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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Versäumung einigen Augenblicks ihre gehei-
me Schreiben ins Feuer werffen/ oder sonst
aus dem Wege räumen. Er wolte inzwischen
in selbiger Einöde ihres Befehles erwarten.
Terentia eilte zwar ins Vorwerg; wie sie aber
bey dem mittelsten Spring-Brunnen die Mar-
mel-Stuffen hinauf stieg/ begegnete ihr der auf
der andern Stiege gegen über empor steigende
freygelassene Euceladus mit noch sechs Unter-
gebenen; welcher Angesichts mit dem Mece-
nas auffs Kaysers Besehl reden wolte. Teren-
tia nahm sich eines freudigen Gesichts an/ mit
Vertröstung: daß sie ihn beym Mecenas gleich
anmelden wolte. Weil ihr nun diese Auffseher
so geschwinde auff den Hals kommen waren:
daß sie unmöglich alle geheime Schreiben zu-
sammen lesen und verber gen konte; sie auch bey
ihrem Ehmanne ihr keinen fremden Ankläger
wolte zuvor kommen lassen; weil doch des laster-
hafftesten Menschen eigenes Bekäntnüß gleich-
sam allen andern das Maul stopfft; so gieng sie
in des Mecenas Zimmer/ schloß selbtes hinter
ihr zu; und fiel bey seinem Bette für ihm auf die
Erde nieder/ redete ihn hier auff mit starrenden
Augen also an: Mecenas/ ich habe mich leider!
genug befleckt; und dich zu sehr beleidiget! Mei-
ne Geilheit ist Ursache: daß das uhralte Königli-
che Geschlechte der Hetrurischen Lucumoner
mit dir erleschen muß. Meine Eigensinnigkeit
hat dich gezwungen/ fast täglich eine neue Ehbe-
redung mit mir auffzurichten. Meine unzeiti-
ge Bruder-Liebe gegen den aufrührischen Mu-
rena hat deinen Ruhm bey dem Kayser ver ge-
ringert; Mein Vorwitz aus dem anfänglichen
Wesen deines Ansehens einen blossen Schat-
ten/ meine Uppigkeit dich zum Gelächter des
Pöfels gemacht. Nach dem ich aber mit mei-
ner Unsauberkeit die unver gleichliche Tugend
des Fürsten Herrmanns zu besudeln mich gelü-
sten lassen; habe ich die Götter so sehr beleidigt:
daß sie alle meine Anschläge haben zu Rauche/
mein Gewissen zum Hencker; den geneigten
[Spaltenumbruch] Kayser zu meinem Tod-Feinde werden lassen.
Weil ich nun mit nichts anderm meine Seele
reinigen; deine Beleidigung vergnügen/ Au-
gusten versöhnen/ und Herrmanns Unschuld
ein Zeugnüs ablegen kan; als durch Verspri-
tzung dieses schuldigen Blutes; so vergnüget euch
alle mit dem/ was zwar ein Behältnüs der ed-
len Seele/ aber der verzweiffelten geringstes
Wasser und eine verdrüßliche Uberlast ist;
Gleichwol aber derogestalt zuweilen so nützlich
angewehret wird: daß ihrer viel/ denen man
im Leben selbtes nicht gegönnet hat/ nach dem
Tode zu leben verlangt worden. Uber diesen
letzten Worten stach sie ihr den versteckten Dolch
biß ans Hefft in die Brust; und weil Mecenas
herzu sprang/ ihr auch den Dolch heraus zoh;
war er von ihrem Blute derogestalt bespritzet:
daß/ als er die Thüre öffnete/ Euceladus sich
hierüber entsetzte/ und ihn selbst auff den Tod
für verwundet hielt. Mecenas aber erkennte
für grosser Gemüths-Verwirrung diesen Frey-
gelassenen nicht einmahl; sondern rieff allein:
daß iederman der sterbenden Terentia zu Hülffe
kommen solte. Das Gemach ward zwar voll
Volckes/ aber Terentia hatte ihren Geist schon
ausgeblasen. Worüber denn unter denen Frey-
gelassenen und Mägden ein solches Heulen
und Wehklagen entstand: daß es dem versteck-
ten Proculus zu Ohren kam; und verursachte:
daß er sich ohne Nachdencken des ihm daraus
erwachsenden Verdachts in das Vorwerg und
in das Zimmer/ wo Terentia todt lag/ verfügte.
