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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] gung verweisen: was derselben Jungfrau/ die
ein Kind säuget/ und in beyden Händen eine
Weitzen-Aehre hält/ bedeute? oder auch nach-
sinnen heissen: was die Sonne in der gestirnten
Jungfrau würcke. Jhre Lehren schreiben sie
in keine Bücher/ ungeachtet sie fremder Spra-
che gute Wissenschafft haben; weil sie Rinde und
Leder zum Behältnüße ihrer Weißheit allzu
unwürdig achten; oder vielmehr ihre Geheim-
nüße mehr zu verbergen. Dahero muß ihre
Jungend alle in tunckele und zweydeutige Rey-
me verfaste Lehren auswendig lernen/ und täg-
lich ihr Gedächtnüß üben. Darinnen stecken
die Eigenschafft des göttlichen Wesens/ die Be-
deutungen der Opffer/ die Beschwerungen der
Geister/ die Wahrsagungen aus dem Fluge des
Geflügels/ aus dem Falle und Eingeweiden
der geschlachteten Menschen; welche sie mit
grossen Beilen Creutz-weise über die Rippen o-
der die Brust schlagen/ der Lauff des Gestirnes/
die Beschreibung der Erd-Kugel/ die Unsterb-
ligkeit und Wanderschafft der menschlichen
Seelen/ wiewol nicht in viehische/ sondern nur
menschliche Leiber. Welche letztere Heimlig-
keit sie allein dem gemeinen Manne nicht ver-
schweigen/ um durch die Versicherung: daß die
Seele nicht mit dem Leibe verschwinde/ sie zur
Tapfferkeit aufzufrischen. Weßwegen sie auch
denen Sterbenden offtmahls Geld einhändi-
gen/ um selbtes der abgelebten Seelen zu über-
bringen. Sie beten zwar nur einen GOtt an;
und bilden selbten weder in Holtz/ Stein noch
Ertzt/ sie wiedmen aber ihm gewisse Bäume/
die keine Axt berühren/ in ihre heilige Heynen
auch niemand ungebunden kommen/ kein fal-
lender wieder aufstehen darff/ sondern er muß
sich mit gantzem Leibe heraus weltzen. Sie mei-
nen: daß auf solche heiligen Bäume kein Vogel
sitzen/ selbte kein Wind zerbrechen/ kein Blitz
zerschmettern könne; sie auch des Nachts ohne
einige wesentliche Flamme einen Schein von
sich geben. Zu gewisser Zeit ziehen sie an einem
[Spaltenumbruch] schönen Baume die ausgebreiteten Aeste an den
Stamm/ und binden sie an den Wipffel/ schrei-
ben unten den Nahmen Gottes/ in einem Ast
aber des Tharamis/ in den andern des Belen
ein/ um in der göttlichen Einigkeit doch einen
nähern Begrieff tieffsinnig zu entwerffen. Uber
diß verehren sie die abgelebten Seelen/ welche
entweder ein heiliges Leben geführet/ oder dem
Vaterlande grossen Nutzen geschafft haben.
Nebst denen Menschen-Opffern/ aus derer
Eingeweiden/ Adern und Blute sie wahrsagen;
wiewol sie zuweilen auch die Menschen nicht
schlachten/ sondern nur biß auffs Blut peitschen/
schlachten sie zwey unter einen Eich-Baum an-
gebundene weiße Stiere; auf welchem ein weiß-
gekleideter Priester selbte mit einem güldenen
Beile abhaut; Derer getrunckenes Blut so
denn wieder alle Unfruchtbarkeit und Gifft
helffen soll. Jm Beten legen sie die rechte Hand
auf den Mund/ und drehen sich rings herum.
