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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Störungen der Planeten überhaupt.
Es ist möglich, daß die mathematische Analyse, wenn sie gleich
den menschlichen Geist auf jene höchste Stufe der Erkenntniß ge-
stellt hat, die irdische Wesen unserer Art überhaupt noch einnehmen
können, -- es ist möglich, daß auch sie fast nichts als Stückwerk
und ein höchst unvollkommenes Spielzeug, eine bemitleidenswerthe
Krücke ist, mit welcher wir uns auf unserem Wege zur Wahrheit
mühsam genug fortschleppen, und auf die vielleicht ein höherer
Geist, der dieser Hülfsmittel nicht bedarf, nur mit Lächeln herab-
sieht. Aber dieses Mittel, so unvollkommen es auch an sich selbst
seyn mag, hat uns doch dahin gebracht, die Bewegungen der
Planeten mit derselben Genauigkeit zu berechnen, mit welcher wir
sie mit unsern vollkommensten Instrumenten beobachten können;
es hat diese Rechnungen mit den Beobachtungen in eine Ueber-
einstimmung, in eine Harmonie gebracht, deren sich keine andere
Wissenschaft erfreut; es hat uns endlich alle Erscheinungen des
Himmels, so verwickelt sie auch seyn mögen, nicht nur die unserer
Tage, die wir selbst beobachten können, sondern auch die der
längst verflossenen Jahrhunderte in ihren ersten Ursachen ent-
schleyert, und uns selbst bei den künftigen Beobachtungen unserer
Nachfolger verweilen lassen, um Phänomene zu bestimmen, die
sich erst in der späten Folgezeit zutragen werden, und die wir jetzt
mit Gewißheit voraussagen können, obschon sie uns, ohne dieses
Hülfsmittel, ohne dieses Fernrohr unseres geistigen Auges, viel-
leicht ewig verborgen geblieben wären.

Uebrigens, wer von uns diese Annäherung zur Wahrheit ver-
schmäht, wer Wahrheit, reine Wahrheit selbst fordert -- in wel-
cher anderen menschlichen Erkenntniß kann er sich des Besitzes
dieses Kleinods rühmen? Alle unsere sogenannten menschlichen
Wahrheiten, was sind sie anders, als Annäherungen -- und oft noch
sehr unvollkommene Annäherungen zu einem Ziele, das noch kein
Sterblicher erreicht hat. Man pflegt gewöhnlich die Mathematik
anzuführen, um zu beweisen, daß uns wenigstens in Einem Felde
unseres Wissens, die Erkenntniß der Wahrheit nicht versagt
seyn soll. Allein, ohne von den ersten Grundsätzen zu sprechen,
auf denen doch das ganze Gebäude dieser Wissenschaft errichtet
ist, sind die Mittel, deren sie sich bedient, ihre sogenannten Wahr-

Littrow's Himmel u. s. Wunder. III. 8

Störungen der Planeten überhaupt.
Es iſt möglich, daß die mathematiſche Analyſe, wenn ſie gleich
den menſchlichen Geiſt auf jene höchſte Stufe der Erkenntniß ge-
ſtellt hat, die irdiſche Weſen unſerer Art überhaupt noch einnehmen
können, — es iſt möglich, daß auch ſie faſt nichts als Stückwerk
und ein höchſt unvollkommenes Spielzeug, eine bemitleidenswerthe
Krücke iſt, mit welcher wir uns auf unſerem Wege zur Wahrheit
mühſam genug fortſchleppen, und auf die vielleicht ein höherer
Geiſt, der dieſer Hülfsmittel nicht bedarf, nur mit Lächeln herab-
ſieht. Aber dieſes Mittel, ſo unvollkommen es auch an ſich ſelbſt
ſeyn mag, hat uns doch dahin gebracht, die Bewegungen der
Planeten mit derſelben Genauigkeit zu berechnen, mit welcher wir
ſie mit unſern vollkommenſten Inſtrumenten beobachten können;
es hat dieſe Rechnungen mit den Beobachtungen in eine Ueber-
einſtimmung, in eine Harmonie gebracht, deren ſich keine andere
Wiſſenſchaft erfreut; es hat uns endlich alle Erſcheinungen des
Himmels, ſo verwickelt ſie auch ſeyn mögen, nicht nur die unſerer
Tage, die wir ſelbſt beobachten können, ſondern auch die der
längſt verfloſſenen Jahrhunderte in ihren erſten Urſachen ent-
ſchleyert, und uns ſelbſt bei den künftigen Beobachtungen unſerer
Nachfolger verweilen laſſen, um Phänomene zu beſtimmen, die
ſich erſt in der ſpäten Folgezeit zutragen werden, und die wir jetzt
mit Gewißheit vorausſagen können, obſchon ſie uns, ohne dieſes
Hülfsmittel, ohne dieſes Fernrohr unſeres geiſtigen Auges, viel-
leicht ewig verborgen geblieben wären.

