Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Nachdencken auf und nieder/ kam hierauf wie-der zu Livien mit diesen Worten: Es ist nie- mand Juliens fähig als ihr Sohn Tiberius. Die Käyserin ward hierüber mit einer so uner- mäßlichen Freude überschüttet/ daß wie viel sie gleich wider beyderley Glücke vermochte/ den- noch Noth hatte solche zu verstellen. Diese Empfindligkeit aber bekleidete sie mit diesem be- fremdenden Einwurffe: Mit was Rechte oder Schein könte der Julien ehlichen/ dem die so schöne Vipsania Agrippina/ die Marcus A- grippa mit des Pomponius Atticus Tochter ge- zeugt hätte/ vermählet wäre? Augustus begeg- nete ihr: Mit eben dem Rechte/ als die Juno Ju- pitern verlassen/ und die Stadt Stymphalus für den Himmel erkieset/ als Penelope vom U- lysses sich getrennet und nach Sparta geflüchtet/ endlich ich selbst Scribonien verstossen/ und sie geheyrathet habe. Dannenhero solte sie ohne einige Zeitverspielung dem Tiberius seine Ent- schlüssung einhalten/ und auf allen Fall zum End-Urthel eröfnen/ daß das gemeine Heil ei- nem Bürger viel näher/ als sein liebstes Ehe- weib angetrauet wäre. Livia war zu dem/ was sie hertzinniglich verlangte/ unschwer zu bere- den; denn ob sie wol wuste/ daß ihr Sohn Dru- sus vom Käyser zum Reiche bestimmt war; so gönnte sie doch entweder dem Tiberius diese Würde lieber/ oder sie wolte auf den Fall/ da die irrdischen Zufälle dem einen den Compaß ver- rückten/ für beyde Söhne den Grund legen/ als ihre Hoffnung lieber mit zwey/ als einem An- cker befestigen/ und für ihr eigenes Glücke eine Zwickmühle behalten. Wie sie nun vernahm/ daß Tiberius auf das an dem Albanischen See liegende Vorwerg des Pompejus gereiset war/ folgte sie ihm noch selbigen Tag nach/ fand ihn aber in dem unferne darvon aufgebauten Tem- pel der Venus/ welcher auf Liviens Nachfrage/ was ihn für eine Andacht dahin triebe/ antwor- tete: Sie wüste ja wol/ daß seine Gemahlin ho- hen Leibes gienge/ also hätte er der gebähren- [Spaltenumbruch] den Venus daselbst für glückliche Genesung schuldige Opffer gebracht. Livia lächelte und fing an: Jn Warheit/ ich kan dich besser als hie- fige Priester versichern/ daß die Göttin dich er- höret/ und dir mehr/ als du verlanget hast/ zuge- dacht habe. Tiberius ward durch diese Rede und Liviens überaus freudige Gebehrdung sein Glücke zu vernehmen begierig; welchem sie denn auch endlich entdeckte/ daß ihm der Käyser Julien vermählen wolte. Tiberius nahm es Anfangs für Schertz auf/ und fragte: Ob denn der Käyser in Rom mehr als eine Frau zu ehli- chen verstatten wolte? Livia versetzte: Zwar dieses ist der Käyser nicht gemeinet; aber unsere Sitten erlauben wohl/ und ich selbst diene dir zum Beyspiele/ daß man wol eine weg lassen/ und eine neue erkiesen möge. Tiberius er- schrack über dieser Auslegung/ und wie bedacht- sam er gleich sonst in seinen Entschlüssen ver- fuhr; so trieb ihn doch seine Liebe so sehr/ daß er in die Worte ausbrach: Die Götter wollen mich in diesen Wanckelmuth nicht einsincken