Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.
brechensthatbestände bildet, so ist die konkrete Handlung nur
unter diesen zusammengesetzten Thatbestand, nicht aber unter
dessen Elemente zu subsumieren. So ist der Begriff des
Raubes aus Diebstahl und Nötigung, der der Erpressung
aus Nötigung und Verletzung der Geschlechtsehre des Weibes
zusammengesetzt; gewaltsame Sachentziehung, erzwungener
Beischlaf sind darum immer nur als Raub oder Notzucht
aufzufassen.

c) Die qualifizierte Normübertretung absor-
biert die einfache, die schwerere vernichtet die
leichtere
. Einbruchsdiebstahl ist nur nach §. 243 StGB.
zu beurteilen; wer die falschen Schlüssel geliefert und dann
mit dem Andern selbst gestohlen hat, kommt nur als Mit-
thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35
V); vollendeter Zweikampf schließt die Anwendung des
§. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83--86
StGB. aus; umgekehrt wird beim sog. Versicherungsbetrug
StGB. §. 265 durch die schwere Vorbereitungshandlung
(Brandstiftung) die etwa später eintretende Vollendung des
Betruges absorbiert.

d) Wenn zwei zum Schutze desselben Rechtsgutes be-
stimmte Normen zu einander in dem Verhältnisse von all-
gemeiner Norm (oben §. 3 II 1) und Gehorsamsnorm (oben
§. 3 II 2 u. 3) stehen, und dieselbe Handlung beide Normen
verletzt, so ist nur die Uebertretung der allgemeinen Norm
ins Auge zu fassen. Wer z. B. durch schnelles Fahren einen
Menschen getötet hat, ist nur nach §. 222, nicht auch nach
§. 366 Ziff. 2 StGB. zu bestrafen.

III. Diese Regel aber läßt uns in all' den zahlreichen
Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden
Thatbestände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-

Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.
brechensthatbeſtände bildet, ſo iſt die konkrete Handlung nur
unter dieſen zuſammengeſetzten Thatbeſtand, nicht aber unter
deſſen Elemente zu ſubſumieren. So iſt der Begriff des
Raubes aus Diebſtahl und Nötigung, der der Erpreſſung
aus Nötigung und Verletzung der Geſchlechtsehre des Weibes
zuſammengeſetzt; gewaltſame Sachentziehung, erzwungener
Beiſchlaf ſind darum immer nur als Raub oder Notzucht
aufzufaſſen.

c) Die qualifizierte Normübertretung abſor-
biert die einfache, die ſchwerere vernichtet die
leichtere
. Einbruchsdiebſtahl iſt nur nach §. 243 StGB.
zu beurteilen; wer die falſchen Schlüſſel geliefert und dann
mit dem Andern ſelbſt geſtohlen hat, kommt nur als Mit-
thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35
V); vollendeter Zweikampf ſchließt die Anwendung des
§. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83—86
StGB. aus; umgekehrt wird beim ſog. Verſicherungsbetrug
StGB. §. 265 durch die ſchwere Vorbereitungshandlung
(Brandſtiftung) die etwa ſpäter eintretende Vollendung des
Betruges abſorbiert.

d) Wenn zwei zum Schutze desſelben Rechtsgutes be-
ſtimmte Normen zu einander in dem Verhältniſſe von all-
gemeiner Norm (oben §. 3 II 1) und Gehorſamsnorm (oben
§. 3 II 2 u. 3) ſtehen, und dieſelbe Handlung beide Normen
verletzt, ſo iſt nur die Uebertretung der allgemeinen Norm
ins Auge zu faſſen. Wer z. B. durch ſchnelles Fahren einen
Menſchen getötet hat, iſt nur nach §. 222, nicht auch nach
§. 366 Ziff. 2 StGB. zu beſtrafen.

