Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.
§. 62. (Wahrscheinlichkeit, wenn die Anzahl der möglichen Fälle unbekannt ist.) Allein alle die bisher angeführten Wahr- scheinlichkeiten setzen, wie man sieht, voraus, daß die Anzahl der überhaupt möglichen Fälle bekannt ist. Es gibt aber in der Natur eine Menge von Ereignissen ganz anderer Art, bei denen diese Anzahl der möglichen Fälle völlig unbekannt ist, und diese sind es vorzüglich, welche den Astronomen, den Physiker und überhaupt alle Diejenigen interessiren, denen es darum zu thun ist, die Gesetze, nach welchen die Natur verfährt, durch eigentliche Beobachtungen, durch wiederholte Experimente näher kennen zu lernen. Wenn man nämlich den Werth einer oder auch mehrerer Größen, die man schon aus früheren Beobachtungen, wenigstens beinahe, kennen gelernt hat, nun genauer bestimmen will, so bleibt uns nichts übrig, als diese Beobachtungen mit aller uns mögli- chen Umsicht anzustellen und sie, so viel es von uns abhängt, zu vervielfältigen. Auf diese Weise wird man z. B. für die Pol- höhe seines Ortes, oder für die Schiefe der Ecliptik oder für beide zugleich eine sehr große Anzahl von Bestimmungen erhalten, die unter sich sämmtlich, wenn auch nur wenig, verschieden und über- dieß auch noch vielleicht von sehr ungleichem Werthe (Gewichte) sind, und es wird sich nun darum handeln, aus allen diesen Be- stimmungen diejenige herauszufinden, die der gesuchten Wahrheit zunächst liegt. Man bemerkt ohne meine Erinnerung, daß diese Untersuchungen einer ganz anderen Art sind, als alle vorher- gehenden, und daß sie zugleich für die endliche Ausbildung aller sogenannten Naturwissenschaften von der größten Wichtigkeit seyn werden, da sie es eigentlich sind, die uns von den unvermeid- lichen Fehlern unserer Sinne, deren wir bei allen unseren Beobach- tungen und Experimenten ausgesetzt sind, unabhängig machen und gleichsam den Menschen von der beschränkten Lage, in welche ihn die Natur versetzt hat, befreien und ihn über sich selbst erheben, ihn zu einem Wesen höherer Art machen sollten. Auch ist jene Gat- tung der Wahrscheinlichkeitsrechnung, wo die Anzahl der über- haupt möglichen Fälle gegeben ist, als die leichtere und einfachere schon seit längerer Zeit von Pascal, Moivre, Huygens, Leibnitz, Bernoulli u. A. ausgebildet worden, während die gegenwärtige erst unseren Tagen angehört, indem wir das Vorzüglichste, was
Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 62. (Wahrſcheinlichkeit, wenn die Anzahl der möglichen Fälle unbekannt iſt.) Allein alle die bisher angeführten Wahr- ſcheinlichkeiten ſetzen, wie man ſieht, voraus, daß die Anzahl der überhaupt möglichen Fälle bekannt iſt. Es gibt aber in der Natur eine Menge von Ereigniſſen ganz anderer Art, bei denen dieſe Anzahl der möglichen Fälle völlig unbekannt iſt, und dieſe ſind es vorzüglich, welche den Aſtronomen, den Phyſiker und überhaupt alle Diejenigen intereſſiren, denen es darum zu thun iſt, die Geſetze, nach welchen die Natur verfährt, durch eigentliche Beobachtungen, durch wiederholte Experimente näher kennen zu lernen. Wenn man nämlich den Werth einer oder auch mehrerer Größen, die man ſchon aus früheren Beobachtungen, wenigſtens beinahe, kennen gelernt hat, nun genauer beſtimmen will, ſo bleibt uns nichts übrig, als dieſe Beobachtungen mit aller uns mögli- chen Umſicht anzuſtellen und ſie, ſo viel es von uns abhängt, zu vervielfältigen. Auf dieſe Weiſe wird man z. B. für die Pol- höhe ſeines Ortes, oder für die Schiefe der Ecliptik oder für beide zugleich eine ſehr große Anzahl von Beſtimmungen erhalten, die unter ſich ſämmtlich, wenn auch nur wenig, verſchieden und über- dieß auch noch vielleicht von ſehr ungleichem Werthe (Gewichte) ſind, und