Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge- schränkt durch den Zusatz, dass die gewissen Mächten gewährten Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom 10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt worden, in Absatz 3: "Jedoch sind ausgenommen von der vorge- dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland, Schweiz, Österreich, Russland".
Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er- klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist- begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober- herrliche Frankreich geniesst. Vgl. weiter den deutschen Freund- schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: "Es ist verabredet worden, dass die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs- rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden."
Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.
Melle in H. H. III 204.
IV.
Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.
Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.
1. Die Behauptung, dass alle völkerrechtlichen Verträge mit der stillschweigenden Klausel "rebus sic stantibus" geschlossen werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.
Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind, können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf
§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.
Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge- schränkt durch den Zusatz, daſs die gewissen Mächten gewährten Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom 10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt worden, in Absatz 3: „Jedoch sind ausgenommen von der vorge- dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland, Schweiz, Österreich, Ruſsland“.
Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er- klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist- begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober- herrliche Frankreich genieſst. Vgl. weiter den deutschen Freund- schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: „Es ist verabredet worden, daſs die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs- rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden.“
Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.
Melle in H. H. III 204.
IV.
Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.
Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.
1. Die Behauptung, daſs alle völkerrechtlichen Verträge mit der stillschweigenden Klausel „rebus sic stantibus“ geschlossen werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.
Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind, können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0139"n="117"/><fwplace="top"type="header">§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.</fw><lb/><p>Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge-<lb/>
schränkt durch den Zusatz, daſs die gewissen Mächten gewährten<lb/>
Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen<lb/>
sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom<lb/>
10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt<lb/>
worden, in Absatz 3: „Jedoch sind ausgenommen von der vorge-<lb/>
dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden<lb/>
Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder<lb/>
gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland,<lb/>
Schweiz, Österreich, Ruſsland“.</p><lb/><p>Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er-<lb/>
klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach<lb/>
welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist-<lb/>
begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober-<lb/>
herrliche Frankreich genieſst. Vgl. weiter den deutschen Freund-<lb/>
schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896<lb/>
(R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: „Es ist verabredet worden,<lb/>
daſs die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den<lb/>
übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben<lb/>
eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf<lb/>
Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs-<lb/>
rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch<lb/>
allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden.“</p><lb/><p><hirendition="#et"><hirendition="#g">Schraut</hi>, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et"><hirendition="#g">Melle</hi> in H. H. III 204.</hi></p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">IV.</hi></head><p><hirendition="#b">Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der<lb/>
allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.</hi></p><lb/><p>Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.</p><lb/><p>1. Die Behauptung, daſs alle völkerrechtlichen Verträge mit<lb/>
der stillschweigenden Klausel „rebus sic stantibus“ geschlossen<lb/>
werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das<lb/>
Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.</p><lb/><p><hirendition="#b">Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind,<lb/>
können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf</hi><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[117/0139]
§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.
Die Zusage der Meistbegünstigung wird wohl auch einge-
schränkt durch den Zusatz, daſs die gewissen Mächten gewährten
Begünstigungen dem andern Kontrahenten nicht zu gute kommen
sollen. So bestimmt Artikel 11 des Frankfurter Friedens vom
10. Mai 1871, nachdem in Absatz 1 die Meistbegünstigung zugesagt
worden, in Absatz 3: „Jedoch sind ausgenommen von der vorge-
dachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden
Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder
gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland,
Schweiz, Österreich, Ruſsland“.
Ein weiteres Beispiel bietet die deutsch-französische Er-
klärung vom 18. November 1896 (R. G. Bl. 1897 S. 7), nach
welcher von dem dem Deutschen Reich in Tunis gewährten Meist-
begünstigungsrecht die Vorteile ausgenommen sind, die das ober-
herrliche Frankreich genieſst. Vgl. weiter den deutschen Freund-
schafts- u. s. w. Vertrag mit Nicaragua vom 4. Februar 1896
(R. G. Bl. 1897 S. 171) Artikel 32: „Es ist verabredet worden,
daſs die besonderen Vorteile, welche der Freistaat Nicaragua den
übrigen vier mittelamerikanischen Freistaaten oder einem derselben
eingeräumt hat oder künftig einräumen wird, deutscherseits auf
Grund des in diesem Vertrage zugestandenen Meistbegünstigungs-
rechts nicht beansprucht werden können, solange jene Vorteile auch
allen anderen dritten Staaten vorenthalten werden.“
Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. 1874.
Melle in H. H. III 204.
IV. Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der
allgemeinen Rechtslehre angehörigen Grundsätzen.
Nur zwei Punkte bedürfen der Erörterung.
1. Die Behauptung, daſs alle völkerrechtlichen Verträge mit
der stillschweigenden Klausel „rebus sic stantibus“ geschlossen
werden, ist zweifellos unrichtig; durch diesen Satz würde das
Völkerrecht in seinen Grundlagen verneint.
Verträge, die auf eine bestimmte Zeit geschlossen worden sind,
können, mangels besonderer Vereinbarung, jedenfalls nicht vor Ablauf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/139>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.