Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
schlagen solten. Daher wäre es entwedereine grosse Unvollkommenheit/ oder ein gefähr- licher Zustand der Tugend; wenn sie diese unter sich selbst unverträgliche Regungen zu ihren Gehülffen annehmen müste. Sinte- mal ja die Furcht nicht mit dem Zorne/ der Haß mit der Begierde/ das Schrecken mit der Freude in stetem Kriege zu Felde läge. Die Vernunfft und die Tugend jagte sie zwar selbst gegen einander in Harnisch; umb ihre gewalt- same Herrschafft zu vertilgen. Sie brauchte sie/ wie die Jndianer Löwen und Tiger/ nem- lich mit selbten anderes Wild zu fangen. Und wenn sie eine gegen der andern auf die Wag- Schale legte/ machte sie dardurch ein gleiches Gewichte; aber sie schämte sich gleichwol einige unter ihnen zu ihrer Beschirmerin aufzuneh- men. Die Tapferkeit könte ohne Zorn über- winden und siegen; ja sie müste sich dieser Hitze entbrechen; wo sie sich nicht selbst stürtzen wolte. Denn der Zorn machte an den besten Fecht[e]rn Blößen; welche vorher die Kunst verdeckte. Und die stärcksten Riesen-Völcker wären mehrmals von denen Schwächsten überwälti- get/ oder auch der bereit erworbene Sieg ihnen aus den Händen gewunden worden/ wenn sie sich aus Zorn übereilet hätten. Denn dieser wäre der rechte Nemeische Löwe/ der Brut der sich ergießenden Galle/ welchen alle tödten mü- sten; die mit dem Hercules den Ruhm grosser Helden erwerben wolten. Die Vernunfft wäre in sich schon so rege/ die Tugend in ihr selbst so vollkommen: daß sie keine Spieß- Rute der Begierde zum Wolthun anfrischen/ kein Kapzaum der Furcht von einiger Ver- gehung zurück halten dörffte. Die Regungen dienten freylich wol zu Waffen den Lastern/ aber nicht der Maaß-liebenden Tugend. Denn man könte sie nicht/ wie Schwerdt und Schild/ seinem Belieben nach ergreiffen und weglegen. Die Vernunfft hingegen wäre [Spaltenumbruch] ihr überflüßig genung zu nöthiger Beschir- mung; welche allezeit in einem bliebe und tau- erhafft wäre. Dahingegen der Zorn entweder wie die Drachen-Zähne unersättlich rasete; oder wie die Bienen nach der ersten Ver- wundung den Stachel verliere. Und mit einem Worte: der natürliche Trieb dieser Re- gungen neigte sich zum bösen/ wie die Schwer- de zum Bodem/ wenn nicht die Vernunfft sie mit Gewalt zu was gutem nöthigte. Das Wesen aller Regungen bestünde entweder in einer Ubermaaß oder in einem Mangel; und hielten selbte niemahls das rechte Gewichte; also: daß die Vernunfft alle Augenblicke ge- nung zu thun hätte auf ihrer Wag-Schale diese Ungleichheit zu verbessern. Alleine jene Güte wäre kein Gold ohne Schlacke/ und diese Ausgleichung bliebe doch immer etwas höck- richt. Viel ein wenigers meinte die Fürstin Asblaste von ihrer Meinung fallen zu lassen. Daher führte sie an: Die Regungen verdien- ten zwar nicht den Sitz und den Ruhm der über alle Hoheit erhabenen Tugend; aber man müste sie zu keinem Fußschemmel ma- chen. Sie wären zwar keine Geburt der edelsten Krafft in der menschlichen Seele/ die über die lebende der Gewächse und die fühlen- de der Thiere noch etwas göttliches/ nemlich die Vernunfft in sich begrieffe; aber sie wä- ren keine Mißgeburt eines nur irrdischen Vermögens; also keines weges zu enträumen: daß sie bloß in denen euserlichen Sinnen ihren Sitz und Ursprung hätten. Die stummen Thiere fühlten (der Stoischen Weisen Mei- nung nach) in sich zwar einen blinden Trieb; denen Menschen aber käme Zorn/ Liebe/ Furcht und dergleichen nur eigentlich zu; und dis/ was jene diesen nachzuthun schienen/ wäre nur für einen Schatten zu halten. Weil nun aber diese mit keiner Vernunfft betheilet wä- ren/ gleichwol aber Krafft solcher nur unvoll- kom-
Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
