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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] aus geübet hätte/ wäre gantz verzweiffelt mit
dem Kopffe wider die Thür-Pfosten gelauffen/
ruffende: Qvintilius Varus/ schaffe mir die ver-
lohrnen Legionen wieder. Er hätte drey Ta-
ge nie gespeiset/ drey Nächte nicht geschlaffen/
wider Gewonheit sein Haar und Bart nicht be-
scheren/ den Tag der Niederlage in das schwar-
tze Zeit-Register/ wormit man jährlich daran die
erzürnten Götter versöhnte/ einzeichnen lassen.
Dem Jupiter hätte er nebst zugesagten grossen
Schauspielen viel andere Gelübde gethan/ da
er das gemeine Wesen in einen bessern Stand
setzen würde. Alle deutsche Fürsten hörten diese
Betrübniß ihrer Feinde mit Freuden an; Her-
tzog Arpus aber fing an: Augustus hat durch
diese Zagheit bey mir ein grosses Theil seines
Ansehens verlohren/ und ich halte diesen Abend
wenig von dem/ den ich gestern der gantzen Welt
Beherrschung würdig schätzte. Denn was mag
einem Fürsten unanständiger/ seinem Reiche
schädlicher seyn/ als wenn er ieden Glücks-
Wechsel sein Gesichte/ und mit iedem Winde
seinen Lauff ändert? Wer für Trübsalen die
Augen niederschlägt/ macht selbte gegen ihn
nur behertzter; wer aber selbten mit unver-
wandten Augen ins Gesichte sihet/ machet offt-
mahls Tod und Hencker stutzend. Die Klein-
müthigkeit reißt keinen aus der Gefahr/ wohl
aber die Hertzhafftigkeit. Aus den wäßrich-
ten Augen eines Fürsten erkennet das Volck
die Grösse bevorstehenden Ubels/ wie aus um-
wölckten Bergen das Ungewitter/ verlieret also
das Hertze/ läst die Hände sincken/ und fällt in
Verzweiffelung. Hingegen hat ein Fürst man-
cher Furcht und daraus erwachsender Gefahr
dadurch abgeholffen/ wenn er seine Wunden
verbunden/ nicht gewiesen hat. Massen der mei-
sten Reiche und Kriege Befestigung nicht so wol
auff der Grösse der Kräfften/ als ihrem grossen
Nahmen gegründet ist. Hätte Pompejus nach
der Pharsalischen Schlacht sich nicht so weibisch
und kleinmüthig gebärdet/ würde es ihnen an
Kräfften nicht gemangelt haben/ dem Julius die
[Spaltenumbruch] Wage zu halten. Weniger hätte ein verschnit-
tener Knecht sich gewagt einen so tapffern Held
abzuschlachten. Hingegen hätte der gefangene
Porus dem grossen Alexander nicht so unver-
zagt geantwortet/ würde er ein Sclave/ kein Kö-
nig blieben seyn. Es ist schimpff- und schädlicher
seinen Muth als eine Schlacht verlieren. Die-
ses kan wegen überlegener Feinde/ wegen Vor-
theilhafftigkeit seines Standes/ oder durch Ver-
sehung der seinigen geschehen. Ja Staub/ Wind
und Sonne verdienen offtmahls den Siegs-
Krantz/ und das Glücke den Nahmen/ daß es
sey ein Meister aller Ausschläge/ und eine Ge-
bieterin über die Schlachten. Der Verlust des
Muths aber rühret von unserer eigenen Schuld
her. Sintemal weder Glücke noch sonst iemand
einige Herrschafft über unser Gemüthe hat.
