Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
befestigte. Gleichwohl würde für fünf Jahrenhier niemand erlassen und loßgesagt. Daher sie denn auch so viel Zeit darinnen angewehret/ wiewohl sie bekennen müste: daß der vollkom- menste Mensch sein Lebtage über Erlernung dieser einigen Tugend genung zu thun hätte/ welche so sehr viel in sich begrieffe/ und ein so weites Gebiete als die Klugheit hätte; denn ob sie zwar eigentlich von andern Tugenden noch unterschieden/ dennoch gleichsam aller übrigen Seele wäre. Sintemal wie keine Tieffsinnig- keit das Buch der Natur seiner unzehlbaren Geheimnüsse halber auszugrübeln vermöchte; also wäre das Gemüthe des Menschen ein Meer voller Krümmen/ Klippen/ Sandbän- cke und Strudeln: daß kein Weiser noch dar- über eine richtige See-Karte gefertiget; kein Bleymaß seine Tieffen ergründet/ kein Mensch mit dem Kompasse seiner Klugheit alle Verirr- oder Vergehungen zu vermeiden vermocht hätte. Dieser meiner Unvollkommenheit ungeach- Steinen
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
befeſtigte. Gleichwohl wuͤrde fuͤr fuͤnf Jahrenhier niemand erlaſſen und loßgeſagt. Daher ſie denn auch ſo viel Zeit darinnen angewehret/ wiewohl ſie bekennen muͤſte: daß der vollkom- menſte Menſch ſein Lebtage uͤber Erlernung dieſer einigen Tugend genung zu thun haͤtte/ welche ſo ſehr viel in ſich begrieffe/ und ein ſo weites Gebiete als die Klugheit haͤtte; denn ob ſie zwar eigentlich von andern Tugenden noch unterſchieden/ dennoch gleichſam aller uͤbrigen Seele waͤre. Sintemal wie keine Tieffſinnig- keit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren Geheimnuͤſſe halber auszugruͤbeln vermoͤchte; alſo waͤre das Gemuͤthe des Menſchen ein Meer voller Kruͤmmen/ Klippen/ Sandbaͤn- cke und Strudeln: daß kein Weiſer noch dar- uͤber eine richtige See-Karte gefertiget; kein Bleymaß ſeine Tieffen ergruͤndet/ kein Menſch mit dem Kompaſſe ſeiner Klugheit alle Verirr- oder Vergehungen zu vermeiden vermocht haͤtte. Dieſer meiner Unvollkommenheit ungeach- Steinen
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Arminius und Thußnelda.
befeſtigte. Gleichwohl wuͤrde fuͤr fuͤnf Jahren
hier niemand erlaſſen und loßgeſagt. Daher
ſie denn auch ſo viel Zeit darinnen angewehret/
wiewohl ſie bekennen muͤſte: daß der vollkom-
menſte Menſch ſein Lebtage uͤber Erlernung
dieſer einigen Tugend genung zu thun haͤtte/
welche ſo ſehr viel in ſich begrieffe/ und ein ſo
weites Gebiete als die Klugheit haͤtte; denn ob
ſie zwar eigentlich von andern Tugenden noch
unterſchieden/ dennoch gleichſam aller uͤbrigen
Seele waͤre. Sintemal wie keine Tieffſinnig-
keit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren
Geheimnuͤſſe halber auszugruͤbeln vermoͤchte;
alſo waͤre das Gemuͤthe des Menſchen ein
Meer voller Kruͤmmen/ Klippen/ Sandbaͤn-
cke und Strudeln: daß kein Weiſer noch dar-
uͤber eine richtige See-Karte gefertiget; kein
Bleymaß ſeine Tieffen ergruͤndet/ kein Menſch
mit dem Kompaſſe ſeiner Klugheit alle Verirr-
oder Vergehungen zu vermeiden vermocht
haͤtte.
