Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Störungen der Planeten überhaupt.
seinem Wege vor, und jener zurück; dieser erhebt ihn über, und
jener zieht ihn unter seine ursprüngliche Bahn. Auf diese Weise
ist dieser Planet, und dasselbe gilt auch von allen übrigen, weit
entfernt, eine reine Ellipse um die Sonne zu beschreiben, sondern
seine Bahn ist vielmehr eine äußerst zusammengesetzte, eine jeden
Augenblick veränderliche krumme Linie, deren nähere Bestimmung
alle Kräfte unserer Analyse übersteigt und so gut als ganz un-
möglich ist. Dazu kömmt noch, daß die Ecliptik, auf die wir in
unsern Rechnungen alle Orte der Planeten beziehen, durch eine
ähnliche Wirkung aller Planeten auf die Erde, selbst wieder jeden
Augenblick eine andere Lage einnimmt. Durch diese Aenderungen,
so wie durch die bereits oben (I. Kap. XII.) betrachteten Verän-
derungen der Präcession und Nutation, wird gleichsam die ganze
Sphäre des Himmels erschüttert, der Anfangspunkt, von dem wir
alle Orte der Gestirne zählen, verrückt, und aus dem letzten
dieser Gestirne das erste, aus dem ersten das letzte gemacht, so
daß an dem Himmel, an welchem wir früher nur Ordnung
und Harmonie zu bewundern pflegten, jetzt alles Unordnung und
Verwirrung wird, und daß von der großen Karte, die wir uns
von demselben entworfen haben, am Ende auch nicht ein einziger
Punkt in Ruhe bleibt, durch welchen wir diese nach allen Rich-
tungen unter einander verschlungene Bewegungen fesseln, und
dieses verworrene Chaos um so weniger übersehen können, da wir
dasselbe nicht einmal von einem festen Standpunkte, sondern wieder
von einer jährlich um die Sonne, und täglich um sich selbst sich
wälzende Kugel beobachten müssen, die überdieß selbst wieder von
allen Planeten hin und wieder gezogen, und auch noch mit
einer Hülle umgeben ist, welche, die Quelle unzähliger Täuschun-
gen, uns kein einziges dieser Gestirne an dem Orte erblicken läßt,
welches dasselbe in der That am Himmel einnimmt.

§. 68. (Schwierigkeit der Bestimmung derselben.) Aus diesem
Gesichtspunkte betrachtet, erscheint uns die Bestimmung eines
einzigen Ortes am Himmel, und überhaupt die ganze Astronomie
alle menschlichen Kräfte weit zu übersteigen, und wenn man be-
denkt, wie viele Jahrtausende erfordert wurden, bis der menschliche
Geist nur die größte und auffallendste und ihm zunächst liegende
von allen diesen Erscheinungen, die Existenz der doppelten Bewe-

Störungen der Planeten überhaupt.
ſeinem Wege vor, und jener zurück; dieſer erhebt ihn über, und
jener zieht ihn unter ſeine urſprüngliche Bahn. Auf dieſe Weiſe
iſt dieſer Planet, und daſſelbe gilt auch von allen übrigen, weit
entfernt, eine reine Ellipſe um die Sonne zu beſchreiben, ſondern
ſeine Bahn iſt vielmehr eine äußerſt zuſammengeſetzte, eine jeden
Augenblick veränderliche krumme Linie, deren nähere Beſtimmung
alle Kräfte unſerer Analyſe überſteigt und ſo gut als ganz un-
möglich iſt. Dazu kömmt noch, daß die Ecliptik, auf die wir in
unſern Rechnungen alle Orte der Planeten beziehen, durch eine
ähnliche Wirkung aller Planeten auf die Erde, ſelbſt wieder jeden
Augenblick eine andere Lage einnimmt. Durch dieſe Aenderungen,
ſo wie durch die bereits oben (I. Kap. XII.) betrachteten Verän-
derungen der Präceſſion und Nutation, wird gleichſam die ganze
Sphäre des Himmels erſchüttert, der Anfangspunkt, von dem wir
alle Orte der Geſtirne zählen, verrückt, und aus dem letzten
dieſer Geſtirne das erſte, aus dem erſten das letzte gemacht, ſo
daß an dem Himmel, an welchem wir früher nur Ordnung
und Harmonie zu bewundern pflegten, jetzt alles Unordnung und
Verwirrung wird, und daß von der großen Karte, die wir uns
von demſelben entworfen haben, am Ende auch nicht ein einziger
Punkt in Ruhe bleibt, durch welchen wir dieſe nach allen Rich-
tungen unter einander verſchlungene Bewegungen feſſeln, und
dieſes verworrene Chaos um ſo weniger überſehen können, da wir
daſſelbe nicht einmal von einem feſten Standpunkte, ſondern wieder
von einer jährlich um die Sonne, und täglich um ſich ſelbſt ſich
wälzende Kugel beobachten müſſen, die überdieß ſelbſt wieder von
allen Planeten hin und wieder gezogen, und auch noch mit
einer Hülle umgeben iſt, welche, die Quelle unzähliger Täuſchun-
gen, uns kein einziges dieſer Geſtirne an dem Orte erblicken läßt,
welches daſſelbe in der That am Himmel einnimmt.

