Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.wie schon Eingangs erwähnt wurde, äußern bei der Majorität der Studentenschaft die von alters her übernommenen Trinksitten noch immer eine gewisse Herrschaft. Man hält an dem Irrglauben fest, daß mit dem Aufgeben dieser Gepflogenheiten die studentische Geselligkeit einen irreparablen Stoß erfahren und damit das studentische Leben einer seiner schönsten Seiten beraubt würde. Daß derartige Anschauungen sich noch bei einem so großen Teile der Studentenschaft erhalten konnten, ist m. E. wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Hygiene keinen Unterrichtsgegenstand an den Gymnasien bildet und deshalb der junge Student zumeist ohne sachgemäße Aufklärung über die eminente hygienische und soziale Bedeutung der Alkoholfrage in das Universitätsleben eintritt. Er unterliegt daher dem suggestiven Einflusse der herrschenden Trinksitten und muß vielfach erst durch ungünstige persönliche Erfahrungen darüber belehrt werden, daß die vulgären, auch in den studentischen Kreisen noch so verbreiteten Anschauungen über den Alkoholgenuß irrtümlich sind. Ich kann nicht unterlassen, hier zu erwähnen, daß man bei uns (in Bayern) maßgebenden Ortes bisher die Aufklärung der Gymnasialschüler über die Alkoholfrage eher zu verhindern als zu fördern geneigt war, und ich bin in der Lage, hiefür zwei prägnante Belege anzuführen. Einer meiner hiesigen Kollegen, Hofrat Dr. Theilhaber, unternahm vor einigen Jahren an einem Münchener Gymnasium die Gründung eines Alkoholabstinenzvereines, dessen Tendenz war, die Mitglieder nicht nur zur Abstinenz von geistigen Getränken anzuhalten, sondern auch durch Veranstaltungen von Ausflügen etc. an eine Geselligkeit ohne Biergenuß zu gewöhnen, gewiß ein löbliches, dem Gymnasialstudium nur förderliches Unternehmen. Und das Merkwürdige geschah: nach kurzem Bestehen wurde der Verein, der schon etwa 70 Mitglieder zählte, vom Rektorate, zweifellos auf höhere Weisung hin, aufgelöst. Der zweite Fall ist nicht minder bezeichnend. Der hiesige ärztliche Verein richtete vor einigen Jahren an das Kultusministerium eine Zuschrift, in welcher er sich erbot, an den hiesigen Gymnasien Vorträge über Hygiene zu veranstalten, bei welchen natürlich auch die Alkoholfrage entsprechend behandelt worden wäre. Daraufhin erhielt der Verein vom Ministerium den Bescheid, er möge die beabsichtigten Vorträge in einem von ihm gemieteten Lokale abhalten, und die Gymnasialschüler könnten dann von ihren Rektoraten die Erlaubnis erwirken, den Vorträgen anzuwohnen. Der ärztliche Verein hat selbstverständlich diese Zumutung lediglich ad acta genommen.*) *) Ich möchte nicht unterlassen beizufügen, daß nach neuerlichen Nachrichten man
wie schon Eingangs erwähnt wurde, äußern bei der Majorität der Studentenschaft die von alters her übernommenen Trinksitten noch immer eine gewisse Herrschaft. Man hält an dem Irrglauben fest, daß mit dem Aufgeben dieser Gepflogenheiten die studentische Geselligkeit einen irreparablen Stoß erfahren und damit das studentische Leben einer seiner schönsten Seiten beraubt würde. Daß derartige Anschauungen sich noch bei einem so großen Teile der Studentenschaft erhalten konnten, ist m. E. wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Hygiene keinen Unterrichtsgegenstand an den Gymnasien bildet und deshalb der junge Student zumeist ohne sachgemäße Aufklärung über die eminente hygienische und soziale Bedeutung der Alkoholfrage in das Universitätsleben eintritt. Er unterliegt daher dem suggestiven Einflusse der herrschenden Trinksitten und muß vielfach erst durch ungünstige persönliche Erfahrungen darüber belehrt werden, daß die vulgären, auch in den studentischen Kreisen noch so verbreiteten Anschauungen über den Alkoholgenuß irrtümlich sind. Ich kann nicht unterlassen, hier zu erwähnen, daß man bei uns (in Bayern) maßgebenden Ortes bisher die Aufklärung der Gymnasialschüler über die Alkoholfrage eher zu verhindern als zu fördern geneigt war, und ich bin in der Lage, hiefür zwei prägnante Belege anzuführen. Einer meiner hiesigen