Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Kapitel IX.
Kepler's Gesetze.


§. 126. (Unvollkommenheit des copernicanischen Systems.)
Copernicus hatte durch die Aufstellung seines Planetensystems die
seit den ältesten Zeiten allgemein angenommenen und gleichsam
geheiligten Lehren von der Ruhe der Erde im Mittelpunkte des
Weltalls für immer zerstört, und dadurch das große Hinderniß
weggeräumt, das bisher unsere wahre Erkenntniß des Himmels
und alle eigentlichen Fortschritte der Wissenschaft gleichsam un-
möglich gemacht hatte. Er ist dadurch der Gründer oder viel-
leicht besser, der eigentliche Veranlasser der neuern Astronomie
geworden, aber ohne auch zugleich der Vater derselben zu seyn,
obschon man ihn oft genug so genannt hat. Denn unser gegen-
wärtiges System ist nicht das Copernicanische, so wie es uns
sein Erfinder selbst in seinem Werke dargestellt hat. Es ist viel-
mehr sehr davon verschieden, und diese Verschiedenheit besteht nicht
in kleinen Verbesserungen und Zusätzen, sondern in sehr wesent-
lichen Aenderungen, die ihm, wenn er jetzt wieder käme, sein
eigenes System vielleicht selbst unkenntlich machen würden, obschon
allerdings die vorzüglichste Idee, die von der täglichen Bewegung
der Erde um sich selbst und der jährlichen um die Sonne, aber
auch sonst nichts mehr, dem neuen Systeme ebenfalls zu Grunde
liegt.


17 *

Kapitel IX.
Kepler’s Geſetze.


§. 126. (Unvollkommenheit des copernicaniſchen Syſtems.)
Copernicus hatte durch die Aufſtellung ſeines Planetenſyſtems die
ſeit den älteſten Zeiten allgemein angenommenen und gleichſam
geheiligten Lehren von der Ruhe der Erde im Mittelpunkte des
Weltalls für immer zerſtört, und dadurch das große Hinderniß
weggeräumt, das bisher unſere wahre Erkenntniß des Himmels
und alle eigentlichen Fortſchritte der Wiſſenſchaft gleichſam un-
möglich gemacht hatte. Er iſt dadurch der Gründer oder viel-
leicht beſſer, der eigentliche Veranlaſſer der neuern Aſtronomie
geworden, aber ohne auch zugleich der Vater derſelben zu ſeyn,
obſchon man ihn oft genug ſo genannt hat. Denn unſer gegen-
wärtiges Syſtem iſt nicht das Copernicaniſche, ſo wie es uns
ſein Erfinder ſelbſt in ſeinem Werke dargeſtellt hat. Es iſt viel-
mehr ſehr davon verſchieden, und dieſe Verſchiedenheit beſteht nicht
in kleinen Verbeſſerungen und Zuſätzen, ſondern in ſehr weſent-
lichen Aenderungen, die ihm, wenn er jetzt wieder käme, ſein
eigenes Syſtem vielleicht ſelbſt unkenntlich machen würden, obſchon
allerdings die vorzüglichſte Idee, die von der täglichen Bewegung
der Erde um ſich ſelbſt und der jährlichen um die Sonne, aber
auch ſonſt nichts mehr, dem neuen Syſteme ebenfalls zu Grunde
liegt.


