Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Anderes Buch [Spaltenumbruch]
Tag fiel der Neumond ein/ an welchem die Pan-nonier und Qvaden der Gottin Kihala opferten. Diese Göttin war ein nacktes auff einem mit zwey Tauben bespannten Wagen stehendes Weib/ in ihrer rechten Hand trug sie die Welt- Kugel/ in der lincken drey Granat-Aepfel/ auf dem Haupte einen Myrthen-Krantz/ aus ihrer Brust ging eine brennende Fackel herfür. Auf ihrem Altare lag ein aus dichtem Golde auf dem einen Gebürge dieser Völcker gewachsener Stab/ darauf die Könige nicht allein dem Reiche ihre Eydes-Pflicht zu leisten/ sondern auch ande- re Grossen des Landes ihre Angelöbnüsse zu be- schweren pflegten; und wird geglaubt/ daß kein Meineydiger aus dem Tempel lebendig scheiden könte. Wie nun der König/ Fürst Gudwil und Hermildis für diesem Bilde knieten/ und der Priester ein Opfer nach dem andern anzün- dete/ kam Hertzog Jngram unversehens in den Tempel/ legte seine lincke Hand auf den gülde- nen Stab/ und schwur mit heller Stimme: Jch ruffe euch Schutz-Götter dieses Königreichs zu Zeugen/ daß ich das Erbrecht desselben meinem Stamme zuzuziehen/ die Freyheit des Volcks zu unterdrücken/ noch auch den Fürsten Gudwil darvon abzustossen niemals/ sondern allein die unvergleichliche Hermildis zu besitzen gedacht. Da auch ich hierinnen meineydig bin/ so werde ich und mein Stamm vertilget/ so verzehre mich augenblicks diese Flamme. Hiermit faßte er mit der rechten Hand den glüenden Rost/ worauf die Opfer lagen. Alle Anwesenden erstarrten hierüber/ und insonderheit/ da sie ihn die Hand gantz unversehrt von dem umbfaßten brennen- den Eisen wegziehen sahen. Weil nun kein Mensch an seiner durch dieses Wunderwerck bewehrten Unschuld zweifelte/ muste sich Hertzog Gudwil schämen/ daß er diese andere Ver- leumbdung sich so leichtgläubig hatte einnehmen lassen. Es ist sicher eine vermessene Zuversicht zu seiner Unschuld/ oder ein ungemeines Ver- trauen zu den Göttern gewest/ fing Zeno an/ da [Spaltenumbruch] unter diesem Wunderwercke nicht ein Kunst- Stücke verdeckt gelegen. Was für ein Kunst- Stücke? versetzte Malovend. Zeno antwor- tete: Machet man aus dem Amianten-Steine Leinwand/ die von der Flamme gereinigt/ nicht verzehret wird; wächset auf dem Javischen Ge- bürge Holtz/ das nicht verbrennet; leben in den Cyprischen Schmeltz-Oefen über dem zerflüs- senden Ertzte gewisse Fliegen unversehrt; leschen die Salamandern mit ihrem Speichel das Feu- er aus/ so ist es auch wol möglich/ daß der Mensch seine Glieder durch natürliche Mittel für dem Brande verwahre. Uberdis sollen nicht weit von Rom in dem Filiskischen Gebiete gewisse Geschlechter/ die Hirpien genennt/ ge- wesen seyn/ welche am Berge Soractes/ wenn daselbst jährlich dem Apollo geopfert worden/ über die glüenden Brände ohne einigen Scha- den baarfüssig gehen können/ und deßwegen vie- ler Freyheiten genossen haben. Malovend begegnete ihm: Es mag wol seyn/ daß unter de- rogleichen Begebenheiten zuweilen die Kunst oder die Natur spiele; Hertzog