GOtt opffern sie bey aufgehender Sonne; der
Todten Gedächtnüß feyern sie/ wenn sie zu
Golde geht. Sie fangen allezeit von der Nacht
anzurechnen; also: daß die Tage ein Anhang
der Finsternüß sind; weil sie aller Menschen
Uhrsprung von dem Gotte der Erden und
Nacht herrechnen; oder auch die Nacht ehe als
der Tag gewest ist. Sie eignen den frommen
Seelen/ wenn sie unterschiedene Leiber durch-
wandert/ eine ewige Ergetzligkeit/ den boßhaff-
ten theils eine zeitliche Abbüßung/ theils eine
ewige Pein zu. Jhrer Uhrheber Gesetze hal-
ten sie zwar für eine Richtschnure ihres Gottes-
dienstes; Sie schätzen aber die Auslegung ihres
Oberhaupts für unfehlbar und jenem gleich;
ohne dessen Vorbitte die Götter niemanden er-
höreten; weil ihm die Schlüssel des Himmels
und der Höllen anvertrauet wären. Sie ver-
werffen die Vielheit der Götter/ und die E-
wigkeit der Welt; als welche von GOtt aus
nichts in sieben Tagen/ wie der Mensch aus der
Erde erschaffen sey. Jedoch setzen sie zwischen

GOtt
G g g g g g 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] gung verweiſen: was derſelben Jungfrau/ die
ein Kind ſaͤuget/ und in beyden Haͤnden eine
Weitzen-Aehre haͤlt/ bedeute? oder auch nach-
ſinnen heiſſen: was die Sonne in der geſtirnten
Jungfrau wuͤrcke. Jhre Lehren ſchreiben ſie
in keine Buͤcher/ ungeachtet ſie fremder Spra-
che gute Wiſſenſchafft haben; weil ſie Rinde und
Leder zum Behaͤltnuͤße ihrer Weißheit allzu
unwuͤrdig achten; oder vielmehr ihre Geheim-
nuͤße mehr zu verbergen. Dahero muß ihre
Jungend alle in tunckele und zweydeutige Rey-
me verfaſte Lehren auswendig lernen/ und taͤg-
lich ihr Gedaͤchtnuͤß uͤben. Darinnen ſtecken
die Eigenſchafft des goͤttlichen Weſens/ die Be-
deutungen der Opffer/ die Beſchwerungen der
Geiſter/ die Wahrſagungen aus dem Fluge des
Gefluͤgels/ aus dem Falle und Eingeweiden
der geſchlachteten Menſchen; welche ſie mit
groſſen Beilen Creutz-weiſe uͤber die Rippen o-
der die Bruſt ſchlagen/ der Lauff des Geſtirnes/
die Beſchreibung der Erd-Kugel/ die Unſterb-
ligkeit und Wanderſchafft der menſchlichen
Seelen/ wiewol nicht in viehiſche/ ſondern nur
menſchliche Leiber. Welche letztere Heimlig-
keit ſie allein dem gemeinen Manne nicht ver-
ſchweigen/ um durch die Verſicherung: daß die
Seele nicht mit dem Leibe verſchwinde/ ſie zur
Tapfferkeit aufzufriſchen. Weßwegen ſie auch
denen Sterbenden offtmahls Geld einhaͤndi-
gen/ um ſelbtes der abgelebten Seelen zu uͤber-
bringen. Sie beten zwar nur einen GOtt an;
und bilden ſelbten weder in Holtz/ Stein noch
Ertzt/ ſie wiedmen aber ihm gewiſſe Baͤume/
die keine Axt beruͤhren/ in ihre heilige Heynen
auch niemand ungebunden kommen/ kein fal-
lender wieder aufſtehen darff/ ſondern er muß
ſich mit gantzem Leibe heraus weltzen. Sie mei-
nen: daß auf ſolche heiligen Baͤume kein Vogel
ſitzen/ ſelbte kein Wind zerbrechen/ kein Blitz
zerſchmettern koͤnne; ſie auch des Nachts ohne
einige weſentliche Flamme einen Schein von
ſich geben. Zu gewiſſer Zeit ziehen ſie an einem
[Spaltenumbruch] ſchoͤnen Baume die ausgebreiteten Aeſte an den
Stamm/ und binden ſie an den Wipffel/ ſchrei-
ben unten den Nahmen Gottes/ in einem Aſt
aber des Tharamis/ in den andern des Belen
ein/ um in der goͤttlichen Einigkeit doch einen
naͤhern Begrieff tieffſinnig zu entwerffen. Uber
diß verehren ſie die abgelebten Seelen/ welche
entweder ein heiliges Leben gefuͤhret/ oder dem
Vaterlande groſſen Nutzen geſchafft haben.
