suchen, und sie auf dem allein untrüglichen Probirstein der Rechentafel abzureiben. Deßhalb blieb die Sache, wie sie war, eine Mei- nung, eine bloße Hypothese, die keine Folgen, keine Früchte hatte.
Die nähere Untersuchung des Gegenstandes forderte aber drei Dinge, die zuerst bekannt seyn mußten: I. die Art, auf welche jene Kraft wirkt. II. Die Umlaufszeit des Mondes und III. die wahre Größe der Erde.
§. 26. (I. Wie die Attraction wirkt.) Das erste, was Newton kennen mußte, war die Art, auf welche diese Kraft der Erde, wenn sie überhaupt existirt, auf nahe und ferne Gegenstände wirken soll. An der Oberfläche der Erde fallen die Körper wie die Beobachtungen zeigen, in der ersten Sekunde durch 15 (genauer durch 15,098) Par. Fuß, und man kann anneh- men, daß diese Größe dieselbe ist, für alle Orte der Oberfläche der Erde, und selbst für alle Höhen und Tiefen, zu welchen wir noch gelangen können. Diese Beständigkeit der Kraft der Erde würde einen schwächeren Kopf verleitet haben, die ganze Unter- suchung gleich anfangs wieder aufzugeben. Wenn diese Kraft noch in der Höhe einer deutschen Meile über der Erde, und so hoch sind beinahe die größten Berge, die wir kennen, noch immer dieselbe, wie an der Oberfläche der Erde ist, so scheint sie über- haupt in allen Entfernungen dieselbe zu bleiben. Allein Newton ließ sich dadurch nicht irre machen, da er zu sehr davon über- zeugt war, daß diese Kraft in größeren Entfernungen immer kleiner werden müsse. Vielmehr bestärkte ihn dieß in seiner Ver- muthung. Denn wenn die Kraft der Erde, selbst in der Entfer- nung einer Meile noch immer dieselbe zu seyn scheint, so muß sie eine sehr starke Kraft seyn, so muß sie, da sie nun einmal nicht immer dieselbe bleiben kann, nur sehr langsam abnehmen, so muß sie am Ende selbst noch in der Gegend des Mondes groß genug seyn, um dort, um an diesem Himmelskörper noch bemerk- bare Veränderungen hervorzubringen, und eben diese Verände- rungen waren es, die er suchte.
Man kann sich aber diese Anziehungskraft der Erde nicht wohl anders vorstellen, als durch einen Strahlen- oder Seilenbüschel, dessen einzelne Linien alle aus dem Mittelpunkte der Erde aus- laufen, wie etwa die Strahlen eines Lichtes, das in dem Mittel-
Allgemeine Schwere.
ſuchen, und ſie auf dem allein untrüglichen Probirſtein der Rechentafel abzureiben. Deßhalb blieb die Sache, wie ſie war, eine Mei- nung, eine bloße Hypotheſe, die keine Folgen, keine Früchte hatte.
Die nähere Unterſuchung des Gegenſtandes forderte aber drei Dinge, die zuerſt bekannt ſeyn mußten: I. die Art, auf welche jene Kraft wirkt. II. Die Umlaufszeit des Mondes und III. die wahre Größe der Erde.
§. 26. (I. Wie die Attraction wirkt.) Das erſte, was Newton kennen mußte, war die Art, auf welche dieſe Kraft der Erde, wenn ſie überhaupt exiſtirt, auf nahe und ferne Gegenſtände wirken ſoll. An der Oberfläche der Erde fallen die Körper wie die Beobachtungen zeigen, in der erſten Sekunde durch 15 (genauer durch 15,098) Par. Fuß, und man kann anneh- men, daß dieſe Größe dieſelbe iſt, für alle Orte der Oberfläche der Erde, und ſelbſt für alle Höhen und Tiefen, zu welchen wir noch gelangen können. Dieſe Beſtändigkeit der Kraft der Erde würde einen ſchwächeren Kopf verleitet haben, die ganze Unter- ſuchung gleich anfangs wieder aufzugeben. Wenn dieſe Kraft noch in der Höhe einer deutſchen Meile über der Erde, und ſo hoch ſind beinahe die größten Berge, die wir kennen, noch immer dieſelbe, wie an der Oberfläche der Erde iſt, ſo ſcheint ſie über- haupt in allen Entfernungen dieſelbe zu bleiben. Allein Newton ließ ſich dadurch nicht irre machen, da er zu ſehr davon über- zeugt war, daß dieſe Kraft in größeren Entfernungen immer kleiner werden müſſe. Vielmehr beſtärkte ihn dieß in ſeiner Ver- muthung. Denn wenn die Kraft der Erde, ſelbſt in der Entfer- nung einer Meile noch immer dieſelbe zu ſeyn ſcheint, ſo muß ſie eine ſehr ſtarke Kraft ſeyn, ſo muß ſie, da ſie nun einmal nicht immer dieſelbe bleiben kann, nur ſehr langſam abnehmen, ſo muß ſie am Ende ſelbſt noch in der Gegend des Mondes groß genug ſeyn, um dort, um an dieſem Himmelskörper noch bemerk- bare Veränderungen hervorzubringen, und eben dieſe Verände- rungen waren es, die er ſuchte.
