Voraussetzung, von der täglichen Bewegung derselben um ihre Axe, als die einzig wahre anzuerkennen.
Wenn aber das Vorhergehende nur von der Unzulässigkeit der Ruhe der Erde zeugt, also gleichsam nur als ein negativer Be- weis für die Bewegung derselben anzunehmen ist, so fehlt es uns dessenungeachtet auch nicht an unmittelbaren, positiven Beweisen derselben, und diese sind es, die wir hier noch näher betrachten wollen.
§. 20. (V. Aus dem Falle der Körper von größten Höhen.) Es ist allgemein bekannt (§. 8. I), daß alle Körper, wenn sie ihrer Unterstützung beraubt werden, senkrecht auf die Oberfläche der Erde, oder in der Richtung gegen den Mittelpunkt derselben herabfallen. Für geringe Höhen, z. B. fünfzig oder hundert Fuß, ist dieß auch in der That den Erfahrungen oder den darüber an- gestellten Beobachtungen vollkommen gemäß, wie es auch nach den ersten Grundsätzen der Mechanik seyn muß, wenn die Erde keine Rotation um sich selbst hat. Allein bei einer um ihre Axe rotirenden Erde wird dieß nicht mehr der Fall seyn. In der That hat man auch diese Beobachtungen, so lange man sie nicht mit der gehörigen Schärfe anstellte, als einen direkten Einwurf gegen die Umdrehung der Erde angesehen, und selbst Riccioli und Tycho ließen sich zu dem Irrthume verleiten. Sie meinten näm- lich, daß ein z. B. von der Spitze eines Thurmes fallender Stein, bei einer gegen Ost rotirenden Erde, nicht mehr an dem Fuße des Thurmes oder senkrecht unter seinem Abgangspunkte, sondern daß er westlich vom Thurme zur Erde fallen müßte, weil der Thurm während des Falles des Steines durch die Bewegung der Erde weiter gegen Ost vorgerückt wäre. Da aber dieses den bis- her darüber angestellten Erfahrungen entgegen war, so hielt man eben durch diese Erfahrungen die Umdrehung der Erde als voll- kommen widerlegt. Mersenne und Montier stellten darüber eigene Versuche mit Kugeln an, welche sie aus senkrecht in die Erde ge- grabenen Kanonen in die Höhe steigen ließen. Allein Experimente dieser Art können keine Genauigkeit gewähren, da die Kugel nicht in allen Punkten der Kanonenröhre gleich fest anliegt. Auch ent- sprachen die Resultate derselben keineswegs den gehofften Erwar- tungen, indem einige dieser Kugeln weit südwestlich, die anderen
Tägliche Bewegung der Erde.
Vorausſetzung, von der täglichen Bewegung derſelben um ihre Axe, als die einzig wahre anzuerkennen.
Wenn aber das Vorhergehende nur von der Unzuläſſigkeit der Ruhe der Erde zeugt, alſo gleichſam nur als ein negativer Be- weis für die Bewegung derſelben anzunehmen iſt, ſo fehlt es uns deſſenungeachtet auch nicht an unmittelbaren, poſitiven Beweiſen derſelben, und dieſe ſind es, die wir hier noch näher betrachten wollen.