Uebrigens, wer von uns dieſe Annäherung zur Wahrheit ver-
ſchmäht, wer Wahrheit, reine Wahrheit ſelbſt fordert — in wel-
cher anderen menſchlichen Erkenntniß kann er ſich des Beſitzes
dieſes Kleinods rühmen? Alle unſere ſogenannten menſchlichen
Wahrheiten, was ſind ſie anders, als Annäherungen — und oft noch
ſehr unvollkommene Annäherungen zu einem Ziele, das noch kein
Sterblicher erreicht hat. Man pflegt gewöhnlich die Mathematik
anzuführen, um zu beweiſen, daß uns wenigſtens in Einem Felde
unſeres Wiſſens, die Erkenntniß der Wahrheit nicht verſagt
ſeyn ſoll. Allein, ohne von den erſten Grundſätzen zu ſprechen,
auf denen doch das ganze Gebäude dieſer Wiſſenſchaft errichtet
iſt, ſind die Mittel, deren ſie ſich bedient, ihre ſogenannten Wahr-

Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 8
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[113/0125] Störungen der Planeten überhaupt. Es iſt möglich, daß die mathematiſche Analyſe, wenn ſie gleich den menſchlichen Geiſt auf jene höchſte Stufe der Erkenntniß ge- ſtellt hat, die irdiſche Weſen unſerer Art überhaupt noch einnehmen können, — es iſt möglich, daß auch ſie faſt nichts als Stückwerk und ein höchſt unvollkommenes Spielzeug, eine bemitleidenswerthe Krücke iſt, mit welcher wir uns auf unſerem Wege zur Wahrheit mühſam genug fortſchleppen, und auf die vielleicht ein höherer Geiſt, der dieſer Hülfsmittel nicht bedarf, nur mit Lächeln herab- ſieht. Aber dieſes Mittel, ſo unvollkommen es auch an ſich ſelbſt ſeyn mag, hat uns doch dahin gebracht, die Bewegungen der Planeten mit derſelben Genauigkeit zu berechnen, mit welcher wir ſie mit unſern vollkommenſten Inſtrumenten beobachten können; es hat dieſe Rechnungen mit den Beobachtungen in eine Ueber- einſtimmung, in eine Harmonie gebracht, deren ſich keine andere Wiſſenſchaft erfreut; es hat uns endlich alle Erſcheinungen des Himmels, ſo verwickelt ſie auch ſeyn mögen, nicht nur die unſerer Tage, die wir ſelbſt beobachten können, ſondern auch die der längſt verfloſſenen Jahrhunderte in ihren erſten Urſachen ent- ſchleyert, und uns ſelbſt bei den künftigen Beobachtungen unſerer Nachfolger verweilen laſſen, um Phänomene zu beſtimmen, die ſich erſt in der ſpäten Folgezeit zutragen werden, und die wir jetzt mit Gewißheit vorausſagen können, obſchon ſie uns, ohne dieſes Hülfsmittel, ohne dieſes Fernrohr unſeres geiſtigen Auges, viel- leicht ewig verborgen geblieben wären. Uebrigens, wer von uns dieſe Annäherung zur Wahrheit ver- ſchmäht, wer Wahrheit, reine Wahrheit ſelbſt fordert — in wel- cher anderen menſchlichen Erkenntniß kann er ſich des Beſitzes dieſes Kleinods rühmen? Alle unſere ſogenannten menſchlichen Wahrheiten, was ſind ſie anders, als Annäherungen — und oft noch ſehr unvollkommene Annäherungen zu einem Ziele, das noch kein Sterblicher erreicht hat. Man pflegt gewöhnlich die Mathematik anzuführen, um zu beweiſen, daß uns wenigſtens in Einem Felde unſeres Wiſſens, die Erkenntniß der Wahrheit nicht verſagt ſeyn ſoll. Allein, ohne von den erſten Grundſätzen zu ſprechen, auf denen doch das ganze Gebäude dieſer Wiſſenſchaft errichtet iſt, ſind die Mittel, deren ſie ſich bedient, ihre ſogenannten Wahr- Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 8

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/125>, abgerufen am 24.11.2024.