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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Doppelsterne.
man bedenken, daß kaum ein halbes Jahrhundert verflossen ist,
seitdem sich die Astronomen mit diesem Gegenstande zu beschäftigen
angefangen haben. Wenn unsere Nachfolger in dem nächsten
Jahrhunderte eben so fleißig und eben so vom Glücke begünstiget
seyn werden, als ihre Vorgänger waren, so werden sie wahrscheinlich
den gestirnten Himmel mit ganz anderen Augen betrachten, als
es ihren Vorfahren möglich gewesen ist.

Es war i. J. 1778, daß der ältere Herschel (Sir William)
zuerst auf die Doppelsterne aufmerksam wurde. Er hielt sie anfangs,
wie schon oben erwähnt worden ist, für bloß optisch doppelte
Sterne und wollte sie demnach zur Bestimmung der Entfernung
derselben von der Erde benützen. Allein schon in den ersten
Jahren erkannte er seinen Irrthum. Zwar fand er Bewegungen
an diesen Doppelsternen, aber keine solchen, die mit der Theorie
der Parallaxe (I. Cap. V) übereinstimmten. Diese Bemerkung
brachte ihn auf die Idee, daß jene Bewegungen der Doppelsterne
von einer Verrückung der Sonne und unsers ganzen Sonnen-
systems kommen mögen, und er glaubte einige Zeit lang, jene
Erscheinungen durch eine Bewegung des Sonnensystems erklären
zu können, deren Weg jetzt gegen das Sternbild des Hercules
hin gerichtet sey. Allein auch diese Idee wurde bald unrichtig
gefunden. Statt weitern Hypothesen nachzuhängen, zog er es
vor, seine Beobachtungen mit verdoppeltem Eifer fortzusetzen, und
er lieferte i. J. 1782 und 1785 der k. Academie in London
bereits ein Verzeichniß von 702 solcher Sternenpaare, die er
wiederholt beobachtet hatte.

Erst nach dem Jahre 1785, also mehr als sieben Jahre nach
seinen ersten Arbeiten über diesen Gegenstand versuchte er einmal
zufällig, den Weg eines dieser Doppelsterne, seinen Beobachtungen
gemäß, auf dem Papiere, in Gestalt einer kleinen Karte, zu ver-
zeichnen, und war nicht wenig erstaunt, zu sehen, daß der eine
dieser Sterne um den andern, wie ein Planet um die Sonne, sich
bewege. Allein er wagte es nicht, seine Entdeckung bekannt zu
machen, bis er sich von der Wahrheit derselben an mehreren
andern Sternen überzeugt hatte. Erst i. J. 1801 nahm er diese
Beobachtungen wieder mit neuem Eifer vor, und jetzt erst, 24 Jahre

Littrow's Himmel u. s. Wunder. II. 23

Doppelſterne.
man bedenken, daß kaum ein halbes Jahrhundert verfloſſen iſt,
ſeitdem ſich die Aſtronomen mit dieſem Gegenſtande zu beſchäftigen
angefangen haben. Wenn unſere Nachfolger in dem nächſten
Jahrhunderte eben ſo fleißig und eben ſo vom Glücke begünſtiget
ſeyn werden, als ihre Vorgänger waren, ſo werden ſie wahrſcheinlich
den geſtirnten Himmel mit ganz anderen Augen betrachten, als
es ihren Vorfahren möglich geweſen iſt.

Es war i. J. 1778, daß der ältere Herſchel (Sir William)
zuerſt auf die Doppelſterne aufmerkſam wurde. Er hielt ſie anfangs,
wie ſchon oben erwähnt worden iſt, für bloß optiſch doppelte
Sterne und wollte ſie demnach zur Beſtimmung der Entfernung
derſelben von der Erde benützen. Allein ſchon in den erſten
Jahren erkannte er ſeinen Irrthum. Zwar fand er Bewegungen
an dieſen Doppelſternen, aber keine ſolchen, die mit der Theorie
der Parallaxe (I. Cap. V) übereinſtimmten. Dieſe Bemerkung
brachte ihn auf die Idee, daß jene Bewegungen der Doppelſterne
von einer Verrückung der Sonne und unſers ganzen Sonnen-
ſyſtems kommen mögen, und er glaubte einige Zeit lang, jene
Erſcheinungen durch eine Bewegung des Sonnenſyſtems erklären
zu können, deren Weg jetzt gegen das Sternbild des Hercules
hin gerichtet ſey. Allein auch dieſe Idee wurde bald unrichtig
gefunden. Statt weitern Hypotheſen nachzuhängen, zog er es
vor, ſeine Beobachtungen mit verdoppeltem Eifer fortzuſetzen, und
er lieferte i. J. 1782 und 1785 der k. Academie in London
bereits ein Verzeichniß von 702 ſolcher Sternenpaare, die er
wiederholt beobachtet hatte.