lassen/ daß ich meine getreueste Vipsania/ die Mutter meiner einigen Hoffnung nehmlich des jungen Drusus/ und die itzt wieder in so hei- ligen Banden gehet/ undanckbar verstossen; auch für eine so keusche Gemahlin die geile Julia erkiesen solte! Livia brach ihm ein: Er solte zu- rück halten von der so verkleinerlich zu sprechen/ die des Käysers Tochter und seine unvermeidli- che Braut wäre; auch der Wahrheit durch Leichtgläubigkeit eitelen oder verläumdischen Ruffes nicht alsobald Abbruch thun. Tiberius antwortete: Seine Einwendung bestünde nicht auf fremdem Argwohn/ sondern auf eige- ner Erfahrung; indem Julia noch bey Lebzei- ten des Agrippa gegen ihm selbst feil gemacht hatte/ was eine ehrliche Frau für allen/ auser ih- rem Ehherrn/ verborgen halten solte. Livia be- gegnete ihm: So viel mehr hastu die Grösse der Liebe/ die Julia zu dir trägt/ zu ermessen. Aber warum redest du/ oder ich mit dir von der Liebe/ wel-
Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Nachdencken auf und nieder/ kam hierauf wie-der zu Livien mit dieſen Worten: Es iſt nie- mand Juliens faͤhig als ihr Sohn Tiberius. Die Kaͤyſerin ward hieruͤber mit einer ſo uner- maͤßlichen Freude uͤberſchuͤttet/ daß wie viel ſie gleich wider beyderley Gluͤcke vermochte/ den- noch Noth hatte ſolche zu verſtellen. Dieſe Empfindligkeit aber bekleidete ſie mit dieſem be- fremdenden Einwurffe: Mit was Rechte oder Schein koͤnte der Julien ehlichen/ dem die ſo ſchoͤne Vipſania Agrippina/ die Marcus A- grippa mit des Pomponius Atticus Tochter ge- zeugt haͤtte/ vermaͤhlet waͤre? Auguſtus begeg- nete ihr: Mit eben dem Rechte/ als die Juno Ju- pitern verlaſſen/ und die Stadt Stymphalus fuͤr den Himmel erkieſet/ als Penelope vom U- lyſſes ſich getrennet und nach Spaꝛta gefluͤchtet/ endlich ich ſelbſt Scribonien verſtoſſen/ und ſie geheyrathet habe. Dannenhero ſolte ſie ohne einige Zeitverſpielung dem Tiberius ſeine Ent- ſchluͤſſung einhalten/ und auf allen Fall zum End-Urthel eroͤfnen/ daß das gemeine Heil ei- nem Buͤrger viel naͤher/ als ſein liebſtes Ehe- weib angetrauet waͤre. Livia war zu dem/ was ſie hertzinniglich verlangte/ unſchwer zu bere- den; denn ob ſie wol wuſte/ daß ihr Sohn Dru- ſus vom Kaͤyſer zum Reiche beſtimmt war; ſo goͤnnte ſie doch entweder dem Tiberius dieſe Wuͤrde lieber/ oder ſie wolte auf den Fall/ da die irrdiſchen Zufaͤlle dem einen den Compaß ver- ruͤckten/ fuͤr beyde Soͤhne den Grund legen/ als ihre Hoffnung lieber mit zwey/ als einem An- cker befeſtigen/ und fuͤr ihr eigenes Gluͤcke eine Zwickmuͤhle behalten. Wie ſie nun vernahm/ daß Tiberius auf das an dem Albaniſchen See liegende Vorwerg des Pompejus gereiſet war/ folgte ſie ihm noch ſelbigen Tag nach/ fand ihn aber in dem unferne darvon aufgebauten Tem- pel der Venus/ welcher auf Liviens Nachfrage/ was ihn fuͤr eine Andacht dahin triebe/ antwor- tete: Sie wuͤſte ja wol/ daß ſeine Gemahlin ho- hen Leibes gienge/ alſo haͤtte er der gebaͤhren- [Spaltenumbruch] den Venus daſelbſt fuͤr gluͤckliche Geneſung