Pole des Aequators ihren ganzen Umlauf um die Pole der Eclip- tik in 25812 Jahren vollenden, welche Periode einige Chronologen das platonische Jahr genannt haben. Allein diese Voraussetzung ist nicht ganz richtig, da die Größe der Präcession mit der Zeit selbst sich ändert und da sie überhaupt noch nicht mit der Ge- nauigkeit bekannt ist, um sie auf so entfernte Zeiten noch mit Sicherheit anwenden zu können.
§. 193. (Nutation.) Eigentlich wird durch diese Bewegung des Poles des Aequators in einem Kreise, dessen Mittelpunkt der Pol der Ecliptik ist, noch nicht die ganze Ortsveränderung jenes Poles an den Sphären des Himmels, sondern nur der vorzüg- lichste Theil derselben, oder die Erscheinung im Großen, darge- stellt. Genauere Beobachtungen haben uns nämlich gelehrt, daß der Pol des Aequators in jenem Kreise zwar im Allgemeinen mit der Zeit immer weiter zurückgeht, daß er aber nicht immer in der Peripherie dieses Kreises bleibt, sondern sich dem Mittelpunkte desselben bald nähert, bald wieder etwas davon entfernt, und daß er selbst zuweilen durch einige Jahre etwas vorwärts schreitet. Jene Annäherung und Entfernug kann bis auf neun, und dieses Vorwärtsschreiten bis auf achtzehn Secunden betragen. Aber beide Unregelmäßigkeiten sind in die enge Periode von neunzehn Jahren eingeschlossen, nach welchen sie sich immer wieder in der alten Ordnung wiederholen. Man nennt sie die Nutation oder das Wanken der Erdaxe. Man kann sie dadurch vorstellen, daß man den Pol des Aequators binnen 19 Jahren in der Peripherie einer kleinen Ellipse herumgehen läßt, deren Mittelpunkt auf jenem Kreise in jedem Jahre 50",21 rückwärts geht, und deren große Axe gegen den Pol der Ecliptik gerichtet ist. Die Wirkung dieser zusammen- gesetzten Bewegung des Pols ist ein immerwährendes Verändern der Länge sowohl, als auch der Rectascension und der Declination der Sterne, während die Breite immer dieselbe bleibt. Allein am Ende jeder Periode von 19 Jahren verschwinden die Anomalien der Nutation, während die der Präcession mit den Jahrhunderten ohne Ende fortgehen. Die Astronomen, für welche die genaue Kenntniß der Lage der Fixsterne für jede gegebene Zeit von der größten Wich- tigkeit ist, haben diese Aenderungen derselben mit Sorgfalt be- stimmt und in Tafeln gebracht, die hier ohne Umständlichkeit nicht
Refraction, Präceſſion und Nutation.
Pole des Aequators ihren ganzen Umlauf um die Pole der Eclip- tik in 25812 Jahren vollenden, welche Periode einige Chronologen das platoniſche Jahr genannt haben. Allein dieſe Vorausſetzung iſt nicht ganz richtig, da die Größe der Präceſſion mit der Zeit ſelbſt ſich ändert und da ſie überhaupt noch nicht mit der Ge- nauigkeit bekannt iſt, um ſie auf ſo entfernte Zeiten noch mit Sicherheit anwenden zu können.