17 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0271" n="[259]"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Kapitel</hi><hi rendition="#aq">IX.</hi><lb/><hi rendition="#g">Kepler&#x2019;s Ge&#x017F;etze</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>§. 126. (Unvollkommenheit des copernicani&#x017F;chen Sy&#x017F;tems.)<lb/>
Copernicus hatte durch die Auf&#x017F;tellung &#x017F;eines Planeten&#x017F;y&#x017F;tems die<lb/>
&#x017F;eit den älte&#x017F;ten Zeiten allgemein angenommenen und gleich&#x017F;am<lb/>
geheiligten Lehren von der Ruhe der Erde im Mittelpunkte des<lb/>
Weltalls für immer zer&#x017F;tört, und dadurch das große Hinderniß<lb/>
weggeräumt, das bisher un&#x017F;ere wahre Erkenntniß des Himmels<lb/>
und alle eigentlichen Fort&#x017F;chritte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gleich&#x017F;am un-<lb/>
möglich gemacht hatte. Er i&#x017F;t dadurch der Gründer oder viel-<lb/>
leicht be&#x017F;&#x017F;er, der eigentliche Veranla&#x017F;&#x017F;er der neuern A&#x017F;tronomie<lb/>
geworden, aber ohne auch zugleich der <hi rendition="#g">Vater</hi> der&#x017F;elben zu &#x017F;eyn,<lb/>
ob&#x017F;chon man ihn oft genug &#x017F;o genannt hat. Denn un&#x017F;er gegen-<lb/>
wärtiges Sy&#x017F;tem i&#x017F;t nicht das Copernicani&#x017F;che, &#x017F;o wie es uns<lb/>
&#x017F;ein Erfinder &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einem Werke darge&#x017F;tellt hat. Es i&#x017F;t viel-<lb/>
mehr &#x017F;ehr davon ver&#x017F;chieden, und die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit be&#x017F;teht nicht<lb/>
in kleinen Verbe&#x017F;&#x017F;erungen und Zu&#x017F;ätzen, &#x017F;ondern in &#x017F;ehr we&#x017F;ent-<lb/>
lichen Aenderungen, die ihm, wenn er jetzt wieder käme, &#x017F;ein<lb/>
eigenes Sy&#x017F;tem vielleicht &#x017F;elb&#x017F;t unkenntlich machen würden, ob&#x017F;chon<lb/>
allerdings die vorzüglich&#x017F;te Idee, die von der täglichen Bewegung<lb/>
der Erde um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und der jährlichen um die Sonne, aber<lb/>
auch &#x017F;on&#x017F;t nichts mehr, dem neuen Sy&#x017F;teme ebenfalls zu Grunde<lb/>
liegt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">17 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[259]/0271] Kapitel IX. Kepler’s Geſetze. §. 126. (Unvollkommenheit des copernicaniſchen Syſtems.) Copernicus hatte durch die Aufſtellung ſeines Planetenſyſtems die ſeit den älteſten Zeiten allgemein angenommenen und gleichſam geheiligten Lehren von der Ruhe der Erde im Mittelpunkte des Weltalls für immer zerſtört, und dadurch das große Hinderniß weggeräumt, das bisher unſere wahre Erkenntniß des Himmels und alle eigentlichen Fortſchritte der Wiſſenſchaft gleichſam un- möglich gemacht hatte. Er iſt dadurch der Gründer oder viel- leicht beſſer, der eigentliche Veranlaſſer der neuern Aſtronomie geworden, aber ohne auch zugleich der Vater derſelben zu ſeyn, obſchon man ihn oft genug ſo genannt hat. Denn unſer gegen- wärtiges Syſtem iſt nicht das Copernicaniſche, ſo wie es uns ſein Erfinder ſelbſt in ſeinem Werke dargeſtellt hat. Es iſt viel- mehr ſehr davon verſchieden, und dieſe Verſchiedenheit beſteht nicht in kleinen Verbeſſerungen und Zuſätzen, ſondern in ſehr weſent- lichen Aenderungen, die ihm, wenn er jetzt wieder käme, ſein eigenes Syſtem vielleicht ſelbſt unkenntlich machen würden, obſchon allerdings die vorzüglichſte Idee, die von der täglichen Bewegung der Erde um ſich ſelbſt und der jährlichen um die Sonne, aber auch ſonſt nichts mehr, dem neuen Syſteme ebenfalls zu Grunde liegt. 17 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/271
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. [259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/271>, abgerufen am 22.12.2024.