Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] grösser Glücke erleben könte; als wenn er dich
nunmehr auch könte sterben lehren. Jch konte
mich nicht enthalten/ fuhr Ariovist ferner fort/
diesen guten Alten auffs empfindlichste zu um-
armen; als welcher ein weiser Leiter meiner
Jugend gewest war/ und nicht nur die Griechi-
sche Sprache/ sondern alles diß/ was ich iemals
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.
Er hatte nicht nur unter den Celten den Grund
seiner Weißheit gelegt; sondern auch bey denen
Zamolxischen Priestern unter den Geten/ und
in Egypten selbte durch viel heilsame Lehren
befestigt. Wiewol diese Samothische Weisen
nun von allem Geitz und Ehrsucht entfernet
sind/ auch sich nur mit Haar bedecken/ und
von Baumfrüchten leben/ haben sie doch die A-
lemannischen Könige iederzeit an ihren Hoff zu
Aufferziehung ihrer Fürsten gezogen; wolwis-
sende: daß gantze Völcker zwar von einem Für-
sten können beherrscht; ein junger Fürst kaum
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden
aber besser/ als einem Weisen auffer zo gen wer-
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr
wissen/ sondern auch mehr gutes thun soll/ als
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit sa-
gen: daß ich diesem Lehrer mehr als Alexander
seinem verbunden/ iedoch in diesem mit ihm be-
schämt bin: daß keiner seiner Ehrsucht ein rech-
tes Maaß zu setzen gelernet hatte. Diesemnach
ich denn unter meinen bethränten Umhalsun-
gen diesen Weisen ersuchte mir seine vertröstete
Unter richtung zu der Zeit/ da ich für meinen
Jrrthümern mehr/ als in der unvorsichtigen
Kindheit und in der verwegenen Jugend
Sorge trüge/ nicht zu entziehen; welcher denn
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thrä-
nen anfieng: Die Kunst recht zu leben ist zwar
die gröste der Menschen/ wol zu herrschen der
Fürsten; selig zu sterben hat an sich etwas Gött-
liches; denn an dieser hänget unsere Ewigkeit.
Weßwegen unser Leben von der blinden Kind-
heit den Anfang/ und mit dem weisen Alter
[Spaltenumbruch] den Abschied nimmt; wor mit man allhier keinen
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichsam alle
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit
selbtes so viel vorsichtiger dem besorglichen Falle
zuvor komme. Zwar ist nicht ohne: daß die
Herrschens-Kunst in einem klugen Kopfe/ nicht
in jungen Riesen den Sitz habe. Mehrmahls
haben gantze Heere für zitternden Händen ge-
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das
Hertze von unziemenden Begierden/ das Haupt
von Unwissenheit erlediget/ der Verstand auch
ins gemein zunimmt/ wenn die eusserlichen Sin-
nen ins Abnehmen kommen/ siehet ein bejahr-
ter Fürst offt mit einem Blicke weiter; als die
scharffsichtigsten Jünglinge mit ihren eingebil-
deten Adlers-Augen. Jhre Rathschläge rich-
ten mehr aus als der hitzigen Jugend geschlif-
fene Spiesse. Gleichwol aber ist ins gemein
das Alter bey Fürsten eben so wol eine Kranck-
heit/ als beym Pöfel. Der Stab/ für welchem
gantze Länder gebebt haben/ ver wandelt sich in
eine Stütze ohnmächtiger Armen. So viel man
in der Jugend schwitzet/ so viel muß man im
Alter husten; jenes aber gebieret Zuneigung des
Volckes/ dieses Abscheu; also: daß auch die Ju-
gend mit ihren gefährlichen Annehmligkeiten
wie eine Sirene die Gemüther an sich zeucht/
das Alter aber mit seinen heilsamen Warnun-
gen als ein Gespenste die verwegenen schichtern;
und nach dem der bejahrten Eigenschafft ist alles
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit
des Menschen gleichet sich einem Qvelle/ wel-
cher zwischen dem unbefleckten Sande fast un-
empfindlich herfür rieselt/ und bey seiner Ein-
falt auch seine Reinigkeit behält; Die Jugend
wird schon eine rauschende Bach/ welche über
Stock und Stein abstürtzet/ von Gemüths-Re-
gungen schäumet/ und mit dem Kothe der Wol-
lust sich trübet; die männlichen Jahre gleichen
einem vollkommenen Flusse/ der zwar tieff/ aber
sittsam fortströmet/ das Erdreich wässert/

Schiffe

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] groͤſſer Gluͤcke erleben koͤnte; als wenn er dich
nunmehr auch koͤnte ſterben lehren. Jch konte
mich nicht enthalten/ fuhr Arioviſt ferner fort/
dieſen guten Alten auffs empfindlichſte zu um-
armen; als welcher ein weiſer Leiter meiner
Jugend geweſt war/ und nicht nur die Griechi-
ſche Sprache/ ſondern alles diß/ was ich iemals
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.
