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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. II. Das Strafgesetz.

Dieser Satz gilt zunächst für das Verhältnis der ein-
zelnen Reichsstrafgesetze zu einander, ohne Rücksicht
darauf, ob das spätere oder das frühere Gesetz ein sog.
Spezialgesetz oder das StGB. selbst ist. So ist §. 23 des
Wechselstempelsteuergesetzes vom 10. Juni 1869, also eines
Spezialgesetzes, beseitigt durch §§. 275, 276 RStGB.; so
ist umgekehrt §. 287 StGB. ersetzt worden durch §. 14 des
Gesetzes über den Markenschutz v. 30. November 1874.

Derselbe Satz gilt ferner für das Verhältnis der Reichs-
strafgesetze zu den früheren Landesstrafgesetzen5 (aber nicht
umgekehrt), und wurde in diesem Zusammenhange bereits
besprochen.6

Er gilt endlich auch für das Verhältnis der Reichs-
strafgesetzgebung zu dem Civilrechte, soweit eine Regelung
der diesem angehörenden Materien durch jene stattgefunden
hat. So sind die deutschrechtlichen Institute der Abbitte,
des Widerrufes, der Ehrenerklärung;7 so sind die Privat-
strafen des römischen Rechtes,8 so sind die Straffolgen der
unbefugten Selbsthülfe9 beseitigt worden durch das StGB.

II. Ein Rechtssatz herrscht oder gilt, heißt: Die von
ihm an einen Thatbestand geknüpften Rechtsfolgen treten
ein, sobald der Thatbestand gegeben ist. Daraus folgt, daß
jeder Rechtssatz nur auf die während seiner Herrschaft ent-
standenen Thatbestände angewendet werden kann, soweit er
nicht selbst auch die hinter ihm liegenden Thatsachen ergreifen
zu wollen erklärt.10

Dieß gilt auch für die Strafrechtssätze. Auch sie haben

5 [Spaltenumbruch] EG. §. 2 Abs. 1 u. 2.
6 [Spaltenumbruch] Vgl. oben §. 11 I.
7 [Spaltenumbruch] Vgl. Meyer S. 423,
Windscheid §. 472 Note 8.
8 [Spaltenumbruch] Vgl. Windscheid §. 326
mit der Lit.
9 [Spaltenumbruch] Windscheid §. 123.
10 [Spaltenumbruch] Vgl. Windscheid §. 32.
Einleitung. II. Das Strafgeſetz.

Dieſer Satz gilt zunächſt für das Verhältnis der ein-
zelnen Reichsſtrafgeſetze zu einander, ohne Rückſicht
darauf, ob das ſpätere oder das frühere Geſetz ein ſog.
Spezialgeſetz oder das StGB. ſelbſt iſt. So iſt §. 23 des
Wechſelſtempelſteuergeſetzes vom 10. Juni 1869, alſo eines
Spezialgeſetzes, beſeitigt durch §§. 275, 276 RStGB.; ſo
iſt umgekehrt §. 287 StGB. erſetzt worden durch §. 14 des
Geſetzes über den Markenſchutz v. 30. November 1874.

Derſelbe Satz gilt ferner für das Verhältnis der Reichs-
ſtrafgeſetze zu den früheren Landesſtrafgeſetzen5 (aber nicht
umgekehrt), und wurde in dieſem Zuſammenhange bereits
beſprochen.6

Er gilt endlich auch für das Verhältnis der Reichs-
ſtrafgeſetzgebung zu dem Civilrechte, ſoweit eine Regelung
der dieſem angehörenden Materien durch jene ſtattgefunden
hat. So ſind die deutſchrechtlichen Inſtitute der Abbitte,
des Widerrufes, der Ehrenerklärung;7 ſo ſind die Privat-
ſtrafen des römiſchen Rechtes,8 ſo ſind die Straffolgen der
unbefugten Selbſthülfe9 beſeitigt worden durch das StGB.

II. Ein Rechtsſatz herrſcht oder gilt, heißt: Die von
ihm an einen Thatbeſtand geknüpften Rechtsfolgen treten
ein, ſobald der Thatbeſtand gegeben iſt. Daraus folgt, daß
jeder Rechtsſatz nur auf die während ſeiner Herrſchaft ent-
ſtandenen Thatbeſtände angewendet werden kann, ſoweit er
nicht ſelbſt auch die hinter ihm liegenden Thatſachen ergreifen
zu wollen erklärt.10

Dieß gilt auch für die Strafrechtsſätze. Auch ſie haben

5 [Spaltenumbruch] EG. §. 2 Abſ. 1 u. 2.
6 [Spaltenumbruch] Vgl. oben §. 11 I.
7 [Spaltenumbruch] Vgl. Meyer S. 423,
Windſcheid §. 472 Note 8.
8 [Spaltenumbruch] Vgl. Windſcheid §. 326
mit der Lit.
9 [Spaltenumbruch] Windſcheid §. 123.
10 [Spaltenumbruch] Vgl. Windſcheid §. 32.
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[48/0074] Einleitung. II. Das Strafgeſetz. Dieſer Satz gilt zunächſt für das Verhältnis der ein- zelnen Reichsſtrafgeſetze zu einander, ohne Rückſicht darauf, ob das ſpätere oder das frühere Geſetz ein ſog. Spezialgeſetz oder das StGB. ſelbſt iſt. So iſt §. 23 des Wechſelſtempelſteuergeſetzes vom 10. Juni 1869, alſo eines Spezialgeſetzes, beſeitigt durch §§. 275, 276 RStGB.; ſo iſt umgekehrt §. 287 StGB. erſetzt worden durch §. 14 des Geſetzes über den Markenſchutz v. 30. November 1874. Derſelbe Satz gilt ferner für das Verhältnis der Reichs- ſtrafgeſetze zu den früheren Landesſtrafgeſetzen 5 (aber nicht umgekehrt), und wurde in dieſem Zuſammenhange bereits beſprochen. 6 Er gilt endlich auch für das Verhältnis der Reichs- ſtrafgeſetzgebung zu dem Civilrechte, ſoweit eine Regelung der dieſem angehörenden Materien durch jene ſtattgefunden hat. So ſind die deutſchrechtlichen Inſtitute der Abbitte, des Widerrufes, der Ehrenerklärung; 7 ſo ſind die Privat- ſtrafen des römiſchen Rechtes, 8 ſo ſind die Straffolgen der unbefugten Selbſthülfe 9 beſeitigt worden durch das StGB. II. Ein Rechtsſatz herrſcht oder gilt, heißt: Die von ihm an einen Thatbeſtand geknüpften Rechtsfolgen treten ein, ſobald der Thatbeſtand gegeben iſt. Daraus folgt, daß jeder Rechtsſatz nur auf die während ſeiner Herrſchaft ent- ſtandenen Thatbeſtände angewendet werden kann, ſoweit er nicht ſelbſt auch die hinter ihm liegenden Thatſachen ergreifen zu wollen erklärt. 10 Dieß gilt auch für die Strafrechtsſätze. Auch ſie haben 5 EG. §. 2 Abſ. 1 u. 2. 6 Vgl. oben §. 11 I. 7 Vgl. Meyer S. 423, Windſcheid §. 472 Note 8. 8 Vgl. Windſcheid §. 326 mit der Lit. 9 Windſcheid §. 123. 10 Vgl. Windſcheid §. 32.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/74>, abgerufen am 24.11.2024.