Dieses ist allen Regungen gewachsen/ lässet sich
nicht wie geschlossene Glieder mit Lantzen/ und
feste Mauern durch Sturmböcke durch brechen/
es vertreibet alle Furcht und vergeringert alles
Ubel/ wenn es nur beherzigt/ daß nichts als unse-
re Fehler den Nahmen eines Unglücks verdie-
nen/ und daß es rühmlicher sey/ ohne sein Verse-
hen etwas verspielen/ als durch Laster oder blossen
Zufall viel gewinnen. Diesemnach wie ein Fürst
sich beym Glücke nicht überheben/ noch bey gu-
tem Winde die Hände in die Schoos legen muß/
also soll er auch beym Sturme ihm nicht den
Compaß verrücken lassen/ sondern mit wachsa-
men Augen/ steiffen Händen/ unerschrockenem
Hertzen seiner vorigen Richtschnur nachgehen/
gleich als wenn seine Klugheit diesen Sturm lan-
ge vorher gesehen hätte/ und kurtz zu sagen/ die
Noth kleiner machen als sie ist. Freylich wol/ ver-
setzte der Feldherr/ ist es ein grosser Fehler/ wenn
ein Fürst ihm zur Unzeit in die Karte sehen läst/
was er für ein böse Spiel habe/ oder wenn ein An-
cker gerissen/ das Schiff selbst für verlohren aus-
rufft/ oder wol gar in Grund bohret. Diese Zag-
heit überfället auch insgemein dieselben/ welche
allzulanges Glücke/ oder allzugrosse Vermes-
senheit auff seine Kräfften in Sicherheit einge-

schläfft/

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] aus geuͤbet haͤtte/ waͤre gantz verzweiffelt mit
dem Kopffe wider die Thuͤr-Pfoſten gelauffen/
ruffende: Qvintilius Varus/ ſchaffe mir die ver-
lohrnen Legionen wieder. Er haͤtte drey Ta-
ge nie geſpeiſet/ drey Naͤchte nicht geſchlaffen/
wider Gewonheit ſein Haar und Bart nicht be-
ſcheren/ den Tag der Niederlage in das ſchwar-
tze Zeit-Regiſter/ wormit man jaͤhrlich daran die
erzuͤrnten Goͤtter verſoͤhnte/ einzeichnen laſſen.
Dem Jupiter haͤtte er nebſt zugeſagten groſſen
Schauſpielen viel andere Geluͤbde gethan/ da
er das gemeine Weſen in einen beſſern Stand
ſetzen wuͤrde. Alle deutſche Fuͤrſten hoͤrten dieſe
Betruͤbniß ihrer Feinde mit Freuden an; Her-
tzog Arpus aber fing an: Auguſtus hat durch
dieſe Zagheit bey mir ein groſſes Theil ſeines
Anſehens verlohren/ und ich halte dieſen Abend
wenig von dem/ den ich geſtern der gantzen Welt
Beherrſchung wuͤrdig ſchaͤtzte. Denn was mag
einem Fuͤrſten unanſtaͤndiger/ ſeinem Reiche
ſchaͤdlicher ſeyn/ als wenn er ieden Gluͤcks-
Wechſel ſein Geſichte/ und mit iedem Winde
ſeinen Lauff aͤndert? Wer fuͤr Truͤbſalen die
Augen niederſchlaͤgt/ macht ſelbte gegen ihn
nur behertzter; wer aber ſelbten mit unver-
wandten Augen ins Geſichte ſihet/ machet offt-
mahls Tod und Hencker ſtutzend. Die Klein-
muͤthigkeit reißt keinen aus der Gefahr/ wohl
aber die Hertzhafftigkeit. Aus den waͤßrich-
ten Augen eines Fuͤrſten erkennet das Volck
die Groͤſſe bevorſtehenden Ubels/ wie aus um-
woͤlckten Bergen das Ungewitter/ verlieret alſo
das Hertze/ laͤſt die Haͤnde ſincken/ und faͤllt in
Verzweiffelung. Hingegen hat ein Fuͤrſt man-
cher Furcht und daraus erwachſender Gefahr
dadurch abgeholffen/ wenn er ſeine Wunden
verbunden/ nicht gewieſen hat. Maſſen der mei-
ſten Reiche und Kriege Befeſtigung nicht ſo wol
auff der Groͤſſe der Kraͤfften/ als ihrem groſſen
Nahmen gegruͤndet iſt. Haͤtte Pompejus nach
der Pharſaliſchen Schlacht ſich nicht ſo weibiſch
und kleinmuͤthig gebaͤrdet/ wuͤrde es ihnen an
Kraͤfften nicht gemangelt haben/ dem Julius die
[Spaltenumbruch] Wage zu halten. Weniger haͤtte ein verſchnit-
tener Knecht ſich gewagt einen ſo tapffern Held
abzuſchlachten. Hingegen haͤtte der gefangene
Porus dem groſſen Alexander nicht ſo unver-
zagt geantwortet/ wuͤrde er ein Sclave/ kein Koͤ-
nig blieben ſeyn. Es iſt ſchimpff- und ſchaͤdlicher
ſeinen Muth als eine Schlacht verlieren. Die-
ſes kan wegen uͤberlegener Feinde/ wegen Vor-
theilhafftigkeit ſeines Standes/ oder durch Ver-
ſehung der ſeinigen geſchehen. Ja Staub/ Wind
und Sonne verdienen offtmahls den Siegs-
Krantz/ und das Gluͤcke den Nahmen/ daß es
ſey ein Meiſter aller Ausſchlaͤge/ und eine Ge-
bieterin uͤber die Schlachten. Der Verluſt des
Muths aber ruͤhret von unſerer eigenen Schuld
her. Sintemal weder Gluͤcke noch ſonſt iemand
einige Herrſchafft uͤber unſer Gemuͤthe hat.