Er hatte nicht nur unteꝛ den Celten den Grund
ſeiner Weißheit gelegt; ſondern auch bey denen
Zamolxiſchen Prieſtern unter den Geten/ und
in Egypten ſelbte durch viel heilſame Lehren
befeſtigt. Wiewol dieſe Samothiſche Weiſen
nun von allem Geitz und Ehrſucht entfernet
ſind/ auch ſich nur mit Haar bedecken/ und
von Baumfruͤchten leben/ haben ſie doch die A-
lemanniſchen Koͤnige iederzeit an ihren Hoff zu
Aufferziehung ihrer Fuͤrſten gezogen; wolwiſ-
ſende: daß gantze Voͤlcker zwar von einem Fuͤr-
ſten koͤnnen beherrſcht; ein junger Fuͤrſt kaum
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden
aber beſſer/ als einem Weiſen auffer zo gen wer-
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr
wiſſen/ ſondern auch mehr gutes thun ſoll/ als
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit ſa-
gen: daß ich dieſem Lehrer mehr als Alexander
ſeinem verbunden/ iedoch in dieſem mit ihm be-
ſchaͤmt bin: daß keiner ſeiner Ehrſucht ein rech-
tes Maaß zu ſetzen gelernet hatte. Dieſemnach
ich denn unter meinen bethraͤnten Umhalſun-
gen dieſen Weiſen erſuchte mir ſeine vertroͤſtete
Unter richtung zu der Zeit/ da ich fuͤr meinen
Jrrthuͤmern mehr/ als in der unvorſichtigen
Kindheit und in der verwegenen Jugend
Sorge truͤge/ nicht zu entziehen; welcher denn
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thraͤ-
nen anfieng: Die Kunſt recht zu leben iſt zwar
die groͤſte der Menſchen/ wol zu herrſchen der
Fuͤrſten; ſelig zu ſterben hat an ſich etwas Goͤtt-
liches; denn an dieſer haͤnget unſere Ewigkeit.
Weßwegen unſer Leben von der blinden Kind-
heit den Anfang/ und mit dem weiſen Alter
[Spaltenumbruch] den Abſchied nimmt; wor mit man allhier keinen
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichſam alle
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit
ſelbtes ſo viel vorſichtiger dem beſorglichen Falle
zuvor komme. Zwar iſt nicht ohne: daß die
Herrſchens-Kunſt in einem klugen Kopfe/ nicht
in jungen Rieſen den Sitz habe. Mehrmahls
haben gantze Heere fuͤr zitternden Haͤnden ge-
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das
Hertze von unziemenden Begieꝛden/ das Haupt
von Unwiſſenheit erlediget/ der Verſtand auch
ins gemein zunim̃t/ wenn die euſſerlichen Sin-
nen ins Abnehmen kommen/ ſiehet ein bejahr-
ter Fuͤrſt offt mit einem Blicke weiter; als die
ſcharffſichtigſten Juͤnglinge mit ihren eingebil-
deten Adlers-Augen. Jhre Rathſchlaͤge rich-
ten mehr aus als der hitzigen Jugend geſchlif-
fene Spieſſe. Gleichwol aber iſt ins gemein
das Alter bey Fuͤrſten eben ſo wol eine Kranck-
heit/ als beym Poͤfel. Der Stab/ fuͤr welchem
gantze Laͤnder gebebt haben/ ver wandelt ſich in
eine Stuͤtze ohnmaͤchtiger Armen. So viel man
in der Jugend ſchwitzet/ ſo viel muß man im
Alter huſten; jenes aber gebieret Zuneigung des
Volckes/ dieſes Abſcheu; alſo: daß auch die Ju-
gend mit ihren gefaͤhrlichen Annehmligkeiten
wie eine Sirene die Gemuͤther an ſich zeucht/
das Alter aber mit ſeinen heilſamen Warnun-
gen als ein Geſpenſte die verwegenen ſchichtern;
und nach dem der bejahrten Eigenſchafft iſt alles
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit
des Menſchen gleichet ſich einem Qvelle/ wel-
cher zwiſchen dem unbefleckten Sande faſt un-
empfindlich herfuͤr rieſelt/ und bey ſeiner Ein-
falt auch ſeine Reinigkeit behaͤlt; Die Jugend
wird ſchon eine rauſchende Bach/ welche uͤber
Stock und Stein abſtuͤrtzet/ von Gemuͤths-Re-
gungen ſchaͤumet/ und mit dem Kothe der Wol-