§. 20. (V. Aus dem Falle der Körper von größten Höhen.) Es iſt allgemein bekannt (§. 8. I), daß alle Körper, wenn ſie ihrer Unterſtützung beraubt werden, ſenkrecht auf die Oberfläche der Erde, oder in der Richtung gegen den Mittelpunkt derſelben herabfallen. Für geringe Höhen, z. B. fünfzig oder hundert Fuß, iſt dieß auch in der That den Erfahrungen oder den darüber an- geſtellten Beobachtungen vollkommen gemäß, wie es auch nach den erſten Grundſätzen der Mechanik ſeyn muß, wenn die Erde keine Rotation um ſich ſelbſt hat. Allein bei einer um ihre Axe rotirenden Erde wird dieß nicht mehr der Fall ſeyn. In der That hat man auch dieſe Beobachtungen, ſo lange man ſie nicht mit der gehörigen Schärfe anſtellte, als einen direkten Einwurf gegen die Umdrehung der Erde angeſehen, und ſelbſt Riccioli und Tycho ließen ſich zu dem Irrthume verleiten. Sie meinten näm- lich, daß ein z. B. von der Spitze eines Thurmes fallender Stein, bei einer gegen Oſt rotirenden Erde, nicht mehr an dem Fuße des Thurmes oder ſenkrecht unter ſeinem Abgangspunkte, ſondern daß er weſtlich vom Thurme zur Erde fallen müßte, weil der Thurm während des Falles des Steines durch die Bewegung der Erde weiter gegen Oſt vorgerückt wäre. Da aber dieſes den bis- her darüber angeſtellten Erfahrungen entgegen war, ſo hielt man eben durch dieſe Erfahrungen die Umdrehung der Erde als voll- kommen widerlegt. Mersenne und Montier ſtellten darüber eigene Verſuche mit Kugeln an, welche ſie aus ſenkrecht in die Erde ge- grabenen Kanonen in die Höhe ſteigen ließen. Allein Experimente dieſer Art können keine Genauigkeit gewähren, da die Kugel nicht in allen Punkten der Kanonenröhre gleich feſt anliegt. Auch ent- ſprachen die Reſultate derſelben keineswegs den gehofften Erwar- tungen, indem einige dieſer Kugeln weit ſüdweſtlich, die anderen
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[66/0078]
Tägliche Bewegung der Erde.
Vorausſetzung, von der täglichen Bewegung derſelben um ihre
Axe, als die einzig wahre anzuerkennen.
Wenn aber das Vorhergehende nur von der Unzuläſſigkeit der
Ruhe der Erde zeugt, alſo gleichſam nur als ein negativer Be-
weis für die Bewegung derſelben anzunehmen iſt, ſo fehlt es uns
deſſenungeachtet auch nicht an unmittelbaren, poſitiven Beweiſen
derſelben, und dieſe ſind es, die wir hier noch näher betrachten
wollen.
§. 20. (V. Aus dem Falle der Körper von größten Höhen.)
Es iſt allgemein bekannt (§. 8. I), daß alle Körper, wenn ſie
ihrer Unterſtützung beraubt werden, ſenkrecht auf die Oberfläche
der Erde, oder in der Richtung gegen den Mittelpunkt derſelben
herabfallen. Für geringe Höhen, z. B. fünfzig oder hundert Fuß,
iſt dieß auch in der That den Erfahrungen oder den darüber an-
geſtellten Beobachtungen vollkommen gemäß, wie es auch nach
den erſten Grundſätzen der Mechanik ſeyn muß, wenn die Erde
keine Rotation um ſich ſelbſt hat. Allein bei einer um ihre Axe
rotirenden Erde wird dieß nicht mehr der Fall ſeyn. In der
That hat man auch dieſe Beobachtungen, ſo lange man ſie nicht
mit der gehörigen Schärfe anſtellte, als einen direkten Einwurf
gegen die Umdrehung der Erde angeſehen, und ſelbſt Riccioli und
Tycho ließen ſich zu dem Irrthume verleiten. Sie meinten näm-
lich, daß ein z. B. von der Spitze eines Thurmes fallender Stein,
bei einer gegen Oſt rotirenden Erde, nicht mehr an dem Fuße
des Thurmes oder ſenkrecht unter ſeinem Abgangspunkte, ſondern
daß er weſtlich vom Thurme zur Erde fallen müßte, weil der
Thurm während des Falles des Steines durch die Bewegung der
Erde weiter gegen Oſt vorgerückt wäre. Da aber dieſes den bis-
her darüber angeſtellten Erfahrungen entgegen war, ſo hielt man
eben durch dieſe Erfahrungen die Umdrehung der Erde als voll-
kommen widerlegt. Mersenne und Montier ſtellten darüber eigene
Verſuche mit Kugeln an, welche ſie aus ſenkrecht in die Erde ge-
grabenen Kanonen in die Höhe ſteigen ließen. Allein Experimente
dieſer Art können keine Genauigkeit gewähren, da die Kugel nicht
in allen Punkten der Kanonenröhre gleich feſt anliegt. Auch ent-
ſprachen die Reſultate derſelben keineswegs den gehofften Erwar-
tungen, indem einige dieſer Kugeln weit ſüdweſtlich, die anderen
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/78>, abgerufen am 16.02.2025.
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