Jngrams Be- ginnen aber ward als ein unbegreiffliches Wun- derwerck der sonderbaren Fürsorge seiner Schutz-Götter zugeschrieben; und daher ihm alsofort die Fürstin Hermildis im Tempel mit grossem Frolocken der Qvaden verlobet. Kurtz hierauf starb der König Lissudaval/ und betrat Fürst Gudwil beyde Reichs-Stüle/ wiewohl mit minderm Glücke/ als Verdienst. Denn Decebal erregte wider ihn den mächtigen Rönig der Scythen Salomin/ daß er mit einem grossen Heere in Pannonien einfiel. König Gudwil begegnete ihm zwar mit Heeres-Krafft/ ward aber bey Zoma geschlagen/ und er selbst kam in einem Morast umb. Nach dessen Tode erkenn- ten die Qvaden zwar alsobald die Fürstin Her- mildis für eine Erbin des väterlichen Reichs/ uud den Hertzog Jngram für ihren König; die Pannonier aber wurden untereinander zwistig/ und erwehlte ein Theil in Ansehung der Anver- wand-
Anderes Buch [Spaltenumbruch]
Tag fiel der Neumond ein/ an welchem die Pan-nonier und Qvaden der Gottin Kihala opferten. Dieſe Goͤttin war ein nacktes auff einem mit zwey Tauben beſpannten Wagen ſtehendes Weib/ in ihrer rechten Hand trug ſie die Welt- Kugel/ in der lincken drey Granat-Aepfel/ auf dem Haupte einen Myrthen-Krantz/ aus ihrer Bruſt ging eine brennende Fackel herfuͤr. Auf ihrem Altare lag ein aus dichtem Golde auf dem einen Gebuͤrge dieſer Voͤlcker gewachſener Stab/ darauf die Koͤnige nicht allein dem Reiche ihre Eydes-Pflicht zu leiſten/ ſondern auch ande- re Groſſen des Landes ihre Angeloͤbnuͤſſe zu be- ſchweren pflegten; und wird geglaubt/ daß kein Meineydiger aus dem Tempel lebendig ſcheiden koͤnte. Wie nun der Koͤnig/ Fuͤrſt Gudwil und Hermildis fuͤr dieſem Bilde knieten/ und der Prieſter ein Opfer nach dem andern anzuͤn- dete/ kam Hertzog Jngram unverſehens in den Tempel/ legte ſeine lincke Hand auf den guͤlde- nen Stab/ und ſchwur mit heller Stimme: Jch ruffe euch Schutz-Goͤtter dieſes Koͤnigreichs zu Zeugen/ daß ich das Erbrecht deſſelben meinem Stamme zuzuziehen/ die Freyheit des Volcks zu unterdruͤcken/ noch auch den Fuͤrſten Gudwil darvon abzuſtoſſen niemals/ ſondern allein die unvergleichliche Hermildis zu beſitzen gedacht. Da auch ich hierinnen meineydig bin/ ſo werde ich und mein Stam̃ vertilget/ ſo verzehre mich augenblicks dieſe Flamme. Hiermit faßte er mit der rechten Hand den gluͤenden Roſt/ worauf die Opfer lagen. Alle Anweſenden erſtarrten hieruͤber/ und inſonderheit/ da ſie ihn die Hand gantz unverſehrt von dem umbfaßten brennen- den Eiſen wegziehen ſahen. Weil nun kein Menſch an ſeiner durch dieſes Wunderwerck bewehrten Unſchuld zweifelte/ muſte ſich Hertzog Gudwil ſchaͤmen/ daß er dieſe andere Ver- leumbdung ſich ſo leichtglaͤubig hatte einnehmen laſſen. Es iſt ſicher eine vermeſſene Zuverſicht zu ſeiner Unſchuld/ oder ein ungemeines Ver- trauen zu den Goͤttern geweſt/ fing Zeno an/ da [Spaltenumbruch] unter dieſem Wunderwercke nicht ein Kunſt- Stuͤcke verdeckt gelegen. Was fuͤr ein Kunſt- Stuͤcke? verſetzte Malovend. Zeno antwor- tete: Machet man aus dem Amianten-Steine Leinwand/ die von