welche in dieser langen Zeit das arme Menschengeschlecht betroffen haben, in eine lange Liste zusammen. Auf dieselbe Weise spürt er auch den Kometen nach, die seit jener Epoche erschienen sind, und deren er gegen 500 zusammentreibt, die er alle neben den Krank- heiten seines ersten Registers einträgt, wodurch denn endlich ein gar herrliches und für den geneigten Leser wahrhaft erbauliches Inventarium von Noth und Elend und zugleich von Kometen ent- standen ist, die an allen jenen Drangsalen schuld seyn sollen.
Es scheint, daß ihm diese Arbeit nicht eben viel Nachdenken gemacht haben kann. Wie wir bereits oben gesehen haben, gibt es so viele Kometen, daß man beinahe auf jedes Jahr zwei der- selben zählen kann. Unglücksfälle aller Art aber, die das arme Menschenvolk heimsuchen, gibt es wohl noch mehr, als zwei in jedem Jahre. Da es sonach am Himmel nicht an Kometen und auf Erden nicht an Noth und Elend fehlt, so wird es keine be- sondere Anstrengung erfordern, zu jeder Calamität auch einen Ko- meten als Sündenbock aufzufinden, da es im Gegentheile sehr schwer, wo nicht unmöglich seyn wird, auch nur ein einziges Jahr zu treffen, wo nicht das Eine oder das Andere dieser beiden Dinge eingetroffen wäre.
Ohne Zweifel würde dieses traurige Inventarium des mensch- lichen Elends diese zweite Auflage einer "Reise durch die Höhlen des Unglücks und die Gemächer des Jammers" unseres englischen Karls von Karlsberg eine ganz andere Gestalt erhalten haben, wenn es ihm beliebt hätte, ohne Vorurtheile und ohne vorgefaßte Meinung an sein Werk zu gehen, und wenn er nicht, was er in unseren Geschichtbüchern erst suchen sollte, schon zuvor als fixe Idee in seinem eigenen Kopfe gefunden hätte. Was soll es uns frommen, wenn wir z. B. bei dem Jahre 1665 lesen: "Großer Komet und Pest in London." -- Also doch eine Pest, aber warum nur in London? War der Komet nicht auch an andern Orten der Erde eben so gut, war er bloß in London sichtbar? Warum brachte derselbe Komet, der die Pest nach London führte, sie nicht auch nach Paris, nach dem nahen Hamburg, nicht einmal nach Schott- land oder Irland? Dann hätte also wohl jene Dame recht, die, als sie hörte, daß man den gefürchteten Kometen im nächstfolgen-
Kometen.
welche in dieſer langen Zeit das arme Menſchengeſchlecht betroffen haben, in eine lange Liſte zuſammen. Auf dieſelbe Weiſe ſpürt er auch den Kometen nach, die ſeit jener Epoche erſchienen ſind, und deren er gegen 500 zuſammentreibt, die er alle neben den Krank- heiten ſeines erſten Regiſters einträgt, wodurch denn endlich ein gar herrliches und für den geneigten Leſer wahrhaft erbauliches Inventarium von Noth und Elend und zugleich von Kometen ent- ſtanden iſt, die an allen jenen Drangſalen ſchuld ſeyn ſollen.
Es ſcheint, daß ihm dieſe Arbeit nicht eben viel Nachdenken gemacht haben kann. Wie wir bereits oben geſehen haben, gibt es ſo viele Kometen, daß man beinahe auf jedes Jahr zwei der- ſelben zählen kann. Unglücksfälle aller Art aber, die das arme Menſchenvolk heimſuchen, gibt es wohl noch mehr, als zwei in jedem Jahre. Da es ſonach am Himmel nicht an Kometen und auf Erden nicht an Noth und Elend fehlt, ſo wird es keine be- ſondere Anſtrengung erfordern, zu jeder Calamität auch einen Ko- meten als Sündenbock aufzufinden, da es im Gegentheile ſehr ſchwer, wo nicht unmöglich ſeyn wird, auch nur ein einziges Jahr zu treffen, wo nicht das Eine oder das Andere dieſer beiden Dinge eingetroffen wäre.
