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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] annehmlichen Augenblicks eingeäschert sehen
muste. Welch Erkäntnüs seiner eingebüsten
Freyheit denn nach langem Kampffe seiner
Seele eine gantz andere Bewegung in ihm ge-
hahr; nehmlich ein Verlangen nach derselben
Sonne/ die sein Hertze mit so empfindlichem
Feuer angesteckt hatte. Denn die Verliebten
sind dißfalls anders nicht/ als die Motten ge-
arthet; welche sich von der schönen Flamme zie-
hen lassen/ ob sie ihnen gleich schon die Helffte
der Flügel versenget haben. Dem vierdten Tag
wagte sich Fürst Herrmann wieder nach Hofe;
da er denn diesen seinen Abgott seinem Bedün-
cken nach noch viel schöner/ als das erste mahl/
an Liviens Taffel antraff; und gleichsam mit
seinen erstarrenden Augen an ihrem himmli-
schen Antlitze kleben blieb; also fast noch mehr/
als vorhin seine Schwachheit mercklich gemacht
hätte. Denn ob zwar sonst die Verwunderung
eine Gefärthin der Neuigkeit ist; und sich durch
öfftere Gemeinschafft nach und nach verlieret;
so ist es doch viel anders mit der Liebe beschaf-
fen; welche von Tag zu Tage wächset; und
aus einem Funcken ein grosser Brand/ aus ei-
nem Zwerge in weniger Zeit ein unüberwind-
licher Riese wird; weil ihre Scharffsinnigkeit
iedesmahl was neues erforschet/ das einen
neuen Zunder der Zuneigung abgeben kan.
Die Begierde um diese Fürstin zu seyn wuchs
in weniger Zeit so sehr: daß Fürst Herrmann
sich überredete: er würde nicht leben können;
wenn er nicht täglich durch einen Anblick die-
ser Göttin lebendig gemacht würde. Und wie
er anfangs glaubte: daß die Natur durch sie ein
in der Welt noch nie gesehenes Muster der
Vollkommenheit; oder eine Schönheit/ welche
auch der alle irrdische Schrancken übersteigen-
den Einbildung genung thun könte/ ausgear-
beitet hätte; also gab er ihm nunmehr selbst
nach: daß seine Liebe die Regungen aller
Menschen überstiege. Als er hernach unter-
schiedene mahl ihrer annehmlichen Gespräche
[Spaltenumbruch] bey Livien und anderm Frauen-Zimmer ge-
naß; welches wegen allzu überirrdischer Schön-
heit sie zu beneiden für eine Beleidigung der
Götter; ihrer Anwesenheit zu genüssen für un-
gemeines Glücke hielt; ward er offtmahls so
entkräfftet: daß er durch allerhand Vorwand
sich derselben entbrechen muste; ohne welche er
nicht zu leben getraute; und wegen welcher er
mehrmahls zweiffelhafft war: Ob das Ver-
hängnüs ihn durch sie beym Leben zu erhalten
oder zu tödten bemüht wäre/ biß er nach und
nach lernte: daß die Verliebten gleichsam an
den Scheide-Weg des Lebens und Sterbens
versetzt sind; und diß/ was an ihnen lebet/ so
wenig ein rechtes Leben/ als diß/ was sie töd-
tet/ ein wahrhaffter Tod sey. Worbey ihm
diß nicht die geringste Pein verursachte: daß er
durch keine Sorgfalt zu erfahren vermochte:
wer die wäre; die sich so geschwinde der Bot-
mäßigkeit über seine Seele angemast hatte. Denn
ob er zwar bey denen; welche Satur nin mit
