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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Sonne so wol Ohren als Augen hätte; würde
sie mehrmahls in ihrer eyffrigen Renn[e]bahn
den Lauff hemmen/ und dem auf dem Miste
dieser Welt winselnden Elende der Menschen
Gehöre geben/ vielmahl auch auf ihre teuffeli-
sche Boßheit an statt der fruchtbaren Stralen
Hagel und Blitz ausschütten müssen. Jhr ver-
dammten Halb-Menschen/ die ihr unter Eng-
lischen Gesichtern gifftige Scorpionen-
Schwäntze und rasende Panther-Klauen ver-
decket; die ihr vom Himmel deßwegen die
Waffen der Vernunfft überkommen zu haben
vermeinet: daß ihr sie zu anderer Betrug und
Blutstürtzung gebrauchen köntet; gleich als wenn
euch die Natur zu Priestern des Todes gezeu-
get hätte! Wisset ihr nicht: daß die Welt ein
angefüllter Kercker von Missethätern sey/ wel-
che das Verhängnüß noch für ihrer Geburt
durch ein unwiederrufliches Gesetze zum Tode
verdammt hat; in dem ieder alle Augenblicke
die Ausübung des Urthels und die Art seiner
Hinrichtung zitternde erwarten muß? Jst euch
verborgen: daß die Zeit selbst der Scherge oder
der Todten-Gräber ist/ der euch auf dem vom
Verhängnüße ausgesteckten Wege über Hals
über Kopff zum Grabe fortschleppet; und daß
sie zwar zum Merckmahl/ wie geschwinde unser
Leben verrauchet/ eine Sand-Uhr in der ei-
nen; eine Sichel aber in der andern Hand trä-
get/ welche uns unfehlbar abmeyet/ ehe wir es
uns versehen; weil wir schon in der Wiege reiff
zum Tode sind. Aber lasset mich durch meine
Trägheit nicht auch in verdammliche Grau-
samkeit verfallen. Hiermit machte der Alte dem
noch sprachlosen Marbod die Kleider auf/ be-
sahe seine Wunden/ wusch sie aus/ holete Kräu-
ter/ zerquetschte sie zwischen zwey Steinen/ und
verband sie darmit. Nichts anders verfuhr er
mit dem Ritter Lichtenstein und Tannenberg.
Um den Mittag brachte er ihnen zur Mahl-
zeit allerhand Wurtzeln/ und in einem ausge-
hölten Steine ein annehmliches Wasser/ wel-
[Spaltenumbruch] ches er nahe darbey aus einem Sauerbrunnen
geschöpfft hatte; den lechsenden Marbod aber
erquickte er mit Himpel- und andern annehm-
lichen Beeren; welche in Menge und unge-
wöhnlicher Grösse auf diesem Gebürge wuch-
sen. Seinen Bären schickte er auf die Jagt
aus/ welcher täglich etwas von Wildpret ein-
brachte; so der gute Einsiedler nach der ersten
Welt Einfalt zurichtete; übrigens aber seine
Gäste derogestalt unterhielt: daß sie ihn für ih-
ren Artzt/ ihren Verpfleger/ ihren Lehrer/ ja
für ihren Vater rühmen musten. Tannenberg
und Lichtenstein geneseten in drey/ Marbod a-
ber zu aller höchster Verwunderung in acht Ta-
gen von ihren gefährlichsten Wunden. Wor-
auf der Einsiedler allererst nach ihrem Zustan-
de/ und wie sie in diß Unglück verfallen wä-
ren/ fragte; weil er es anfangs zu thun deßwe-
gen anstand: daß ein Mensch nach dem Bey-
spiele der Sonnen/ welche über Wolffs-Milch
und Weitzen/ so wol über die sie verfluchende
Mohren als die sie anbetenden Persen ihre
Strahlen ausschüttet/ ohne einigen Unter-
scheid Bösen und Guten wolthun solle. Mar-
bod/ welcher gleichwol nicht trauen wolte/ wer
er wäre/ zu entdecken; berichtete ihn: Sie wären
Marckmännische Edelleute/ welche in Beglei-
tung ihres Königes von denen Bojen verrä-
therisch wären überfallen/ und also zugerichtet
worden. Sehet ihrs nun/ sagte der Einsiedler:
daß die Boßheit mit demselben Messer verwun-
det werde/ welches sie vorher auf andere Hälse
geschliffen hat. Marbod und ihr habt euch dieses
Uberfalls halber weder zu verwundern noch zu
beschweren. Denn habt ihrs den Bojen nicht
vorhin ärger mitgespielet? Perill brennet nicht
unbillich im glüenden Ochsen; den er vorher
andern zur Pein ersonnen hatte. Wer aber sein
Thun nach der Wagschale der Gerechtigkeit
abwiegt/ hat sich für ihrem Schwerdte nicht zu
fürchten. Unsere ungezähmte Begierden stür-
tzen uns nur von den Steinklüfften solcher ent-