luſt ſich truͤbet; die maͤnnlichen Jahre gleichen
einem vollkommenen Fluſſe/ der zwar tieff/ aber
ſittſam fortſtroͤmet/ das Erdreich waͤſſert/

Schiffe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1172" n="1108[1110]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebendes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Glu&#x0364;cke erleben ko&#x0364;nte; als wenn er dich<lb/>
nunmehr auch ko&#x0364;nte &#x017F;terben lehren. Jch konte<lb/>
mich nicht enthalten/ fuhr Ariovi&#x017F;t ferner fort/<lb/>
die&#x017F;en guten Alten auffs empfindlich&#x017F;te zu um-<lb/>
armen; als welcher ein wei&#x017F;er Leiter meiner<lb/>
Jugend gewe&#x017F;t war/ und nicht nur die Griechi-<lb/>
&#x017F;che Sprache/ &#x017F;ondern alles diß/ was ich iemals<lb/>
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.<lb/>
Er hatte nicht nur unte&#xA75B; den Celten den Grund<lb/>
&#x017F;einer Weißheit gelegt; &#x017F;ondern auch bey denen<lb/>
Zamolxi&#x017F;chen Prie&#x017F;tern unter den Geten/ und<lb/>
in Egypten &#x017F;elbte durch viel heil&#x017F;ame Lehren<lb/>
befe&#x017F;tigt. Wiewol die&#x017F;e Samothi&#x017F;che Wei&#x017F;en<lb/>
nun von allem Geitz und Ehr&#x017F;ucht entfernet<lb/>
&#x017F;ind/ auch &#x017F;ich nur mit Haar bedecken/ und<lb/>
von Baumfru&#x0364;chten leben/ haben &#x017F;ie doch die A-<lb/>
lemanni&#x017F;chen Ko&#x0364;nige iederzeit an ihren Hoff zu<lb/>
Aufferziehung ihrer Fu&#x0364;r&#x017F;ten gezogen; wolwi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ende: daß gantze Vo&#x0364;lcker zwar von einem Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ten ko&#x0364;nnen beherr&#x017F;cht; ein junger Fu&#x0364;r&#x017F;t kaum<lb/>
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden<lb/>
aber be&#x017F;&#x017F;er/ als einem Wei&#x017F;en auffer zo gen wer-<lb/>
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en/ &#x017F;ondern auch mehr gutes thun &#x017F;oll/ als<lb/>
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit &#x017F;a-<lb/>
gen: daß ich die&#x017F;em Lehrer mehr als Alexander<lb/>
&#x017F;einem verbunden/ iedoch in die&#x017F;em mit ihm be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mt bin: daß keiner &#x017F;einer Ehr&#x017F;ucht ein rech-<lb/>
tes Maaß zu &#x017F;etzen gelernet hatte. Die&#x017F;emnach<lb/>
ich denn unter meinen bethra&#x0364;nten Umhal&#x017F;un-<lb/>
gen die&#x017F;en Wei&#x017F;en er&#x017F;uchte mir &#x017F;eine vertro&#x0364;&#x017F;tete<lb/>
Unter richtung zu der Zeit/ da ich fu&#x0364;r meinen<lb/>
Jrrthu&#x0364;mern mehr/ als in der unvor&#x017F;ichtigen<lb/>
Kindheit und in der verwegenen Jugend<lb/>
Sorge tru&#x0364;ge/ nicht zu entziehen; welcher denn<lb/>
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thra&#x0364;-<lb/>
nen anfieng: Die Kun&#x017F;t recht zu leben i&#x017F;t zwar<lb/>
die gro&#x0364;&#x017F;te der Men&#x017F;chen/ wol zu herr&#x017F;chen der<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten; &#x017F;elig zu &#x017F;terben hat an &#x017F;ich etwas Go&#x0364;tt-<lb/>
liches; denn an die&#x017F;er ha&#x0364;nget un&#x017F;ere Ewigkeit.<lb/>
Weßwegen un&#x017F;er Leben von der blinden Kind-<lb/>
heit den Anfang/ und mit dem wei&#x017F;en Alter<lb/><cb/>
den Ab&#x017F;chied nimmt; wor mit man allhier keinen<lb/>
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleich&#x017F;am alle<lb/>
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit<lb/>
&#x017F;elbtes &#x017F;o viel vor&#x017F;ichtiger dem be&#x017F;orglichen Falle<lb/>