§. 68. (Schwierigkeit der Beſtimmung derſelben.) Aus dieſem
Geſichtspunkte betrachtet, erſcheint uns die Beſtimmung eines
einzigen Ortes am Himmel, und überhaupt die ganze Aſtronomie
alle menſchlichen Kräfte weit zu überſteigen, und wenn man be-
denkt, wie viele Jahrtauſende erfordert wurden, bis der menſchliche
Geiſt nur die größte und auffallendſte und ihm zunächſt liegende
von allen dieſen Erſcheinungen, die Exiſtenz der doppelten Bewe-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header">Störungen der Planeten überhaupt.</fw><lb/>
&#x017F;einem Wege vor, und jener zurück; die&#x017F;er erhebt ihn über, und<lb/>
jener zieht ihn unter &#x017F;eine ur&#x017F;prüngliche Bahn. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;er Planet, und da&#x017F;&#x017F;elbe gilt auch von allen übrigen, weit<lb/>
entfernt, eine reine Ellip&#x017F;e um die Sonne zu be&#x017F;chreiben, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;eine Bahn i&#x017F;t vielmehr eine äußer&#x017F;t zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte, eine jeden<lb/>
Augenblick veränderliche krumme Linie, deren nähere Be&#x017F;timmung<lb/>
alle Kräfte un&#x017F;erer Analy&#x017F;e über&#x017F;teigt und &#x017F;o gut als ganz un-<lb/>
möglich i&#x017F;t. Dazu kömmt noch, daß die Ecliptik, auf die wir in<lb/>
un&#x017F;ern Rechnungen alle Orte der Planeten beziehen, durch eine<lb/>
ähnliche Wirkung aller Planeten auf die Erde, &#x017F;elb&#x017F;t wieder jeden<lb/>
Augenblick eine andere Lage einnimmt. Durch die&#x017F;e Aenderungen,<lb/>
&#x017F;o wie durch die bereits oben (<hi rendition="#aq">I.</hi> Kap. <hi rendition="#aq">XII.</hi>) betrachteten Verän-<lb/>
derungen der Präce&#x017F;&#x017F;ion und Nutation, wird gleich&#x017F;am die ganze<lb/>
Sphäre des Himmels er&#x017F;chüttert, der Anfangspunkt, von dem wir<lb/>
alle Orte der Ge&#x017F;tirne zählen, verrückt, und aus dem letzten<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;tirne das er&#x017F;te, aus dem er&#x017F;ten das letzte gemacht, &#x017F;o<lb/>
daß an dem Himmel, an welchem wir früher nur Ordnung<lb/>
und Harmonie zu bewundern pflegten, jetzt alles Unordnung und<lb/>
Verwirrung wird, und daß von der großen Karte, die wir uns<lb/>
von dem&#x017F;elben entworfen haben, am Ende auch nicht ein einziger<lb/>
Punkt in Ruhe bleibt, durch welchen wir die&#x017F;e nach allen Rich-<lb/>
tungen unter einander ver&#x017F;chlungene Bewegungen fe&#x017F;&#x017F;eln, und<lb/>
die&#x017F;es verworrene Chaos um &#x017F;o weniger über&#x017F;ehen können, da wir<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe nicht einmal von einem fe&#x017F;ten Standpunkte, &#x017F;ondern wieder<lb/>
von einer jährlich um die Sonne, und täglich um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
wälzende Kugel beobachten mü&#x017F;&#x017F;en, die überdieß &#x017F;elb&#x017F;t wieder von<lb/>
allen Planeten hin und wieder gezogen, und auch noch mit<lb/>
einer Hülle umgeben i&#x017F;t, welche, die Quelle unzähliger Täu&#x017F;chun-<lb/>
gen, uns kein einziges die&#x017F;er Ge&#x017F;tirne an dem Orte erblicken läßt,<lb/>
welches da&#x017F;&#x017F;elbe in der That am Himmel einnimmt.</p><lb/>