aus Deutschland gebracht hatte; so viel/ wiewol
auch nur wegen ihrer selbsteigenen Unwissen-
heit/ muthmaßlich ergrübelte; auch aus der ihr
von dem Kayser und Livien geschehenden Be-
gegnung unschwer schlüssen konte: daß sie eine
deutsche Fürstin hoher Ankunfft seyn müste;
ward hier durch doch das wenigste seines Zweif-
fel-Knotens aufgelöset. Hingegen heuchelte
er zuweilen seiner Einbildung; wenn er sich
bedüncken ließ: daß diese Fürstin ihn mit einem
annehmlichern Anblicke/ als andere Anwesen-
den betheilt hätte. Alleine diese süsse Gedan-
cken verschwunden bald wieder als ein Traum;
wenn er entweder wahrnahm: daß die unver-
gleichliche Freundligkeit dieser Göttin nicht
anders/ als die wolthätige Sonne eben so wol
auff das geringste Graß/ als die höchsten Cedern
ihren Einfluß hatte; oder er bey Erwegung ih-
rer hervor leuchtenden Tugenden sich bescheide-
te: daß man auch die reineste Zuneigung eines
Frauen-Zimmers ihm nicht ohne gäntzliche

Verklei-

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] annehmlichen Augenblicks eingeaͤſchert ſehen
muſte. Welch Erkaͤntnuͤs ſeiner eingebuͤſten
Freyheit denn nach langem Kampffe ſeiner
Seele eine gantz andere Bewegung in ihm ge-
hahr; nehmlich ein Verlangen nach derſelben
Sonne/ die ſein Hertze mit ſo empfindlichem
Feuer angeſteckt hatte. Denn die Verliebten
ſind dißfalls anders nicht/ als die Motten ge-
arthet; welche ſich von der ſchoͤnen Flamme zie-
hen laſſen/ ob ſie ihnen gleich ſchon die Helffte
der Fluͤgel verſenget haben. Dem vierdten Tag
wagte ſich Fuͤrſt Herrmann wieder nach Hofe;
da er denn dieſen ſeinen Abgott ſeinem Beduͤn-
cken nach noch viel ſchoͤner/ als das erſte mahl/
an Liviens Taffel antraff; und gleichſam mit
ſeinen erſtarrenden Augen an ihrem himmli-
ſchen Antlitze kleben blieb; alſo faſt noch mehr/
als voꝛhin ſeine Schwachheit mercklich gemacht
haͤtte. Denn ob zwar ſonſt die Verwunderung
eine Gefaͤrthin der Neuigkeit iſt; und ſich durch
oͤfftere Gemeinſchafft nach und nach verlieret;
ſo iſt es doch viel anders mit der Liebe beſchaf-
fen; welche von Tag zu Tage waͤchſet; und
aus einem Funcken ein groſſer Brand/ aus ei-
nem Zwerge in weniger Zeit ein unuͤberwind-
licher Rieſe wird; weil ihre Scharffſinnigkeit
iedesmahl was neues erforſchet/ das einen
neuen Zunder der Zuneigung abgeben kan.
Die Begierde um dieſe Fuͤrſtin zu ſeyn wuchs
in weniger Zeit ſo ſehr: daß Fuͤrſt Herrmann
ſich uͤberredete: er wuͤrde nicht leben koͤnnen;
wenn er nicht taͤglich durch einen Anblick die-
ſer Goͤttin lebendig gemacht wuͤrde. Und wie
er anfangs glaubte: daß die Natur durch ſie ein
in der Welt noch nie geſehenes Muſter der
Vollkommenheit; oder eine Schoͤnheit/ welche
auch der alle irrdiſche Schrancken uͤberſteigen-
den Einbildung genung thun koͤnte/ ausgear-
beitet haͤtte; alſo gab er ihm nunmehr ſelbſt
nach: daß ſeine Liebe die Regungen aller
Menſchen uͤberſtiege. Als er hernach unter-
ſchiedene mahl ihrer annehmlichen Geſpraͤche
[Spaltenumbruch] bey Livien und anderm Frauen-Zimmer ge-
