außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte desto stärker sind, je näher die angezogenen Körper stehen" u. s. w.
Allein alle diese und ähnliche Ideen, die einer genauen und fortgesetzten Betrachtung würdig gewesen wären, wurden nur eben hingeworfen, ohne sie weiter zu verfolgen. Dieses Verfolgen des ersten flüchtigen Gedankens, dieses Brüten über ihm ist es aber, was ihn zur Reife bringen, was allein die Wissenschaft wahrhaft fördern konnte. Wußte doch Newton selbst die Anfrage seines Freundes Halley, auf welche Weise er zu seinen großen Entdeckun- gen gekommen sey, nur mit den wenigen, aber inhaltschweren Worten zu erwiedern: "Indem ich unabläßig darüber nachdachte."
Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenosse und Rival, oft auf demselben Wege mit ihm gefunden. Huygens (geb. 1625, gest. 1695) war ohne Zweifel einer der größten Geometer und der sinnreichsten Köpfe seiner und selbst aller Zeiten. Seine Theorie der Evolution, die von ihm entdeckten merkwür- digen Eigenschaften der Cycloide, seine Arbeiten über die Wahr- scheinlichkeitsrechnung, sein erstes Aufstellen und Ausbilden der Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, seine Bestimmung des Schwingungspunkts der Pendel, seine wesent- lichen Verbesserungen der Gewicht- und Feder-Uhren, seine optischen Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländischen Krystalls, selbst seine praktischen Verbesserungen der optischen Instrumente, mit welchen er den ersten Satelliten Saturns und den Ring dieses Planeten entdeckte -- alle diese und noch mehrere andere, große Verdienste sichern ihrem Urheber eine der ausge- zeichnetsten Stellen in der Geschichte der wissenschaftlichen Kultur, und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm selbst die erste, selbst die vor Newton, anzuweisen. Denn volle fünfzehn Jahre schon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten Eigenschaften der Centralbewegung der Körper in Kreisen in drei- zehn Propositionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein- fall gehabt hätte, nur zwei dieser Propositionen unter sich zu verbinden, und sie als ein Beispiel auf die Rotation der Erde
Littrow's Himmel u. s. Wunder. III. 3
Allgemeine Schwere.
außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte deſto ſtärker ſind, je näher die angezogenen Körper ſtehen“ u. ſ. w.
Allein alle dieſe und ähnliche Ideen, die einer genauen und fortgeſetzten Betrachtung würdig geweſen wären, wurden nur eben hingeworfen, ohne ſie weiter zu verfolgen. Dieſes Verfolgen des erſten flüchtigen Gedankens, dieſes Brüten über ihm iſt es aber, was ihn zur Reife bringen, was allein die Wiſſenſchaft wahrhaft fördern konnte. Wußte doch Newton ſelbſt die Anfrage ſeines Freundes Halley, auf welche Weiſe er zu ſeinen großen Entdeckun- gen gekommen ſey, nur mit den wenigen, aber inhaltſchweren Worten zu erwiedern: „Indem ich unabläßig darüber nachdachte.“
Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenoſſe und Rival, oft auf demſelben Wege mit ihm gefunden. Huygens (geb. 1625, geſt. 1695) war ohne Zweifel einer der größten Geometer und der ſinnreichſten Köpfe ſeiner und ſelbſt aller Zeiten. Seine Theorie der Evolution, die von ihm entdeckten merkwür- digen Eigenſchaften der Cycloide, ſeine Arbeiten über die Wahr- ſcheinlichkeitsrechnung, ſein erſtes Aufſtellen und Ausbilden der Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, ſeine Beſtimmung des Schwingungspunkts der Pendel, ſeine weſent- lichen Verbeſſerungen der Gewicht- und Feder-Uhren, ſeine optiſchen Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländiſchen Kryſtalls, ſelbſt ſeine praktiſchen Verbeſſerungen der optiſchen Inſtrumente, mit welchen er den erſten Satelliten Saturns und den Ring dieſes Planeten entdeckte — alle dieſe und noch mehrere andere, große Verdienſte ſichern ihrem Urheber eine der ausge- zeichnetſten Stellen in der Geſchichte der wiſſenſchaftlichen Kultur, und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm ſelbſt die erſte, ſelbſt die vor Newton, anzuweiſen. Denn volle fünfzehn Jahre ſchon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten Eigenſchaften der Centralbewegung der Körper in Kreiſen in drei- zehn Propoſitionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein- fall gehabt hätte, nur zwei dieſer Propoſitionen unter ſich zu verbinden, und ſie als ein Beiſpiel auf die Rotation der Erde
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0045"n="33"/><fwplace="top"type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte deſto ſtärker<lb/>ſind, je näher die angezogenen Körper ſtehen“ u. ſ. w.</p><lb/><p>Allein alle dieſe und ähnliche Ideen, die einer genauen und<lb/>
fortgeſetzten Betrachtung würdig geweſen wären, wurden nur eben<lb/>
hingeworfen, ohne ſie weiter zu verfolgen. Dieſes Verfolgen des<lb/>