              <p>§. 68. (Schwierigkeit der Be&#x017F;timmung der&#x017F;elben.) Aus die&#x017F;em<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunkte betrachtet, er&#x017F;cheint uns die Be&#x017F;timmung eines<lb/>
einzigen Ortes am Himmel, und überhaupt die ganze A&#x017F;tronomie<lb/>
alle men&#x017F;chlichen Kräfte weit zu über&#x017F;teigen, und wenn man be-<lb/>
denkt, wie viele Jahrtau&#x017F;ende erfordert wurden, bis der men&#x017F;chliche<lb/>
Gei&#x017F;t nur die größte und auffallend&#x017F;te und ihm zunäch&#x017F;t liegende<lb/>
von allen die&#x017F;en Er&#x017F;cheinungen, die Exi&#x017F;tenz der doppelten Bewe-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0116] Störungen der Planeten überhaupt. ſeinem Wege vor, und jener zurück; dieſer erhebt ihn über, und jener zieht ihn unter ſeine urſprüngliche Bahn. Auf dieſe Weiſe iſt dieſer Planet, und daſſelbe gilt auch von allen übrigen, weit entfernt, eine reine Ellipſe um die Sonne zu beſchreiben, ſondern ſeine Bahn iſt vielmehr eine äußerſt zuſammengeſetzte, eine jeden Augenblick veränderliche krumme Linie, deren nähere Beſtimmung alle Kräfte unſerer Analyſe überſteigt und ſo gut als ganz un- möglich iſt. Dazu kömmt noch, daß die Ecliptik, auf die wir in unſern Rechnungen alle Orte der Planeten beziehen, durch eine ähnliche Wirkung aller Planeten auf die Erde, ſelbſt wieder jeden Augenblick eine andere Lage einnimmt. Durch dieſe Aenderungen, ſo wie durch die bereits oben (I. Kap. XII.) betrachteten Verän- derungen der Präceſſion und Nutation, wird gleichſam die ganze Sphäre des Himmels erſchüttert, der Anfangspunkt, von dem wir alle Orte der Geſtirne zählen, verrückt, und aus dem letzten dieſer Geſtirne das erſte, aus dem erſten das letzte gemacht, ſo daß an dem Himmel, an welchem wir früher nur Ordnung und Harmonie zu bewundern pflegten, jetzt alles Unordnung und Verwirrung wird, und daß von der großen Karte, die wir uns von demſelben entworfen haben, am Ende auch nicht ein einziger Punkt in Ruhe bleibt, durch welchen wir dieſe nach allen Rich- tungen unter einander verſchlungene Bewegungen feſſeln, und dieſes verworrene Chaos um ſo weniger überſehen können, da wir daſſelbe nicht einmal von einem feſten Standpunkte, ſondern wieder von einer jährlich um die Sonne, und täglich um ſich ſelbſt ſich wälzende Kugel beobachten müſſen, die überdieß ſelbſt wieder von allen Planeten hin und wieder gezogen, und auch noch mit einer Hülle umgeben iſt, welche, die Quelle unzähliger Täuſchun- gen, uns kein einziges dieſer Geſtirne an dem Orte erblicken läßt, welches daſſelbe in der That am Himmel einnimmt. §. 68. (Schwierigkeit der Beſtimmung derſelben.) Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, erſcheint uns die Beſtimmung eines einzigen Ortes am Himmel, und überhaupt die ganze Aſtronomie alle menſchlichen Kräfte weit zu überſteigen, und wenn man be- denkt, wie viele Jahrtauſende erfordert wurden, bis der menſchliche Geiſt nur die größte und auffallendſte und ihm zunächſt liegende von allen dieſen Erſcheinungen, die Exiſtenz der doppelten Bewe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/116
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/116>, abgerufen am 09.11.2024.