Bewunderung erfüllen: das moralische Gesetz in uns, und der gestirnte Himmel über uns.
Jenes erste trägt jeder Mensch in seinem eigenen Busen, und es liegt ihm nahe genug, um hier keiner Erläuterung zu bedürfen. Das zweite aber -- was ist es, das uns an ihm ergötzt, und das, auch noch so oft betrachtet, uns immer wieder zu ihm zu- rückzieht? Worin besteht eigentlich der so oft gerühmte, große Genuß, den der Anblick des gestirnten Himmels jedem gebildeten und gefühlvollen Menschen gewährt?
Der Anblick desselben allein kann es nicht seyn, so wenig als der Anblick einer großen, zur Nachtzeit von unzähligen Lampen beleuchteten Stadt, so wenig, als der eines endlosen Fackelzuges oder als jener des unermeßlichen Meeres. Die Einförmigkeit aller dieser Dinge, so groß sie auch an sich seyn mögen, wird uns bald ermüden, und auch das über uns ausgespannte Gewölbe des Himmels mit seinen Tausenden von Sternen würde uns nicht länger fesseln, als etwa das eines mit eben so vielen Lampen be- setzten Doms, den wir das erstemal anstaunen, und an dem wir später vielleicht gleichgültig und gedankenlos vorübergehen.
Sollte es nicht eben diese Gedankenlosigkeit seyn, die den Anblick des gestirnten Himmels, der sich für den Gebildeten bei jeder folgenden Betrachtung mit immer neuen Reizen schmückt, für den Wilden nur zu einer höchst gleichgültigen Sache macht? Wie viele derselben gibt es, und nicht bloß in den Wäldern von Amerika und Neuholland, sondern auch in den Hauptstädten Europas, die die Sonne und den Mond und dieses zahllose Heer von Sternen täglich vor sich auf- und untergehen sehen, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu fragen, woher sie kommen, und wohin sie gehen, und warum sie ewig in denselben Kreisen um sie ziehen.
Das Nachdenken über diese Gegenstände, und die nähere Betrachtung derselben mit unserem geistigen Auge, dieses muß es also seyn, das uns so mächtig an sie zieht, und das, weit ent- fernt, uns durch die Einförmigkeit des Anblicks zu ermüden, uns vielmehr immer neue, und immer größere Schönheiten dieser Ge- genstände entdecken läßt.
Einleitung.
Bewunderung erfüllen: das moraliſche Geſetz in uns, und der geſtirnte Himmel über uns.
Jenes erſte trägt jeder Menſch in ſeinem eigenen Buſen, und es liegt ihm nahe genug, um hier keiner Erläuterung zu bedürfen. Das zweite aber — was iſt es, das uns an ihm ergötzt, und das, auch noch ſo oft betrachtet, uns immer wieder zu ihm zu- rückzieht? Worin beſteht eigentlich der ſo oft gerühmte, große Genuß, den der Anblick des geſtirnten Himmels jedem gebildeten und gefühlvollen Menſchen gewährt?
Der Anblick deſſelben allein kann es nicht ſeyn, ſo wenig als der Anblick einer großen, zur Nachtzeit von unzähligen Lampen beleuchteten Stadt, ſo wenig, als der eines endloſen Fackelzuges oder als jener des unermeßlichen Meeres. Die Einförmigkeit aller dieſer Dinge, ſo groß ſie auch an ſich ſeyn mögen, wird uns bald ermüden, und auch das über uns ausgeſpannte Gewölbe des Himmels mit ſeinen Tauſenden von Sternen würde uns nicht länger feſſeln, als etwa das eines mit eben ſo vielen Lampen be- ſetzten Doms, den wir das erſtemal anſtaunen, und an dem wir ſpäter vielleicht gleichgültig und gedankenlos vorübergehen.
