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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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[Spaltenumbruch] trurien zu ziehen getrachtet/ wenn seine Tücke
nicht sein eigner Sohn verrathen hätte. Jch
gläube/ fing Zeno wieder an/ daß das Römi-
sche Volck schon vorher mit selbigem Kopffe be-
trogen gewest sey/ indem viel der nachdenckli-
chen Römer dafür halten/ es habe der schlaue
Tarquinius/ welcher mit allerhand scheinba-
ren Kunststücken seinen blutigen Stul unter-
stützen muste/ es selbst vorher dahin begraben las-
sen/ um seinem Tempel-Bau und Herrschafft
eine eben so grosse Hoffnung und Ansehen bey
dem leichtgläubigen Pöfel zu erwerben/ als die
Königin Elißa bey Auffindung eines Pferde-
Kopffs ihrer neuen Stadt zu wege brachte/ wie
sie zu Carthago den Grund legte. Rhemetal-
ces ließ sich hierauff heraus: Er könte derglei-
chen Erfindungen sich leicht bereden lassen.
Die gerechtesten Herrscher/ zu geschweigen die/
welche sich mit Gewalt oder Arglist auff den
Thron gespielt/ müsten das unbändige Volck
durch wunderliche Arten in Schrancken hal-
ten/ denen hitzigen Köpffen einen Kapzaum
anlegen/ den Ehrsüchtigen einen güldnen Ring
unter dem Scheine einer Zierrath durch die
Nase ziehen/ den Pöfel mit Schauspielen und
anderm unnützen Zeitvertreib von der Beküm-
merung um die Herrschafft abziehen/ und die-
sem so wie dem sonst erschrecklichen Wallfische
eine Tonne zum Spielen fürwerffen/ die
Scheinheiligen mit angenommener Andacht
betäuben/ den Geitzigen einen aus gläntzendem
Ertz gebackenen Kuchen zum Verschlingen vor-
werffen/ darvon sie hernach zerplatzen. Altein
dieses gehöret mehr in die geheimen Rathstu-
ben/ als auff die Jagt. Rhemetalees fing an:
dieser Hirsch hat noch wohl etwas/ welches wir
als Weideleute zu betrachten haben/ nehmlich/
daß seine Geweyhe gleichsam mit Mooß und
Eppich überwachsen sind/ und wohl neunzehn
Ende haben/ welches er für ein Kennzeichen
eines hohen Alters hielte. Malovend antwor-
tete: beydes wäre in Deutschland nichts unge-
[Spaltenumbruch] meines/ und hätte er Geweihe mit dreißig En-
den gesehen. Hieraus aber wäre der Hirschen
Alter nicht zu nehmen/ welche zwar die härte-
sten und fast unter allen Thieren nicht hole Hör-
ner hätten/ iedoch/ weil selbte nicht an die Hirn-
schale angewachsen wären/ alle Frühlinge ab-
würffen/ und das eine Horn/ welches zur Artz-
ney am dienlichsten seyn soll/ verscharreten.