III. Dieſe Regel aber läßt uns in all’ den zahlreichen
Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden
Thatbeſtände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0191" n="165"/><fw place="top" type="header">Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40.</fw><lb/>
brechensthatbe&#x017F;tände bildet, &#x017F;o i&#x017F;t die konkrete Handlung nur<lb/>
unter die&#x017F;en zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Thatbe&#x017F;tand, nicht aber unter<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Elemente zu &#x017F;ub&#x017F;umieren. So i&#x017F;t der Begriff des<lb/>
Raubes aus Dieb&#x017F;tahl und Nötigung, der der Erpre&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
aus Nötigung und Verletzung der Ge&#x017F;chlechtsehre des Weibes<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt; gewalt&#x017F;ame Sachentziehung, erzwungener<lb/>
Bei&#x017F;chlaf &#x017F;ind darum immer <hi rendition="#g">nur</hi> als Raub oder Notzucht<lb/>
aufzufa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">c)</hi><hi rendition="#g">Die qualifizierte Normübertretung ab&#x017F;or-<lb/>
biert die einfache, die &#x017F;chwerere vernichtet die<lb/>
leichtere</hi>. Einbruchsdieb&#x017F;tahl i&#x017F;t nur nach §. 243 StGB.<lb/>
zu beurteilen; wer die fal&#x017F;chen Schlü&#x017F;&#x017F;el geliefert und dann<lb/>
mit dem Andern &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;tohlen hat, kommt nur als Mit-<lb/>
thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35<lb/><hi rendition="#aq">V</hi>); vollendeter Zweikampf &#x017F;chließt die Anwendung des<lb/>
§. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83&#x2014;86<lb/>
StGB. aus; umgekehrt wird beim &#x017F;og. Ver&#x017F;icherungsbetrug<lb/>
StGB. §. 265 durch die &#x017F;chwere Vorbereitungshandlung<lb/>
(Brand&#x017F;tiftung) die etwa &#x017F;päter eintretende Vollendung des<lb/>
Betruges ab&#x017F;orbiert.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">d)</hi> Wenn zwei zum Schutze des&#x017F;elben Rechtsgutes be-<lb/>
&#x017F;timmte Normen zu einander in dem Verhältni&#x017F;&#x017F;e von all-<lb/>
gemeiner Norm (oben §. 3 <hi rendition="#aq">II</hi> 1) und Gehor&#x017F;amsnorm (oben<lb/>
§. 3 <hi rendition="#aq">II</hi> 2 u. 3) &#x017F;tehen, und die&#x017F;elbe Handlung beide Normen<lb/>
verletzt, &#x017F;o i&#x017F;t nur die Uebertretung der allgemeinen Norm<lb/>
ins Auge zu fa&#x017F;&#x017F;en. Wer z. B. durch &#x017F;chnelles Fahren einen<lb/>
Men&#x017F;chen getötet hat, i&#x017F;t nur nach §. 222, nicht auch nach<lb/>
§. 366 Ziff. 2 StGB. zu be&#x017F;trafen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">III.</hi> Die&#x017F;e Regel aber läßt uns in all&#x2019; den zahlreichen<lb/>
Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden<lb/>
Thatbe&#x017F;tände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0191] Die Einheit des Verbr. Idealkonkurrenz. §. 40. brechensthatbeſtände bildet, ſo iſt die konkrete Handlung nur unter dieſen zuſammengeſetzten Thatbeſtand, nicht aber unter deſſen Elemente zu ſubſumieren. So iſt der Begriff des Raubes aus Diebſtahl und Nötigung, der der Erpreſſung aus Nötigung und Verletzung der Geſchlechtsehre des Weibes zuſammengeſetzt; gewaltſame Sachentziehung, erzwungener Beiſchlaf ſind darum immer nur als Raub oder Notzucht aufzufaſſen. c) Die qualifizierte Normübertretung abſor- biert die einfache, die ſchwerere vernichtet die leichtere. Einbruchsdiebſtahl iſt nur nach §. 243 StGB. zu beurteilen; wer die falſchen Schlüſſel geliefert und dann mit dem Andern ſelbſt geſtohlen hat, kommt nur als Mit- thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35 V); vollendeter Zweikampf ſchließt die Anwendung des §. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83—86 StGB. aus; umgekehrt wird beim ſog. Verſicherungsbetrug StGB. §. 265 durch die ſchwere Vorbereitungshandlung (Brandſtiftung) die etwa ſpäter eintretende Vollendung des Betruges abſorbiert. d) Wenn zwei zum Schutze desſelben Rechtsgutes be- ſtimmte Normen zu einander in dem Verhältniſſe von all- gemeiner Norm (oben §. 3 II 1) und Gehorſamsnorm (oben §. 3 II 2 u. 3) ſtehen, und dieſelbe Handlung beide Normen verletzt, ſo iſt nur die Uebertretung der allgemeinen Norm ins Auge zu faſſen. Wer z. B. durch ſchnelles Fahren einen Menſchen getötet hat, iſt nur nach §. 222, nicht auch nach §. 366 Ziff. 2 StGB. zu beſtrafen. III. Dieſe Regel aber läßt uns in all’ den zahlreichen Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden Thatbeſtände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/191
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/191>, abgerufen am 27.11.2024.