naß; welches wegen allzu uͤberirrdiſcher Schoͤn-
heit ſie zu beneiden fuͤr eine Beleidigung der
Goͤtter; ihrer Anweſenheit zu genuͤſſen fuͤr un-
gemeines Gluͤcke hielt; ward er offtmahls ſo
entkraͤfftet: daß er durch allerhand Vorwand
ſich derſelben entbrechen muſte; ohne welche er
nicht zu leben getraute; und wegen welcher er
mehrmahls zweiffelhafft war: Ob das Ver-
haͤngnuͤs ihn durch ſie beym Leben zu erhalten
oder zu toͤdten bemuͤht waͤre/ biß er nach und
nach lernte: daß die Verliebten gleichſam an
den Scheide-Weg des Lebens und Sterbens
verſetzt ſind; und diß/ was an ihnen lebet/ ſo
wenig ein rechtes Leben/ als diß/ was ſie toͤd-
tet/ ein wahrhaffter Tod ſey. Worbey ihm
diß nicht die geringſte Pein verurſachte: daß er
durch keine Sorgfalt zu erfahren vermochte:
wer die waͤre; die ſich ſo geſchwinde der Bot-
maͤßigkeit uͤber ſeine Seele angemaſt hatte. Deñ
ob er zwar bey denen; welche Satur nin mit
aus Deutſchland gebracht hatte; ſo viel/ wiewol
auch nur wegen ihrer ſelbſteigenen Unwiſſen-
heit/ muthmaßlich ergruͤbelte; auch aus der ihr
von dem Kayſer und Livien geſchehenden Be-
gegnung unſchwer ſchluͤſſen konte: daß ſie eine
deutſche Fuͤrſtin hoher Ankunfft ſeyn muͤſte;
ward hier durch doch das wenigſte ſeines Zweif-
fel-Knotens aufgeloͤſet. Hingegen heuchelte
er zuweilen ſeiner Einbildung; wenn er ſich
beduͤncken ließ: daß dieſe Fuͤrſtin ihn mit einem
annehmlichern Anblicke/ als andere Anweſen-
den betheilt haͤtte. Alleine dieſe ſuͤſſe Gedan-
cken verſchwunden bald wieder als ein Traum;
wenn er entweder wahrnahm: daß die unver-
gleichliche Freundligkeit dieſer Goͤttin nicht
anders/ als die wolthaͤtige Sonne eben ſo wol
auff das geringſte Graß/ als die hoͤchſten Cedern
ihren Einfluß hatte; oder er bey Erwegung ih-
rer hervor leuchtenden Tugenden ſich beſcheide-
te: daß man auch die reineſte Zuneigung eines
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[1236[1238]/1302] Achtes Buch annehmlichen Augenblicks eingeaͤſchert ſehen muſte. Welch Erkaͤntnuͤs ſeiner eingebuͤſten Freyheit denn nach langem Kampffe ſeiner Seele eine gantz andere Bewegung in ihm ge- hahr; nehmlich ein Verlangen nach derſelben Sonne/ die ſein Hertze mit ſo empfindlichem Feuer angeſteckt hatte. Denn die Verliebten ſind dißfalls anders nicht/ als die Motten ge- arthet; welche ſich von der ſchoͤnen Flamme zie- hen laſſen/ ob ſie ihnen gleich ſchon die Helffte der Fluͤgel verſenget haben. Dem vierdten Tag wagte ſich Fuͤrſt Herrmann wieder nach Hofe; da er denn dieſen ſeinen Abgott ſeinem Beduͤn- cken nach noch viel ſchoͤner/ als das erſte mahl/ an Liviens Taffel antraff; und gleichſam mit ſeinen erſtarrenden Augen an ihrem himmli- ſchen Antlitze kleben blieb; alſo faſt noch mehr/ als voꝛhin ſeine Schwachheit mercklich gemacht haͤtte. Denn ob zwar ſonſt die Verwunderung eine Gefaͤrthin der Neuigkeit iſt; und ſich durch oͤfftere Gemeinſchafft nach und nach verlieret; ſo iſt es doch viel anders mit der Liebe beſchaf- fen; welche