Als dieser den Euceladus bey der Leichen stehen
sahe/ und von ihm seiner Einbildung nach (weil
ein böses Gewissen den Schuldigen auch aus
einem Schatten einen Ankläger macht/) scharff
angesehen ward/ bildete er ihm nicht anders ein;
als daß Terentia von des Euceladus Hand er-
mordet; und dieser ihn in Hafft zu nehmen gesin-
net wäre. Daher er grieff er den blutigen Dolch/
und schnitt ihm damitin einem Augenblicke zu
aller Anwesenden Verwunderung die Gurgel

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Verſaͤumung einigen Augenblicks ihre gehei-
me Schreiben ins Feuer werffen/ oder ſonſt
aus dem Wege raͤumen. Er wolte inzwiſchen
in ſelbiger Einoͤde ihres Befehles erwarten.
Terentia eilte zwar ins Vorwerg; wie ſie aber
bey dem mittelſten Spring-Brunnen die Mar-
mel-Stuffen hinauf ſtieg/ begegnete ihr der auf
der andern Stiege gegen uͤber empor ſteigende
freygelaſſene Euceladus mit noch ſechs Unter-
gebenen; welcher Angeſichts mit dem Mece-
nas auffs Kayſers Beſehl reden wolte. Teren-
tia nahm ſich eines freudigen Geſichts an/ mit
Vertroͤſtung: daß ſie ihn beym Mecenas gleich
anmelden wolte. Weil ihr nun dieſe Auffſeher
ſo geſchwinde auff den Hals kommen waren:
daß ſie unmoͤglich alle geheime Schreiben zu-
ſammen leſen und verber gen konte; ſie auch bey
ihrem Ehmanne ihr keinen fremden Anklaͤger
wolte zuvor kommen laſſen; weil doch des laſter-
haffteſten Menſchen eigenes Bekaͤntnuͤß gleich-
ſam allen andern das Maul ſtopfft; ſo gieng ſie
in des Mecenas Zimmer/ ſchloß ſelbtes hinter
ihr zu; und fiel bey ſeinem Bette fuͤr ihm auf die
Erde nieder/ redete ihn hier auff mit ſtarrenden
Augen alſo an: Mecenas/ ich habe mich leider!
genug befleckt; und dich zu ſehr beleidiget! Mei-
ne Geilheit iſt Urſache: daß das uhralte Koͤnigli-
che Geſchlechte der Hetruriſchen Lucumoner
mit dir erleſchen muß. Meine Eigenſinnigkeit
hat dich gezwungen/ faſt taͤglich eine neue Ehbe-
redung mit mir auffzurichten. Meine unzeiti-
ge Bruder-Liebe gegen den aufruͤhriſchen Mu-
rena hat deinen Ruhm bey dem Kayſer ver ge-
ringert; Mein Vorwitz aus dem anfaͤnglichen
Weſen deines Anſehens einen bloſſen Schat-
ten/ meine Uppigkeit dich zum Gelaͤchter des
Poͤfels gemacht. Nach dem ich aber mit mei-
ner Unſauberkeit die unver gleichliche Tugend
des Fuͤrſten Herrmanns zu beſudeln mich geluͤ-
ſten laſſen; habe ich die Goͤtter ſo ſehr beleidigt:
daß ſie alle meine Anſchlaͤge haben zu Rauche/
mein Gewiſſen zum Hencker; den geneigten
[Spaltenumbruch] Kayſer zu meinem Tod-Feinde werden laſſen.
