-
ſem Beginnen und Glauben/ noch mehr aber
uͤber dem wunderwuͤrdigen Ausſchlage/ in dem
die Prieſterin die geringſte Veraͤnderung nicht
davon empfand. Lucius ward hiervon zwar
benachrichtigt/ aber er antwortete nichts anders/
als daß die Maſſilier ihn viel zu alber anſehen/
wenn ſie ihren Betrug ihm unter einem thoͤrich-
ten Aberglauben aufzubinden vermeynten.
Dahero ſolten ſie mich ihm geſtellen/ oder er wol-
te ſelber den Tempel ſtuͤrmen. Dieſe Ent-
ſchluͤſſung verſetzte die gantze Stadt/ inſonder-
heit aber die geiſtlichen Jungfrauen in kein ge-
ringes Schrecken/ und mich in Furcht/ man
wuͤrde mich bey aͤuſerſter Gefahr aus dem Tem-
pel ſtoſſen. Dahero ließ ich mich nach abgeleg-
tem Geluͤbde ewiger Jungfrauſchafft zu einer
Prieſterin einweihen/ umb der beſorglichen Ver-
ſtoſſung/ und des Lucius toller Brunſt vorzu-
kommen. Hilff Himmel/ rieff ich/ ſagte Fla-
vius von ſich! Hat gleichwohl der uͤppige Ne-
benbuhler Lucius das Gluͤcke gehabt/ daß er
durch Verurſachung dieſes Geluͤbdes mich auf
mein Lebtage ungluͤckſelig gemacht? Nach mei-
nem mit gleichſam tauben Ohren angehoͤrten
Wehklagen/ erzehlte mir Dido ferner: Der
Rath und zwey Prieſter des Jupiters lieſſen den
zu Stuͤrmung des Tempels ſich ruͤſtenden Lu-
cius beweglich abmahnen. Der Rath hielt ihm
ein: Daß Lucius hierdurch ihre Goͤtter erzuͤrn-
[Spaltenumbruch] te/ die alte Freũdſchaft beyder Voͤlcker beleidigte.
Sintemal Maſſilien mehr fuͤr eine Schweſter/
als eine Magd der Stadt Rom zu halten waͤre.
Denn ſie haͤtte bey ihrem Urſprunge mit den
Roͤmern ein ewiges Buͤndnuͤß gemacht/ ſelbtes
nie verſehret/ und in Gluͤck und Ungluͤck ſich ih-
re treueſte Freundin bezeigt. Sie waͤre/ als
Brennus ſie verbrennet/ umb Rom im Leide ge-
gangen/ haͤtte alles Gold zum Loͤſegelde des Ca-
pitolium vorgeſchoſſen/ und ſie haͤtten zu Rom
auf den Schauſpielen unter den Raths-Herren
ihren gleichen Sitz. Dahero die Stadt nicht
nur zu Beſchirmung ihrer Heiligthuͤmer in
Aufruhr gerathen/ ſondern der Kaͤyſer ſelbſt die-
ſe Gewalt-That ungnaͤdig empfinden wuͤrde.
Die Prieſter aber dreuten ihm die unnachbleib-
liche Rache der Goͤtter an/ und machten ihm
eingedenck: Wie Brennus die Stuͤrmung des
Delphiſchen Tempels und den Raub des Gol-
des daraus ſo ſchrecklich gebuͤſſet haͤtte. Pro-
ſerpina haͤtte am Pyrrhus die Entweihung ihres
Siciliſchen Heiligthums mit Umbſchlagung al-
les Gluͤckes und ſeinem Untergange ernſtlich ge-
raͤchet. Jhre Diana aber waͤre nichts anders
als Cynthia im Himmel/ und Proſerpina in der
Hoͤlle. Die Perſen waͤren in der Potideiſchen
Belaͤgerung durchs Waſſer erbaͤrmlich umb-
kommen/ weil ſie einen Tempel des
Neptun verunehret/ und Amilcar haͤtte
nach Beraubung der Eryciniſchen Venus we-
der Stern noch Gluͤcke mehr gehabt. Den
Goͤttern und ihrer Rache waͤren aber auch die
Roͤmer unterwuͤrffig. Dieſe waͤren durch ei-
nen gewaltſamen Sturm beſchaͤdigt worden/
als ſie ſich erkuͤhnet nur etliche heilige Bilder von
Delphis nach Rom zu fuͤhren. Die geweihe-
ten Jungfrauen aber waͤren lebhaftere und alſo
heiligere Bilder der Goͤtter/ als die Marmel-
und guͤldenen. Clodius waͤre gar recht an der
Pforte des der Cybele gewiedmeten Hauſes er-
ſchlagen worden/ weil er zu Rom in ihren Tem-
pel vermeſſentlich gegangen. Griechen und

Egy-
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/536>, abgerufen am 22.11.2024.