ſchlagen ſolten. Daher waͤre es entwedereine groſſe Unvollkommenheit/ oder ein gefaͤhr- licher Zuſtand der Tugend; wenn ſie dieſe unter ſich ſelbſt unvertraͤgliche Regungen zu ihren Gehuͤlffen annehmen muͤſte. Sinte- mal ja die Furcht nicht mit dem Zorne/ der Haß mit der Begierde/ das Schrecken mit der Freude in ſtetem Kriege zu Felde laͤge. Die Vernunfft und die Tugend jagte ſie zwar ſelbſt gegen einander in Harniſch; umb ihre gewalt- ſame Herrſchafft zu vertilgen. Sie brauchte ſie/ wie die Jndianer Loͤwen und Tiger/ nem- lich mit ſelbten anderes Wild zu fangen. Und wenn ſie eine gegen der andern auf die Wag- Schale legte/ machte ſie dardurch ein gleiches Gewichte; aber ſie ſchaͤmte ſich gleichwol einige unter ihnen zu ihrer Beſchirmerin aufzuneh- men. Die Tapferkeit koͤnte ohne Zorn uͤber- winden und ſiegen; ja ſie muͤſte ſich dieſer Hitze entbrechen; wo ſie ſich nicht ſelbſt ſtuͤrtzen wolte. Denn der Zorn machte an den beſten Fecht[e]rn Bloͤßen; welche vorher die Kunſt verdeckte. Und die ſtaͤrckſten Rieſen-Voͤlcker waͤren mehrmals von denen Schwaͤchſten uͤberwaͤlti- get/ oder auch der bereit erworbene Sieg ihnen aus den Haͤnden gewunden worden/ wenn ſie ſich aus Zorn uͤbereilet haͤtten. Denn dieſer waͤre der rechte Nemeiſche Loͤwe/ der Brut der ſich ergießenden Galle/ welchen alle toͤdten muͤ- ſten; die mit dem Hercules den Ruhm groſſer Helden erwerben wolten. Die Vernunfft waͤre in ſich ſchon ſo rege/ die Tugend in ihr ſelbſt ſo vollkommen: daß ſie keine Spieß- Rute der Begierde zum Wolthun anfriſchen/ kein Kapzaum der Furcht von einiger Ver- gehung zuruͤck halten doͤrffte. Die Regungen dienten freylich wol zu Waffen den Laſtern/ aber nicht der Maaß-liebenden Tugend. Denn man koͤnte ſie nicht/ wie Schwerdt und Schild/ ſeinem Belieben nach ergreiffen und weglegen. Die Vernunfft hingegen waͤre [Spaltenumbruch] ihr uͤberfluͤßig genung zu noͤthiger Beſchir- mung; welche allezeit in einem bliebe und tau- erhafft waͤre. Dahingegen der Zorn entweder wie die Drachen-Zaͤhne unerſaͤttlich raſete; oder wie die Bienen nach der erſten Ver- wundung den Stachel verliere. Und mit einem Worte: der natuͤrliche Trieb dieſer Re- gungen neigte ſich zum boͤſen/ wie die Schwer- de zum Bodem/ wenn nicht die Vernunfft ſie mit Gewalt zu was gutem noͤthigte. Das Weſen aller Regungen beſtuͤnde entweder in einer Ubermaaß oder in einem Mangel; und hielten ſelbte niemahls das rechte Gewichte; alſo: daß die Vernunfft alle Augenblicke ge- nung zu thun haͤtte auf ihrer Wag-Schale dieſe Ungleichheit zu verbeſſern. Alleine jene Guͤte waͤre kein Gold ohne Schlacke/ und dieſe Ausgleichung bliebe doch immer etwas hoͤck- richt. Viel ein wenigers meinte die Fuͤrſtin Asblaſte von ihrer Meinung fallen zu laſſen. Daher fuͤhrte ſie an: Die Regungen verdien- ten zwar nicht den Sitz und den Ruhm der uͤber alle Hoheit erhabenen Tugend; aber man muͤſte ſie zu keinem Fußſchemmel ma- chen. Sie waͤren zwar keine Geburt der edelſten Krafft in der menſchlichen Seele/ die uͤber die lebende der Gewaͤchſe und die fuͤhlen- de der Thiere noch etwas goͤttliches/ nemlich die Vernunfft in ſich begrieffe; aber ſie waͤ- ren keine Mißgeburt eines nur irꝛdiſchen Vermoͤgens; alſo keines weges zu entraͤumen: daß ſie bloß in denen euſerlichen Sinnen ihren Sitz und Urſprung haͤtten. Die ſtummen Thiere fuͤhlten (der Stoiſchen Weiſen Mei- nung nach) in ſich zwar einen blinden Trieb; denen Menſchen aber kaͤme Zorn/ Liebe/ Furcht und dergleichen nur eigentlich zu; und dis/ was jene dieſen nachzuthun ſchienen/ waͤre nur fuͤr einen Schatten zu halten. Weil nun aber dieſe mit keiner Vernunfft betheilet waͤ- ren/ gleichwol aber Krafft ſolcher nur unvoll- kom-
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Neuntes Buch
ſchlagen ſolten. Daher waͤre es entweder
eine groſſe Unvollkommenheit/ oder ein gefaͤhr-
licher Zuſtand der Tugend; wenn ſie dieſe
unter ſich ſelbſt unvertraͤgliche Regungen zu
ihren Gehuͤlffen annehmen muͤſte. Sinte-
mal ja die Furcht nicht mit dem Zorne/ der
Haß mit der Begierde/ das Schrecken mit der
Freude in ſtetem Kriege zu Felde laͤge. Die
Vernunfft und die Tugend jagte ſie zwar ſelbſt
gegen einander in Harniſch; umb ihre gewalt-
ſame Herrſchafft zu vertilgen. Sie brauchte
ſie/ wie die Jndianer Loͤwen und Tiger/ nem-
lich mit ſelbten anderes Wild zu fangen. Und
wenn ſie eine gegen der andern auf die Wag-
Schale legte/ machte ſie dardurch ein gleiches
Gewichte; aber ſie ſchaͤmte ſich gleichwol einige
unter ihnen zu ihrer Beſchirmerin aufzuneh-
men. Die Tapferkeit koͤnte ohne Zorn uͤber-
winden und ſiegen; ja ſie muͤſte ſich dieſer Hitze
entbrechen; wo ſie ſich nicht ſelbſt ſtuͤrtzen wolte.