Ja/ sagte Zeno/ er hätte diß selbst wahrgenom-
men/ und hätten die unvernünfftigen Thiere
zwar denen Menschen viel nützliche Artzneyen
gewiesen/ nehmlich das Wasser-Pferd das A-
derlassen/ der Egyptische Vogel Jbis das Kli-
stiren/ die Schwalbe und Schlange die Augen-
Kräuter/ der Storch den Rutzen des Krauts
Wohlgemuth/ die Natter des Fenchels/ die
Bären die Artzney der Ameisen/ die wilden
Tauben des Lorber-Baums/ man sehe aber da-
bey ihre sonderbare Mißgunst. Unterschie-
dene Vögel versteckten ihre Nester/ die Hey-
däxe verschlinge ihre abgeworffene Haut/ daß
sie nicht für die fallende Sucht gebraucht wür-
de; und das furchtsamste aller Thiere/ welches
in der Flucht für Angst wohl scchzig Füsse
weit springe/ fiele mehrmals lieber in der Jä-
ger Hände/ als es seine Geweihe unvergra-
ben liesse. Rhemetalces versetzte: Er hielte diß
Beginnen der wilden Thiere mehr für einen
blinden Trieb der Natur/ als für eine Wür-
ckung wahrhaffter Gemüths-Regungen. Ze-
no antwortete lachende: Ob er die Tauben nie-
mahls habe verliebt/ anch nie erzürnet/ einen
Hund einmahl neidisch/ das andere mahllieb-
kosend gesehen? Ob er die Löwen allzeit brül-
len/ niemahls kirmeln/ die Turteltauben stets
girren oder wehklagen gehöret hätte? Rheme-
talces versetzte: diese Abwechselungen wären so
wenig ein Beweiß eigentlicher Gemüths-Re-
gungen/ als diß/ daß sie einmahl Speise/ das an-
dermahl Geträncke zu sich nehmen. Denn weil
wilde Thiere keine Vernunfft hätten/ Furcht/
Begierde/ Mißgunst und dergleichen aber Uber-

schrei-

Anderes Buch
[Spaltenumbruch] trurien zu ziehen getrachtet/ wenn ſeine Tuͤcke
nicht ſein eigner Sohn verrathen haͤtte. Jch
glaͤube/ fing Zeno wieder an/ daß das Roͤmi-
ſche Volck ſchon vorher mit ſelbigem Kopffe be-
trogen geweſt ſey/ indem viel der nachdenckli-
chen Roͤmer dafuͤr halten/ es habe der ſchlaue
Tarquinius/ welcher mit allerhand ſcheinba-
ren Kunſtſtuͤcken ſeinen blutigen Stul unter-
ſtuͤtzen muſte/ es ſelbſt vorher dahin begraben laſ-
ſen/ um ſeinem Tempel-Bau und Herrſchafft
eine eben ſo groſſe Hoffnung und Anſehen bey
dem leichtglaͤubigen Poͤfel zu erwerben/ als die
Koͤnigin Elißa bey Auffindung eines Pferde-
Kopffs ihrer neuen Stadt zu wege brachte/ wie
ſie zu Carthago den Grund legte. Rhemetal-
ces ließ ſich hierauff heraus: Er koͤnte derglei-
chen Erfindungen ſich leicht bereden laſſen.
Die gerechteſten Herrſcher/ zu geſchweigen die/
welche ſich mit Gewalt oder Argliſt auff den
Thron geſpielt/ muͤſten das unbaͤndige Volck
durch wunderliche Arten in Schrancken hal-
ten/ denen hitzigen Koͤpffen einen Kapzaum
anlegen/ den Ehrſuͤchtigen einen guͤldnen Ring
unter dem Scheine einer Zierrath durch die
Naſe ziehen/ den Poͤfel mit Schauſpielen und
anderm unnuͤtzen Zeitvertreib von der Bekuͤm-
merung um die Herrſchafft abziehen/ und die-
ſem ſo wie dem ſonſt erſchrecklichen Wallfiſche
eine Tonne zum Spielen fuͤrwerffen/ die
Scheinheiligen mit angenommener Andacht
betaͤuben/ den Geitzigen einen aus glaͤntzendem
Ertz gebackenen Kuchen zum Verſchlingen vor-
werffen/ darvon ſie hernach zerplatzen. Altein
dieſes gehoͤret mehr in die geheimen Rathſtu-
ben/ als auff die Jagt. Rhemetalees fing an:
dieſer Hirſch hat noch wohl etwas/ welches wir
als Weideleute zu betrachten haben/ nehmlich/
daß ſeine Geweyhe gleichſam mit Mooß und
Eppich uͤberwachſen ſind/ und wohl neunzehn
Ende haben/ welches er fuͤr ein Kennzeichen
eines hohen Alters hielte. Malovend antwor-
tete: beydes waͤre in Deutſchland nichts unge-
[Spaltenumbruch] meines/ und haͤtte er Geweihe mit dreißig En-
den geſehen. Hieraus aber waͤre der Hirſchen
Alter nicht zu nehmen/ welche zwar die haͤrte-
ſten und faſt unter allen Thieren nicht hole Hoͤr-
ner haͤtten/ iedoch/ weil ſelbte nicht an die Hirn-
ſchale angewachſen waͤren/ alle Fruͤhlinge ab-
wuͤrffen/ und das eine Horn/ welches zur Artz-
ney am dienlichſten ſeyn ſoll/ verſcharreten.
