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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Erstes Buch
[Spaltenumbruch] Und hiermit musten sie zwar schimpfflich abzie-
hen; solche Ehrenkränckungen aber schrieben
sie mit unausleschlichen Buchstaben in das
Buch unvergeßlicher Rachgier. Diese Her-
megildis nun erblickte unter den Gefangenen
ungefehr den Titus Labienus/ wegen seiner
Stachel-Reden ins gemein Rabienus genennt/
dessen Schrifften auch vermöge eines ausdrück-
lichen Rathschlusses offentlich zu Rom verbrennt
wurden. Dieser hatte sich deßwegen zwar in
seiner Ahnen Begräbniß lebendig einschliessen
lassen/ ward aber vom Kayser daselbst weg und
aus Rom geschafft/ kam also zum Varus und
gab im Läger den vornehmsten Sach-Redner
ab/ hatte auch in oberwehnten Rechts-Händeln
so wohl den Munatius als Antistius spöttisch
und anzügerlich vertheidigt. So bald fiel selb-
ter der Hermegildis nicht ins Gesichte/ als ihr
Hextze Gifft und Galle zu kochen/ die Augen a-
ber Grimm und Feuer auszulassen anfingen.
Hiermit wechselte sie ihn gegen drey andere
Gefangene aus/ um mit seinem Blute so wohl
ihren Zorn abzukühlen/ als ihrer besudelten
Tochter Flecken abzuwaschen. Der übermäßi-
ge Eyfer ließ sie wenig Worte machen; dahero
ergriff sie den in Fessel geschlossenen Labienus/
schnitt ihm eigenhändig das Glied/ welches sie
empfindlich verletzt hatte/ nehmlich die Zunge
aus dem Maule/ und nachdem sie selbte grim-
miger/ als es die erbitterte Fulvia der Zunge
des beredten Cicero mitspielte/ mit Pfrümen
zerfleischt hatte/ reckte sie selbte mit diesen Wor-
ten empor: zische mich mehr an/ du gifftige Nat-
ter. Ja sie nehete ihm gar die erblassenden Lip-
pen zusammen/ gleich als wenn sie seine Entse-
lung noch nicht versicherte/ daß auch sein
todtes Schmach-Maul die Zähne auff sie nicht
mehr blecken würde. Dieses Beyspiel verhetz-
te viel andere Deutschen gegen die Sach-Red-
ner. Einer beschwerte sich/ daß dieser ihm sein
Erbgut abgerechtet hette/ unter dem Vorwand/
daß in den eroberten Landschafften aller liegen-
[Spaltenumbruch] den Gründe Eigenthum dem Käyser verfallen
wäre; Ein ander klagte: daß jener eine unred-
liche Handlung/ durch welche er um ein gros-
ses Theil seines Vermögens betrogen worden/
als gültig verfochten hätte/ weil die Römischen
Rechte die Verfortheilungen/ biß zur Helffte des
wahren Preißes/ zuläßlich erkennten; der drit-
te schmähete einen andern/ der seines Anver-
wandten letzten Willen wegen Mangel einer
spitzfindigen Zierligkeit umgestossen/ und die
Erbschafft dem Land-Vogte verfallen zu seyn
ausgeführet hätte. Mehr andere verfluchten
die von ihnen selbst kostbar gebrauchten An-
walde/ welche ihnen ihr letztes Marck ausgeso-
gen/ gleichwohl aber die Geheimnüsse ihrer an-
vertrauten Sache dem Gegentheile zu verra-
then sich hatten erkauffen lassen/ und viel ver-
zweiffelte Trauerfälle verursacht. Dahero
kühlte ieder Beleidigter an den Sachrednern
seinen Muth/ und wurden einem Theile die
Augen ausgestochen/ einem andern die Hände/
vielen die Zungen und Lippen abgeschnitten/ al-
so/ daß/ so viel ihrer nur ausgeforscht wurden/
keiner die Erbarmung seines Uberwinders zu
erbitten vermochte/ und der gantze grosse Wald/
wodurch sich das Heer gegen Deutschburg zurü-
cke zoh/ nachdem der Feldherr das Römische Lä-
ger zu schleiffen ein Theil zurück gelassen hatte/
allenthalben blutige Gedächtniße grimmiger
Uberwinder behielt. Denn ob wohl einige der
Meinung waren/ daß die Deutschen dieses so
starck befestigte Läger zu ihrer Sicherheit wider
die Römer in solchen Stande lassen und besetzen
solten/ widerrieth es doch der Feldherr/ mel-
dende: der Deutschen Brüste wären ihre feste-
ste Mauren/ die von Steinen erbaueten Wäl-
le aber nur Zuchthäuser und Fessel der Dienst-
barkeit. Zu dem verlernten auch wilde Thiere
ihre Hertzhafftigkeit/ wenn sie eingesperretwür-
den.