§. 193. (Nutation.) Eigentlich wird durch dieſe Bewegung des Poles des Aequators in einem Kreiſe, deſſen Mittelpunkt der Pol der Ecliptik iſt, noch nicht die ganze Ortsveränderung jenes Poles an den Sphären des Himmels, ſondern nur der vorzüg- lichſte Theil derſelben, oder die Erſcheinung im Großen, darge- ſtellt. Genauere Beobachtungen haben uns nämlich gelehrt, daß der Pol des Aequators in jenem Kreiſe zwar im Allgemeinen mit der Zeit immer weiter zurückgeht, daß er aber nicht immer in der Peripherie dieſes Kreiſes bleibt, ſondern ſich dem Mittelpunkte deſſelben bald nähert, bald wieder etwas davon entfernt, und daß er ſelbſt zuweilen durch einige Jahre etwas vorwärts ſchreitet. Jene Annäherung und Entfernug kann bis auf neun, und dieſes Vorwärtsſchreiten bis auf achtzehn Secunden betragen. Aber beide Unregelmäßigkeiten ſind in die enge Periode von neunzehn Jahren eingeſchloſſen, nach welchen ſie ſich immer wieder in der alten Ordnung wiederholen. Man nennt ſie die Nutation oder das Wanken der Erdaxe. Man kann ſie dadurch vorſtellen, daß man den Pol des Aequators binnen 19 Jahren in der Peripherie einer kleinen Ellipſe herumgehen läßt, deren Mittelpunkt auf jenem Kreiſe in jedem Jahre 50″,21 rückwärts geht, und deren große Axe gegen den Pol der Ecliptik gerichtet iſt. Die Wirkung dieſer zuſammen- geſetzten Bewegung des Pols iſt ein immerwährendes Verändern der Länge ſowohl, als auch der Rectaſcenſion und der Declination der Sterne, während die Breite immer dieſelbe bleibt. Allein am Ende jeder Periode von 19 Jahren verſchwinden die Anomalien der Nutation, während die der Präceſſion mit den Jahrhunderten ohne Ende fortgehen. Die Aſtronomen, für welche die genaue Kenntniß der Lage der Fixſterne für jede gegebene Zeit von der größten Wich- tigkeit iſt, haben dieſe Aenderungen derſelben mit Sorgfalt be- ſtimmt und in Tafeln gebracht, die hier ohne Umſtändlichkeit nicht
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Refraction, Präceſſion und Nutation.
Pole des Aequators ihren ganzen Umlauf um die Pole der Eclip-
tik in 25812 Jahren vollenden, welche Periode einige Chronologen
das platoniſche Jahr genannt haben. Allein dieſe Vorausſetzung
iſt nicht ganz richtig, da die Größe der Präceſſion mit der Zeit
ſelbſt ſich ändert und da ſie überhaupt noch nicht mit der Ge-
nauigkeit bekannt iſt, um ſie auf ſo entfernte Zeiten noch mit
Sicherheit anwenden zu können.
§. 193. (Nutation.) Eigentlich wird durch dieſe Bewegung
des Poles des Aequators in einem Kreiſe, deſſen Mittelpunkt der
Pol der Ecliptik iſt, noch nicht die ganze Ortsveränderung jenes
Poles an den Sphären des Himmels, ſondern nur der vorzüg-
lichſte Theil derſelben, oder die Erſcheinung im Großen, darge-
ſtellt. Genauere Beobachtungen haben uns nämlich gelehrt, daß
der Pol des Aequators in jenem Kreiſe zwar im Allgemeinen mit
der Zeit immer weiter zurückgeht, daß er aber nicht immer in der
Peripherie dieſes Kreiſes bleibt, ſondern ſich dem Mittelpunkte
deſſelben bald nähert, bald wieder etwas davon entfernt, und daß
er ſelbſt zuweilen durch einige Jahre etwas vorwärts ſchreitet.
Jene Annäherung und Entfernug kann bis auf neun, und dieſes
Vorwärtsſchreiten bis auf achtzehn Secunden betragen. Aber beide
Unregelmäßigkeiten ſind in die enge Periode von neunzehn Jahren
eingeſchloſſen, nach welchen ſie ſich immer wieder in der alten
Ordnung wiederholen. Man nennt ſie die Nutation oder das
Wanken der Erdaxe. Man kann ſie dadurch vorſtellen, daß man
den Pol des Aequators binnen 19 Jahren in der Peripherie einer
kleinen Ellipſe herumgehen läßt, deren Mittelpunkt auf jenem Kreiſe
in jedem Jahre 50″,21 rückwärts geht, und deren große Axe gegen
den Pol der Ecliptik gerichtet iſt. Die Wirkung dieſer zuſammen-
geſetzten Bewegung des Pols iſt ein immerwährendes Verändern
der Länge ſowohl, als auch der Rectaſcenſion und der Declination
der Sterne, während die Breite immer dieſelbe bleibt. Allein am
Ende jeder Periode von 19 Jahren verſchwinden die Anomalien der
Nutation, während die der Präceſſion mit den Jahrhunderten ohne
Ende fortgehen. Die Aſtronomen, für welche die genaue Kenntniß
der Lage der Fixſterne für jede gegebene Zeit von der größten Wich-
tigkeit iſt, haben dieſe Aenderungen derſelben mit Sorgfalt be-
ſtimmt und in Tafeln gebracht, die hier ohne Umſtändlichkeit nicht
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/370>, abgerufen am 16.02.2025.
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