der Flamme gereinigt/ nicht verzehret wird; waͤchſet auf dem Javiſchen Ge- buͤrge Holtz/ das nicht verbrennet; leben in den Cypriſchen Schmeltz-Oefen uͤber dem zerfluͤſ- ſenden Ertzte gewiſſe Fliegen unverſehrt; leſchen die Salamandern mit ihrem Speichel das Feu- er aus/ ſo iſt es auch wol moͤglich/ daß der Menſch ſeine Glieder durch natuͤrliche Mittel fuͤr dem Brande verwahre. Uberdis ſollen nicht weit von Rom in dem Filiskiſchen Gebiete gewiſſe Geſchlechter/ die Hirpien genennt/ ge- weſen ſeyn/ welche am Berge Soractes/ wenn daſelbſt jaͤhrlich dem Apollo geopfert worden/ uͤber die gluͤenden Braͤnde ohne einigen Scha- den baarfuͤſſig gehen koͤnnen/ und deßwegen vie- ler Freyheiten genoſſen haben. Malovend begegnete ihm: Es mag wol ſeyn/ daß unter de- rogleichen Begebenheiten zuweilen die Kunſt oder die Natur ſpiele; Hertzog Jngrams Be- ginnen aber ward als ein unbegreiffliches Wun- derwerck der ſonderbaren Fuͤrſorge ſeiner Schutz-Goͤtter zugeſchrieben; und daher ihm alſofort die Fuͤrſtin Hermildis im Tempel mit groſſem Frolocken der Qvaden verlobet. Kurtz hierauf ſtarb der Koͤnig Liſſudaval/ und betrat Fuͤrſt Gudwil beyde Reichs-Stuͤle/ wiewohl mit minderm Gluͤcke/ als Verdienſt. Denn Decebal erregte wider ihn den maͤchtigen Roͤnig der Scythen Salomin/ daß er mit einem groſſen Heere in Pannonien einfiel. Koͤnig Gudwil begegnete ihm zwar mit Heeres-Krafft/ ward aber bey Zoma geſchlagen/ und er ſelbſt kam in einem Moraſt umb. Nach deſſen Tode erkenn- ten die Qvaden zwar alſobald die Fuͤrſtin Her- mildis fuͤr eine Erbin des vaͤterlichen Reichs/ uud den Hertzog Jngram fuͤr ihren Koͤnig; die Pannonier aber wurden untereinander zwiſtig/ und erwehlte ein Theil in Anſehung der Anver- wand-
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Anderes Buch
Tag fiel der Neumond ein/ an welchem die Pan-
nonier und Qvaden der Gottin Kihala opferten.
Dieſe Goͤttin war ein nacktes auff einem mit
zwey Tauben beſpannten Wagen ſtehendes
Weib/ in ihrer rechten Hand trug ſie die Welt-
Kugel/ in der lincken drey Granat-Aepfel/ auf
dem Haupte einen Myrthen-Krantz/ aus ihrer
Bruſt ging eine brennende Fackel herfuͤr. Auf
ihrem Altare lag ein aus dichtem Golde auf dem
einen Gebuͤrge dieſer Voͤlcker gewachſener
Stab/ darauf die Koͤnige nicht allein dem Reiche
ihre Eydes-Pflicht zu leiſten/ ſondern auch ande-
re Groſſen des Landes ihre Angeloͤbnuͤſſe zu be-
ſchweren pflegten; und wird geglaubt/ daß kein
Meineydiger aus dem Tempel lebendig ſcheiden
koͤnte. Wie nun der Koͤnig/ Fuͤrſt Gudwil
und Hermildis fuͤr dieſem Bilde knieten/ und
der Prieſter ein Opfer nach dem andern anzuͤn-
dete/ kam Hertzog Jngram unverſehens in den
Tempel/ legte ſeine lincke Hand auf den guͤlde-
nen Stab/ und ſchwur mit heller Stimme: Jch
ruffe euch Schutz-Goͤtter dieſes Koͤnigreichs zu
Zeugen/ daß ich das Erbrecht deſſelben meinem
Stamme zuzuziehen/ die Freyheit des Volcks
zu unterdruͤcken/ noch auch den Fuͤrſten Gudwil
darvon abzuſtoſſen niemals/ ſondern allein die
unvergleichliche Hermildis zu beſitzen gedacht.
