IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
Der Begriff der "Vergeltung" schliesst daher die Anwendung einer der Billigkeit zuwiderlaufenden Massregel, eines jus iniquum in sich; er schliesst aber umgekehrt jede Verletzung des Völkerrechts begrifflich aus. Die Unbilligkeit wird zumeist in einer differenziellen Behandlung des sich beschwerenden Staates, also darin bestehen, dass dieser schlechter behandelt wird als die übrigen Staaten. Als ein im heutigen Staatenverkehr praktisch besonders wichtiger Fall der Vergeltung erscheint der sogenannte Zollkrieg. So können nach § 6 Absatz 1 des Deutschen Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 (R. G. Bl. 1879 S. 207) "Waren, welche aus Staaten kommen, welche deutsche Schiffe oder Waren deutscher Herkunft ungünstiger behandeln, als diejenigen anderer Staaten, ..... mit einem Zu- schlage bis zu 50 Prozent des Betrages der tarifmässigen Eingangs- abgabe belegt werden." Auch der Ausschluss fremder Staatspapiere von dem amtlichen Börsenverkehr und die Verschärfung des Pass- zwanges haben in den letzten Jahren eine Rolle gespielt.
Die Anwendung der Vergeltung kann durch die nationale Gesetzgebung an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. So verfügt Artikel 31 des Einführungsgesetzes zum deutschen Bürger- lichen Gesetzbuche: "Unter Zustimmung des Bundesrats kann durch Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, dass gegen einen ausländischen Staat sowie dessen Angehörige und ihre Rechts- nachfolger ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht wird"; eine Bestimmung, die sich aber nur auf das internationale Privat- recht bezieht.
Es wird ferner, insbesondere auch in den von dem Deutschen Reich mit den mittel- und südamerikanischen Staaten geschlossenen Verträgen, die Anwendung der Vergeltung vielfach ausdrücklich eingeschränkt.
So bestimmt Artikel XXXVI des deutschen Freundschafts- u. s. w. Vertrages mit Costa Rica vom 18. Mai 1875 (R. G. Bl. 1877 S. 13): "Im Falle, dass einer der vertragenden Teile der Meinung sein sollte, es sei eine der Bestimmungen des gegenwärtigen Ver- trages zu seinem Nachteile verletzt worden, soll er alsbald eine
IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
Der Begriff der „Vergeltung“ schlieſst daher die Anwendung einer der Billigkeit zuwiderlaufenden Maſsregel, eines jus iniquum in sich; er schlieſst aber umgekehrt jede Verletzung des Völkerrechts begrifflich aus. Die Unbilligkeit wird zumeist in einer differenziellen Behandlung des sich beschwerenden Staates, also darin bestehen, daſs dieser schlechter behandelt wird als die übrigen Staaten. Als ein im heutigen Staatenverkehr praktisch besonders wichtiger Fall der Vergeltung erscheint der sogenannte Zollkrieg. So können nach § 6 Absatz 1 des Deutschen Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 (R. G. Bl. 1879 S. 207) „Waren, welche aus Staaten kommen, welche deutsche Schiffe oder Waren deutscher Herkunft ungünstiger behandeln, als diejenigen anderer Staaten, ..... mit einem Zu- schlage bis zu 50 Prozent des Betrages der tarifmäſsigen Eingangs- abgabe belegt werden.“ Auch der Ausschluſs fremder Staatspapiere von dem amtlichen Börsenverkehr und die Verschärfung des Paſs- zwanges haben in den letzten Jahren eine Rolle gespielt.
Die Anwendung der Vergeltung kann durch die nationale Gesetzgebung an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. So verfügt Artikel 31 des Einführungsgesetzes zum deutschen Bürger- lichen Gesetzbuche: „Unter Zustimmung des Bundesrats kann durch Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, daſs gegen einen ausländischen Staat sowie dessen Angehörige und ihre Rechts- nachfolger ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht wird“; eine Bestimmung, die sich aber nur auf das internationale Privat- recht bezieht.
Es wird ferner, insbesondere auch in den von dem Deutschen Reich mit den mittel- und südamerikanischen Staaten geschlossenen Verträgen, die Anwendung der Vergeltung vielfach ausdrücklich eingeschränkt.
So bestimmt Artikel XXXVI des deutschen Freundschafts- u. s. w. Vertrages mit Costa Rica vom 18. Mai 1875 (R. G. Bl. 1877 S. 13): „Im Falle, daſs einer der vertragenden Teile der Meinung sein sollte, es sei eine der Bestimmungen des gegenwärtigen Ver- trages zu seinem Nachteile verletzt worden, soll er alsbald eine
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IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
Der Begriff der „Vergeltung“ schlieſst daher die Anwendung
einer der Billigkeit zuwiderlaufenden Maſsregel, eines jus iniquum
in sich; er schlieſst aber umgekehrt jede Verletzung des Völkerrechts
begrifflich aus. Die Unbilligkeit wird zumeist in einer differenziellen
Behandlung des sich beschwerenden Staates, also darin bestehen,
daſs dieser schlechter behandelt wird als die übrigen Staaten. Als
ein im heutigen Staatenverkehr praktisch besonders wichtiger Fall
der Vergeltung erscheint der sogenannte Zollkrieg. So können
nach § 6 Absatz 1 des Deutschen Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879
(R. G. Bl. 1879 S. 207) „Waren, welche aus Staaten kommen,
welche deutsche Schiffe oder Waren deutscher Herkunft ungünstiger
behandeln, als diejenigen anderer Staaten, ..... mit einem Zu-
schlage bis zu 50 Prozent des Betrages der tarifmäſsigen Eingangs-
abgabe belegt werden.“ Auch der Ausschluſs fremder Staatspapiere
von dem amtlichen Börsenverkehr und die Verschärfung des Paſs-
zwanges haben in den letzten Jahren eine Rolle gespielt.
Die Anwendung der Vergeltung kann durch die nationale
Gesetzgebung an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. So
verfügt Artikel 31 des Einführungsgesetzes zum deutschen Bürger-
lichen Gesetzbuche: „Unter Zustimmung des Bundesrats kann durch
Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, daſs gegen einen
ausländischen Staat sowie dessen Angehörige und ihre Rechts-
nachfolger ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht wird“;
eine Bestimmung, die sich aber nur auf das internationale Privat-
recht bezieht.
Es wird ferner, insbesondere auch in den von dem Deutschen
Reich mit den mittel- und südamerikanischen Staaten geschlossenen
Verträgen, die Anwendung der Vergeltung vielfach ausdrücklich
eingeschränkt.
So bestimmt Artikel XXXVI des deutschen Freundschafts-
u. s. w. Vertrages mit Costa Rica vom 18. Mai 1875 (R. G. Bl. 1877
S. 13): „Im Falle, daſs einer der vertragenden Teile der Meinung
sein sollte, es sei eine der Bestimmungen des gegenwärtigen Ver-
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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/226>, abgerufen am 28.07.2024.
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