Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.
daß die Handlung unter beide Strafgesetze fällt, und was
ihn bei der Auswahl geleitet.3 Hat er aber die Wahl einmal
getroffen, so ist das mildere Strafgesetz in keiner Weise
mehr zu berücksichtigen; es kann mithin auch nicht etwa später
die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet
werden. Welches Strafgesetz als das mildere anzusehen, ist
nach den oben §. 12 III angegebenen Regeln zu beurteilen.

IV. Die herrschende Ansicht teilt die "ideale Konkurrenz"
(eine Handlung, mehrere Verbrechen)4 in gleichartige und
ungleichartige. Erstere soll vorliegen, wenn durch eine
Handlung verschiedene Strafgesetze, letztere wenn durch
jene dasselbe Gesetz mehrfach übertreten ist. Diese Ein-
teilung eines an sich unhaltbaren Begriffes ist doppelt verkehrt.
Hat ein Schuß mehrere Menschen verletzt, ein Wort mehrere
Personen beleidigt, ein diebischer Griff mehrere Eigentümer
geschädigt, so ist die Handlung unzweifelhaft als Körperver-
letzung, Beleidigung, Diebstahl aufzufassen und ein anderer
Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent-
fällt die einzige Voraussetzung, die uns berechtigt, von idealer
Konkurrenz zu sprechen. Es ist die übertretene Norm auch
nicht mehrmals, sondern nur einmal, wenn auch in verschie-
denen Trägern des durch die Norm geschützten Rechtsgutes
verletzt. Die Strafrahmen der Reichsgesetzgebung sind groß
genug, um die Berücksichtigung dieses Umstandes zu gestatten.
Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede sein. Damit

3 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 27. April 1880,
R I 681.
4 [Spaltenumbruch] Nach der im Texte vertre-
tenen Ansicht liegt immer nur
ein Verbrechen vor, und es
handelt sich nur um die Ent-
scheidung der Frage: welches.[Spaltenumbruch] Dabei kann dahingestellt bleiben,
ob die durch §. 73 StGB.
sanktionierte zweite Regel nicht
durch eine sachgemäßere gesetz-
liche Anordnung ersetzt werden
könnte.

Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.
daß die Handlung unter beide Strafgeſetze fällt, und was
ihn bei der Auswahl geleitet.3 Hat er aber die Wahl einmal
getroffen, ſo iſt das mildere Strafgeſetz in keiner Weiſe
mehr zu berückſichtigen; es kann mithin auch nicht etwa ſpäter
die Annahme eines Rückfalls auf jene Feſtſtellung gegründet
werden. Welches Strafgeſetz als das mildere anzuſehen, iſt
nach den oben §. 12 III angegebenen Regeln zu beurteilen.

IV. Die herrſchende Anſicht teilt die „ideale Konkurrenz“
(eine Handlung, mehrere Verbrechen)4 in gleichartige und
ungleichartige. Erſtere ſoll vorliegen, wenn durch eine
Handlung verſchiedene Strafgeſetze, letztere wenn durch
jene dasſelbe Geſetz mehrfach übertreten iſt. Dieſe Ein-
teilung eines an ſich unhaltbaren Begriffes iſt doppelt verkehrt.
Hat ein Schuß mehrere Menſchen verletzt, ein Wort mehrere
Perſonen beleidigt, ein diebiſcher Griff mehrere Eigentümer
geſchädigt, ſo iſt die Handlung unzweifelhaft als Körperver-
letzung, Beleidigung, Diebſtahl aufzufaſſen und ein anderer
Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent-
fällt die einzige Vorausſetzung, die uns berechtigt, von idealer
Konkurrenz zu ſprechen. Es iſt die übertretene Norm auch
nicht mehrmals, ſondern nur einmal, wenn auch in verſchie-
denen Trägern des durch die Norm geſchützten Rechtsgutes
verletzt. Die Strafrahmen der Reichsgeſetzgebung ſind groß
genug, um die Berückſichtigung dieſes Umſtandes zu geſtatten.
Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede ſein. Damit