Ja/ ſagte Zeno/ er haͤtte diß ſelbſt wahrgenom-
men/ und haͤtten die unvernuͤnfftigen Thiere
zwar denen Menſchen viel nuͤtzliche Artzneyen
gewieſen/ nehmlich das Waſſer-Pferd das A-
derlaſſen/ der Egyptiſche Vogel Jbis das Kli-
ſtiren/ die Schwalbe und Schlange die Augen-
Kraͤuter/ der Storch den Rutzen des Krauts
Wohlgemuth/ die Natter des Fenchels/ die
Baͤren die Artzney der Ameiſen/ die wilden
Tauben des Lorber-Baums/ man ſehe aber da-
bey ihre ſonderbare Mißgunſt. Unterſchie-
dene Voͤgel verſteckten ihre Neſter/ die Hey-
daͤxe verſchlinge ihre abgeworffene Haut/ daß
ſie nicht fuͤr die fallende Sucht gebraucht wuͤr-
de; und das furchtſamſte aller Thiere/ welches
in der Flucht fuͤr Angſt wohl ſcchzig Fuͤſſe
weit ſpringe/ fiele mehrmals lieber in der Jaͤ-
ger Haͤnde/ als es ſeine Geweihe unvergra-
ben lieſſe. Rhemetalces verſetzte: Er hielte diß
Beginnen der wilden Thiere mehr fuͤr einen
blinden Trieb der Natur/ als fuͤr eine Wuͤr-
ckung wahrhaffter Gemuͤths-Regungen. Ze-
no antwortete lachende: Ob er die Tauben nie-
mahls habe verliebt/ anch nie erzuͤrnet/ einen
Hund einmahl neidiſch/ das andere mahllieb-
koſend geſehen? Ob er die Loͤwen allzeit bruͤl-
len/ niemahls kirmeln/ die Turteltauben ſtets
girren oder wehklagen gehoͤret haͤtte? Rheme-
talces verſetzte: dieſe Abwechſelungen waͤren ſo
wenig ein Beweiß eigentlicher Gemuͤths-Re-
gungen/ als diß/ daß ſie einmahl Speiſe/ das an-
dermahl Getraͤncke zu ſich nehmen. Denn weil
wilde Thiere keine Vernunfft haͤtten/ Furcht/
Begierde/ Mißgunſt und dergleichen aber Ubeꝛ-

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[92/0142] Anderes Buch trurien zu ziehen getrachtet/ wenn ſeine Tuͤcke nicht ſein eigner Sohn verrathen haͤtte. Jch glaͤube/ fing Zeno wieder an/ daß das Roͤmi- ſche Volck ſchon vorher mit ſelbigem Kopffe be- trogen geweſt ſey/ indem viel der nachdenckli- chen Roͤmer dafuͤr halten/ es habe der ſchlaue Tarquinius/ welcher mit allerhand ſcheinba- ren Kunſtſtuͤcken ſeinen blutigen Stul unter- ſtuͤtzen muſte/ es ſelbſt vorher dahin begraben laſ- ſen/ um ſeinem Tempel-Bau und Herrſchafft eine eben ſo groſſe Hoffnung und Anſehen bey dem leichtglaͤubigen Poͤfel zu erwerben/ als die Koͤnigin Elißa bey Auffindung eines Pferde- Kopffs ihrer neuen Stadt zu wege brachte/ wie ſie zu Carthago den Grund legte. Rhemetal- ces ließ ſich hierauff heraus: Er koͤnte derglei- chen Erfindungen ſich leicht bereden laſſen. Die gerechteſten Herrſcher/ zu geſchweigen die/ welche ſich mit Gewalt oder Argliſt auff den Thron geſpielt/ muͤſten das unbaͤndige Volck durch wunderliche Arten in Schrancken hal- ten/ denen hitzigen Koͤpffen einen Kapzaum anlegen/ den Ehrſuͤchtigen einen guͤldnen Ring unter dem Scheine einer Zierrath durch die Naſe ziehen/ den Poͤfel mit Schauſpielen und anderm