von Tag zu Tage waͤchſet; und aus einem Funcken ein groſſer Brand/ aus ei- nem Zwerge in weniger Zeit ein unuͤberwind- licher Rieſe wird; weil ihre Scharffſinnigkeit iedesmahl was neues erforſchet/ das einen neuen Zunder der Zuneigung abgeben kan. Die Begierde um dieſe Fuͤrſtin zu ſeyn wuchs in weniger Zeit ſo ſehr: daß Fuͤrſt Herrmann ſich uͤberredete: er wuͤrde nicht leben koͤnnen; wenn er nicht taͤglich durch einen Anblick die- ſer Goͤttin lebendig gemacht wuͤrde. Und wie er anfangs glaubte: daß die Natur durch ſie ein in der Welt noch nie geſehenes Muſter der Vollkommenheit; oder eine Schoͤnheit/ welche auch der alle irrdiſche Schrancken uͤberſteigen- den Einbildung genung thun koͤnte/ ausgear- beitet haͤtte; alſo gab er ihm nunmehr ſelbſt nach: daß ſeine Liebe die Regungen aller Menſchen uͤberſtiege. Als er hernach unter- ſchiedene mahl ihrer annehmlichen Geſpraͤche bey Livien und anderm Frauen-Zimmer ge- naß; welches wegen allzu uͤberirrdiſcher Schoͤn- heit ſie zu beneiden fuͤr eine Beleidigung der Goͤtter; ihrer Anweſenheit zu genuͤſſen fuͤr un- gemeines Gluͤcke hielt; ward er offtmahls ſo entkraͤfftet: daß er durch allerhand Vorwand ſich derſelben entbrechen muſte; ohne welche er nicht zu leben getraute; und wegen welcher er mehrmahls zweiffelhafft war: Ob das Ver- haͤngnuͤs ihn durch ſie beym Leben zu erhalten oder zu toͤdten bemuͤht waͤre/ biß er nach und nach lernte: daß die Verliebten gleichſam an den Scheide-Weg des Lebens und Sterbens verſetzt ſind; und diß/ was an ihnen lebet/ ſo wenig ein rechtes Leben/ als diß/ was ſie toͤd- tet/ ein wahrhaffter Tod ſey. Worbey ihm diß nicht die geringſte Pein verurſachte: daß er durch keine Sorgfalt zu erfahren vermochte: wer die waͤre; die ſich ſo geſchwinde der Bot- maͤßigkeit uͤber ſeine Seele angemaſt hatte. Deñ ob er zwar bey denen; welche Satur nin mit aus Deutſchland gebracht hatte; ſo viel/ wiewol auch nur wegen ihrer ſelbſteigenen Unwiſſen- heit/ muthmaßlich ergruͤbelte; auch aus der ihr von dem Kayſer und Livien geſchehenden Be- gegnung unſchwer ſchluͤſſen konte: daß ſie eine deutſche Fuͤrſtin hoher Ankunfft ſeyn muͤſte; ward hier durch doch das wenigſte ſeines Zweif- fel-Knotens aufgeloͤſet. Hingegen heuchelte er zuweilen ſeiner Einbildung; wenn er ſich beduͤncken ließ: daß dieſe Fuͤrſtin ihn mit einem annehmlichern Anblicke/ als andere Anweſen- den betheilt haͤtte. Alleine dieſe ſuͤſſe Gedan- cken verſchwunden bald wieder als ein Traum; wenn er entweder wahrnahm: daß die unver- gleichliche Freundligkeit dieſer Goͤttin nicht anders/ als die wolthaͤtige Sonne eben ſo wol auff das geringſte Graß/ als die hoͤchſten Cedern ihren Einfluß hatte; oder er bey Erwegung ih- rer hervor leuchtenden Tugenden ſich beſcheide- te: daß man auch die reineſte Zuneigung eines Frauen-Zimmers ihm nicht ohne gaͤntzliche Verklei-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1236[1238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1302>, abgerufen am 23.11.2024.