Kollegen, Hofrat Dr. Theilhaber, unternahm vor einigen Jahren an einem Münchener Gymnasium die Gründung eines Alkoholabstinenzvereines, dessen Tendenz war, die Mitglieder nicht nur zur Abstinenz von geistigen Getränken anzuhalten, sondern auch durch Veranstaltungen von Ausflügen ꝛc. an eine Geselligkeit ohne Biergenuß zu gewöhnen, gewiß ein löbliches, dem Gymnasialstudium nur förderliches Unternehmen. Und das Merkwürdige geschah: nach kurzem Bestehen wurde der Verein, der schon etwa 70 Mitglieder zählte, vom Rektorate, zweifellos auf höhere Weisung hin, aufgelöst. Der zweite Fall ist nicht minder bezeichnend. Der hiesige ärztliche Verein richtete vor einigen Jahren an das Kultusministerium eine Zuschrift, in welcher er sich erbot, an den hiesigen Gymnasien Vorträge über Hygiene zu veranstalten, bei welchen natürlich auch die Alkoholfrage entsprechend behandelt worden wäre. Daraufhin erhielt der Verein vom Ministerium den Bescheid, er möge die beabsichtigten Vorträge in einem von ihm gemieteten Lokale abhalten, und die Gymnasialschüler könnten dann von ihren Rektoraten die Erlaubnis erwirken, den Vorträgen anzuwohnen. Der ärztliche Verein hat selbstverständlich diese Zumutung lediglich ad acta genommen.*) *) Ich möchte nicht unterlassen beizufügen, daß nach neuerlichen Nachrichten man
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wie schon Eingangs erwähnt wurde, äußern bei der Majorität der Studentenschaft die von alters her übernommenen Trinksitten noch immer eine gewisse Herrschaft. Man hält an dem Irrglauben fest, daß mit dem Aufgeben dieser Gepflogenheiten die studentische Geselligkeit einen irreparablen Stoß erfahren und damit das studentische Leben einer seiner schönsten Seiten beraubt würde. Daß derartige Anschauungen sich noch bei einem so großen Teile der Studentenschaft erhalten konnten, ist m. E. wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Hygiene keinen Unterrichtsgegenstand an den Gymnasien bildet und deshalb der junge Student zumeist ohne sachgemäße Aufklärung über die eminente hygienische und soziale Bedeutung der Alkoholfrage in das Universitätsleben eintritt. Er unterliegt daher dem suggestiven Einflusse der herrschenden Trinksitten und muß vielfach erst durch ungünstige persönliche Erfahrungen darüber belehrt werden, daß die vulgären, auch in den studentischen Kreisen noch so verbreiteten Anschauungen über den Alkoholgenuß irrtümlich sind.
Ich kann nicht unterlassen, hier zu erwähnen, daß man bei uns (in Bayern) maßgebenden Ortes bisher die Aufklärung der Gymnasialschüler über die Alkoholfrage eher zu verhindern als zu fördern geneigt war, und ich bin in der Lage, hiefür zwei prägnante Belege anzuführen. Einer meiner hiesigen Kollegen, Hofrat Dr. Theilhaber, unternahm vor einigen Jahren an einem Münchener Gymnasium die Gründung eines Alkoholabstinenzvereines, dessen Tendenz war, die Mitglieder nicht nur zur Abstinenz von geistigen Getränken anzuhalten, sondern auch durch Veranstaltungen von Ausflügen ꝛc. an eine Geselligkeit ohne Biergenuß zu gewöhnen, gewiß ein löbliches, dem Gymnasialstudium nur förderliches Unternehmen. Und das Merkwürdige geschah: nach kurzem Bestehen wurde der Verein, der schon etwa 70 Mitglieder zählte, vom Rektorate, zweifellos auf höhere Weisung hin, aufgelöst.
Der zweite Fall ist nicht minder bezeichnend. Der hiesige ärztliche Verein richtete vor einigen Jahren an das Kultusministerium eine Zuschrift, in welcher er sich erbot, an den hiesigen Gymnasien Vorträge über Hygiene zu veranstalten, bei welchen natürlich auch die Alkoholfrage entsprechend behandelt worden wäre. Daraufhin erhielt der Verein vom Ministerium den Bescheid, er möge die beabsichtigten Vorträge in einem von ihm gemieteten Lokale abhalten, und die Gymnasialschüler könnten dann von ihren Rektoraten die Erlaubnis erwirken, den Vorträgen anzuwohnen. Der ärztliche Verein hat selbstverständlich diese Zumutung lediglich ad acta genommen. *)
*) Ich möchte nicht unterlassen beizufügen, daß nach neuerlichen Nachrichten man
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