ſchuldige Opffer gebracht. Livia laͤchelte und fing an: Jn Warheit/ ich kan dich beſſer als hie- fige Prieſter verſichern/ daß die Goͤttin dich er- hoͤret/ und dir mehr/ als du verlanget haſt/ zuge- dacht habe. Tiberius ward durch dieſe Rede und Liviens uͤberaus freudige Gebehrdung ſein Gluͤcke zu vernehmen begierig; welchem ſie denn auch endlich entdeckte/ daß ihm der Kaͤyſer Julien vermaͤhlen wolte. Tiberius nahm es Anfangs fuͤr Schertz auf/ und fragte: Ob denn der Kaͤyſer in Rom mehr als eine Frau zu ehli- chen verſtatten wolte? Livia verſetzte: Zwar dieſes iſt der Kaͤyſer nicht gemeinet; aber unſere Sitten erlauben wohl/ und ich ſelbſt diene dir zum Beyſpiele/ daß man wol eine weg laſſen/ und eine neue erkieſen moͤge. Tiberius er- ſchrack uͤber dieſer Auslegung/ und wie bedacht- ſam er gleich ſonſt in ſeinen Entſchluͤſſen ver- fuhr; ſo trieb ihn doch ſeine Liebe ſo ſehr/ daß er in die Worte ausbrach: Die Goͤtter wollen mich in dieſen Wanckelmuth nicht einſincken laſſen/ daß ich meine getreueſte Vipſania/ die Mutter meiner einigen Hoffnung nehmlich des jungen Druſus/ und die itzt wieder in ſo hei- ligen Banden gehet/ undanckbar verſtoſſen; auch fuͤr eine ſo keuſche Gemahlin die geile Julia erkieſen ſolte! Livia brach ihm ein: Er ſolte zu- ruͤck halten von der ſo verkleinerlich zu ſprechen/ die des Kaͤyſers Tochter und ſeine unvermeidli- che Braut waͤre; auch der Wahrheit durch Leichtglaͤubigkeit eitelen oder verlaͤumdiſchen Ruffes nicht alſobald Abbruch thun. Tiberius antwortete: Seine Einwendung beſtuͤnde nicht auf fremdem Argwohn/ ſondern auf eige- ner Erfahrung; indem Julia noch bey Lebzei- ten des Agrippa gegen ihm ſelbſt feil gemacht hatte/ was eine ehrliche Frau fuͤr allen/ auſer ih- rem Ehherrn/ verborgen halten ſolte. Livia be- gegnete ihm: So viel mehr haſtu die Groͤſſe der Liebe/ die Julia zu dir traͤgt/ zu ermeſſen. Aber warum redeſt du/ oder ich mit dir von der Liebe/ wel-
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Vierdtes Buch
Nachdencken auf und nieder/ kam hierauf wie-
der zu Livien mit dieſen Worten: Es iſt nie-
mand Juliens faͤhig als ihr Sohn Tiberius.
Die Kaͤyſerin ward hieruͤber mit einer ſo uner-
maͤßlichen Freude uͤberſchuͤttet/ daß wie viel ſie
gleich wider beyderley Gluͤcke vermochte/ den-
noch Noth hatte ſolche zu verſtellen. Dieſe
Empfindligkeit aber bekleidete ſie mit dieſem be-
fremdenden Einwurffe: Mit was Rechte oder
Schein koͤnte der Julien ehlichen/ dem die ſo
ſchoͤne Vipſania Agrippina/ die Marcus A-
grippa mit des Pomponius Atticus Tochter ge-
zeugt haͤtte/ vermaͤhlet waͤre? Auguſtus begeg-
nete ihr: Mit eben dem Rechte/ als die Juno Ju-
pitern verlaſſen/ und die Stadt Stymphalus
fuͤr den Himmel erkieſet/ als Penelope vom U-
lyſſes ſich getrennet und nach Spaꝛta gefluͤchtet/
endlich ich ſelbſt Scribonien verſtoſſen/ und ſie
geheyrathet habe. Dannenhero ſolte ſie ohne
einige Zeitverſpielung dem Tiberius ſeine Ent-
ſchluͤſſung einhalten/ und auf allen Fall zum
End-Urthel eroͤfnen/ daß das gemeine Heil ei-
