Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Kapitel IX.
Ebbe und Fluth des Meeres und der Atmosphäre
der Erde.


§. 106. (Imposantes Schauspiel der Ebbe und Fluth.) Ob-
schon das, die Erde bedeckende Meer schon seit Jahrtausenden mit
ihr und mit sich selbst im Gleichgewichte zu schweben scheint, und
die Gestade nicht mehr verläßt, die es in der Vorzeit so oft durch-
brochen hat, um das Festland mit seinen Fluthen zu bedecken, so
sieht man doch diese gewaltige Wassermasse in regelmäßiger
Oscillation sich täglich auf und nieder bewegen, und sich von dem
Mittelpunkte der Erde erheben, um bald darauf wieder zu ihm
zurückzusinken. Es ist in der That ein erhabenes Schauspiel für
den stillen Zuschauer an dem Ufer des Meeres, zu sehen, wie die
Fluthen desselben hin und wieder wogen, und sich ungestüm an
den sie einschließenden Gestaden brechen, die sie wechselweise zu
erstürmen, und wieder zu verlassen streben. Daß der Mond in
jedem Monate um die Erde, daß die Erde in jedem Jahre um
die Sonne, und in jedem Tage um sich selbst geht -- dieß sind
allerdings große und wunderbare Erscheinungen. Aber wir füh-
len
sie nicht, und sind bereits längst daran gewöhnt. Nur das
feinere Auge des Geometers und des Astronomen lehrte uns diese
Bewegungen kennen, die für den größten Theil der übrigen Men-
schen beinahe ganz unbemerkt vorüber gehen. Aber dieselben


Kapitel IX.
Ebbe und Fluth des Meeres und der Atmoſphäre
der Erde.