Erſt nach dem Jahre 1785, alſo mehr als ſieben Jahre nach
ſeinen erſten Arbeiten über dieſen Gegenſtand verſuchte er einmal
zufällig, den Weg eines dieſer Doppelſterne, ſeinen Beobachtungen
gemäß, auf dem Papiere, in Geſtalt einer kleinen Karte, zu ver-
zeichnen, und war nicht wenig erſtaunt, zu ſehen, daß der eine
dieſer Sterne um den andern, wie ein Planet um die Sonne, ſich
bewege. Allein er wagte es nicht, ſeine Entdeckung bekannt zu
machen, bis er ſich von der Wahrheit derſelben an mehreren
andern Sternen überzeugt hatte. Erſt i. J. 1801 nahm er dieſe
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[353/0363] Doppelſterne. man bedenken, daß kaum ein halbes Jahrhundert verfloſſen iſt, ſeitdem ſich die Aſtronomen mit dieſem Gegenſtande zu beſchäftigen angefangen haben. Wenn unſere Nachfolger in dem nächſten Jahrhunderte eben ſo fleißig und eben ſo vom Glücke begünſtiget ſeyn werden, als ihre Vorgänger waren, ſo werden ſie wahrſcheinlich den geſtirnten Himmel mit ganz anderen Augen betrachten, als es ihren Vorfahren möglich geweſen iſt. Es war i. J. 1778, daß der ältere Herſchel (Sir William) zuerſt auf die Doppelſterne aufmerkſam wurde. Er hielt ſie anfangs, wie ſchon oben erwähnt worden iſt, für bloß optiſch doppelte Sterne und wollte ſie demnach zur Beſtimmung der Entfernung derſelben von der Erde benützen. Allein ſchon in den erſten Jahren erkannte er ſeinen Irrthum. Zwar fand er Bewegungen an dieſen Doppelſternen, aber keine ſolchen, die mit der Theorie der Parallaxe (I. Cap. V) übereinſtimmten. Dieſe Bemerkung brachte ihn auf die Idee, daß jene Bewegungen der Doppelſterne von einer Verrückung der Sonne und unſers ganzen Sonnen- ſyſtems kommen mögen, und er glaubte einige Zeit lang, jene Erſcheinungen durch eine Bewegung des Sonnenſyſtems erklären zu können, deren Weg jetzt gegen das Sternbild des Hercules hin gerichtet ſey. Allein auch dieſe Idee wurde bald unrichtig gefunden. Statt weitern Hypotheſen nachzuhängen, zog er es vor, ſeine Beobachtungen mit verdoppeltem Eifer fortzuſetzen, und er lieferte i. J. 1782 und 1785 der k. Academie in London bereits ein Verzeichniß von 702 ſolcher Sternenpaare, die er wiederholt beobachtet hatte. Erſt nach dem Jahre 1785, alſo mehr als ſieben Jahre nach ſeinen erſten Arbeiten über dieſen Gegenſtand verſuchte er einmal zufällig, den Weg eines dieſer Doppelſterne, ſeinen Beobachtungen gemäß, auf dem Papiere, in Geſtalt einer kleinen Karte, zu ver- zeichnen, und war nicht wenig erſtaunt, zu ſehen, daß der eine dieſer Sterne um den andern, wie ein Planet um die Sonne, ſich bewege. Allein er wagte es nicht, ſeine Entdeckung bekannt zu machen, bis er ſich von der Wahrheit derſelben an mehreren andern Sternen überzeugt hatte. Erſt i. J. 1801 nahm er dieſe Beobachtungen wieder mit neuem Eifer vor, und jetzt erſt, 24 Jahre Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 23

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/363>, abgerufen am 25.11.2024.