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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] die Wunde. Ja ein einiges Wort eines Kö-
nigs wäre mehrmals wider seinen eigenen Wil-
len tödtlich; und hätte wohl ehe ein die Streu-
Büchse vergreiffender Diener seines doch un-
entrüsteten Fürsten Erinnerung ihm so sehr zu
Hertzen gezogen/ daß man ihn frühe todt im Bet-
te gefunden. Jhre nichts minder gefährliche Liebe
wendete sie durch blossen Zufall einen zu/ und zögen
sie mit Verdruß wieder ab. Denn wenn sie ieman-
den aufs neue hold würden/ eckelte ihnen für dem
ersten Schoß-Kinde. Ja sie fielen wie die Fieber
von äuserster Hitze in äusersten Frost/ und ihrer
Gnade wandelte sich wie in etlichen zum liegen
nicht taugenden Weinen die gröste Süssigkeit
in den schärffsten Essig. Hingegen sey nichts
sicherers einem Diener als die Schlaf-Sucht/
und einem Unterthanen die Ablegung der Ver-
nunfft. Brutus sey unter diesem Scheine
aus der grausamsten Blutstürtzung des Tarquin
und der Tullia ausgeschwommen. Die Tu-
gend aber ziehe nach sich den gewissesten Unter-
gang. Des Gobrias Sohn wäre vom König
Baldasar durchstochen worden/ weil jener auf
der Jagt einen Löwen getroffen/ dieser gefehlt
hätte. Einen andern hätte man verschnidten/
weil seine Schönheit von einer Königlichen Dir-
ne gelobet worden. So künstlich machte Oris-
manes aus seinem eigenen Laster ein frembdes/
und die Straffe seines Verbrechens zu einer
Entäuserung eines unempfindlichen Weltwei-
sen. Thissaphernes und etliche andere Fürsten
des Reichs bezeugten über dieser so scheinbaren
Beschuldigung ein grosses Leid über Armenien/
und ein Mitleiden gegen dem Orismanes; gleich-
wohl aber hielten sie ihm ein: Es wäre unverant-
wortlich beym Sturme die Hand vom Steuer-
Ruder sincken lassen. Die Liebe des Vaterlandes
erforderte seine Wunden zu heilen/ nicht eigene
Gemächligkeit zu suchen. Brutus hätte für des
Vaterlades Freyheit sich der Vernunft beraubt/
Genucius das Elend gebauet/ Codrus für sein
Heil sich zum Selaven gemacht/ Curtius für
[Spaltenumbruch] seine Erhaltung sich in den Feuer-Pful/ Decius
in das feindliche Heer gestürtzt/ die Philenischen
Brüder für seine Erweiterung sich in Sand be-
graben/ Themistocles/ ehe er seinen Degen wider
seine Landsleute zücken wollen/ sich selbst durch
Einschluckung giftigen Ochsen-Blutes aufge-
opfert. Des Brasidas Mutter hätte die Wol-
farth der Stadt Sparta der Ehre ihres Sohnes
vorgezogen; des Pausanias Mutter den ersten
Stein zu Vermauerung der Freyheit zugetra-
gen/ dahin sich ihr verrätherischer Sohn geflüch-
tet hatte. Timoleon hätte umb sein Corinth in
Freyheit zu erhalten seinen eigenen Bruder
durchstochen; und Orismanes wolte seiner Zärt-
ligkeit nicht ein wenig weh thun/ wormit Arme-
nien wohl sey? Orismanes erkiesete lieber den
Schatten einer traurigen Ruh/ als er das ge-
meine Heil so vieler Völcker umbarmete? Der
schlaue Orismanes stellte sich/ als wenn diese
Einredung ihm tieff zu Hertzen ginge/ und nachden
er eine gute Weile gleichsam nachdenckende stille
geschwiegen/ fing er an: Jch weiß zwar wohl/
daß nicht wenig Weisen die Staats-Klugheit/
nicht die Natur zu einer Mutter der Vater-
lands-Liebe machen; und daß diese mehr von den
Eltern uns eingebildet/ als mit der Geburt ein-
gepflantzt wäre. Denn ein Kluger wäre ein
Bürger und Einheimischer in der gantzen Welt/
und könte seine Freyheit nicht wie leibeigene A-
ckers-Leute an gewisse Klösser Erde ankleiben
lassen. Wie viel weniger wäre der verbunden/
der entweder in Ruhe sicher seyn/ oder sein Glü-
cke anderwerts in Grund legen könte/ durch
Unterstützung des baufälligen Vaterlandes sich
mit ihm zu zerdrümmern. Die Natur selbst
hätte in Africa einen Baum wachsen lassen/
dessen genossene Frucht einem die Vergessenheit
seines Vaterlandes beybrächte; Zweifels-frey
uns zu lehren/ daß es zuweilen nicht nur rathsam
und zuläßlich/ sondern eine hertzhafte Klugheit
sey seiner Heimeth den Rücken kehren. Gewisse
Pflantzen hätten in frembdem Erdreich bessern

Ge-
