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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] die Deutschen abermahls so harte: daß ihrer
zweytausend ins Graß bissen; verfolgten sie biß
unter den Wall und an die Pforten des Galli-
schen Lägers; schnitten selbtem auch durch täg-
liches Streiffen alle Zufuhr ab; also daß Ver-
cingetorich gezwungen ward unterm Comius
alle Reiterey des Nachts zu Einholung mehrer
Hülffe von sich zu lassen/ sich aber mit allem
Fußvolcke in Alesia einzuschliessen. Die Gal-
lier kamen mit ihren eusersten Kräften über
zweymal hundert tausend Mann starck zwar
unter dem Comius/ Viriomar/ Vergasilan ih-
ren obersten Kriegs-Häuptern der in euserste
Hungers-Noth von Cäsarn gebrachten Festung
Alesia zum Entsatz/ und verschantzten sich nur
fünffhundert Schritte vom Römischen Läger.
Gleich wol aber war es keine Mögligkeit durch
zu brechen. Jnzwischen nam der Hunger/
welchen allein die sonst alles zernichtende Zeit
vergrössert/ in Alesia so sehr überhand: daß de-
nen meisten Kriegs-Leuten schon davon die
Schenckel zerschwalen/ und daher der darinnen
befindliche Critognat/ ein Fürst der Arverner/
alle alte und zum Kriege untüchtige Leute zu der
streitbaren Speise abzuthun unmenschlicher
Weise einrieth. Rhemetalces fiel ein: Es wä-
re freylich wol mehr als viehisch zur Wollust
Menschen-Fleisch verspeisen; weil wenig auch
der grimmigsten Thiere auf ihr eigen Geschlech-
te wüteten. Dahingegen unter den Scythen
und etlichen andern Völckern so abscheuliche
Leute gefunden würden/ welche Menschen-
Fleisch zu feilem Kauffe auslegten/ und auf ihre
Gast-Maale die Gefangenen mästeten. Wie-
wol auch diese noch gegen dem Pollio zu Rom
für heilige Leute zu achten wären/ der seine Mu-
renen in Hältern mit Menschen-Fleisch mä-
stete/ und in des Keysers Augustus Anwesenheit
seinen ein Glaß zerbrechenden Leibeigenen zu
ihrer Speise zerstücken hieß. Alleine die eu-
serste Noth ist das oberste Gesetze/ welchem al-
le andere Satzungen der Völcker ja der Natur
[Spaltenumbruch] unterworffen sind; welchem die Menschen nur
blinden Gehorsam leisten müssen/ ja die Götter
es selbst nicht versehren können. Diesemnach in
der eussersten Hungers-Noth Menschen zu
schlachten und zu essen für keine unmenschliche
Grausamkeit mit Rechte gescholten werden kön-
te. Denn GOtt ließe alles zu/ was nöthig/
und das Recht/ was unvermeidlich wäre; nach
der einem Priester des Hercules von der Pythia
eröfneten Wahrsagung. Die erwähnte Noth
hiebe alles andere Recht auf/ sie benehme an-
dern ihr Eigenthum/ und erlaubte fremdes Gut
beym Ungewitter ins Meer zu werffen/ beym
Brande des Nachbars Hauß einzureißen/ ja sie
rechtfertigte den Diebstal; die Götter vertrü-
gen den Kirchen-Raub/ und die Entweihung
ihrer Heiligthümer. Daher gantz Grichen-
land der Stadt Athen wider die Thebaner recht
gab/ die sie schmäheten/ weil sie das heilige Was-
ser in dem Delphischen Tempel zu ihrer Noth-
durft/ ja so gar zum Handwasser verbraucht
hatten. Denn wenn die Götter iemanden ei-
ne Nothwendigkeit auf bürden; bezeuget der/
welcher sich ihr ohne Wiederspenstigkeit unter-
wirfft: daß er mit den Göttern nicht Krieg füh-
ren/ noch durch gezwungenes Thun von der
Bahn eines Weisen absetzen wolle; welcher
zuweilen der Zeit/ allemal der Noth aus dem
Wege tritt/ und mit dem willig zu frieden ist/
worzu sie ihn doch zwingen würde. Die/ wel-
che das Loos/ oder eine vernünftige Wahl zur
Speise anderer bestimmet/ haben sich auch so
viel weniger über Unrecht zu beklagen; weil der
Hunger sie ohne diß schmertzhafter aufreiben
würde; und die wenigere Gesellschaft im Ster-
ben den Tod ihnen nicht schwerer macht/ ihre
zeitlichere Abschlachtung aber vielen andern das
Leben; ja das Vaterland im Stande erhält.
Da es nun nicht allein zuläßlich/ sondern rühm-
lich ist diesen zu Liebe sein Blut in Schlachten
verspritzen/ dem Codrus mit Fleiß in die feindli-
chen Spiße zu rennen/ dem Themistocles durch