Denn der Zorn machte an den beſten Fechtern
Bloͤßen; welche vorher die Kunſt verdeckte.
Und die ſtaͤrckſten Rieſen-Voͤlcker waͤren
mehrmals von denen Schwaͤchſten uͤberwaͤlti-
get/ oder auch der bereit erworbene Sieg ihnen
aus den Haͤnden gewunden worden/ wenn ſie
ſich aus Zorn uͤbereilet haͤtten. Denn dieſer
waͤre der rechte Nemeiſche Loͤwe/ der Brut der
ſich ergießenden Galle/ welchen alle toͤdten muͤ-
ſten; die mit dem Hercules den Ruhm groſſer
Helden erwerben wolten. Die Vernunfft
waͤre in ſich ſchon ſo rege/ die Tugend in ihr
ſelbſt ſo vollkommen: daß ſie keine Spieß-
Rute der Begierde zum Wolthun anfriſchen/
kein Kapzaum der Furcht von einiger Ver-
gehung zuruͤck halten doͤrffte. Die Regungen
dienten freylich wol zu Waffen den Laſtern/
aber nicht der Maaß-liebenden Tugend.
Denn man koͤnte ſie nicht/ wie Schwerdt und
Schild/ ſeinem Belieben nach ergreiffen und
weglegen. Die Vernunfft hingegen waͤre
ihr uͤberfluͤßig genung zu noͤthiger Beſchir-
mung; welche allezeit in einem bliebe und tau-
erhafft waͤre. Dahingegen der Zorn entweder
wie die Drachen-Zaͤhne unerſaͤttlich raſete;
oder wie die Bienen nach der erſten Ver-
wundung den Stachel verliere. Und mit
einem Worte: der natuͤrliche Trieb dieſer Re-
gungen neigte ſich zum boͤſen/ wie die Schwer-
de zum Bodem/ wenn nicht die Vernunfft ſie
mit Gewalt zu was gutem noͤthigte. Das
Weſen aller Regungen beſtuͤnde entweder in
einer Ubermaaß oder in einem Mangel; und
hielten ſelbte niemahls das rechte Gewichte;
alſo: daß die Vernunfft alle Augenblicke ge-
nung zu thun haͤtte auf ihrer Wag-Schale
dieſe Ungleichheit zu verbeſſern. Alleine jene
Guͤte waͤre kein Gold ohne Schlacke/ und dieſe
Ausgleichung bliebe doch immer etwas hoͤck-
richt. Viel ein wenigers meinte die Fuͤrſtin
Asblaſte von ihrer Meinung fallen zu laſſen.
Daher fuͤhrte ſie an: Die Regungen verdien-
ten zwar nicht den Sitz und den Ruhm der
uͤber alle Hoheit erhabenen Tugend; aber
man muͤſte ſie zu keinem Fußſchemmel ma-
chen. Sie waͤren zwar keine Geburt der
edelſten Krafft in der menſchlichen Seele/ die
uͤber die lebende der Gewaͤchſe und die fuͤhlen-
de der Thiere noch etwas goͤttliches/ nemlich
die Vernunfft in ſich begrieffe; aber ſie waͤ-
ren keine Mißgeburt eines nur irꝛdiſchen
Vermoͤgens; alſo keines weges zu entraͤumen:
daß ſie bloß in denen euſerlichen Sinnen ihren
Sitz und Urſprung haͤtten. Die ſtummen
Thiere fuͤhlten (der Stoiſchen Weiſen Mei-
nung nach) in ſich zwar einen blinden Trieb;
denen Menſchen aber kaͤme Zorn/ Liebe/ Furcht
und dergleichen nur eigentlich zu; und dis/
was jene dieſen nachzuthun ſchienen/ waͤre
nur fuͤr einen Schatten zu halten. Weil nun
aber dieſe mit keiner Vernunfft betheilet waͤ-
ren/ gleichwol aber Krafft ſolcher nur unvoll-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1348[1350]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1416>, abgerufen am 17.07.2024. |