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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
rative jenen Personen gegenüber nicht, deren Beruf größere
als die durchschnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Le-
bensgefahr bedingt; dem Soldaten (Milit.StGB. §. 49
Abs. 1 vgl. mit §§. 84--88), dem Schiffsmann (See-
mannsordnung von 1872 §. 32) ist die Berufung auf den
Notstand ausdrücklich abgeschnitten.

Ist aber einmal Notstand gegeben, dann besteht kein
weiterer Unterschied innerhalb der Notstandshandlungen; der
Satz, daß nur das höhere Recht auf Kosten des niederen
sich erhalten dürfe, ist aus den Motiven nicht in das Gesetz
übergegangen.

IV. Die §§. 52 und 54 StGB. sind die einzigen Quellen
für die strafrechtliche Behandlung des Notstandes. Die
Spezialbestimmungen des Handelsgesetzbuchs (A. 702 und
708 über die große Haverei) und der Seemannsordnung
(§. 75) haben keine über das Gebiet dieser Gesetze hinaus-
reichende Geltung. Auch die Anordnungen des römischen
Rechtes4 oder partikularer Civilgesetze sind für das Straf-
recht ohne Bedeutung. Ihre analoge Anwendung5 ist schon
darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke,
nicht aber Beseitigung eines Widerspruches in dem Systeme
des Rechts zur Aufgabe hat.

V. Der Nötiger (StGB. §. 52) ist nach den später
(vgl. unten §. 36 I) zu besprechenden Grundsätzen eventuell
als Urheber der von dem Genötigten vorgenommenen Rechts-
verletzung zu betrachten.

4 [Spaltenumbruch] Vgl. Windscheid §. 455
Note 11.
5 [Spaltenumbruch] Empfohlen von Meyer,
Stammler
, insbesondere aber
Binding Grundriß S. 157.

Erſtes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
rative jenen Perſonen gegenüber nicht, deren Beruf größere
als die durchſchnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Le-
bensgefahr bedingt; dem Soldaten (Milit.StGB. §. 49
Abſ. 1 vgl. mit §§. 84—88), dem Schiffsmann (See-
mannsordnung von 1872 §. 32) iſt die Berufung auf den
Notſtand ausdrücklich abgeſchnitten.

Iſt aber einmal Notſtand gegeben, dann beſteht kein
weiterer Unterſchied innerhalb der Notſtandshandlungen; der
Satz, daß nur das höhere Recht auf Koſten des niederen
ſich erhalten dürfe, iſt aus den Motiven nicht in das Geſetz
übergegangen.

IV. Die §§. 52 und 54 StGB. ſind die einzigen Quellen
für die ſtrafrechtliche Behandlung des Notſtandes. Die
Spezialbeſtimmungen des Handelsgeſetzbuchs (A. 702 und
708 über die große Haverei) und der Seemannsordnung
(§. 75) haben keine über das Gebiet dieſer Geſetze hinaus-
reichende Geltung. Auch die Anordnungen des römiſchen
Rechtes4 oder partikularer Civilgeſetze ſind für das Straf-
recht ohne Bedeutung. Ihre analoge Anwendung5 iſt ſchon
darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke,
nicht aber Beſeitigung eines Widerſpruches in dem Syſteme
des Rechts zur Aufgabe hat.

V. Der Nötiger (StGB. §. 52) iſt nach den ſpäter
(vgl. unten §. 36 I) zu beſprechenden Grundſätzen eventuell
als Urheber der von dem Genötigten vorgenommenen Rechts-
verletzung zu betrachten.

4 [Spaltenumbruch] Vgl. Windſcheid §. 455
Note 11.
5 [Spaltenumbruch] Empfohlen von Meyer,
Stammler
, insbeſondere aber
Binding Grundriß S. 157.
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[94/0120] Erſtes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl. rative jenen Perſonen gegenüber nicht, deren Beruf größere als die durchſchnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Le- bensgefahr bedingt; dem Soldaten (Milit.StGB. §. 49 Abſ. 1 vgl. mit §§. 84—88), dem Schiffsmann (See- mannsordnung von 1872 §. 32) iſt die Berufung auf den Notſtand ausdrücklich abgeſchnitten. Iſt aber einmal Notſtand gegeben, dann beſteht kein weiterer Unterſchied innerhalb der Notſtandshandlungen; der Satz, daß nur das höhere Recht auf Koſten des niederen ſich erhalten dürfe, iſt aus den Motiven nicht in das Geſetz übergegangen. IV. Die §§. 52 und 54 StGB. ſind die einzigen Quellen für die ſtrafrechtliche Behandlung des Notſtandes. Die Spezialbeſtimmungen des Handelsgeſetzbuchs (A. 702 und 708 über die große Haverei) und der Seemannsordnung (§. 75) haben keine über das Gebiet dieſer Geſetze hinaus- reichende Geltung. Auch die Anordnungen des römiſchen Rechtes 4 oder partikularer Civilgeſetze ſind für das Straf- recht ohne Bedeutung. Ihre analoge Anwendung 5 iſt ſchon darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke, nicht aber Beſeitigung eines Widerſpruches in dem Syſteme des Rechts zur Aufgabe hat. V. Der Nötiger (StGB. §. 52) iſt nach den ſpäter (vgl. unten §. 36 I) zu beſprechenden Grundſätzen eventuell als Urheber der von dem Genötigten vorgenommenen Rechts- verletzung zu betrachten. 4 Vgl. Windſcheid §. 455 Note 11. 5 Empfohlen von Meyer, Stammler, insbeſondere aber Binding Grundriß S. 157.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/120>, abgerufen am 22.11.2024.