es wird ſich nun darum handeln, aus allen dieſen Be- ſtimmungen diejenige herauszufinden, die der geſuchten Wahrheit zunächſt liegt. Man bemerkt ohne meine Erinnerung, daß dieſe Unterſuchungen einer ganz anderen Art ſind, als alle vorher- gehenden, und daß ſie zugleich für die endliche Ausbildung aller ſogenannten Naturwiſſenſchaften von der größten Wichtigkeit ſeyn werden, da ſie es eigentlich ſind, die uns von den unvermeid- lichen Fehlern unſerer Sinne, deren wir bei allen unſeren Beobach- tungen und Experimenten ausgeſetzt ſind, unabhängig machen und gleichſam den Menſchen von der beſchränkten Lage, in welche ihn die Natur verſetzt hat, befreien und ihn über ſich ſelbſt erheben, ihn zu einem Weſen höherer Art machen ſollten. Auch iſt jene Gat- tung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung, wo die Anzahl der über- haupt möglichen Fälle gegeben iſt, als die leichtere und einfachere ſchon ſeit längerer Zeit von Pascal, Moivre, Huygens, Leibnitz, Bernoulli u. A. ausgebildet worden, während die gegenwärtige erſt unſeren Tagen angehört, indem wir das Vorzüglichſte, was
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Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 62. (Wahrſcheinlichkeit, wenn die Anzahl der möglichen
Fälle unbekannt iſt.) Allein alle die bisher angeführten Wahr-
ſcheinlichkeiten ſetzen, wie man ſieht, voraus, daß die Anzahl der
überhaupt möglichen Fälle bekannt iſt. Es gibt aber in der
Natur eine Menge von Ereigniſſen ganz anderer Art, bei denen
dieſe Anzahl der möglichen Fälle völlig unbekannt iſt, und dieſe
ſind es vorzüglich, welche den Aſtronomen, den Phyſiker und
überhaupt alle Diejenigen intereſſiren, denen es darum zu thun iſt,
die Geſetze, nach welchen die Natur verfährt, durch eigentliche
Beobachtungen, durch wiederholte Experimente näher kennen zu
lernen. Wenn man nämlich den Werth einer oder auch mehrerer
Größen, die man ſchon aus früheren Beobachtungen, wenigſtens
beinahe, kennen gelernt hat, nun genauer beſtimmen will, ſo bleibt
uns nichts übrig, als dieſe Beobachtungen mit aller uns mögli-
chen Umſicht anzuſtellen und ſie, ſo viel es von uns abhängt,
zu vervielfältigen. Auf dieſe Weiſe wird man z. B. für die Pol-
höhe ſeines Ortes, oder für die Schiefe der Ecliptik oder für beide
zugleich eine ſehr große Anzahl von Beſtimmungen erhalten, die
unter ſich ſämmtlich, wenn auch nur wenig, verſchieden und über-
dieß auch noch vielleicht von ſehr ungleichem Werthe (Gewichte)
ſind, und es wird ſich nun darum handeln, aus allen dieſen Be-
ſtimmungen diejenige herauszufinden, die der geſuchten Wahrheit
zunächſt liegt. Man bemerkt ohne meine Erinnerung, daß dieſe
Unterſuchungen einer ganz anderen Art ſind, als alle vorher-
gehenden, und daß ſie zugleich für die endliche Ausbildung aller
ſogenannten Naturwiſſenſchaften von der größten Wichtigkeit ſeyn
werden, da ſie es eigentlich ſind, die uns von den unvermeid-
lichen Fehlern unſerer Sinne, deren wir bei allen unſeren Beobach-
tungen und Experimenten ausgeſetzt ſind, unabhängig machen und
gleichſam den Menſchen von der beſchränkten Lage, in welche ihn
die Natur verſetzt hat, befreien und ihn über ſich ſelbſt erheben,
ihn zu einem Weſen höherer Art machen ſollten. Auch iſt jene Gat-
tung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung, wo die Anzahl der über-
haupt möglichen Fälle gegeben iſt, als die leichtere und einfachere
ſchon ſeit längerer Zeit von Pascal, Moivre, Huygens, Leibnitz,
Bernoulli u. A. ausgebildet worden, während die gegenwärtige
erſt unſeren Tagen angehört, indem wir das Vorzüglichſte, was
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/420>, abgerufen am 18.12.2024.
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