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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 8. Die Souveränität als innere Unabhängigkeit.
b) auf seinem Gebiet die Ausübung eines eignen Hoheits-
rechtes zu unterlassen.

Beispiele für a: Die Einräumung eines Besetzungs- oder
Durchzugsrechtes, einer Kohlenstation, einer Fischereigerechtsame.

Beispiele für b: Die Neutralisierung gewisser Gebiete (unten
§ 40 I). Ferner: Die durch den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867
getroffene Bestimmung, dass die geschleiften Befestigungen der Stadt
Luxemburg nicht wieder aufgerichtet werden dürfen. Die durch
Artikel 29 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878 Montenegro auf-
erlegte Verpflichtung, am Laufe der Bojana keine Befestigungen anzu-
legen, soweit sie nicht zur Verteidigung von Skutari bis zu 6 km
von der Stadt notwendig sind. Die Bestimmung des Konstantinopler
Vertrages vom 2. Juli 1881 (Abtretung eines Teiles von Thessalien
und von Arta an Griechenland), nach welcher die Befestigungen
am Golfe von Arta niedergelegt und in Friedenszeiten nicht er-
neuert werden sollen.

Clauss, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten. 1894.

Es ist völlig irreführend, in diesen Fällen von (positiven und
negativen) völkerrechtlichen Servituten zu sprechen. Denn
ganz abgesehen davon, dass an Stelle des praedium dominans der
berechtigte Staat und seine Angehörigen treten, fehlt vor allem der
dingliche Charakter dieser Berechtigungen. Wenn Russland etwa
auf einer französischen Insel eine Kohlenstation eingeräumt erhält,
und später England diese französische Insel erwirbt, so kann durch-
aus nicht behauptet werden, dass der Erwerber des belasteten Ge-
bietes ohne weiteres in die Verbindlichkeit seines Vorgängers ein-
rückt. Es ist vielmehr in solchem Falle Sache des Veräusserers,
den bisher Berechtigten zu entschädigen, wenn dieser nicht aus-
drücklich oder stillschweigend, durch vorbehaltlose Einwilligung
in die Gebietsveränderung, auf sein Recht verzichtet.

Anders liegt die Sache dann, wenn, insbesondere bei der
Verpflichtung, die Ausübung von Hoheitsrechten zu unterlassen,
die Bindung des verpflichteten Staates nicht im einseitigen Interesse
seines Vertragsgegners, sondern etwa durch Kongressbeschluss im

§ 8. Die Souveränität als innere Unabhängigkeit.
b) auf seinem Gebiet die Ausübung eines eignen Hoheits-
rechtes zu unterlassen.

Beispiele für a: Die Einräumung eines Besetzungs- oder
Durchzugsrechtes, einer Kohlenstation, einer Fischereigerechtsame.

Beispiele für b: Die Neutralisierung gewisser Gebiete (unten
§ 40 I). Ferner: Die durch den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867
getroffene Bestimmung, daſs die geschleiften Befestigungen der Stadt
Luxemburg nicht wieder aufgerichtet werden dürfen. Die durch
Artikel 29 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878 Montenegro auf-
erlegte Verpflichtung, am Laufe der Bojana keine Befestigungen anzu-
legen, soweit sie nicht zur Verteidigung von Skutari bis zu 6 km
von der Stadt notwendig sind. Die Bestimmung des Konstantinopler
Vertrages vom 2. Juli 1881 (Abtretung eines Teiles von Thessalien
und von Arta an Griechenland), nach welcher die Befestigungen
am Golfe von Arta niedergelegt und in Friedenszeiten nicht er-
neuert werden sollen.

Clauſs, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten. 1894.

Es ist völlig irreführend, in diesen Fällen von (positiven und
negativen) völkerrechtlichen Servituten zu sprechen. Denn
ganz abgesehen davon, daſs an Stelle des praedium dominans der
berechtigte Staat und seine Angehörigen treten, fehlt vor allem der
dingliche Charakter dieser Berechtigungen. Wenn Ruſsland etwa
auf einer französischen Insel eine Kohlenstation eingeräumt erhält,
und später England diese französische Insel erwirbt, so kann durch-
aus nicht behauptet werden, daſs der Erwerber des belasteten Ge-
bietes ohne weiteres in die Verbindlichkeit seines Vorgängers ein-
rückt. Es ist vielmehr in solchem Falle Sache des Veräuſserers,
den bisher Berechtigten zu entschädigen, wenn dieser nicht aus-
drücklich oder stillschweigend, durch vorbehaltlose Einwilligung
in die Gebietsveränderung, auf sein Recht verzichtet.

Anders liegt die Sache dann, wenn, insbesondere bei der
Verpflichtung, die Ausübung von Hoheitsrechten zu unterlassen,
die Bindung des verpflichteten Staates nicht im einseitigen Interesse
seines Vertragsgegners, sondern etwa durch Kongreſsbeschluſs im

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[43/0065] § 8. Die Souveränität als innere Unabhängigkeit. b) auf seinem Gebiet die Ausübung eines eignen Hoheits- rechtes zu unterlassen. Beispiele für a: Die Einräumung eines Besetzungs- oder Durchzugsrechtes, einer Kohlenstation, einer Fischereigerechtsame. Beispiele für b: Die Neutralisierung gewisser Gebiete (unten § 40 I). Ferner: Die durch den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 getroffene Bestimmung, daſs die geschleiften Befestigungen der Stadt Luxemburg nicht wieder aufgerichtet werden dürfen. Die durch Artikel 29 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878 Montenegro auf- erlegte Verpflichtung, am Laufe der Bojana keine Befestigungen anzu- legen, soweit sie nicht zur Verteidigung von Skutari bis zu 6 km von der Stadt notwendig sind. Die Bestimmung des Konstantinopler Vertrages vom 2. Juli 1881 (Abtretung eines Teiles von Thessalien und von Arta an Griechenland), nach welcher die Befestigungen am Golfe von Arta niedergelegt und in Friedenszeiten nicht er- neuert werden sollen. Clauſs, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten. 1894. Es ist völlig irreführend, in diesen Fällen von (positiven und negativen) völkerrechtlichen Servituten zu sprechen. Denn ganz abgesehen davon, daſs an Stelle des praedium dominans der berechtigte Staat und seine Angehörigen treten, fehlt vor allem der dingliche Charakter dieser Berechtigungen. Wenn Ruſsland etwa auf einer französischen Insel eine Kohlenstation eingeräumt erhält, und später England diese französische Insel erwirbt, so kann durch- aus nicht behauptet werden, daſs der Erwerber des belasteten Ge- bietes ohne weiteres in die Verbindlichkeit seines Vorgängers ein- rückt. Es ist vielmehr in solchem Falle Sache des Veräuſserers, den bisher Berechtigten zu entschädigen, wenn dieser nicht aus- drücklich oder stillschweigend, durch vorbehaltlose Einwilligung in die Gebietsveränderung, auf sein Recht verzichtet. Anders liegt die Sache dann, wenn, insbesondere bei der Verpflichtung, die Ausübung von Hoheitsrechten zu unterlassen, die Bindung des verpflichteten Staates nicht im einseitigen Interesse seines Vertragsgegners, sondern etwa durch Kongreſsbeschluſs im

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/65>, abgerufen am 24.11.2024.