Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
das labil gewordene sittliche Gleichgewicht des Ver-
brechers zu einem stabilen macht (Besserung).

2. Als unmittelbarer Zwang oder physische Gewalt durch
dauernde oder vorübergehende Sequestrirung des Verbrechers
(Sicherung).

III. Art und Maß der Strafe hat sich daher lediglich
nach dem im Einzelfalle angestrebten Ziele zu richten. Die
Strafe muß eine andere sein nach Inhalt und Umfang, wenn
sie präveniren, eine andere wenn sie bessern, eine andere
wenn sie sichern soll. Allerdings huldigt die moderne Straf-
gesetzgebung nur selten und meist unbewußt diesem Gedanken;
sie behandelt den unverbesserlichen Gewohnheitsdieb und den
reuezerknirschten Gelegenheitsverbrecher nach derselben Scha-
blone.

Aber die scharfe Betonung des Zweckmomentes im Recht
überhaupt und in der Strafe insbesondere findet immer
zahlreichere und immer bedeutendere Anhänger. Und die
Zeit ist hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vorüber, in
welcher die Forderung, daß die Staatsgewalt nicht ziel- und
zwecklos die Rechtsgüter der Rechtsgenossen vernichte, als
rationalistischer Dilettantismus abgefertigt werden kann.

Einer weiteren Rechtfertigung der Strafe, als des
Nachweises ihrer Tauglichkeit zum Zwecke und ihrer Unent-
behrlichkeit bedarf es nicht. Wer dem Staate den Nachweis
seiner Berechtigung zu strafen auferlegt, verkennt, daß der
Begriff des Rechtes aus dem des Staates abzuleiten ist und
nicht umgekehrt, daß das Recht im subjektiven Sinne ein
Wollen-Dürfen ist, und die Grenzen des Dürfens vom
Staate bestimmt werden.

Die eben besprochene Auffassung der Strafe entrückt das
Strafrecht dem Streite über die menschliche Willensfreiheit.

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
das labil gewordene ſittliche Gleichgewicht des Ver-
brechers zu einem ſtabilen macht (Beſſerung).

2. Als unmittelbarer Zwang oder phyſiſche Gewalt durch
dauernde oder vorübergehende Sequeſtrirung des Verbrechers
(Sicherung).

III. Art und Maß der Strafe hat ſich daher lediglich
nach dem im Einzelfalle angeſtrebten Ziele zu richten. Die
Strafe muß eine andere ſein nach Inhalt und Umfang, wenn
ſie präveniren, eine andere wenn ſie beſſern, eine andere
wenn ſie ſichern ſoll. Allerdings huldigt die moderne Straf-
geſetzgebung nur ſelten und meiſt unbewußt dieſem Gedanken;
ſie behandelt den unverbeſſerlichen Gewohnheitsdieb und den
reuezerknirſchten Gelegenheitsverbrecher nach derſelben Scha-
blone.

Aber die ſcharfe Betonung des Zweckmomentes im Recht
überhaupt und in der Strafe insbeſondere findet immer
zahlreichere und immer bedeutendere Anhänger. Und die
Zeit iſt hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vorüber, in
welcher die Forderung, daß die Staatsgewalt nicht ziel- und
zwecklos die Rechtsgüter der Rechtsgenoſſen vernichte, als
rationaliſtiſcher Dilettantismus abgefertigt werden kann.

Einer weiteren Rechtfertigung der Strafe, als des
Nachweiſes ihrer Tauglichkeit zum Zwecke und ihrer Unent-
behrlichkeit bedarf es nicht. Wer dem Staate den Nachweis
ſeiner Berechtigung zu ſtrafen auferlegt, verkennt, daß der
Begriff des Rechtes aus dem des Staates abzuleiten iſt und
nicht umgekehrt, daß das Recht im ſubjektiven Sinne ein
Wollen-Dürfen iſt, und die Grenzen des Dürfens vom
Staate beſtimmt werden.