Q q 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] die Wunde. Ja ein einiges Wort eines Koͤ-
nigs waͤre mehrmals wider ſeinen eigenen Wil-
len toͤdtlich; und haͤtte wohl ehe ein die Streu-
Buͤchſe vergreiffender Diener ſeines doch un-
entruͤſteten Fuͤrſten Erinnerung ihm ſo ſehr zu
Hertzen gezogen/ daß man ihn fruͤhe todt im Bet-
te gefundẽ. Jhre nichts minder gefaͤhrliche Liebe
wendete ſie durch bloſſen Zufall einẽ zu/ und zoͤgẽ
ſie mit Verdruß wieder ab. Deñ wenn ſie ieman-
den aufs neue hold wuͤrden/ eckelte ihnen fuͤr dem
erſten Schoß-Kinde. Ja ſie fielen wie die Fieber
von aͤuſerſter Hitze in aͤuſerſten Froſt/ und ihrer
Gnade wandelte ſich wie in etlichen zum liegen
nicht taugenden Weinen die groͤſte Suͤſſigkeit
in den ſchaͤrffſten Eſſig. Hingegen ſey nichts
ſicherers einem Diener als die Schlaf-Sucht/
und einem Unterthanen die Ablegung der Ver-
nunfft. Brutus ſey unter dieſem Scheine
aus der grauſamſten Blutſtuͤrtzung des Tarquin
und der Tullia ausgeſchwommen. Die Tu-
gend aber ziehe nach ſich den gewiſſeſten Unter-
gang. Des Gobrias Sohn waͤre vom Koͤnig
Baldaſar durchſtochen worden/ weil jener auf
der Jagt einen Loͤwen getroffen/ dieſer gefehlt
haͤtte. Einen andern haͤtte man verſchnidten/
weil ſeine Schoͤnheit von einer Koͤniglichen Dir-
ne gelobet worden. So kuͤnſtlich machte Oriſ-
manes aus ſeinem eigenen Laſter ein frembdes/
und die Straffe ſeines Verbrechens zu einer
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ſen. Thiſſaphernes und etliche andere Fuͤrſten
des Reichs bezeugten uͤber dieſer ſo ſcheinbaren
Beſchuldigung ein groſſes Leid uͤber Armenien/
und ein Mitleidẽ gegen dem Oriſmanes; gleich-
wohl aber hielten ſie ihm ein: Es waͤre unverant-
wortlich beym Sturme die Hand vom Steuer-
Ruder ſincken laſſen. Die Liebe des Vaterlandes
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Gemaͤchligkeit zu ſuchen. Brutus haͤtte fuͤr des
Vaterlãdes Freyheit ſich der Vernunft beraubt/
Genucius das Elend gebauet/ Codrus fuͤr ſein
Heil ſich zum Selaven gemacht/ Curtius fuͤr
[Spaltenumbruch] ſeine Erhaltung ſich in den Feuer-Pful/ Decius
in das feindliche Heer geſtuͤrtzt/ die Phileniſchen
Bruͤder fuͤr ſeine Erweiterung ſich in Sand be-
graben/ Themiſtocles/ ehe er ſeinen Degen wider
ſeine Landsleute zuͤcken wollen/ ſich ſelbſt durch
Einſchluckung giftigen Ochſen-Blutes aufge-
opfert. Des Braſidas Mutter haͤtte die Wol-
farth der Stadt Sparta der Ehre ihres Sohnes
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Stein zu Vermauerung der Freyheit zugetra-
gen/ dahin ſich ihr verraͤtheriſcher Sohn gefluͤch-
tet hatte. Timoleon haͤtte umb ſein Corinth in
Freyheit zu erhalten ſeinen eigenen Bruder
durchſtochen; und Oriſmanes wolte ſeiner Zaͤrt-
ligkeit nicht ein wenig weh thun/ wormit Arme-
nien wohl ſey? Oriſmanes erkieſete lieber den
Schatten einer traurigen Ruh/ als er das ge-
meine Heil ſo vieler Voͤlcker umbarmete? Der
ſchlaue Oriſmanes ſtellte ſich/ als wenn dieſe
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er eine gute Weile gleichſam nachdenckende ſtille
geſchwiegen/ fing er an: Jch weiß zwar wohl/
daß nicht wenig Weiſen die Staats-Klugheit/
nicht die Natur zu einer Mutter der Vater-
lands-Liebe machen; und daß dieſe mehr von den
Eltern uns eingebildet/ als mit der Geburt ein-
gepflantzt waͤre. Denn ein Kluger waͤre ein
Buͤrger und Einheimiſcher in der gantzen Welt/
und koͤnte ſeine Freyheit nicht wie leibeigene A-
ckers-Leute an gewiſſe Kloͤſſer Erde ankleiben
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cke anderwerts in Grund legen koͤnte/ durch
Unterſtuͤtzung des baufaͤlligen Vaterlandes ſich
mit ihm zu zerdruͤmmern. Die Natur ſelbſt
haͤtte in Africa einen Baum wachſen laſſen/
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ſeines Vaterlandes beybraͤchte; Zweifels-frey
uns zu lehren/ daß es zuweilen nicht nur rathſam
und zulaͤßlich/ ſondern eine hertzhafte Klugheit
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Pflantzen haͤtten in frembdem Erdreich beſſern

Ge-
Q q 3
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/361>, abgerufen am 22.11.2024.