Da auch ich hierinnen meineydig bin/ ſo werde
ich und mein Stam̃ vertilget/ ſo verzehre mich
augenblicks dieſe Flamme. Hiermit faßte er
mit der rechten Hand den gluͤenden Roſt/ worauf
die Opfer lagen. Alle Anweſenden erſtarrten
hieruͤber/ und inſonderheit/ da ſie ihn die Hand
gantz unverſehrt von dem umbfaßten brennen-
den Eiſen wegziehen ſahen. Weil nun kein
Menſch an ſeiner durch dieſes Wunderwerck
bewehrten Unſchuld zweifelte/ muſte ſich Hertzog
Gudwil ſchaͤmen/ daß er dieſe andere Ver-
leumbdung ſich ſo leichtglaͤubig hatte einnehmen
laſſen. Es iſt ſicher eine vermeſſene Zuverſicht
zu ſeiner Unſchuld/ oder ein ungemeines Ver-
trauen zu den Goͤttern geweſt/ fing Zeno an/ da
unter dieſem Wunderwercke nicht ein Kunſt-
Stuͤcke verdeckt gelegen. Was fuͤr ein Kunſt-
Stuͤcke? verſetzte Malovend. Zeno antwor-
tete: Machet man aus dem Amianten-Steine
Leinwand/ die von der Flamme gereinigt/ nicht
verzehret wird; waͤchſet auf dem Javiſchen Ge-
buͤrge Holtz/ das nicht verbrennet; leben in den
Cypriſchen Schmeltz-Oefen uͤber dem zerfluͤſ-
ſenden Ertzte gewiſſe Fliegen unverſehrt; leſchen
die Salamandern mit ihrem Speichel das Feu-
er aus/ ſo iſt es auch wol moͤglich/ daß der
Menſch ſeine Glieder durch natuͤrliche Mittel
fuͤr dem Brande verwahre. Uberdis ſollen
nicht weit von Rom in dem Filiskiſchen Gebiete
gewiſſe Geſchlechter/ die Hirpien genennt/ ge-
weſen ſeyn/ welche am Berge Soractes/ wenn
daſelbſt jaͤhrlich dem Apollo geopfert worden/
uͤber die gluͤenden Braͤnde ohne einigen Scha-
den baarfuͤſſig gehen koͤnnen/ und deßwegen vie-
ler Freyheiten genoſſen haben. Malovend
begegnete ihm: Es mag wol ſeyn/ daß unter de-
rogleichen Begebenheiten zuweilen die Kunſt
oder die Natur ſpiele; Hertzog Jngrams Be-
ginnen aber ward als ein unbegreiffliches Wun-
derwerck der ſonderbaren Fuͤrſorge ſeiner
Schutz-Goͤtter zugeſchrieben; und daher ihm
alſofort die Fuͤrſtin Hermildis im Tempel mit
groſſem Frolocken der Qvaden verlobet. Kurtz
hierauf ſtarb der Koͤnig Liſſudaval/ und betrat
Fuͤrſt Gudwil beyde Reichs-Stuͤle/ wiewohl
mit minderm Gluͤcke/ als Verdienſt. Denn
Decebal erregte wider ihn den maͤchtigen Roͤnig
der Scythen Salomin/ daß er mit einem groſſen
Heere in Pannonien einfiel. Koͤnig Gudwil
begegnete ihm zwar mit Heeres-Krafft/ ward
aber bey Zoma geſchlagen/ und er ſelbſt kam in
einem Moraſt umb. Nach deſſen Tode erkenn-
ten die Qvaden zwar alſobald die Fuͤrſtin Her-
mildis fuͤr eine Erbin des vaͤterlichen Reichs/
uud den Hertzog Jngram fuͤr ihren Koͤnig; die
Pannonier aber wurden untereinander zwiſtig/
und erwehlte ein Theil in Anſehung der Anver-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/200>, abgerufen am 16.07.2024. |