Weil ich nun mit nichts anderm meine Seele
reinigen; deine Beleidigung vergnuͤgen/ Au-
guſten verſoͤhnen/ und Herrmanns Unſchuld
ein Zeugnuͤs ablegen kan; als durch Verſpri-
tzung dieſes ſchuldigen Blutes; ſo veꝛgnuͤget euch
alle mit dem/ was zwar ein Behaͤltnuͤs der ed-
len Seele/ aber der verzweiffelten geringſtes
Waſſer und eine verdruͤßliche Uberlaſt iſt;
Gleichwol aber derogeſtalt zuweilen ſo nuͤtzlich
angewehret wird: daß ihrer viel/ denen man
im Leben ſelbtes nicht gegoͤnnet hat/ nach dem
Tode zu leben verlangt worden. Uber dieſen
letzten Worten ſtach ſie ihr den verſteckten Dolch
biß ans Hefft in die Bruſt; und weil Mecenas
herzu ſprang/ ihr auch den Dolch heraus zoh;
war er von ihrem Blute derogeſtalt beſpritzet:
daß/ als er die Thuͤre oͤffnete/ Euceladus ſich
hieruͤber entſetzte/ und ihn ſelbſt auff den Tod
fuͤr verwundet hielt. Mecenas aber erkennte
fuͤr groſſeꝛ Gemuͤths-Verwirrung dieſen Frey-
gelaſſenen nicht einmahl; ſondern rieff allein:
daß iederman der ſterbenden Terentia zu Huͤlffe
kommen ſolte. Das Gemach ward zwar voll
Volckes/ aber Terentia hatte ihren Geiſt ſchon
ausgeblaſen. Woruͤber denn unter denen Frey-
gelaſſenen und Maͤgden ein ſolches Heulen
und Wehklagen entſtand: daß es dem verſteck-
ten Proculus zu Ohren kam; und verurſachte:
daß er ſich ohne Nachdencken des ihm daraus
erwachſenden Verdachts in das Vorwerg und
in das Zimmer/ wo Terentia todt lag/ verfuͤgte.
Als dieſer den Euceladus bey der Leichen ſtehen
ſahe/ und von ihm ſeiner Einbildung nach (weil
ein boͤſes Gewiſſen den Schuldigen auch aus
einem Schatten einen Anklaͤger macht/) ſcharff
angeſehen ward/ bildete er ihm nicht anders ein;
als daß Terentia von des Euceladus Hand er-
mordet; und dieſer ihn in Hafft zu nehmen geſin-
net waͤre. Daher er grieff er den blutigen Dolch/
und ſchnitt ihm damitin einem Augenblicke zu
aller Anweſenden Verwunderung die Gurgel

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[1221[1223]/1287] Arminius und Thußnelda. Verſaͤumung einigen Augenblicks ihre gehei- me Schreiben ins Feuer werffen/ oder ſonſt aus dem Wege raͤumen. Er wolte inzwiſchen in ſelbiger Einoͤde ihres Befehles erwarten. Terentia eilte zwar ins Vorwerg; wie ſie aber bey dem mittelſten Spring-Brunnen die Mar- mel-Stuffen hinauf ſtieg/ begegnete ihr der auf der andern Stiege gegen uͤber empor ſteigende freygelaſſene Euceladus mit noch ſechs Unter- gebenen; welcher Angeſichts mit dem Mece- nas auffs Kayſers Beſehl reden wolte. Teren- tia nahm ſich eines freudigen Geſichts an/ mit Vertroͤſtung: daß ſie ihn beym Mecenas gleich anmelden wolte. Weil ihr nun dieſe Auffſeher ſo geſchwinde auff den Hals kommen waren: daß ſie unmoͤglich alle geheime Schreiben zu- ſammen leſen und verber gen konte; ſie auch bey ihrem Ehmanne ihr keinen fremden Anklaͤger wolte zuvor kommen laſſen; weil doch des laſter- haffteſten Menſchen eigenes Bekaͤntnuͤß gleich- ſam allen andern das Maul ſtopfft; ſo gieng ſie in des Mecenas Zimmer/ ſchloß ſelbtes hinter ihr zu; und fiel bey