3 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 27. April 1880,
R I 681.
4 [Spaltenumbruch] Nach der im Texte vertre-
tenen Anſicht liegt immer nur
ein Verbrechen vor, und es
handelt ſich nur um die Ent-
ſcheidung der Frage: welches.[Spaltenumbruch] Dabei kann dahingeſtellt bleiben,
ob die durch §. 73 StGB.
ſanktionierte zweite Regel nicht
durch eine ſachgemäßere geſetz-
liche Anordnung erſetzt werden
könnte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0193" n="167"/><fw place="top" type="header">Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.</fw><lb/><hi rendition="#g">daß</hi> die Handlung unter beide Strafge&#x017F;etze fällt, und was<lb/>
ihn bei der Auswahl geleitet.<note place="foot" n="3"><cb/>
Vgl. RGR. 27. April 1880,<lb/><hi rendition="#aq">R I</hi> 681.</note> Hat er aber die Wahl einmal<lb/>
getroffen, &#x017F;o i&#x017F;t das mildere Strafge&#x017F;etz in <hi rendition="#g">keiner</hi> Wei&#x017F;e<lb/>
mehr zu berück&#x017F;ichtigen; es kann mithin auch nicht etwa &#x017F;päter<lb/>
die Annahme eines Rückfalls auf jene Fe&#x017F;t&#x017F;tellung gegründet<lb/>
werden. Welches Strafge&#x017F;etz als das mildere anzu&#x017F;ehen, i&#x017F;t<lb/>
nach den oben §. 12 <hi rendition="#aq">III</hi> angegebenen Regeln zu beurteilen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">IV.</hi> Die herr&#x017F;chende An&#x017F;icht teilt die &#x201E;ideale Konkurrenz&#x201C;<lb/>
(eine Handlung, mehrere Verbrechen)<note place="foot" n="4"><cb/>
Nach der im Texte vertre-<lb/>
tenen An&#x017F;icht liegt immer nur<lb/><hi rendition="#g">ein</hi> Verbrechen vor, und es<lb/>
handelt &#x017F;ich nur um die Ent-<lb/>
&#x017F;cheidung der Frage: welches.<cb/>
Dabei kann dahinge&#x017F;tellt bleiben,<lb/>
ob die durch §. 73 StGB.<lb/>
&#x017F;anktionierte zweite Regel nicht<lb/>
durch eine &#x017F;achgemäßere ge&#x017F;etz-<lb/>
liche Anordnung er&#x017F;etzt werden<lb/>
könnte.</note> in <hi rendition="#g">gleichartige</hi> und<lb/><hi rendition="#g">ungleichartige</hi>. Er&#x017F;tere &#x017F;oll vorliegen, wenn durch eine<lb/>
Handlung <hi rendition="#g">ver&#x017F;chiedene</hi> Strafge&#x017F;etze, letztere wenn durch<lb/>
jene <hi rendition="#g">das&#x017F;elbe</hi> Ge&#x017F;etz mehrfach übertreten i&#x017F;t. Die&#x017F;e Ein-<lb/>
teilung eines an &#x017F;ich unhaltbaren Begriffes i&#x017F;t doppelt verkehrt.<lb/>
Hat ein Schuß mehrere Men&#x017F;chen verletzt, ein Wort mehrere<lb/>
Per&#x017F;onen beleidigt, ein diebi&#x017F;cher Griff mehrere Eigentümer<lb/>
ge&#x017F;chädigt, &#x017F;o i&#x017F;t die Handlung unzweifelhaft als Körperver-<lb/>
letzung, Beleidigung, Dieb&#x017F;tahl aufzufa&#x017F;&#x017F;en und ein anderer<lb/>
Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent-<lb/>
fällt die einzige Voraus&#x017F;etzung, die uns berechtigt, von idealer<lb/>
Konkurrenz zu &#x017F;prechen. Es i&#x017F;t die übertretene Norm auch<lb/>
nicht mehrmals, &#x017F;ondern nur einmal, wenn auch in ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Trägern des durch die Norm ge&#x017F;chützten Rechtsgutes<lb/>
verletzt. Die Strafrahmen der Reichsge&#x017F;etzgebung &#x017F;ind groß<lb/>
genug, um die Berück&#x017F;ichtigung die&#x017F;es Um&#x017F;tandes zu ge&#x017F;tatten.<lb/>
Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede &#x017F;ein. Damit<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0193] Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40. daß die Handlung unter beide Strafgeſetze fällt, und was ihn bei der Auswahl geleitet. 3 Hat er aber die Wahl einmal getroffen, ſo iſt das mildere Strafgeſetz in keiner Weiſe mehr zu berückſichtigen; es kann mithin auch nicht etwa ſpäter die Annahme eines Rückfalls auf jene Feſtſtellung gegründet werden. Welches Strafgeſetz als das mildere anzuſehen, iſt nach den oben §. 12 III angegebenen Regeln zu beurteilen. IV. Die herrſchende Anſicht teilt die „ideale Konkurrenz“ (eine Handlung, mehrere Verbrechen) 4 in gleichartige und ungleichartige. Erſtere ſoll vorliegen, wenn durch eine Handlung verſchiedene Strafgeſetze, letztere wenn durch jene dasſelbe Geſetz mehrfach übertreten iſt. Dieſe Ein- teilung eines an ſich unhaltbaren Begriffes iſt doppelt verkehrt. Hat ein Schuß mehrere Menſchen verletzt, ein Wort mehrere Perſonen beleidigt, ein diebiſcher Griff mehrere Eigentümer geſchädigt, ſo iſt die Handlung unzweifelhaft als Körperver- letzung, Beleidigung, Diebſtahl aufzufaſſen und ein anderer Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent- fällt die einzige Vorausſetzung, die uns berechtigt, von idealer Konkurrenz zu ſprechen. Es iſt die übertretene Norm auch nicht mehrmals, ſondern nur einmal, wenn auch in verſchie- denen Trägern des durch die Norm geſchützten Rechtsgutes verletzt. Die Strafrahmen der Reichsgeſetzgebung ſind groß genug, um die Berückſichtigung dieſes Umſtandes zu geſtatten. Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede ſein. Damit 3 Vgl. RGR. 27. April 1880, R I 681. 4 Nach der im Texte vertre- tenen Anſicht liegt immer nur ein Verbrechen vor, und es handelt ſich nur um die Ent- ſcheidung der Frage: welches. Dabei kann dahingeſtellt bleiben, ob die durch §. 73 StGB. ſanktionierte zweite Regel nicht durch eine ſachgemäßere geſetz- liche Anordnung erſetzt werden könnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/193
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/193>, abgerufen am 21.11.2024.