Nebſt denen Menſchen-Opffern/ aus derer
Eingeweiden/ Adern und Blute ſie wahrſagen;
wiewol ſie zuweilen auch die Menſchen nicht
ſchlachten/ ſondern nur biß auffs Blut peitſchen/
ſchlachten ſie zwey unter einen Eich-Baum an-
gebundene weiße Stiere; auf welchem ein weiß-
gekleideter Prieſter ſelbte mit einem guͤldenen
Beile abhaut; Derer getrunckenes Blut ſo
denn wieder alle Unfruchtbarkeit und Gifft
helffen ſoll. Jm Beten legen ſie die rechte Hand
auf den Mund/ und drehen ſich rings herum.
GOtt opffern ſie bey aufgehender Sonne; der
Todten Gedaͤchtnuͤß feyern ſie/ wenn ſie zu
Golde geht. Sie fangen allezeit von der Nacht
anzurechnen; alſo: daß die Tage ein Anhang
der Finſternuͤß ſind; weil ſie aller Menſchen
Uhrſprung von dem Gotte der Erden und
Nacht herrechnen; oder auch die Nacht ehe als
der Tag geweſt iſt. Sie eignen den frommen
Seelen/ wenn ſie unterſchiedene Leiber durch-
wandert/ eine ewige Ergetzligkeit/ den boßhaff-
ten theils eine zeitliche Abbuͤßung/ theils eine
ewige Pein zu. Jhrer Uhrheber Geſetze hal-
ten ſie zwar fuͤr eine Richtſchnure ihres Gottes-
dienſtes; Sie ſchaͤtzen aber die Auslegung ihres
Oberhaupts fuͤr unfehlbar und jenem gleich;
ohne deſſen Vorbitte die Goͤtter niemanden er-
hoͤreten; weil ihm die Schluͤſſel des Himmels
und der Hoͤllen anvertrauet waͤꝛen. Sie ver-
werffen die Vielheit der Goͤtter/ und die E-
wigkeit der Welt; als welche von GOtt aus
nichts in ſieben Tagen/ wie der Menſch aus der
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[973[975]/1037] Arminius und Thußnelda. gung verweiſen: was derſelben Jungfrau/ die ein Kind ſaͤuget/ und in beyden Haͤnden eine Weitzen-Aehre haͤlt/ bedeute? oder auch nach- ſinnen heiſſen: was die Sonne in der geſtirnten Jungfrau wuͤrcke. Jhre Lehren ſchreiben ſie in keine Buͤcher/ ungeachtet ſie fremder Spra- che gute Wiſſenſchafft haben; weil ſie Rinde und Leder zum Behaͤltnuͤße ihrer Weißheit allzu unwuͤrdig achten; oder vielmehr ihre Geheim- nuͤße mehr zu verbergen. Dahero muß ihre Jungend alle in tunckele und zweydeutige Rey- me verfaſte Lehren auswendig lernen/ und taͤg- lich ihr Gedaͤchtnuͤß uͤben. Darinnen ſtecken die Eigenſchafft des goͤttlichen Weſens/ die Be- deutungen der Opffer/ die Beſchwerungen der Geiſter/ die Wahrſagungen aus dem Fluge des Gefluͤgels/ aus dem Falle und Eingeweiden der geſchlachteten Menſchen; welche ſie mit groſſen Beilen Creutz-weiſe uͤber die Rippen o- der die Bruſt ſchlagen/ der Lauff des Geſtirnes/ die Beſchreibung der Erd-Kugel/ die Unſterb- ligkeit und Wanderſchafft der menſchlichen Seelen/ wiewol nicht in viehiſche/ ſondern nur menſchliche Leiber. Welche letztere Heimlig- keit ſie allein dem gemeinen Manne nicht ver- ſchweigen/ um durch die Verſicherung: daß die Seele nicht mit dem Leibe verſchwinde/ ſie