Folgenden Morgen kam der Feldherr mit
den andern Häuptern auff die erste Wallstatt/

und

Erſtes Buch
[Spaltenumbruch] Und hiermit muſten ſie zwar ſchimpfflich abzie-
hen; ſolche Ehrenkraͤnckungen aber ſchrieben
ſie mit unausleſchlichen Buchſtaben in das
Buch unvergeßlicher Rachgier. Dieſe Her-
megildis nun erblickte unter den Gefangenen
ungefehr den Titus Labienus/ wegen ſeiner
Stachel-Reden ins gemein Rabienus genennt/
deſſen Schrifften auch vermoͤge eines ausdruͤck-
lichen Rathſchluſſes offentlich zu Rom verbrennt
wurden. Dieſer hatte ſich deßwegen zwar in
ſeiner Ahnen Begraͤbniß lebendig einſchlieſſen
laſſen/ ward aber vom Kayſer daſelbſt weg und
aus Rom geſchafft/ kam alſo zum Varus und
gab im Laͤger den vornehmſten Sach-Redner
ab/ hatte auch in oberwehnten Rechts-Haͤndeln
ſo wohl den Munatius als Antiſtius ſpoͤttiſch
und anzuͤgerlich vertheidigt. So bald fiel ſelb-
ter der Hermegildis nicht ins Geſichte/ als ihr
Hextze Gifft und Galle zu kochen/ die Augen a-
ber Grimm und Feuer auszulaſſen anfingen.
Hiermit wechſelte ſie ihn gegen drey andere
Gefangene aus/ um mit ſeinem Blute ſo wohl
ihren Zorn abzukuͤhlen/ als ihrer beſudelten
Tochter Flecken abzuwaſchen. Der uͤbermaͤßi-
ge Eyfer ließ ſie wenig Worte machen; dahero
ergriff ſie den in Feſſel geſchloſſenen Labienus/
ſchnitt ihm eigenhaͤndig das Glied/ welches ſie
empfindlich verletzt hatte/ nehmlich die Zunge
aus dem Maule/ und nachdem ſie ſelbte grim-
miger/ als es die erbitterte Fulvia der Zunge
des beredten Cicero mitſpielte/ mit Pfruͤmen
zerfleiſcht hatte/ reckte ſie ſelbte mit dieſen Wor-
ten empor: ziſche mich mehr an/ du gifftige Nat-
ter. Ja ſie nehete ihm gar die erblaſſenden Lip-
pen zuſammen/ gleich als wenn ſie ſeine Entſe-
lung noch nicht verſicherte/ daß auch ſein
todtes Schmach-Maul die Zaͤhne auff ſie nicht
mehr blecken wuͤrde. Dieſes Beyſpiel verhetz-
te viel andere Deutſchen gegen die Sach-Red-
ner. Einer beſchwerte ſich/ daß dieſer ihm ſein
Erbgut abgerechtet hette/ unter dem Vorwand/
daß in den eroberten Landſchafften aller liegen-
[Spaltenumbruch] den Gruͤnde Eigenthum dem Kaͤyſer verfallen
waͤre; Ein ander klagte: daß jener eine unred-
liche Handlung/ durch welche er um ein groſ-
ſes Theil ſeines Vermoͤgens betrogen worden/
als guͤltig verfochten haͤtte/ weil die Roͤmiſchen
Rechte die Verfortheilungen/ biß zur Helffte des
wahren Preißes/ zulaͤßlich erkennten; der drit-
te ſchmaͤhete einen andern/ der ſeines Anver-
wandten letzten Willen wegen Mangel einer
ſpitzfindigen Zierligkeit umgeſtoſſen/ und die
Erbſchafft dem Land-Vogte verfallen zu ſeyn
ausgefuͤhret haͤtte. Mehr andere verfluchten
die von ihnen ſelbſt koſtbar gebrauchten An-
walde/ welche ihnen ihr letztes Marck ausgeſo-
gen/ gleichwohl aber die Geheimnuͤſſe ihrer an-
vertrauten Sache dem Gegentheile zu verra-
then ſich hatten erkauffen laſſen/ und viel ver-
zweiffelte Trauerfaͤlle verurſacht. Dahero
kuͤhlte ieder Beleidigter an den Sachrednern
ſeinen Muth/ und wurden einem Theile die
Augen ausgeſtochen/ einem andern die Haͤnde/
vielen die Zungen und Lippen abgeſchnitten/ al-
ſo/ daß/ ſo viel ihrer nur ausgeforſcht wurden/
keiner die Erbarmung ſeines Uberwinders zu
erbitten vermochte/ und der gantze groſſe Wald/
wodurch ſich das Heer gegen Deutſchburg zuruͤ-
cke zoh/ nachdem der Feldherr das Roͤmiſche Laͤ-
ger zu ſchleiffen ein Theil zuruͤck gelaſſen hatte/
allenthalben blutige Gedaͤchtniße grimmiger
Uberwinder behielt. Denn ob wohl einige der
Meinung waren/ daß die Deutſchen dieſes ſo
ſtarck befeſtigte Laͤger zu ihrer Sicherheit wider
die Roͤmer in ſolchen Stande laſſen und beſetzen
ſolten/ widerrieth es doch der Feldherr/ mel-
dende: der Deutſchen Bruͤſte waͤren ihre feſte-
ſte Mauren/ die von Steinen erbaueten Waͤl-
le aber nur Zuchthaͤuſer und Feſſel der Dienſt-
barkeit. Zu dem verlernten auch wilde Thiere
ihre Hertzhafftigkeit/ wenn ſie eingeſperretwuͤr-
den.

Folgenden Morgen kam der Feldherr mit
den andern Haͤuptern auff die erſte Wallſtatt/

und
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/110>, abgerufen am 23.11.2024.