setzlichen

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Sonne ſo wol Ohren als Augen haͤtte; wuͤrde
ſie mehrmahls in ihrer eyffrigen Renn[e]bahn
den Lauff hemmen/ und dem auf dem Miſte
dieſer Welt winſelnden Elende der Menſchen
Gehoͤre geben/ vielmahl auch auf ihre teuffeli-
ſche Boßheit an ſtatt der fruchtbaren Stralen
Hagel und Blitz ausſchuͤtten muͤſſen. Jhr ver-
dammten Halb-Menſchen/ die ihr unter Eng-
liſchen Geſichtern gifftige Scorpionen-
Schwaͤntze und raſende Panther-Klauen ver-
decket; die ihr vom Himmel deßwegen die
Waffen der Vernunfft uͤberkommen zu haben
vermeinet: daß ihr ſie zu anderer Betrug und
Blutſtuͤrtzung gebrauchen koͤntet; gleich als weñ
euch die Natur zu Prieſtern des Todes gezeu-
get haͤtte! Wiſſet ihr nicht: daß die Welt ein
angefuͤllter Kercker von Miſſethaͤtern ſey/ wel-
che das Verhaͤngnuͤß noch fuͤr ihrer Geburt
durch ein unwiederrufliches Geſetze zum Tode
verdammt hat; in dem ieder alle Augenblicke
die Ausuͤbung des Urthels und die Art ſeiner
Hinrichtung zitternde erwarten muß? Jſt euch
verborgen: daß die Zeit ſelbſt der Scherge oder
der Todten-Graͤber iſt/ der euch auf dem vom
Verhaͤngnuͤße ausgeſteckten Wege uͤber Hals
uͤber Kopff zum Grabe fortſchleppet; und daß
ſie zwar zum Merckmahl/ wie geſchwinde unſer
Leben verrauchet/ eine Sand-Uhr in der ei-
nen; eine Sichel aber in der andern Hand traͤ-
get/ welche uns unfehlbar abmeyet/ ehe wir es
uns verſehen; weil wir ſchon in der Wiege reiff
zum Tode ſind. Aber laſſet mich durch meine
Traͤgheit nicht auch in verdammliche Grau-
ſamkeit verfallen. Hiermit machte der Alte dem
noch ſprachloſen Marbod die Kleider auf/ be-
ſahe ſeine Wunden/ wuſch ſie aus/ holete Kraͤu-
ter/ zerquetſchte ſie zwiſchen zwey Steinen/ und
verband ſie darmit. Nichts anders verfuhr er
mit dem Ritter Lichtenſtein und Tannenberg.
Um den Mittag brachte er ihnen zur Mahl-
zeit allerhand Wurtzeln/ und in einem ausge-
hoͤlten Steine ein annehmliches Waſſer/ wel-
[Spaltenumbruch] ches er nahe darbey aus einem Sauerbrunnen
geſchoͤpfft hatte; den lechſenden Marbod aber
erquickte er mit Himpel- und andern annehm-
lichen Beeren; welche in Menge und unge-
woͤhnlicher Groͤſſe auf dieſem Gebuͤrge wuch-
ſen. Seinen Baͤren ſchickte er auf die Jagt
aus/ welcher taͤglich etwas von Wildpret ein-
brachte; ſo der gute Einſiedler nach der erſten
Welt Einfalt zurichtete; uͤbrigens aber ſeine
Gaͤſte derogeſtalt unterhielt: daß ſie ihn fuͤr ih-
ren Artzt/ ihren Verpfleger/ ihren Lehrer/ ja
fuͤr ihren Vater ruͤhmen muſten. Tannenberg
und Lichtenſtein geneſeten in drey/ Marbod a-
ber zu aller hoͤchſter Verwunderung in acht Ta-
gen von ihren gefaͤhrlichſten Wunden. Wor-
auf der Einſiedler allererſt nach ihrem Zuſtan-
de/ und wie ſie in diß Ungluͤck verfallen waͤ-
ren/ fragte; weil er es anfangs zu thun deßwe-
gen anſtand: daß ein Menſch nach dem Bey-
ſpiele der Sonnen/ welche uͤber Wolffs-Milch
und Weitzen/ ſo wol uͤber die ſie verfluchende
Mohren als die ſie anbetenden Perſen ihre
Strahlen ausſchuͤttet/ ohne einigen Unter-
ſcheid Boͤſen und Guten wolthun ſolle. Mar-
bod/ welcher gleichwol nicht trauen wolte/ wer
er waͤre/ zu entdecken; berichtete ihn: Sie waͤren
Marckmaͤnniſche Edelleute/ welche in Beglei-
tung ihres Koͤniges von denen Bojen verraͤ-
theriſch waͤren uͤberfallen/ und alſo zugerichtet
worden. Sehet ihrs nun/ ſagte der Einſiedler:
daß die Boßheit mit demſelben Meſſer verwun-
det werde/ welches ſie vorher auf andere Haͤlſe
geſchliffen hat. Marbod und ihr habt euch dieſes
Uberfalls halber weder zu verwundern noch zu
beſchweren. Denn habt ihrs den Bojen nicht
vorhin aͤrger mitgeſpielet? Perill brennet nicht
unbillich im gluͤenden Ochſen; den er vorher
andern zur Pein erſonnen hatte. Wer aber ſein
Thun nach der Wagſchale der Gerechtigkeit
abwiegt/ hat ſich fuͤr ihrem Schwerdte nicht zu
fuͤrchten. Unſere ungezaͤhmte Begierden ſtuͤr-
tzen uns nur von den Steinkluͤfften ſolcher ent-

ſetzlichen
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1095[1097]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1159>, abgerufen am 23.11.2024.