unnuͤtzen Zeitvertreib von der Bekuͤm- merung um die Herrſchafft abziehen/ und die- ſem ſo wie dem ſonſt erſchrecklichen Wallfiſche eine Tonne zum Spielen fuͤrwerffen/ die Scheinheiligen mit angenommener Andacht betaͤuben/ den Geitzigen einen aus glaͤntzendem Ertz gebackenen Kuchen zum Verſchlingen vor- werffen/ darvon ſie hernach zerplatzen. Altein dieſes gehoͤret mehr in die geheimen Rathſtu- ben/ als auff die Jagt. Rhemetalees fing an: dieſer Hirſch hat noch wohl etwas/ welches wir als Weideleute zu betrachten haben/ nehmlich/ daß ſeine Geweyhe gleichſam mit Mooß und Eppich uͤberwachſen ſind/ und wohl neunzehn Ende haben/ welches er fuͤr ein Kennzeichen eines hohen Alters hielte. Malovend antwor- tete: beydes waͤre in Deutſchland nichts unge- meines/ und haͤtte er Geweihe mit dreißig En- den geſehen. Hieraus aber waͤre der Hirſchen Alter nicht zu nehmen/ welche zwar die haͤrte- ſten und faſt unter allen Thieren nicht hole Hoͤr- ner haͤtten/ iedoch/ weil ſelbte nicht an die Hirn- ſchale angewachſen waͤren/ alle Fruͤhlinge ab- wuͤrffen/ und das eine Horn/ welches zur Artz- ney am dienlichſten ſeyn ſoll/ verſcharreten. Ja/ ſagte Zeno/ er haͤtte diß ſelbſt wahrgenom- men/ und haͤtten die unvernuͤnfftigen Thiere zwar denen Menſchen viel nuͤtzliche Artzneyen gewieſen/ nehmlich das Waſſer-Pferd das A- derlaſſen/ der Egyptiſche Vogel Jbis das Kli- ſtiren/ die Schwalbe und Schlange die Augen- Kraͤuter/ der Storch den Rutzen des Krauts Wohlgemuth/ die Natter des Fenchels/ die Baͤren die Artzney der Ameiſen/ die wilden Tauben des Lorber-Baums/ man ſehe aber da- bey ihre ſonderbare Mißgunſt. Unterſchie- dene Voͤgel verſteckten ihre Neſter/ die Hey- daͤxe verſchlinge ihre abgeworffene Haut/ daß ſie nicht fuͤr die fallende Sucht gebraucht wuͤr- de; und das furchtſamſte aller Thiere/ welches in der Flucht fuͤr Angſt wohl ſcchzig Fuͤſſe weit ſpringe/ fiele mehrmals lieber in der Jaͤ- ger Haͤnde/ als es ſeine Geweihe unvergra- ben lieſſe. Rhemetalces verſetzte: Er hielte diß Beginnen der wilden Thiere mehr fuͤr einen blinden Trieb der Natur/ als fuͤr eine Wuͤr- ckung wahrhaffter Gemuͤths-Regungen. Ze- no antwortete lachende: Ob er die Tauben nie- mahls habe verliebt/ anch nie erzuͤrnet/ einen Hund einmahl neidiſch/ das andere mahllieb- koſend geſehen? Ob er die Loͤwen allzeit bruͤl- len/ niemahls kirmeln/ die Turteltauben ſtets girren oder wehklagen gehoͤret haͤtte? Rheme- talces verſetzte: dieſe Abwechſelungen waͤren ſo wenig ein Beweiß eigentlicher Gemuͤths-Re- gungen/ als diß/ daß ſie einmahl Speiſe/ das an- dermahl Getraͤncke zu ſich nehmen. Denn weil wilde Thiere keine Vernunfft haͤtten/ Furcht/ Begierde/ Mißgunſt und dergleichen aber Ubeꝛ- ſchrei-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/142>, abgerufen am 23.11.2024.