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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch]

Mit diesem abscheulichen Unterrichte nah-
men wir von dem Verführer Aristippus Ab-
schied/ und kamen mit Verwunderung des Ho-
fes/ daß Cajus und Lucius sich so sehr in die
Weltweißheit verliebt hätten/ nach Hause. Fol-
genden Tag fanden wir uns wieder gar zeitlich
in des Aristippus Garten/ da er denn uns und
der verhandenen grossen Menge der Zuhörer
fürtrug: Ein Weiser solte in allem/ was er thäte/
sein Absehn allein auf seine eigene Vergnügung
haben. Daher dörffte der/ welcher am Müssig-
gange Ergetzligkeit spürte/ sich nicht mit Erler-
nung schwerer Dinge quälen/ ein Geitziger
dörffte gegen niemanden freygebig seyn/ ein
Furchtsamer nicht in Krieg ziehen/ ein Unacht-
samer sich umb Gott nicht bekümmern. Zu-
letzt gab er uns ein Zeichen/ daß wir uns wieder
in seine geheime Schule einfinden solten. Cajus
und Lucius waren schon in das Lust-Haus hin-
ein/ und ich auf der Schwelle/ als ich fühlte/ daß
mich einer hinterrücks bey dem Kleide zurück
zoh. Als ich mich umbwendete/ sahe ich einen
alten Mann/ dessen Antlitz eine sonderbare An-
dacht/ seine Geberden aber eine grosse Bestür-
tzung andeuteten. Dieser fing mit aufgehobe-
nen Händen an: Tritt zurücke/ edelster Flavius/
von der Schwelle deines Untergangs. Hier-
mit ergriff er mich bey der Hand/ und führte
mich halb gezwungen und halb gutwillig in den
düstersten Gang des Gartens/ daselbst fiel er
mir umb den Hals/ küßte und benetzte mich mit
einem reichen Strome bitterer Zähren. Hier-
auf sahe er gegen dem Himmel/ und fieng an::
Ewiger Gott! lasse nicht zu/ daß der Sohn des
frommen Fürsten Segimers in den Klauen ei-
nes so schändlichen Gottes-Verächters/ und sei-
ne Seele von diesem Ertzt-Mörder umbkom-
me! Jch/ der ich anfangs gleich über der Kent-
nüß und hertzhaften Ansprache dieses Greises
mich verwunderte/ ward nunmehr durch einen
geheimen Trieb zu einer absondern Ehrerbie-
tung gegen ihn gereget/ und es schien ihm eine
[Spaltenumbruch] überirrdische Lebhaftigkeit aus den Augen zu se-
hen. Daher ich anfing: Sage mir/ Vater/
woher du mich kennest/ und was mir für ein Un-
glück vorstehe? Ach! fing er seufzende und zwar
nunmehr in deutscher Sprache an: Es ist hier
kein Ort dir alles zu offenbaren. Meine
Sprache versichert dich/ daß ich dein Lands-
mann/ und diese meine Betheuerung/ (hiermit
legte er seine Hand ihm flach aufs Haupt/) daß
ich ein treuer Knecht deines Vaters Segimers/
Aristippus aber der verfluchteste Unmensch
und euch den höllischen Unholden zu einem fetten
Schlacht-Opfer zu liefern vorhabens sey. Hier
leidet die Zeit nicht mehr Worte zu machen. Wilst
du dich aber erhalten wissen/ so entferne dich au-
genblicks aus diesem Garten/ und suche mich
morgen früh in dem Tempel der Jsis/ welchen
der Käyser unlängst an den Ort/ wo vorhin der
vom Julius eingerissene gestanden/ zu bauen er-
laubet hat. Hiermit setzte sich dieser Greiß in
einen Kahn auf die Tiber/ und fuhr davon; ich
aber verfügte mich in die grosse Renne-Bahn/
und brachte den Tag mit allerhand Ritterspielen
zu/ umb mich der von des vorhergehenden Tages
seltzamer Begebnüß/ oder dieses Alten Erinne-
rung zuhängenden Traurigkeit zu entschlagen.