zur Tapfferkeit aufzufriſchen. Weßwegen ſie auch denen Sterbenden offtmahls Geld einhaͤndi- gen/ um ſelbtes der abgelebten Seelen zu uͤber- bringen. Sie beten zwar nur einen GOtt an; und bilden ſelbten weder in Holtz/ Stein noch Ertzt/ ſie wiedmen aber ihm gewiſſe Baͤume/ die keine Axt beruͤhren/ in ihre heilige Heynen auch niemand ungebunden kommen/ kein fal- lender wieder aufſtehen darff/ ſondern er muß ſich mit gantzem Leibe heraus weltzen. Sie mei- nen: daß auf ſolche heiligen Baͤume kein Vogel ſitzen/ ſelbte kein Wind zerbrechen/ kein Blitz zerſchmettern koͤnne; ſie auch des Nachts ohne einige weſentliche Flamme einen Schein von ſich geben. Zu gewiſſer Zeit ziehen ſie an einem ſchoͤnen Baume die ausgebreiteten Aeſte an den Stamm/ und binden ſie an den Wipffel/ ſchrei- ben unten den Nahmen Gottes/ in einem Aſt aber des Tharamis/ in den andern des Belen ein/ um in der goͤttlichen Einigkeit doch einen naͤhern Begrieff tieffſinnig zu entwerffen. Uber diß verehren ſie die abgelebten Seelen/ welche entweder ein heiliges Leben gefuͤhret/ oder dem Vaterlande groſſen Nutzen geſchafft haben. Nebſt denen Menſchen-Opffern/ aus derer Eingeweiden/ Adern und Blute ſie wahrſagen; wiewol ſie zuweilen auch die Menſchen nicht ſchlachten/ ſondern nur biß auffs Blut peitſchen/ ſchlachten ſie zwey unter einen Eich-Baum an- gebundene weiße Stiere; auf welchem ein weiß- gekleideter Prieſter ſelbte mit einem guͤldenen Beile abhaut; Derer getrunckenes Blut ſo denn wieder alle Unfruchtbarkeit und Gifft helffen ſoll. Jm Beten legen ſie die rechte Hand auf den Mund/ und drehen ſich rings herum. GOtt opffern ſie bey aufgehender Sonne; der Todten Gedaͤchtnuͤß feyern ſie/ wenn ſie zu Golde geht. Sie fangen allezeit von der Nacht anzurechnen; alſo: daß die Tage ein Anhang der Finſternuͤß ſind; weil ſie aller Menſchen Uhrſprung von dem Gotte der Erden und Nacht herrechnen; oder auch die Nacht ehe als der Tag geweſt iſt. Sie eignen den frommen Seelen/ wenn ſie unterſchiedene Leiber durch- wandert/ eine ewige Ergetzligkeit/ den boßhaff- ten theils eine zeitliche Abbuͤßung/ theils eine ewige Pein zu. Jhrer Uhrheber Geſetze hal- ten ſie zwar fuͤr eine Richtſchnure ihres Gottes- dienſtes; Sie ſchaͤtzen aber die Auslegung ihres Oberhaupts fuͤr unfehlbar und jenem gleich; ohne deſſen Vorbitte die Goͤtter niemanden er- hoͤreten; weil ihm die Schluͤſſel des Himmels und der Hoͤllen anvertrauet waͤꝛen. Sie ver- werffen die Vielheit der Goͤtter/ und die E- wigkeit der Welt; als welche von GOtt aus nichts in ſieben Tagen/ wie der Menſch aus der Erde erſchaffen ſey. Jedoch ſetzen ſie zwiſchen GOtt G g g g g g 3

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 973[975]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1037>, abgerufen am 23.11.2024.