Ohne Zweifel würde dieſes traurige Inventarium des menſch- lichen Elends dieſe zweite Auflage einer „Reiſe durch die Höhlen des Unglücks und die Gemächer des Jammers“ unſeres engliſchen Karls von Karlsberg eine ganz andere Geſtalt erhalten haben, wenn es ihm beliebt hätte, ohne Vorurtheile und ohne vorgefaßte Meinung an ſein Werk zu gehen, und wenn er nicht, was er in unſeren Geſchichtbüchern erſt ſuchen ſollte, ſchon zuvor als fixe Idee in ſeinem eigenen Kopfe gefunden hätte. Was ſoll es uns frommen, wenn wir z. B. bei dem Jahre 1665 leſen: „Großer Komet und Peſt in London.“ — Alſo doch eine Peſt, aber warum nur in London? War der Komet nicht auch an andern Orten der Erde eben ſo gut, war er bloß in London ſichtbar? Warum brachte derſelbe Komet, der die Peſt nach London führte, ſie nicht auch nach Paris, nach dem nahen Hamburg, nicht einmal nach Schott- land oder Irland? Dann hätte alſo wohl jene Dame recht, die, als ſie hörte, daß man den gefürchteten Kometen im nächſtfolgen-
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Kometen.
welche in dieſer langen Zeit das arme Menſchengeſchlecht betroffen
haben, in eine lange Liſte zuſammen. Auf dieſelbe Weiſe ſpürt er
auch den Kometen nach, die ſeit jener Epoche erſchienen ſind, und
deren er gegen 500 zuſammentreibt, die er alle neben den Krank-
heiten ſeines erſten Regiſters einträgt, wodurch denn endlich ein
gar herrliches und für den geneigten Leſer wahrhaft erbauliches
Inventarium von Noth und Elend und zugleich von Kometen ent-
ſtanden iſt, die an allen jenen Drangſalen ſchuld ſeyn ſollen.
Es ſcheint, daß ihm dieſe Arbeit nicht eben viel Nachdenken
gemacht haben kann. Wie wir bereits oben geſehen haben, gibt
es ſo viele Kometen, daß man beinahe auf jedes Jahr zwei der-
ſelben zählen kann. Unglücksfälle aller Art aber, die das arme
Menſchenvolk heimſuchen, gibt es wohl noch mehr, als zwei in
jedem Jahre. Da es ſonach am Himmel nicht an Kometen und
auf Erden nicht an Noth und Elend fehlt, ſo wird es keine be-
ſondere Anſtrengung erfordern, zu jeder Calamität auch einen Ko-
meten als Sündenbock aufzufinden, da es im Gegentheile ſehr
ſchwer, wo nicht unmöglich ſeyn wird, auch nur ein einziges Jahr
zu treffen, wo nicht das Eine oder das Andere dieſer beiden Dinge
eingetroffen wäre.
Ohne Zweifel würde dieſes traurige Inventarium des menſch-
lichen Elends dieſe zweite Auflage einer „Reiſe durch die Höhlen
des Unglücks und die Gemächer des Jammers“ unſeres engliſchen
Karls von Karlsberg eine ganz andere Geſtalt erhalten haben,
wenn es ihm beliebt hätte, ohne Vorurtheile und ohne vorgefaßte
Meinung an ſein Werk zu gehen, und wenn er nicht, was er in
unſeren Geſchichtbüchern erſt ſuchen ſollte, ſchon zuvor als fixe
Idee in ſeinem eigenen Kopfe gefunden hätte. Was ſoll es uns
frommen, wenn wir z. B. bei dem Jahre 1665 leſen: „Großer
Komet und Peſt in London.“ — Alſo doch eine Peſt, aber warum
nur in London? War der Komet nicht auch an andern Orten der
Erde eben ſo gut, war er bloß in London ſichtbar? Warum brachte
derſelbe Komet, der die Peſt nach London führte, ſie nicht auch
nach Paris, nach dem nahen Hamburg, nicht einmal nach Schott-
land oder Irland? Dann hätte alſo wohl jene Dame recht, die,
als ſie hörte, daß man den gefürchteten Kometen im nächſtfolgen-
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/296>, abgerufen am 16.02.2025.
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