Dieſes iſt allen Regungen gewachſen/ laͤſſet ſich
nicht wie geſchloſſene Glieder mit Lantzen/ und
feſte Mauern durch Sturmboͤcke durch brechen/
es vertreibet alle Furcht und vergeringert alles
Ubel/ wenn es nur beherzigt/ daß nichts als unſe-
re Fehler den Nahmen eines Ungluͤcks verdie-
nen/ und daß es ruͤhmlicher ſey/ ohne ſein Verſe-
hen etwas verſpielen/ als duꝛch Laſter oder bloſſen
Zufall viel gewinnen. Dieſemnach wie ein Fuͤrſt
ſich beym Gluͤcke nicht uͤberheben/ noch bey gu-
tem Winde die Haͤnde in die Schoos legen muß/
alſo ſoll er auch beym Sturme ihm nicht den
Compaß verruͤcken laſſen/ ſondern mit wachſa-
men Augen/ ſteiffen Haͤnden/ unerſchrockenem
Hertzen ſeiner vorigen Richtſchnur nachgehen/
gleich als weñ ſeine Klugheit dieſen Sturm lan-
ge vorher geſehen haͤtte/ und kurtz zu ſagen/ die
Noth kleiner machen als ſie iſt. Freylich wol/ ver-
ſetzte der Feldherr/ iſt es ein groſſer Fehler/ wenn
ein Fuͤrſt ihm zur Unzeit in die Karte ſehen laͤſt/
was er fuͤr ein boͤſe Spiel habe/ oder weñ ein An-
cker geriſſen/ das Schiff ſelbſt fuͤr verlohꝛen aus-
rufft/ oder wol gar in Grund bohret. Dieſe Zag-
heit uͤberfaͤllet auch insgemein dieſelben/ welche
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ſchlaͤfft/
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[446/0500] Vierdtes Buch aus geuͤbet haͤtte/ waͤre gantz verzweiffelt mit dem Kopffe wider die Thuͤr-Pfoſten gelauffen/ ruffende: Qvintilius Varus/ ſchaffe mir die ver- lohrnen Legionen wieder. Er haͤtte drey Ta- ge nie geſpeiſet/ drey Naͤchte nicht geſchlaffen/ wider Gewonheit ſein Haar und Bart nicht be- ſcheren/ den Tag der Niederlage in das ſchwar- tze Zeit-Regiſter/ wormit man jaͤhrlich daran die erzuͤrnten Goͤtter verſoͤhnte/ einzeichnen laſſen. Dem Jupiter haͤtte er nebſt zugeſagten groſſen Schauſpielen viel andere Geluͤbde gethan/ da er das gemeine Weſen in einen beſſern Stand ſetzen wuͤrde. Alle deutſche Fuͤrſten hoͤrten dieſe Betruͤbniß ihrer Feinde mit Freuden an; Her- tzog Arpus aber fing an: Auguſtus hat durch dieſe Zagheit bey mir ein groſſes Theil ſeines Anſehens verlohren/ und ich halte dieſen Abend wenig von dem/ den ich geſtern der gantzen Welt Beherrſchung wuͤrdig ſchaͤtzte. Denn was mag einem Fuͤrſten unanſtaͤndiger/ ſeinem Reiche ſchaͤdlicher ſeyn/ als wenn er ieden Gluͤcks- Wechſel ſein Geſichte/ und mit iedem Winde ſeinen Lauff aͤndert? Wer fuͤr Truͤbſalen die Augen niederſchlaͤgt/ macht ſelbte gegen ihn nur behertzter; wer aber ſelbten mit unver- wandten Augen ins Geſichte ſihet/ machet offt- mahls Tod und Hencker ſtutzend. Die Klein- muͤthigkeit reißt keinen aus der Gefahr/ wohl aber die Hertzhafftigkeit. Aus den waͤßrich- ten Augen eines Fuͤrſten erkennet das Volck die Groͤſſe bevorſtehenden