Dieſer meiner Unvollkommenheit ungeach-
tet/ fuhr die weiſe Asblaſte fort/ verſetzte man
mich wider meinen Willen in die dritte Schule;
darinnen einem die tieffſten Geheimnuͤſſe entde-
cket werdẽ; theils wie Gott/ welcher doch aus der
Natur nur unvollkommen und als ein Schat-
ten erkennet wird/ ſich ſelbſt viel heller offenbaret
habe; theils wie der Menſch zur Wiſſen-
ſchafft kuͤnftiger Dinge gelangen koͤnne.
Von beyden etwas gemein zu machen wird der
Anweſenden hohe Beſcheidenheit nichts verlan-
gen/ welche wohl wiſſen: daß mir und meines
gleichen die Lippen durch ein Siegel angelobter
Verſchwiegenheit verſchloſſen ſind; welche man
unſers Heiligthums Verfaſſungen ſo viel weni-
ger verargen kan/ weil auch die Natur ihr beſtes
Ertzt in die Tieffen der Berge/ ihre Perlen in
den Abgrund des Meeres verbirgt/ und der
Himmel ſeine wenigſte Sternen/ Gott aber
ſelbſt ſich niemals ſehen laͤſt. So haben auch
die Egyptier von denen Goͤttlichen Geheim-
nuͤſſen in einer ungemeinen Sprache/ oder nur
durch Raͤtzel geredet. Sie haben zu derſelben
Verbergung eine abſondere Schrifft aus ſel-
tzam-geſtellten Voͤgeln/ Schlangen und an-
dern Thieren erfunden/ und darmit ihre koſtba-
re Tempel und Spitz-Saͤulen bemahlet/ hier-
durch aber mehr des Volckes geſpottet/ als die
Einfalt unterwieſen; wie ſie denn auch ſolches
ſelbſt zu bedeuten fuͤr ihre Heiligthuͤmer das
unauslegliche Wunder-Bild ſetzen; welches
vorwerts einen Loͤwen/ uͤbrigens einen Men-
ſchen mit Greiffen-Fluͤgeln und Adlers-Klau-
en fuͤrbildete; und uͤber ihre Jſis ſchrieben: daß
kein Sterblicher ihr den Schleyer noch nicht
aufgedeckt haͤtte. Eben ſo haben die Griechẽ die-
ſe Geheimnuͤſſe hinter den Schatten der Getich-
te verſteckt; Pythagoras nur die Schalen ſeiner
Wiſſenſchafftẽdenẽ Lehrlingẽ fuͤrgeworffen/ den
Kern fuͤr ſich behalten/ Orpheus dieſe Weißheit
mit dem Klange ſeiner Seiten verhuͤllet/ und
von denen/ welchen er was offenbaret/ einen
Eyd ſolches mit ins Grab zu nehmen abgehei-
ſchen. Plato hat in ſeinen Geſpraͤchen durch
Verbluͤmungen ſeine Gedancken verwirꝛt; daß
ſie weniger zu verſtehen ſind/ als wenn er ſie auff
tauſend von den Winden durch einander gewe-
hete Blaͤtter verzeichnet haͤtte. Ariſtoteles lehrte
bey feſt verſchloſſener Thuͤre/ und bedeckte alle
Schluͤſſe gleich als wie mit einem Nebel. Ja alle
Weiſen/ weñ ſie von dem Goͤttlichen Erkentnuͤß
ihꝛe Gedancken eꝛoͤffnen ſollen/ machẽ es/ wie deꝛ-
ſelbe Meerfiſch/ der wenn er die Nachſtellung ei-
nigen Netzes mercket/ mit einer von ſich gelaſſe-
nen Tinte das Waſſer truͤbet. Was fuͤr Wun-
der wird nicht von denen Wahrſagungen der
Sibyllen zu Rom gemacht/ in welche nie-
mand/ als der oberſte Prieſter ſehen darff? Wie
viel hat eine kluge Frau fuͤr den Augen des
Numa verbrennet; und der Kaͤyſer Auguſt
nach der Zeit ſie ſchier gar aus den Haͤnden der
Welt geriſſen? Jch verſichere ſie aber: daß al-
les dis/ was in dieſen Blaͤttern/ und in den
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