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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Zurechnungsfähigkeit. §. 25.
Objekt trifft oder der Erfolg eintritt. Wer einen Brunnen
vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn,
während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet,
die von ihm in Aussicht genommenen Personen aus dem
vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu
einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurech-
nungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das
Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That
im tiefsten Schlafe liegt.

Wir haben nur diese allgemeine Regel konsequent zur
Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage
nach der Beurteilung der sog. actiones liberae in causa
zu entscheiden.9 Sie liegen vor, wenn ein im Zustande der
Zurechnungsunfähigkeit gesetztes Thun veranlaßt wurde durch
einen im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gefaßten Ent-
schluß oder eine in diesem Zustande begangene Fahrlässigkeit.
Beispiele: der Eisenbahnwächter betrinkt sich, um beim Heran-
nahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; die Mutter,
die wissen sollte, daß sie im Schlafe sich unruhig hin und
her wirft, hat fahrlässiger Weise ihr Kind zu sich ins Bett
genommen und erdrückt. Wenn wir daran festhalten, daß
auch die menschliche That (bezüglich des Zurechnungsun-
fähigen wird dies ja allgemein zugegeben) unter dem Kau-
salitätsgesetze steht, so ist in diesen Fällen im entscheidenden
Augenblicke -- und das ist jener, in welchem der Anstoß
zum Abrollen des Kausalismus gegeben wurde -- Zurech-
nungsfähigkeit vorhanden gewesen. Im nüchternen Zustande
hat der Wächter, wachend die Mutter die Ursache zu dem

9 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 60; schöne Darstellung
bei demselben Normen II[Spaltenumbruch] S. 195 ff. Dazu Hertz das
Unrecht usw. I S. 189 ff.

Die Zurechnungsfähigkeit. §. 25.
Objekt trifft oder der Erfolg eintritt. Wer einen Brunnen
vergiftet und dann ſich berauſcht, iſt verantwortlich, wenn,
während er ſich im Zuſtande der Volltrunkenheit befindet,
die von ihm in Ausſicht genommenen Perſonen aus dem
vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnſinnigen zu
einem Verbrechen beſtimmt, hat im Zuſtande der Zurech-
nungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnſinnige das
Verbrechen ausführt, während der geiſtige Urheber der That
im tiefſten Schlafe liegt.

Wir haben nur dieſe allgemeine Regel konſequent zur
Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulſtreitfrage
nach der Beurteilung der ſog. actiones liberae in causa
zu entſcheiden.9 Sie liegen vor, wenn ein im Zuſtande der
Zurechnungsunfähigkeit geſetztes Thun veranlaßt wurde durch
einen im Zuſtande der Zurechnungsfähigkeit gefaßten Ent-
ſchluß oder eine in dieſem Zuſtande begangene Fahrläſſigkeit.
Beiſpiele: der Eiſenbahnwächter betrinkt ſich, um beim Heran-
nahen des Eilzuges die Weichen nicht zu ſtellen; die Mutter,
die wiſſen ſollte, daß ſie im Schlafe ſich unruhig hin und
her wirft, hat fahrläſſiger Weiſe ihr Kind zu ſich ins Bett
genommen und erdrückt. Wenn wir daran feſthalten, daß
auch die menſchliche That (bezüglich des Zurechnungsun-
fähigen wird dies ja allgemein zugegeben) unter dem Kau-
ſalitätsgeſetze ſteht, ſo iſt in dieſen Fällen im entſcheidenden
Augenblicke — und das iſt jener, in welchem der Anſtoß
zum Abrollen des Kauſalismus gegeben wurde — Zurech-
nungsfähigkeit vorhanden geweſen. Im nüchternen Zuſtande
hat der Wächter, wachend die Mutter die Urſache zu dem

9 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 60; ſchöne Darſtellung
bei demſelben Normen II[Spaltenumbruch] S. 195 ff. Dazu Hertz das
Unrecht uſw. I S. 189 ff.
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[99/0125] Die Zurechnungsfähigkeit. §. 25. Objekt trifft oder der Erfolg eintritt. Wer einen Brunnen vergiftet und dann ſich berauſcht, iſt verantwortlich, wenn, während er ſich im Zuſtande der Volltrunkenheit befindet, die von ihm in Ausſicht genommenen Perſonen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnſinnigen zu einem Verbrechen beſtimmt, hat im Zuſtande der Zurech- nungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnſinnige das Verbrechen ausführt, während der geiſtige Urheber der That im tiefſten Schlafe liegt. Wir haben nur dieſe allgemeine Regel konſequent zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulſtreitfrage nach der Beurteilung der ſog. actiones liberae in causa zu entſcheiden. 9 Sie liegen vor, wenn ein im Zuſtande der Zurechnungsunfähigkeit geſetztes Thun veranlaßt wurde durch einen im Zuſtande der Zurechnungsfähigkeit gefaßten Ent- ſchluß oder eine in dieſem Zuſtande begangene Fahrläſſigkeit. Beiſpiele: der Eiſenbahnwächter betrinkt ſich, um beim Heran- nahen des Eilzuges die Weichen nicht zu ſtellen; die Mutter, die wiſſen ſollte, daß ſie im Schlafe ſich unruhig hin und her wirft, hat fahrläſſiger Weiſe ihr Kind zu ſich ins Bett genommen und erdrückt. Wenn wir daran feſthalten, daß auch die menſchliche That (bezüglich des Zurechnungsun- fähigen wird dies ja allgemein zugegeben) unter dem Kau- ſalitätsgeſetze ſteht, ſo iſt in dieſen Fällen im entſcheidenden Augenblicke — und das iſt jener, in welchem der Anſtoß zum Abrollen des Kauſalismus gegeben wurde — Zurech- nungsfähigkeit vorhanden geweſen. Im nüchternen Zuſtande hat der Wächter, wachend die Mutter die Urſache zu dem 9 Lit. bei Binding Grund- riß S. 60; ſchöne Darſtellung bei demſelben Normen II S. 195 ff. Dazu Hertz das Unrecht uſw. I S. 189 ff.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/125>, abgerufen am 22.11.2024.