§. 106. (Impoſantes Schauſpiel der Ebbe und Fluth.) Ob-
ſchon das, die Erde bedeckende Meer ſchon ſeit Jahrtauſenden mit
ihr und mit ſich ſelbſt im Gleichgewichte zu ſchweben ſcheint, und
die Geſtade nicht mehr verläßt, die es in der Vorzeit ſo oft durch-
brochen hat, um das Feſtland mit ſeinen Fluthen zu bedecken, ſo
ſieht man doch dieſe gewaltige Waſſermaſſe in regelmäßiger
Oſcillation ſich täglich auf und nieder bewegen, und ſich von dem
Mittelpunkte der Erde erheben, um bald darauf wieder zu ihm
zurückzuſinken. Es iſt in der That ein erhabenes Schauſpiel für
den ſtillen Zuſchauer an dem Ufer des Meeres, zu ſehen, wie die
Fluthen deſſelben hin und wieder wogen, und ſich ungeſtüm an
den ſie einſchließenden Geſtaden brechen, die ſie wechſelweiſe zu
erſtürmen, und wieder zu verlaſſen ſtreben. Daß der Mond in
jedem Monate um die Erde, daß die Erde in jedem Jahre um
die Sonne, und in jedem Tage um ſich ſelbſt geht — dieß ſind
allerdings große und wunderbare Erſcheinungen. Aber wir füh-
len
ſie nicht, und ſind bereits längſt daran gewöhnt. Nur das
feinere Auge des Geometers und des Aſtronomen lehrte uns dieſe
Bewegungen kennen, die für den größten Theil der übrigen Men-
ſchen beinahe ganz unbemerkt vorüber gehen. Aber dieſelben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0166" n="[154]"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g">Kapitel</hi><hi rendition="#aq">IX.</hi><lb/>
Ebbe und Fluth des Meeres und der Atmo&#x017F;phäre<lb/>
der Erde.</head><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <p>§. 106. (Impo&#x017F;antes Schau&#x017F;piel der Ebbe und Fluth.) Ob-<lb/>
&#x017F;chon das, die Erde bedeckende Meer &#x017F;chon &#x017F;eit Jahrtau&#x017F;enden mit<lb/>
ihr und mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t im Gleichgewichte zu &#x017F;chweben &#x017F;cheint, und<lb/>
die Ge&#x017F;tade nicht mehr verläßt, die es in der Vorzeit &#x017F;o oft durch-<lb/>
brochen hat, um das Fe&#x017F;tland mit &#x017F;einen Fluthen zu bedecken, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ieht man doch die&#x017F;e gewaltige Wa&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e in regelmäßiger<lb/>
O&#x017F;cillation &#x017F;ich täglich auf und nieder bewegen, und &#x017F;ich von dem<lb/>
Mittelpunkte der Erde erheben, um bald darauf wieder zu ihm<lb/>
zurückzu&#x017F;inken. Es i&#x017F;t in der That ein erhabenes Schau&#x017F;piel für<lb/>
den &#x017F;tillen Zu&#x017F;chauer an dem Ufer des Meeres, zu &#x017F;ehen, wie die<lb/>
Fluthen de&#x017F;&#x017F;elben hin und wieder wogen, und &#x017F;ich unge&#x017F;tüm an<lb/>
den &#x017F;ie ein&#x017F;chließenden Ge&#x017F;taden brechen, die &#x017F;ie wech&#x017F;elwei&#x017F;e zu<lb/>
er&#x017F;türmen, und wieder zu verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;treben. Daß der Mond in<lb/>
jedem Monate um die Erde, daß die Erde in jedem Jahre um<lb/>
die Sonne, und in jedem Tage um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t geht &#x2014; dieß &#x017F;ind<lb/>
allerdings große und wunderbare Er&#x017F;cheinungen. Aber wir <hi rendition="#g">füh-<lb/>
len</hi> &#x017F;ie nicht, und &#x017F;ind bereits läng&#x017F;t daran gewöhnt. Nur das<lb/>
feinere Auge des Geometers und des A&#x017F;tronomen lehrte uns die&#x017F;e<lb/>
Bewegungen kennen, die für den größten Theil der übrigen Men-<lb/>
&#x017F;chen beinahe ganz unbemerkt vorüber gehen. Aber die&#x017F;elben<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[154]/0166] Kapitel IX. Ebbe und Fluth des Meeres und der Atmoſphäre der Erde. §. 106. (Impoſantes Schauſpiel der Ebbe und Fluth.) Ob- ſchon das, die Erde bedeckende Meer ſchon ſeit Jahrtauſenden mit ihr und mit ſich ſelbſt im Gleichgewichte zu ſchweben ſcheint, und die Geſtade nicht mehr verläßt, die es in der Vorzeit ſo oft durch- brochen hat, um das Feſtland mit ſeinen Fluthen zu bedecken, ſo ſieht man doch dieſe gewaltige Waſſermaſſe in regelmäßiger Oſcillation ſich täglich auf und nieder bewegen, und ſich von dem Mittelpunkte der Erde erheben, um bald darauf wieder zu ihm zurückzuſinken. Es iſt in der That ein erhabenes Schauſpiel für den ſtillen Zuſchauer an dem Ufer des Meeres, zu ſehen, wie die Fluthen deſſelben hin und wieder wogen, und ſich ungeſtüm an den ſie einſchließenden Geſtaden brechen, die ſie wechſelweiſe zu erſtürmen, und wieder zu verlaſſen ſtreben. Daß der Mond in jedem Monate um die Erde, daß die Erde in jedem Jahre um die Sonne, und in jedem Tage um ſich ſelbſt geht — dieß ſind allerdings große und wunderbare Erſcheinungen. Aber wir füh- len ſie nicht, und ſind bereits längſt daran gewöhnt. Nur das feinere Auge des Geometers und des Aſtronomen lehrte uns dieſe Bewegungen kennen, die für den größten Theil der übrigen Men- ſchen beinahe ganz unbemerkt vorüber gehen. Aber dieſelben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/166
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. [154]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/166>, abgerufen am 21.11.2024.