ſeinem Bette fuͤr ihm auf die Erde nieder/ redete ihn hier auff mit ſtarrenden Augen alſo an: Mecenas/ ich habe mich leider! genug befleckt; und dich zu ſehr beleidiget! Mei- ne Geilheit iſt Urſache: daß das uhralte Koͤnigli- che Geſchlechte der Hetruriſchen Lucumoner mit dir erleſchen muß. Meine Eigenſinnigkeit hat dich gezwungen/ faſt taͤglich eine neue Ehbe- redung mit mir auffzurichten. Meine unzeiti- ge Bruder-Liebe gegen den aufruͤhriſchen Mu- rena hat deinen Ruhm bey dem Kayſer ver ge- ringert; Mein Vorwitz aus dem anfaͤnglichen Weſen deines Anſehens einen bloſſen Schat- ten/ meine Uppigkeit dich zum Gelaͤchter des Poͤfels gemacht. Nach dem ich aber mit mei- ner Unſauberkeit die unver gleichliche Tugend des Fuͤrſten Herrmanns zu beſudeln mich geluͤ- ſten laſſen; habe ich die Goͤtter ſo ſehr beleidigt: daß ſie alle meine Anſchlaͤge haben zu Rauche/ mein Gewiſſen zum Hencker; den geneigten Kayſer zu meinem Tod-Feinde werden laſſen. Weil ich nun mit nichts anderm meine Seele reinigen; deine Beleidigung vergnuͤgen/ Au- guſten verſoͤhnen/ und Herrmanns Unſchuld ein Zeugnuͤs ablegen kan; als durch Verſpri- tzung dieſes ſchuldigen Blutes; ſo veꝛgnuͤget euch alle mit dem/ was zwar ein Behaͤltnuͤs der ed- len Seele/ aber der verzweiffelten geringſtes Waſſer und eine verdruͤßliche Uberlaſt iſt; Gleichwol aber derogeſtalt zuweilen ſo nuͤtzlich angewehret wird: daß ihrer viel/ denen man im Leben ſelbtes nicht gegoͤnnet hat/ nach dem Tode zu leben verlangt worden. Uber dieſen letzten Worten ſtach ſie ihr den verſteckten Dolch biß ans Hefft in die Bruſt; und weil Mecenas herzu ſprang/ ihr auch den Dolch heraus zoh; war er von ihrem Blute derogeſtalt beſpritzet: daß/ als er die Thuͤre oͤffnete/ Euceladus ſich hieruͤber entſetzte/ und ihn ſelbſt auff den Tod fuͤr verwundet hielt. Mecenas aber erkennte fuͤr groſſeꝛ Gemuͤths-Verwirrung dieſen Frey- gelaſſenen nicht einmahl; ſondern rieff allein: daß iederman der ſterbenden Terentia zu Huͤlffe kommen ſolte. Das Gemach ward zwar voll Volckes/ aber Terentia hatte ihren Geiſt ſchon ausgeblaſen. Woruͤber denn unter denen Frey- gelaſſenen und Maͤgden ein ſolches Heulen und Wehklagen entſtand: daß es dem verſteck- ten Proculus zu Ohren kam; und verurſachte: daß er ſich ohne Nachdencken des ihm daraus erwachſenden Verdachts in das Vorwerg und in das Zimmer/ wo Terentia todt lag/ verfuͤgte. Als dieſer den Euceladus bey der Leichen ſtehen ſahe/ und von ihm ſeiner Einbildung nach (weil ein boͤſes Gewiſſen den Schuldigen auch aus einem Schatten einen Anklaͤger macht/) ſcharff angeſehen ward/ bildete er ihm nicht anders ein; als daß Terentia von des Euceladus Hand er- mordet; und dieſer ihn in Hafft zu nehmen geſin- net waͤre. Daher er grieff er den blutigen Dolch/ und ſchnitt ihm damitin einem Augenblicke zu aller Anweſenden Verwunderung die Gurgel ab. P p p p p p p 3

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1221[1223]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1287>, abgerufen am 23.11.2024.