Man kann ſich aber dieſe Anziehungskraft der Erde nicht wohl anders vorſtellen, als durch einen Strahlen- oder Seilenbüſchel, deſſen einzelne Linien alle aus dem Mittelpunkte der Erde aus- laufen, wie etwa die Strahlen eines Lichtes, das in dem Mittel-
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Allgemeine Schwere.
ſuchen, und ſie auf dem allein untrüglichen Probirſtein der Rechentafel
abzureiben. Deßhalb blieb die Sache, wie ſie war, eine Mei-
nung, eine bloße Hypotheſe, die keine Folgen, keine Früchte hatte.
Die nähere Unterſuchung des Gegenſtandes forderte aber drei
Dinge, die zuerſt bekannt ſeyn mußten: I. die Art, auf welche
jene Kraft wirkt. II. Die Umlaufszeit des Mondes und III. die
wahre Größe der Erde.
§. 26. (I. Wie die Attraction wirkt.) Das erſte, was Newton
kennen mußte, war die Art, auf welche dieſe Kraft der Erde,
wenn ſie überhaupt exiſtirt, auf nahe und ferne Gegenſtände
wirken ſoll. An der Oberfläche der Erde fallen die Körper
wie die Beobachtungen zeigen, in der erſten Sekunde durch
15 (genauer durch 15,098) Par. Fuß, und man kann anneh-
men, daß dieſe Größe dieſelbe iſt, für alle Orte der Oberfläche
der Erde, und ſelbſt für alle Höhen und Tiefen, zu welchen wir
noch gelangen können. Dieſe Beſtändigkeit der Kraft der Erde
würde einen ſchwächeren Kopf verleitet haben, die ganze Unter-
ſuchung gleich anfangs wieder aufzugeben. Wenn dieſe Kraft
noch in der Höhe einer deutſchen Meile über der Erde, und ſo
hoch ſind beinahe die größten Berge, die wir kennen, noch immer
dieſelbe, wie an der Oberfläche der Erde iſt, ſo ſcheint ſie über-
haupt in allen Entfernungen dieſelbe zu bleiben. Allein Newton
ließ ſich dadurch nicht irre machen, da er zu ſehr davon über-
zeugt war, daß dieſe Kraft in größeren Entfernungen immer
kleiner werden müſſe. Vielmehr beſtärkte ihn dieß in ſeiner Ver-
muthung. Denn wenn die Kraft der Erde, ſelbſt in der Entfer-
nung einer Meile noch immer dieſelbe zu ſeyn ſcheint, ſo muß
ſie eine ſehr ſtarke Kraft ſeyn, ſo muß ſie, da ſie nun einmal
nicht immer dieſelbe bleiben kann, nur ſehr langſam abnehmen,
ſo muß ſie am Ende ſelbſt noch in der Gegend des Mondes groß
genug ſeyn, um dort, um an dieſem Himmelskörper noch bemerk-
bare Veränderungen hervorzubringen, und eben dieſe Verände-
rungen waren es, die er ſuchte.
Man kann ſich aber dieſe Anziehungskraft der Erde nicht
wohl anders vorſtellen, als durch einen Strahlen- oder Seilenbüſchel,
deſſen einzelne Linien alle aus dem Mittelpunkte der Erde aus-
laufen, wie etwa die Strahlen eines Lichtes, das in dem Mittel-
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/49>, abgerufen am 09.01.2025.
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