zuvor komme. Zwar i&#x017F;t nicht ohne: daß die<lb/>
Herr&#x017F;chens-Kun&#x017F;t in einem klugen Kopfe/ nicht<lb/>
in jungen Rie&#x017F;en den Sitz habe. Mehrmahls<lb/>
haben gantze Heere fu&#x0364;r zitternden Ha&#x0364;nden ge-<lb/>
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das<lb/>
Hertze von unziemenden Begie&#xA75B;den/ das Haupt<lb/>
von Unwi&#x017F;&#x017F;enheit erlediget/ der Ver&#x017F;tand auch<lb/>
ins gemein zunim&#x0303;t/ wenn die eu&#x017F;&#x017F;erlichen Sin-<lb/>
nen ins Abnehmen kommen/ &#x017F;iehet ein bejahr-<lb/>
ter Fu&#x0364;r&#x017F;t offt mit einem Blicke weiter; als die<lb/>
&#x017F;charff&#x017F;ichtig&#x017F;ten Ju&#x0364;nglinge mit ihren eingebil-<lb/>
deten Adlers-Augen. Jhre Rath&#x017F;chla&#x0364;ge rich-<lb/>
ten mehr aus als der hitzigen Jugend ge&#x017F;chlif-<lb/>
fene Spie&#x017F;&#x017F;e. Gleichwol aber i&#x017F;t ins gemein<lb/>
das Alter bey Fu&#x0364;r&#x017F;ten eben &#x017F;o wol eine Kranck-<lb/>
heit/ als beym Po&#x0364;fel. Der Stab/ fu&#x0364;r welchem<lb/>
gantze La&#x0364;nder gebebt haben/ ver wandelt &#x017F;ich in<lb/>
eine Stu&#x0364;tze ohnma&#x0364;chtiger Armen. So viel man<lb/>
in der Jugend &#x017F;chwitzet/ &#x017F;o viel muß man im<lb/>
Alter hu&#x017F;ten; jenes aber gebieret Zuneigung des<lb/>
Volckes/ die&#x017F;es Ab&#x017F;cheu; al&#x017F;o: daß auch die Ju-<lb/>
gend mit ihren gefa&#x0364;hrlichen Annehmligkeiten<lb/>
wie eine Sirene die Gemu&#x0364;ther an &#x017F;ich zeucht/<lb/>
das Alter aber mit &#x017F;einen heil&#x017F;amen Warnun-<lb/>
gen als ein Ge&#x017F;pen&#x017F;te die verwegenen &#x017F;chichtern;<lb/>
und nach dem der bejahrten Eigen&#x017F;chafft i&#x017F;t alles<lb/>
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/<lb/>
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit<lb/>
des Men&#x017F;chen gleichet &#x017F;ich einem Qvelle/ wel-<lb/>
cher zwi&#x017F;chen dem unbefleckten Sande fa&#x017F;t un-<lb/>
empfindlich herfu&#x0364;r rie&#x017F;elt/ und bey &#x017F;einer Ein-<lb/>
falt auch &#x017F;eine Reinigkeit beha&#x0364;lt; Die Jugend<lb/>
wird &#x017F;chon eine rau&#x017F;chende Bach/ welche u&#x0364;ber<lb/>
Stock und Stein ab&#x017F;tu&#x0364;rtzet/ von Gemu&#x0364;ths-Re-<lb/>
gungen &#x017F;cha&#x0364;umet/ und mit dem Kothe der Wol-<lb/>
lu&#x017F;t &#x017F;ich tru&#x0364;bet; die ma&#x0364;nnlichen Jahre gleichen<lb/>
einem vollkommenen Flu&#x017F;&#x017F;e/ der zwar tieff/ aber<lb/>
&#x017F;itt&#x017F;am fort&#x017F;tro&#x0364;met/ das Erdreich wa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schiffe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1108[1110]/1172] Siebendes Buch groͤſſer Gluͤcke erleben koͤnte; als wenn er dich nunmehr auch koͤnte ſterben lehren. Jch konte mich nicht enthalten/ fuhr Arioviſt ferner fort/ dieſen guten Alten auffs empfindlichſte zu um- armen; als welcher ein weiſer Leiter meiner Jugend geweſt war/ und nicht nur die Griechi- ſche Sprache/ ſondern alles diß/ was ich iemals tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte. Er hatte nicht nur unteꝛ den Celten den Grund ſeiner Weißheit gelegt; ſondern auch bey denen Zamolxiſchen Prieſtern unter den Geten/ und in Egypten ſelbte durch viel heilſame Lehren befeſtigt. Wiewol dieſe Samothiſche Weiſen nun von allem Geitz und Ehrſucht entfernet ſind/ auch ſich nur mit Haar bedecken/ und von Baumfruͤchten leben/ haben ſie doch die A- lemanniſchen Koͤnige