Die eben beſprochene Auffaſſung der Strafe entrückt das
Strafrecht dem Streite über die menſchliche Willensfreiheit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0030" n="4"/><fw place="top" type="header">Einleitung. <hi rendition="#aq">I.</hi> Die Grundbegriffe.</fw><lb/>
das labil gewordene &#x017F;ittliche Gleichgewicht des Ver-<lb/>
brechers zu einem &#x017F;tabilen macht (<hi rendition="#g">Be&#x017F;&#x017F;erung</hi>).</item>
            </list><lb/>
            <p>2. Als unmittelbarer Zwang oder phy&#x017F;i&#x017F;che Gewalt durch<lb/>
dauernde oder vorübergehende Seque&#x017F;trirung des Verbrechers<lb/>
(Sicherung).</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Art</hi> und <hi rendition="#g">Maß</hi> der Strafe hat &#x017F;ich daher lediglich<lb/>
nach dem im Einzelfalle ange&#x017F;trebten Ziele zu richten. Die<lb/>
Strafe muß eine andere &#x017F;ein nach Inhalt und Umfang, wenn<lb/>
&#x017F;ie präveniren, eine andere wenn &#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;ern, eine andere<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ichern &#x017F;oll. Allerdings huldigt die moderne Straf-<lb/>
ge&#x017F;etzgebung nur &#x017F;elten und mei&#x017F;t unbewußt die&#x017F;em Gedanken;<lb/>
&#x017F;ie behandelt den unverbe&#x017F;&#x017F;erlichen Gewohnheitsdieb und den<lb/>
reuezerknir&#x017F;chten Gelegenheitsverbrecher nach der&#x017F;elben Scha-<lb/>
blone.</p><lb/>
            <p>Aber die &#x017F;charfe Betonung des Zweckmomentes im Recht<lb/>
überhaupt und in der Strafe insbe&#x017F;ondere findet immer<lb/>
zahlreichere und immer bedeutendere Anhänger. Und die<lb/>
Zeit i&#x017F;t hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vorüber, in<lb/>
welcher die Forderung, daß die Staatsgewalt nicht ziel- und<lb/>
zwecklos die Rechtsgüter der Rechtsgeno&#x017F;&#x017F;en vernichte, als<lb/>
rationali&#x017F;ti&#x017F;cher Dilettantismus abgefertigt werden kann.</p><lb/>
            <p>Einer weiteren <hi rendition="#g">Rechtfertigung</hi> der Strafe, als des<lb/>
Nachwei&#x017F;es ihrer Tauglichkeit zum Zwecke und ihrer Unent-<lb/>
behrlichkeit bedarf es nicht. Wer dem Staate den Nachweis<lb/>
&#x017F;einer Berechtigung zu &#x017F;trafen auferlegt, verkennt, daß der<lb/>
Begriff des Rechtes aus dem des Staates abzuleiten i&#x017F;t und<lb/>
nicht umgekehrt, daß das Recht im &#x017F;ubjektiven Sinne ein<lb/>
Wollen-Dürfen i&#x017F;t, und die Grenzen des Dürfens vom<lb/>
Staate be&#x017F;timmt werden.</p><lb/>
            <p>Die eben be&#x017F;prochene Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Strafe entrückt das<lb/>
Strafrecht dem Streite über die men&#x017F;chliche Willensfreiheit.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0030] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. das labil gewordene ſittliche Gleichgewicht des Ver- brechers zu einem ſtabilen macht (Beſſerung). 2. Als unmittelbarer Zwang oder phyſiſche Gewalt durch dauernde oder vorübergehende Sequeſtrirung des Verbrechers (Sicherung). III. Art und Maß der Strafe hat ſich daher lediglich nach dem im Einzelfalle angeſtrebten Ziele zu richten. Die Strafe muß eine andere ſein nach Inhalt und Umfang, wenn ſie präveniren, eine andere wenn ſie beſſern, eine andere wenn ſie ſichern ſoll. Allerdings huldigt die moderne Straf- geſetzgebung nur ſelten und meiſt unbewußt dieſem Gedanken; ſie behandelt den unverbeſſerlichen Gewohnheitsdieb und den reuezerknirſchten Gelegenheitsverbrecher nach derſelben Scha- blone. Aber die ſcharfe Betonung des Zweckmomentes im Recht überhaupt und in der Strafe insbeſondere findet immer zahlreichere und immer bedeutendere Anhänger. Und die Zeit iſt hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vorüber, in welcher die Forderung, daß die Staatsgewalt nicht ziel- und zwecklos die Rechtsgüter der Rechtsgenoſſen vernichte, als rationaliſtiſcher Dilettantismus abgefertigt werden kann. Einer weiteren Rechtfertigung der Strafe, als des Nachweiſes ihrer Tauglichkeit zum Zwecke und ihrer Unent- behrlichkeit bedarf es nicht. Wer dem Staate den Nachweis ſeiner Berechtigung zu ſtrafen auferlegt, verkennt, daß der Begriff des Rechtes aus dem des Staates abzuleiten iſt und nicht umgekehrt, daß das Recht im ſubjektiven Sinne ein Wollen-Dürfen iſt, und die Grenzen des Dürfens vom Staate beſtimmt werden. Die eben beſprochene Auffaſſung der Strafe entrückt das Strafrecht dem Streite über die menſchliche Willensfreiheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/30
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/30>, abgerufen am 11.12.2024.