Umb Mitternacht kam Lucius in mein Zimmer
für mein Bette/ und wuste mir die beym Aristip-
pus genossene Lust/ welcher die erstere nicht das
Wasser reichte/ nicht genungsam heraus zu strei-
chen. Denn er hätte sie mit eitel jungen Moh-
ren und Mohrinnen bedienet/ gegen welcher feu-
rigem Liebes-Reitze des weissen Frauenzimmers
Anmuth nur für Schnee zu achten wäre. Jch
konte mich über diesem Vortrage nicht enthalten
überlaut zu lachen und zu fragen: Was Aristip-
pus für eine Beredsamkeit sie zu bereden gebrau-
chet/ daß die Raben schöner als die Schwanen
wären? Sind die Raben nicht schöner/ versetzte
Lucius/ so sind sie doch wahrhaftiger zum Reden/
als die Schwanen zum singen geschickt/ und also
anmuthiger. Warumb aber solte nicht auch

Schön-
Erster Theil. M m m
Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch]

Mit dieſem abſcheulichen Unterrichte nah-
men wir von dem Verfuͤhrer Ariſtippus Ab-
ſchied/ und kamen mit Verwunderung des Ho-
fes/ daß Cajus und Lucius ſich ſo ſehr in die
Weltweißheit verliebt haͤtten/ nach Hauſe. Fol-
genden Tag fanden wir uns wieder gar zeitlich
in des Ariſtippus Garten/ da er denn uns und
der verhandenen groſſen Menge der Zuhoͤrer
fuͤrtrug: Ein Weiſer ſolte in allem/ was er thaͤte/
ſein Abſehn allein auf ſeine eigene Vergnuͤgung
haben. Daher doͤrffte der/ welcher am Muͤſſig-
gange Ergetzligkeit ſpuͤrte/ ſich nicht mit Erler-
nung ſchwerer Dinge quaͤlen/ ein Geitziger
doͤrffte gegen niemanden freygebig ſeyn/ ein
Furchtſamer nicht in Krieg ziehen/ ein Unacht-
ſamer ſich umb Gott nicht bekuͤmmern. Zu-
letzt gab er uns ein Zeichen/ daß wir uns wieder
in ſeine geheime Schule einfinden ſolten. Cajus
und Lucius waren ſchon in das Luſt-Haus hin-
ein/ und ich auf der Schwelle/ als ich fuͤhlte/ daß
mich einer hinterruͤcks bey dem Kleide zuruͤck
zoh. Als ich mich umbwendete/ ſahe ich einen
alten Mann/ deſſen Antlitz eine ſonderbare An-
dacht/ ſeine Geberden aber eine groſſe Beſtuͤr-
tzung andeuteten. Dieſer fing mit aufgehobe-
nen Haͤnden an: Tritt zuruͤcke/ edelſter Flavius/
von der Schwelle deines Untergangs. Hier-
mit ergriff er mich bey der Hand/ und fuͤhrte
mich halb gezwungen und halb gutwillig in den
duͤſterſten Gang des Gartens/ daſelbſt fiel er
mir umb den Hals/ kuͤßte und benetzte mich mit
einem reichen Strome bitterer Zaͤhren. Hier-
auf ſahe er gegen dem Himmel/ und fieng an::
Ewiger Gott! laſſe nicht zu/ daß der Sohn des
frommen Fuͤrſten Segimers in den Klauen ei-
nes ſo ſchaͤndlichen Gottes-Veraͤchters/ und ſei-
ne Seele von dieſem Ertzt-Moͤrder umbkom-
me! Jch/ der ich anfangs gleich uͤber der Kent-
nuͤß und hertzhaften Anſprache dieſes Greiſes
mich verwunderte/ ward nunmehr durch einen
geheimen Trieb zu einer abſondern Ehrerbie-
tung gegen ihn gereget/ und es ſchien ihm eine
[Spaltenumbruch] uͤberirrdiſche Lebhaftigkeit aus den Augen zu ſe-
hen. Daher ich anfing: Sage mir/ Vater/
woher du mich kenneſt/ und was mir fuͤr ein Un-
gluͤck vorſtehe? Ach! fing er ſeufzende und zwar