Ubels/ wie aus um- woͤlckten Bergen das Ungewitter/ verlieret alſo das Hertze/ laͤſt die Haͤnde ſincken/ und faͤllt in Verzweiffelung. Hingegen hat ein Fuͤrſt man- cher Furcht und daraus erwachſender Gefahr dadurch abgeholffen/ wenn er ſeine Wunden verbunden/ nicht gewieſen hat. Maſſen der mei- ſten Reiche und Kriege Befeſtigung nicht ſo wol auff der Groͤſſe der Kraͤfften/ als ihrem groſſen Nahmen gegruͤndet iſt. Haͤtte Pompejus nach der Pharſaliſchen Schlacht ſich nicht ſo weibiſch und kleinmuͤthig gebaͤrdet/ wuͤrde es ihnen an Kraͤfften nicht gemangelt haben/ dem Julius die Wage zu halten. Weniger haͤtte ein verſchnit- tener Knecht ſich gewagt einen ſo tapffern Held abzuſchlachten. Hingegen haͤtte der gefangene Porus dem groſſen Alexander nicht ſo unver- zagt geantwortet/ wuͤrde er ein Sclave/ kein Koͤ- nig blieben ſeyn. Es iſt ſchimpff- und ſchaͤdlicher ſeinen Muth als eine Schlacht verlieren. Die- ſes kan wegen uͤberlegener Feinde/ wegen Vor- theilhafftigkeit ſeines Standes/ oder durch Ver- ſehung der ſeinigen geſchehen. Ja Staub/ Wind und Sonne verdienen offtmahls den Siegs- Krantz/ und das Gluͤcke den Nahmen/ daß es ſey ein Meiſter aller Ausſchlaͤge/ und eine Ge- bieterin uͤber die Schlachten. Der Verluſt des Muths aber ruͤhret von unſerer eigenen Schuld her. Sintemal weder Gluͤcke noch ſonſt iemand einige Herrſchafft uͤber unſer Gemuͤthe hat. Dieſes iſt allen Regungen gewachſen/ laͤſſet ſich nicht wie geſchloſſene Glieder mit Lantzen/ und feſte Mauern durch Sturmboͤcke durch brechen/ es vertreibet alle Furcht und vergeringert alles Ubel/ wenn es nur beherzigt/ daß nichts als unſe- re Fehler den Nahmen eines Ungluͤcks verdie- nen/ und daß es ruͤhmlicher ſey/ ohne ſein Verſe- hen etwas verſpielen/ als duꝛch Laſter oder bloſſen Zufall viel gewinnen. Dieſemnach wie ein Fuͤrſt ſich beym Gluͤcke nicht uͤberheben/ noch bey gu- tem Winde die Haͤnde in die Schoos legen muß/ alſo ſoll er auch beym Sturme ihm nicht den Compaß verruͤcken laſſen/ ſondern mit wachſa- men Augen/ ſteiffen Haͤnden/ unerſchrockenem Hertzen ſeiner vorigen Richtſchnur nachgehen/ gleich als weñ ſeine Klugheit dieſen Sturm lan- ge vorher geſehen haͤtte/ und kurtz zu ſagen/ die Noth kleiner machen als ſie iſt. Freylich wol/ ver- ſetzte der Feldherr/ iſt es ein groſſer Fehler/ wenn ein Fuͤrſt ihm zur Unzeit in die Karte ſehen laͤſt/ was er fuͤr ein boͤſe Spiel habe/ oder weñ ein An- cker geriſſen/ das Schiff ſelbſt fuͤr verlohꝛen aus- rufft/ oder wol gar in Grund bohret. Dieſe Zag- heit uͤberfaͤllet auch insgemein dieſelben/ welche allzulanges Gluͤcke/ oder allzugroſſe Vermeſ- ſenheit auff ſeine Kraͤfften in Sicherheit einge- ſchlaͤfft/

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/500>, abgerufen am 25.11.2024.