getrun-

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] die Deutſchen abermahls ſo harte: daß ihrer
zweytauſend ins Graß biſſen; verfolgten ſie biß
unter den Wall und an die Pforten des Galli-
ſchen Laͤgers; ſchnitten ſelbtem auch durch taͤg-
liches Streiffen alle Zufuhr ab; alſo daß Ver-
cingetorich gezwungen ward unterm Comius
alle Reiterey des Nachts zu Einholung mehrer
Huͤlffe von ſich zu laſſen/ ſich aber mit allem
Fußvolcke in Aleſia einzuſchlieſſen. Die Gal-
lier kamen mit ihren euſerſten Kraͤften uͤber
zweymal hundert tauſend Mann ſtarck zwar
unter dem Comius/ Viriomar/ Vergaſilan ih-
ren oberſten Kriegs-Haͤuptern der in euſerſte
Hungers-Noth von Caͤſarn gebrachten Feſtung
Aleſia zum Entſatz/ und verſchantzten ſich nur
fuͤnffhundert Schritte vom Roͤmiſchen Laͤger.
Gleich wol aber war es keine Moͤgligkeit durch
zu brechen. Jnzwiſchen nam der Hunger/
welchen allein die ſonſt alles zernichtende Zeit
vergroͤſſert/ in Aleſia ſo ſehr uͤberhand: daß de-
nen meiſten Kriegs-Leuten ſchon davon die
Schenckel zerſchwalen/ und daher der darinnen
befindliche Critognat/ ein Fuͤrſt der Arverner/
alle alte und zum Kriege untuͤchtige Leute zu der
ſtreitbaren Speiſe abzuthun unmenſchlicher
Weiſe einrieth. Rhemetalces fiel ein: Es waͤ-
re freylich wol mehr als viehiſch zur Wolluſt
Menſchen-Fleiſch verſpeiſen; weil wenig auch
der grimmigſten Thiere auf ihr eigen Geſchlech-
te wuͤteten. Dahingegen unter den Scythen
und etlichen andern Voͤlckern ſo abſcheuliche
Leute gefunden wuͤrden/ welche Menſchen-
Fleiſch zu feilem Kauffe auslegten/ und auf ihre
Gaſt-Maale die Gefangenen maͤſteten. Wie-
wol auch dieſe noch gegen dem Pollio zu Rom
fuͤr heilige Leute zu achten waͤren/ der ſeine Mu-
renen in Haͤltern mit Menſchen-Fleiſch maͤ-
ſtete/ und in des Keyſers Auguſtus Anweſenheit
ſeinen ein Glaß zerbrechenden Leibeigenen zu
ihrer Speiſe zerſtuͤcken hieß. Alleine die eu-
ſerſte Noth iſt das oberſte Geſetze/ welchem al-
le andere Satzungen der Voͤlcker ja der Natur
[Spaltenumbruch] unterworffen ſind; welchem die Menſchen nur
blinden Gehorſam leiſten muͤſſen/ ja die Goͤtter
es ſelbſt nicht verſehren koͤnnen. Dieſemnach in
der euſſerſten Hungers-Noth Menſchen zu
ſchlachten und zu eſſen fuͤr keine unmenſchliche
Grauſamkeit mit Rechte geſcholten werden koͤn-
te. Denn GOtt ließe alles zu/ was noͤthig/
und das Recht/ was unvermeidlich waͤre; nach
der einem Prieſter des Hercules von der Pythia
eroͤfneten Wahrſagung. Die erwaͤhnte Noth
hiebe alles andere Recht auf/ ſie benehme an-
dern ihr Eigenthum/ und erlaubte fremdes Gut
beym Ungewitter ins Meer zu werffen/ beym
Brande des Nachbars Hauß einzureißen/ ja ſie
rechtfertigte den Diebſtal; die Goͤtter vertruͤ-
gen den Kirchen-Raub/ und die Entweihung
ihrer Heiligthuͤmer. Daher gantz Grichen-
land der Stadt Athen wider die Thebaner recht
gab/ die ſie ſchmaͤheten/ weil ſie das heilige Waſ-
ſer in dem Delphiſchen Tempel zu ihrer Noth-
durft/ ja ſo gar zum Handwaſſer verbraucht
hatten. Denn wenn die Goͤtter iemanden ei-
ne Nothwendigkeit auf buͤrden; bezeuget der/
welcher ſich ihr ohne Wiederſpenſtigkeit unter-
wirfft: daß er mit den Goͤttern nicht Krieg fuͤh-
ren/ noch durch gezwungenes Thun von der
Bahn eines Weiſen abſetzen wolle; welcher
zuweilen der Zeit/ allemal der Noth aus dem
Wege tritt/ und mit dem willig zu frieden iſt/
worzu ſie ihn doch zwingen wuͤrde. Die/ wel-
che das Loos/ oder eine vernuͤnftige Wahl zur
Speiſe anderer beſtimmet/ haben ſich auch ſo
viel weniger uͤber Unrecht zu beklagen; weil der
Hunger ſie ohne diß ſchmertzhafter aufreiben
wuͤrde; und die wenigere Geſellſchaft im Ster-
ben den Tod ihnen nicht ſchwerer macht/ ihre
zeitlichere Abſchlachtung aber vielen andern das
Leben; ja das Vaterland im Stande erhaͤlt.
Da es nun nicht allein zulaͤßlich/ ſondern ruͤhm-
lich iſt dieſen zu Liebe ſein Blut in Schlachten
verſpritzen/ dem Codrus mit Fleiß in die feindli-
chen Spiße zu rennen/ dem Themiſtocles durch

getrun-
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1032[1034]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1096>, abgerufen am 23.11.2024.