nunmehr in deutſcher Sprache an: Es iſt hier
kein Ort dir alles zu offenbaren. Meine
Sprache verſichert dich/ daß ich dein Lands-
mann/ und dieſe meine Betheuerung/ (hiermit
legte er ſeine Hand ihm flach aufs Haupt/) daß
ich ein treuer Knecht deines Vaters Segimers/
Ariſtippus aber der verfluchteſte Unmenſch
und euch den hoͤlliſchen Unholden zu einem fetten
Schlacht-Opfer zu liefern vorhabens ſey. Hier
leidet die Zeit nicht mehr Worte zu machẽ. Wilſt
du dich aber erhalten wiſſen/ ſo entferne dich au-
genblicks aus dieſem Garten/ und ſuche mich
morgen fruͤh in dem Tempel der Jſis/ welchen
der Kaͤyſer unlaͤngſt an den Ort/ wo vorhin der
vom Julius eingeriſſene geſtanden/ zu bauen er-
laubet hat. Hiermit ſetzte ſich dieſer Greiß in
einen Kahn auf die Tiber/ und fuhr davon; ich
aber verfuͤgte mich in die groſſe Renne-Bahn/
und brachte den Tag mit allerhand Ritterſpielen
zu/ umb mich der von des vorhergehenden Tages
ſeltzamer Begebnuͤß/ oder dieſes Alten Erinne-
rung zuhaͤngenden Traurigkeit zu entſchlagen.
Umb Mitternacht kam Lucius in mein Zimmer
fuͤr mein Bette/ und wuſte mir die beym Ariſtip-
pus genoſſene Luſt/ welcher die erſtere nicht das
Waſſer reichte/ nicht genungſam heraus zu ſtrei-
chen. Denn er haͤtte ſie mit eitel jungen Moh-
ren und Mohrinnen bedienet/ gegen welcher feu-
rigem Liebes-Reitze des weiſſen Frauenzimmers
Anmuth nur fuͤr Schnee zu achten waͤre. Jch
konte mich uͤber dieſem Vortrage nicht enthalten
uͤberlaut zu lachen und zu fragen: Was Ariſtip-
pus fuͤr eine Beredſamkeit ſie zu bereden gebrau-
chet/ daß die Raben ſchoͤner als die Schwanen
waͤren? Sind die Raben nicht ſchoͤner/ verſetzte
Lucius/ ſo ſind ſie doch wahrhaftiger zum Reden/
als die Schwanen zum ſingen geſchickt/ und alſo
anmuthiger. Warumb aber ſolte nicht auch

Schoͤn-
Erſter Theil. M m m
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[457/0511] Arminius und Thußnelda. Mit dieſem abſcheulichen Unterrichte nah- men wir von dem Verfuͤhrer Ariſtippus Ab- ſchied/ und kamen mit Verwunderung des Ho- fes/ daß Cajus und Lucius ſich ſo ſehr in die Weltweißheit verliebt haͤtten/ nach Hauſe. Fol- genden Tag fanden wir uns wieder gar zeitlich in des Ariſtippus Garten/ da er denn uns und der verhandenen groſſen Menge der Zuhoͤrer fuͤrtrug: Ein Weiſer ſolte in allem/ was er thaͤte/ ſein Abſehn allein auf ſeine eigene Vergnuͤgung haben. Daher doͤrffte der/ welcher am Muͤſſig- gange Ergetzligkeit ſpuͤrte/ ſich nicht mit Erler- nung ſchwerer Dinge quaͤlen/ ein Geitziger doͤrffte gegen niemanden freygebig ſeyn/ ein Furchtſamer nicht in Krieg ziehen/ ein Unacht- ſamer ſich umb Gott nicht bekuͤmmern. Zu- letzt gab er uns ein Zeichen/ daß wir uns wieder in ſeine geheime Schule einfinden ſolten. Cajus und Lucius waren ſchon in das Luſt-Haus hin- ein/ und ich auf der Schwelle/ als ich fuͤhlte/ daß mich einer hinterruͤcks bey dem Kleide zuruͤck zoh. Als ich mich umbwendete/ ſahe ich einen alten Mann/ deſſen Antlitz eine