Sollte es nicht eben dieſe Gedankenloſigkeit ſeyn, die den Anblick des geſtirnten Himmels, der ſich für den Gebildeten bei jeder folgenden Betrachtung mit immer neuen Reizen ſchmückt, für den Wilden nur zu einer höchſt gleichgültigen Sache macht? Wie viele derſelben gibt es, und nicht bloß in den Wäldern von Amerika und Neuholland, ſondern auch in den Hauptſtädten Europas, die die Sonne und den Mond und dieſes zahlloſe Heer von Sternen täglich vor ſich auf- und untergehen ſehen, ohne ſich auch nur ein einziges Mal zu fragen, woher ſie kommen, und wohin ſie gehen, und warum ſie ewig in denſelben Kreiſen um ſie ziehen.
Das Nachdenken über dieſe Gegenſtände, und die nähere Betrachtung derſelben mit unſerem geiſtigen Auge, dieſes muß es alſo ſeyn, das uns ſo mächtig an ſie zieht, und das, weit ent- fernt, uns durch die Einförmigkeit des Anblicks zu ermüden, uns vielmehr immer neue, und immer größere Schönheiten dieſer Ge- genſtände entdecken läßt.
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Einleitung.
Bewunderung erfüllen: das moraliſche Geſetz in uns, und
der geſtirnte Himmel über uns.
Jenes erſte trägt jeder Menſch in ſeinem eigenen Buſen, und
es liegt ihm nahe genug, um hier keiner Erläuterung zu bedürfen.
Das zweite aber — was iſt es, das uns an ihm ergötzt, und
das, auch noch ſo oft betrachtet, uns immer wieder zu ihm zu-
rückzieht? Worin beſteht eigentlich der ſo oft gerühmte, große
Genuß, den der Anblick des geſtirnten Himmels jedem gebildeten
und gefühlvollen Menſchen gewährt?
Der Anblick deſſelben allein kann es nicht ſeyn, ſo wenig als
der Anblick einer großen, zur Nachtzeit von unzähligen Lampen
beleuchteten Stadt, ſo wenig, als der eines endloſen Fackelzuges
oder als jener des unermeßlichen Meeres. Die Einförmigkeit
aller dieſer Dinge, ſo groß ſie auch an ſich ſeyn mögen, wird uns
bald ermüden, und auch das über uns ausgeſpannte Gewölbe des
Himmels mit ſeinen Tauſenden von Sternen würde uns nicht
länger feſſeln, als etwa das eines mit eben ſo vielen Lampen be-
ſetzten Doms, den wir das erſtemal anſtaunen, und an dem
wir ſpäter vielleicht gleichgültig und gedankenlos vorübergehen.
Sollte es nicht eben dieſe Gedankenloſigkeit ſeyn, die den
Anblick des geſtirnten Himmels, der ſich für den Gebildeten bei
jeder folgenden Betrachtung mit immer neuen Reizen ſchmückt,
für den Wilden nur zu einer höchſt gleichgültigen Sache macht?
Wie viele derſelben gibt es, und nicht bloß in den Wäldern von
Amerika und Neuholland, ſondern auch in den Hauptſtädten
Europas, die die Sonne und den Mond und dieſes zahlloſe Heer
von Sternen täglich vor ſich auf- und untergehen ſehen, ohne ſich
auch nur ein einziges Mal zu fragen, woher ſie kommen, und
wohin ſie gehen, und warum ſie ewig in denſelben Kreiſen um ſie
ziehen.
Das Nachdenken über dieſe Gegenſtände, und die nähere
Betrachtung derſelben mit unſerem geiſtigen Auge, dieſes muß
es alſo ſeyn, das uns ſo mächtig an ſie zieht, und das, weit ent-
fernt, uns durch die Einförmigkeit des Anblicks zu ermüden, uns
vielmehr immer neue, und immer größere Schönheiten dieſer Ge-
genſtände entdecken läßt.
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/24>, abgerufen am 16.02.2025.
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