erſten flüchtigen Gedankens, dieſes Brüten über ihm iſt es aber,<lb/>
was ihn zur Reife bringen, was allein die Wiſſenſchaft wahrhaft<lb/>
fördern konnte. Wußte doch Newton ſelbſt die Anfrage ſeines<lb/>
Freundes Halley, auf welche Weiſe er zu ſeinen großen Entdeckun-<lb/>
gen gekommen ſey, nur mit den wenigen, aber inhaltſchweren<lb/>
Worten zu erwiedern: „Indem ich unabläßig darüber nachdachte.“</p><lb/><p>Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenoſſe und<lb/>
Rival, oft auf demſelben Wege mit ihm gefunden. Huygens<lb/>
(geb. 1625, geſt. 1695) war ohne Zweifel einer der größten<lb/>
Geometer und der ſinnreichſten Köpfe ſeiner und ſelbſt aller Zeiten.<lb/>
Seine Theorie der <choice><sic>Evolutom</sic><corr>Evolution</corr></choice>, die von ihm entdeckten merkwür-<lb/>
digen Eigenſchaften der Cycloide, ſeine Arbeiten über die Wahr-<lb/>ſcheinlichkeitsrechnung, ſein erſtes Aufſtellen und Ausbilden der<lb/>
Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, ſeine<lb/>
Beſtimmung des Schwingungspunkts der Pendel, ſeine weſent-<lb/>
lichen Verbeſſerungen der Gewicht- und Feder-Uhren, ſeine optiſchen<lb/>
Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der<lb/>
Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländiſchen<lb/>
Kryſtalls, ſelbſt ſeine praktiſchen Verbeſſerungen der optiſchen<lb/>
Inſtrumente, mit welchen er den erſten Satelliten Saturns und<lb/>
den Ring dieſes Planeten entdeckte — alle dieſe und noch mehrere<lb/>
andere, große Verdienſte ſichern ihrem Urheber eine der ausge-<lb/>
zeichnetſten Stellen in der Geſchichte der wiſſenſchaftlichen Kultur,<lb/>
und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm ſelbſt die erſte,<lb/>ſelbſt die vor Newton, anzuweiſen. Denn volle fünfzehn Jahre<lb/>ſchon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen<lb/>
Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten<lb/>
Eigenſchaften der Centralbewegung der Körper in Kreiſen in drei-<lb/>
zehn Propoſitionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein-<lb/>
fall gehabt hätte, nur zwei dieſer Propoſitionen unter ſich zu<lb/>
verbinden, und ſie als ein Beiſpiel auf die Rotation der Erde<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Littrow’s</hi> Himmel u. ſ. Wunder. <hirendition="#aq">III.</hi> 3</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[33/0045]
Allgemeine Schwere.
außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte deſto ſtärker
ſind, je näher die angezogenen Körper ſtehen“ u. ſ. w.
Allein alle dieſe und ähnliche Ideen, die einer genauen und
fortgeſetzten Betrachtung würdig geweſen wären, wurden nur eben
hingeworfen, ohne ſie weiter zu verfolgen. Dieſes Verfolgen des
erſten flüchtigen Gedankens, dieſes Brüten über ihm iſt es aber,
was ihn zur Reife bringen, was allein die Wiſſenſchaft wahrhaft
fördern konnte. Wußte doch Newton ſelbſt die Anfrage ſeines
Freundes Halley, auf welche Weiſe er zu ſeinen großen Entdeckun-
gen gekommen ſey, nur mit den wenigen, aber inhaltſchweren
Worten zu erwiedern: „Indem ich unabläßig darüber nachdachte.“
Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenoſſe und
Rival, oft auf demſelben Wege mit ihm gefunden. Huygens
(geb. 1625, geſt. 1695) war ohne Zweifel einer der größten
Geometer und der ſinnreichſten Köpfe ſeiner und ſelbſt aller Zeiten.
Seine Theorie der Evolution, die von ihm entdeckten merkwür-
digen Eigenſchaften der Cycloide, ſeine Arbeiten über die Wahr-
ſcheinlichkeitsrechnung, ſein erſtes Aufſtellen und Ausbilden der
Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, ſeine
Beſtimmung des Schwingungspunkts der Pendel, ſeine weſent-
lichen Verbeſſerungen der Gewicht- und Feder-Uhren, ſeine optiſchen
Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der
Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländiſchen
Kryſtalls, ſelbſt ſeine praktiſchen Verbeſſerungen der optiſchen
Inſtrumente, mit welchen er den erſten Satelliten Saturns und
den Ring dieſes Planeten entdeckte — alle dieſe und noch mehrere
andere, große Verdienſte ſichern ihrem Urheber eine der ausge-
zeichnetſten Stellen in der Geſchichte der wiſſenſchaftlichen Kultur,
und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm ſelbſt die erſte,
ſelbſt die vor Newton, anzuweiſen. Denn volle fünfzehn Jahre
ſchon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen
Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten
Eigenſchaften der Centralbewegung der Körper in Kreiſen in drei-
zehn Propoſitionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein-
fall gehabt hätte, nur zwei dieſer Propoſitionen unter ſich zu
verbinden, und ſie als ein Beiſpiel auf die Rotation der Erde
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/45>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.