ſonderbare An- dacht/ ſeine Geberden aber eine groſſe Beſtuͤr- tzung andeuteten. Dieſer fing mit aufgehobe- nen Haͤnden an: Tritt zuruͤcke/ edelſter Flavius/ von der Schwelle deines Untergangs. Hier- mit ergriff er mich bey der Hand/ und fuͤhrte mich halb gezwungen und halb gutwillig in den duͤſterſten Gang des Gartens/ daſelbſt fiel er mir umb den Hals/ kuͤßte und benetzte mich mit einem reichen Strome bitterer Zaͤhren. Hier- auf ſahe er gegen dem Himmel/ und fieng an:: Ewiger Gott! laſſe nicht zu/ daß der Sohn des frommen Fuͤrſten Segimers in den Klauen ei- nes ſo ſchaͤndlichen Gottes-Veraͤchters/ und ſei- ne Seele von dieſem Ertzt-Moͤrder umbkom- me! Jch/ der ich anfangs gleich uͤber der Kent- nuͤß und hertzhaften Anſprache dieſes Greiſes mich verwunderte/ ward nunmehr durch einen geheimen Trieb zu einer abſondern Ehrerbie- tung gegen ihn gereget/ und es ſchien ihm eine uͤberirrdiſche Lebhaftigkeit aus den Augen zu ſe- hen. Daher ich anfing: Sage mir/ Vater/ woher du mich kenneſt/ und was mir fuͤr ein Un- gluͤck vorſtehe? Ach! fing er ſeufzende und zwar nunmehr in deutſcher Sprache an: Es iſt hier kein Ort dir alles zu offenbaren. Meine Sprache verſichert dich/ daß ich dein Lands- mann/ und dieſe meine Betheuerung/ (hiermit legte er ſeine Hand ihm flach aufs Haupt/) daß ich ein treuer Knecht deines Vaters Segimers/ Ariſtippus aber der verfluchteſte Unmenſch und euch den hoͤlliſchen Unholden zu einem fetten Schlacht-Opfer zu liefern vorhabens ſey. Hier leidet die Zeit nicht mehr Worte zu machẽ. Wilſt du dich aber erhalten wiſſen/ ſo entferne dich au- genblicks aus dieſem Garten/ und ſuche mich morgen fruͤh in dem Tempel der Jſis/ welchen der Kaͤyſer unlaͤngſt an den Ort/ wo vorhin der vom Julius eingeriſſene geſtanden/ zu bauen er- laubet hat. Hiermit ſetzte ſich dieſer Greiß in einen Kahn auf die Tiber/ und fuhr davon; ich aber verfuͤgte mich in die groſſe Renne-Bahn/ und brachte den Tag mit allerhand Ritterſpielen zu/ umb mich der von des vorhergehenden Tages ſeltzamer Begebnuͤß/ oder dieſes Alten Erinne- rung zuhaͤngenden Traurigkeit zu entſchlagen. Umb Mitternacht kam Lucius in mein Zimmer fuͤr mein Bette/ und wuſte mir die beym Ariſtip- pus genoſſene Luſt/ welcher die erſtere nicht das Waſſer reichte/ nicht genungſam heraus zu ſtrei- chen. Denn er haͤtte ſie mit eitel jungen Moh- ren und Mohrinnen bedienet/ gegen welcher feu- rigem Liebes-Reitze des weiſſen Frauenzimmers Anmuth nur fuͤr Schnee zu achten waͤre. Jch konte mich uͤber dieſem Vortrage nicht enthalten uͤberlaut zu lachen und zu fragen: Was Ariſtip- pus fuͤr eine Beredſamkeit ſie zu bereden gebrau- chet/ daß die Raben ſchoͤner als die Schwanen waͤren? Sind die Raben nicht ſchoͤner/ verſetzte Lucius/ ſo ſind ſie doch wahrhaftiger zum Reden/ als die Schwanen zum ſingen geſchickt/ und alſo anmuthiger. Warumb aber ſolte nicht auch Schoͤn- Erſter Theil. M m m

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/511>, abgerufen am 22.11.2024.