iederzeit an ihren Hoff zu Aufferziehung ihrer Fuͤrſten gezogen; wolwiſ- ſende: daß gantze Voͤlcker zwar von einem Fuͤr- ſten koͤnnen beherrſcht; ein junger Fuͤrſt kaum von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden aber beſſer/ als einem Weiſen auffer zo gen wer- den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr wiſſen/ ſondern auch mehr gutes thun ſoll/ als alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit ſa- gen: daß ich dieſem Lehrer mehr als Alexander ſeinem verbunden/ iedoch in dieſem mit ihm be- ſchaͤmt bin: daß keiner ſeiner Ehrſucht ein rech- tes Maaß zu ſetzen gelernet hatte. Dieſemnach ich denn unter meinen bethraͤnten Umhalſun- gen dieſen Weiſen erſuchte mir ſeine vertroͤſtete Unter richtung zu der Zeit/ da ich fuͤr meinen Jrrthuͤmern mehr/ als in der unvorſichtigen Kindheit und in der verwegenen Jugend Sorge truͤge/ nicht zu entziehen; welcher denn nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thraͤ- nen anfieng: Die Kunſt recht zu leben iſt zwar die groͤſte der Menſchen/ wol zu herrſchen der Fuͤrſten; ſelig zu ſterben hat an ſich etwas Goͤtt- liches; denn an dieſer haͤnget unſere Ewigkeit. Weßwegen unſer Leben von der blinden Kind- heit den Anfang/ und mit dem weiſen Alter den Abſchied nimmt; wor mit man allhier keinen Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichſam alle Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit ſelbtes ſo viel vorſichtiger dem beſorglichen Falle zuvor komme. Zwar iſt nicht ohne: daß die Herrſchens-Kunſt in einem klugen Kopfe/ nicht in jungen Rieſen den Sitz habe. Mehrmahls haben gantze Heere fuͤr zitternden Haͤnden ge- zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das Hertze von unziemenden Begieꝛden/ das Haupt von Unwiſſenheit erlediget/ der Verſtand auch ins gemein zunim̃t/ wenn die euſſerlichen Sin- nen ins Abnehmen kommen/ ſiehet ein bejahr- ter Fuͤrſt offt mit einem Blicke weiter; als die ſcharffſichtigſten Juͤnglinge mit ihren eingebil- deten Adlers-Augen. Jhre Rathſchlaͤge rich- ten mehr aus als der hitzigen Jugend geſchlif- fene Spieſſe. Gleichwol aber iſt ins gemein das Alter bey Fuͤrſten eben ſo wol eine Kranck- heit/ als beym Poͤfel. Der Stab/ fuͤr welchem gantze Laͤnder gebebt haben/ ver wandelt ſich in eine Stuͤtze ohnmaͤchtiger Armen. So viel man in der Jugend ſchwitzet/ ſo viel muß man im Alter huſten; jenes aber gebieret Zuneigung des Volckes/ dieſes Abſcheu; alſo: daß auch die Ju- gend mit ihren gefaͤhrlichen Annehmligkeiten wie eine Sirene die Gemuͤther an ſich zeucht/ das Alter aber mit ſeinen heilſamen Warnun- gen als ein Geſpenſte die verwegenen ſchichtern; und nach dem der bejahrten Eigenſchafft iſt alles zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/ die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit des Menſchen gleichet ſich einem Qvelle/ wel- cher zwiſchen dem unbefleckten Sande faſt un- empfindlich herfuͤr rieſelt/ und bey ſeiner Ein- falt auch ſeine Reinigkeit behaͤlt; Die Jugend wird ſchon eine rauſchende Bach/ welche uͤber Stock und Stein abſtuͤrtzet/ von Gemuͤths-Re- gungen ſchaͤumet/ und mit dem Kothe der Wol- luſt ſich truͤbet; die maͤnnlichen Jahre gleichen einem vollkommenen Fluſſe/ der zwar tieff/ aber ſittſam fortſtroͤmet/ das Erdreich waͤſſert/ Schiffe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1172
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1108[1110]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1172>, abgerufen am 23.11.2024.