1. Der Schutz wird zunächst den Staatsangehörigen gewährt.
Über seine Ausdehnung in den Konsular-Gerichtsbezirken unten § 15 IV.
Er kann aber durch die mit einem andern Staat allgemein oder auf den besonderen Fall (etwa während eines Krieges) geschlossenen Ver- träge diesem Staat übertragen werden. Die durch allgemeine Verein- barung der Schutzgewalt eines andern Staates empfohlenen Personen werden "Schutzgenossen" genannt.
Vgl. Artikel 21 des deutsch-österreichischen Handels- und Zollvertrags vom 6. Dezember 1891 (R. G. Bl. 1892 S. 3): "Jeder der vertragschliessenden Teile wird seine Konsuln im Auslande ver- pflichten, den Angehörigen des anderen Teiles, sofern letzterer an dem betreffenden Platze durch einen Konsul nicht vertreten ist, Schutz und Beistand in derselben Art und gegen nicht höhere Ge- bühren wie den eigenen Angehörigen zu gewähren." Deutsche Schutzgenossen sind ferner die Staatsangehörigen der Schweiz und Luxemburgs.
2. Zu den Schutzgenossen treten in den konsularischen Juris- diktionsbezirken die sogenannten "de facto Unterthanen" hinzu; das sind Staatsfremde (meist Eingeborne des Staates, in welchem der Konsul beglaubigt ist), die wegen ihrer amtlichen Beziehungen zum Konsul, insbesondere als Dolmetscher (Dragomans), Kavassen u. s. w. oder wegen besonderer von ihnen geleisteten Dienste durch einen individuellen "Schutzbrief" unter den Schutz des Konsuls gestellt und dadurch in gewissem Umfang auch der den Staatsbürgern des Schutzstaates einge- räumten Rechte teilhaftig werden.
Beachtenswert ist in dieser Beziehung die zwischen England, Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Italien, Dänemark, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, Schweden, Portugal und Marokko am 3. Juli 1880 zu Madrid abgeschlossene "Konvention über die Ausübung des Schutzrechtes in Marokko" (R. G. Bl. 1881 S. 103), die insbesondere der missbräuchlichen Aus- dehnung des Schutzrechtes entgegenzutreten bestimmt ist.
IV.
Den Erwerb der Herrschaft über die Gebietsangehörigen bei Gebietserwerbungen behandelt § 10 II.
v. Liszt, Völkerrecht. 5
§ 11. Das Staatsvolk.
1. Der Schutz wird zunächst den Staatsangehörigen gewährt.
Über seine Ausdehnung in den Konsular-Gerichtsbezirken unten § 15 IV.
Er kann aber durch die mit einem andern Staat allgemein oder auf den besonderen Fall (etwa während eines Krieges) geschlossenen Ver- träge diesem Staat übertragen werden. Die durch allgemeine Verein- barung der Schutzgewalt eines andern Staates empfohlenen Personen werden „Schutzgenossen“ genannt.
Vgl. Artikel 21 des deutsch-österreichischen Handels- und Zollvertrags vom 6. Dezember 1891 (R. G. Bl. 1892 S. 3): „Jeder der vertragschlieſsenden Teile wird seine Konsuln im Auslande ver- pflichten, den Angehörigen des anderen Teiles, sofern letzterer an dem betreffenden Platze durch einen Konsul nicht vertreten ist, Schutz und Beistand in derselben Art und gegen nicht höhere Ge- bühren wie den eigenen Angehörigen zu gewähren.“ Deutsche Schutzgenossen sind ferner die Staatsangehörigen der Schweiz und Luxemburgs.
2. Zu den Schutzgenossen treten in den konsularischen Juris- diktionsbezirken die sogenannten „de facto Unterthanen“ hinzu; das sind Staatsfremde (meist Eingeborne des Staates, in welchem der Konsul beglaubigt ist), die wegen ihrer amtlichen Beziehungen zum Konsul, insbesondere als Dolmetscher (Dragomans), Kavassen u. s. w. oder wegen besonderer von ihnen geleisteten Dienste durch einen individuellen „Schutzbrief“ unter den Schutz des Konsuls gestellt und dadurch in gewissem Umfang auch der den Staatsbürgern des Schutzstaates einge- räumten Rechte teilhaftig werden.
Beachtenswert ist in dieser Beziehung die zwischen England, Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Italien, Dänemark, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, Schweden, Portugal und Marokko am 3. Juli 1880 zu Madrid abgeschlossene „Konvention über die Ausübung des Schutzrechtes in Marokko“ (R. G. Bl. 1881 S. 103), die insbesondere der miſsbräuchlichen Aus- dehnung des Schutzrechtes entgegenzutreten bestimmt ist.
IV.
Den Erwerb der Herrschaft über die Gebietsangehörigen bei Gebietserwerbungen behandelt § 10 II.
v. Liszt, Völkerrecht. 5
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§ 11. Das Staatsvolk.
1. Der Schutz wird zunächst den Staatsangehörigen gewährt.
Über seine Ausdehnung in den Konsular-Gerichtsbezirken
unten § 15 IV.
Er kann aber durch die mit einem andern Staat allgemein oder
auf den besonderen Fall (etwa während eines Krieges) geschlossenen Ver-
träge diesem Staat übertragen werden. Die durch allgemeine Verein-
barung der Schutzgewalt eines andern Staates empfohlenen Personen
werden „Schutzgenossen“ genannt.
Vgl. Artikel 21 des deutsch-österreichischen Handels- und
Zollvertrags vom 6. Dezember 1891 (R. G. Bl. 1892 S. 3): „Jeder der
vertragschlieſsenden Teile wird seine Konsuln im Auslande ver-
pflichten, den Angehörigen des anderen Teiles, sofern letzterer an
dem betreffenden Platze durch einen Konsul nicht vertreten ist,
Schutz und Beistand in derselben Art und gegen nicht höhere Ge-
bühren wie den eigenen Angehörigen zu gewähren.“ Deutsche
Schutzgenossen sind ferner die Staatsangehörigen der Schweiz und
Luxemburgs.
2. Zu den Schutzgenossen treten in den konsularischen Juris-
diktionsbezirken die sogenannten „de facto Unterthanen“ hinzu; das
sind Staatsfremde (meist Eingeborne des Staates, in welchem der Konsul
beglaubigt ist), die wegen ihrer amtlichen Beziehungen zum Konsul,
insbesondere als Dolmetscher (Dragomans), Kavassen u. s. w. oder wegen
besonderer von ihnen geleisteten Dienste durch einen individuellen
„Schutzbrief“ unter den Schutz des Konsuls gestellt und dadurch in
gewissem Umfang auch der den Staatsbürgern des Schutzstaates einge-
räumten Rechte teilhaftig werden.
Beachtenswert ist in dieser Beziehung die zwischen England,
Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Italien,
Dänemark, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, Schweden,
Portugal und Marokko am 3. Juli 1880 zu Madrid abgeschlossene
„Konvention über die Ausübung des Schutzrechtes in Marokko“
(R. G. Bl. 1881 S. 103), die insbesondere der miſsbräuchlichen Aus-
dehnung des Schutzrechtes entgegenzutreten bestimmt ist.
IV. Den Erwerb der Herrschaft über die Gebietsangehörigen bei
Gebietserwerbungen behandelt § 10 II.
v. Liszt, Völkerrecht. 5
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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/87>, abgerufen am 19.07.2024.
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