nem Buͤrger viel naͤher/ als ſein liebſtes Ehe-
weib angetrauet waͤre. Livia war zu dem/ was
ſie hertzinniglich verlangte/ unſchwer zu bere-
den; denn ob ſie wol wuſte/ daß ihr Sohn Dru-
ſus vom Kaͤyſer zum Reiche beſtimmt war; ſo
goͤnnte ſie doch entweder dem Tiberius dieſe
Wuͤrde lieber/ oder ſie wolte auf den Fall/ da die
irrdiſchen Zufaͤlle dem einen den Compaß ver-
ruͤckten/ fuͤr beyde Soͤhne den Grund legen/ als
ihre Hoffnung lieber mit zwey/ als einem An-
cker befeſtigen/ und fuͤr ihr eigenes Gluͤcke eine
Zwickmuͤhle behalten. Wie ſie nun vernahm/
daß Tiberius auf das an dem Albaniſchen See
liegende Vorwerg des Pompejus gereiſet war/
folgte ſie ihm noch ſelbigen Tag nach/ fand ihn
aber in dem unferne darvon aufgebauten Tem-
pel der Venus/ welcher auf Liviens Nachfrage/
was ihn fuͤr eine Andacht dahin triebe/ antwor-
tete: Sie wuͤſte ja wol/ daß ſeine Gemahlin ho-
hen Leibes gienge/ alſo haͤtte er der gebaͤhren-
den Venus daſelbſt fuͤr gluͤckliche Geneſung
ſchuldige Opffer gebracht. Livia laͤchelte und
fing an: Jn Warheit/ ich kan dich beſſer als hie-
fige Prieſter verſichern/ daß die Goͤttin dich er-
hoͤret/ und dir mehr/ als du verlanget haſt/ zuge-
dacht habe. Tiberius ward durch dieſe Rede
und Liviens uͤberaus freudige Gebehrdung
ſein Gluͤcke zu vernehmen begierig; welchem ſie
denn auch endlich entdeckte/ daß ihm der Kaͤyſer
Julien vermaͤhlen wolte. Tiberius nahm es
Anfangs fuͤr Schertz auf/ und fragte: Ob denn
der Kaͤyſer in Rom mehr als eine Frau zu ehli-
chen verſtatten wolte? Livia verſetzte: Zwar
dieſes iſt der Kaͤyſer nicht gemeinet; aber unſere
Sitten erlauben wohl/ und ich ſelbſt diene dir
zum Beyſpiele/ daß man wol eine weg laſſen/
und eine neue erkieſen moͤge. Tiberius er-
ſchrack uͤber dieſer Auslegung/ und wie bedacht-
ſam er gleich ſonſt in ſeinen Entſchluͤſſen ver-
fuhr; ſo trieb ihn doch ſeine Liebe ſo ſehr/ daß er
in die Worte ausbrach: Die Goͤtter wollen
mich in dieſen Wanckelmuth nicht einſincken
laſſen/ daß ich meine getreueſte Vipſania/ die
Mutter meiner einigen Hoffnung nehmlich
des jungen Druſus/ und die itzt wieder in ſo hei-
ligen Banden gehet/ undanckbar verſtoſſen;
auch fuͤr eine ſo keuſche Gemahlin die geile Julia
erkieſen ſolte! Livia brach ihm ein: Er ſolte zu-
ruͤck halten von der ſo verkleinerlich zu ſprechen/
die des Kaͤyſers Tochter und ſeine unvermeidli-
che Braut waͤre; auch der Wahrheit durch
Leichtglaͤubigkeit eitelen oder verlaͤumdiſchen
Ruffes nicht alſobald Abbruch thun. Tiberius
antwortete: Seine Einwendung beſtuͤnde
nicht auf fremdem Argwohn/ ſondern auf eige-
ner Erfahrung; indem Julia noch bey Lebzei-
ten des Agrippa gegen ihm ſelbſt feil gemacht
hatte/ was eine ehrliche Frau fuͤr allen/ auſer ih-
rem Ehherrn/ verborgen halten ſolte. Livia be-
gegnete ihm: So viel mehr haſtu die Groͤſſe der
Liebe/ die Julia zu dir traͤgt/ zu ermeſſen. Aber
warum redeſt du/ oder ich mit dir von der Liebe/
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/458>, abgerufen am 16.02.2025. |