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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Notstand. §. 24.
liche Gewalt2 oder Drohung") und in den eigentlichen Not-
stand
(StGB. §. 54).

2. Das Gesetz verlangt ferner in beiden Fällen gegen-
wärtige, auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für
Leib oder Leben, versagt also bei Gefahr für alle an-
deren Rechtsgüter (z. B. auch für die persönliche Freiheit,
deren Beschränkung doch gewiß von größerer Bedeutung ist
als eine geringfügige Körperverletzung) dem Notstande seine
Anerkennung. Doch ist (ein dem Notstand verwandter Fall)
beabsichtigter Eigentumsschutz bei der Herbeiführung einer
Ueberschwemmung (StGB. §. 213) Strafmilderungsgrund.

3. Nur zur eigenen Rettung und zur Rettung der
nächsten Angehörigen (aufgezählt sind dieselben im 2. Abs.
§. 52) wird die Notstandshandlung gestattet.

4. Es muß endlich der Notstand im engeren Sinne
(StGB. §. 54) ein unverschuldeter, d. h. ein nicht von
dem Gefährdeten selbst vorsätzlicher oder fahrlässiger Weise
herbeigeführter sein.

III. Der Notstand (im Sinne der unter II besprochenen
gesetzlichen Bestimmungen) schließt die Rechtswidrigkeit,
nicht bloß die Strafbarkeit, der zur Rettung aus demselben
unternommenen Handlung aus. Das Recht verzichtet auf
die Befolgung seiner Normen,
weil es unter den ge-
gebenen Umständen auf ihre Befolgung ohnehin nicht rechnen
kann und die Bestrafung daher keinen Zweck hätte.3 Eine
Norm aber ohne imperative Kraft ist keine Norm. Das
Recht verzichtet jedoch auf die bindende Kraft seiner Impe-

2 [Spaltenumbruch] Diese schließt als physische
(vis absoluta) den Begriff der
"Handlung" aus (oben §. 19 I
2a
), gehört also gar nicht hieher.
3 [Spaltenumbruch] Ueber die verschiedenen Not-
standstheorien vgl. die bei
Meyer Lehrb. S. 253 angef.
Lit.

Der Notſtand. §. 24.
liche Gewalt2 oder Drohung“) und in den eigentlichen Not-
ſtand
(StGB. §. 54).

2. Das Geſetz verlangt ferner in beiden Fällen gegen-
wärtige, auf andere Weiſe nicht abwendbare Gefahr für
Leib oder Leben, verſagt alſo bei Gefahr für alle an-
deren Rechtsgüter (z. B. auch für die perſönliche Freiheit,
deren Beſchränkung doch gewiß von größerer Bedeutung iſt
als eine geringfügige Körperverletzung) dem Notſtande ſeine
Anerkennung. Doch iſt (ein dem Notſtand verwandter Fall)
beabſichtigter Eigentumsſchutz bei der Herbeiführung einer
Ueberſchwemmung (StGB. §. 213) Strafmilderungsgrund.

3. Nur zur eigenen Rettung und zur Rettung der
nächſten Angehörigen (aufgezählt ſind dieſelben im 2. Abſ.
§. 52) wird die Notſtandshandlung geſtattet.

4. Es muß endlich der Notſtand im engeren Sinne
(StGB. §. 54) ein unverſchuldeter, d. h. ein nicht von
dem Gefährdeten ſelbſt vorſätzlicher oder fahrläſſiger Weiſe
herbeigeführter ſein.

III. Der Notſtand (im Sinne der unter II beſprochenen
geſetzlichen Beſtimmungen) ſchließt die Rechtswidrigkeit,
nicht bloß die Strafbarkeit, der zur Rettung aus demſelben
unternommenen Handlung aus. Das Recht verzichtet auf
die Befolgung ſeiner Normen,
weil es unter den ge-
gebenen Umſtänden auf ihre Befolgung ohnehin nicht rechnen
kann und die Beſtrafung daher keinen Zweck hätte.3 Eine
Norm aber ohne imperative Kraft iſt keine Norm. Das
Recht verzichtet jedoch auf die bindende Kraft ſeiner Impe-

2 [Spaltenumbruch] Dieſe ſchließt als phyſiſche
(vis absoluta) den Begriff der
„Handlung“ aus (oben §. 19 I
2a
), gehört alſo gar nicht hieher.
3 [Spaltenumbruch] Ueber die verſchiedenen Not-
ſtandstheorien vgl. die bei
Meyer Lehrb. S. 253 angef.
Lit.
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[93/0119] Der Notſtand. §. 24. liche Gewalt 2 oder Drohung“) und in den eigentlichen Not- ſtand (StGB. §. 54). 2. Das Geſetz verlangt ferner in beiden Fällen gegen- wärtige, auf andere Weiſe nicht abwendbare Gefahr für Leib oder Leben, verſagt alſo bei Gefahr für alle an- deren Rechtsgüter (z. B. auch für die perſönliche Freiheit, deren Beſchränkung doch gewiß von größerer Bedeutung iſt als eine geringfügige Körperverletzung) dem Notſtande ſeine Anerkennung. Doch iſt (ein dem Notſtand verwandter Fall) beabſichtigter Eigentumsſchutz bei der Herbeiführung einer Ueberſchwemmung (StGB. §. 213) Strafmilderungsgrund. 3. Nur zur eigenen Rettung und zur Rettung der nächſten Angehörigen (aufgezählt ſind dieſelben im 2. Abſ. §. 52) wird die Notſtandshandlung geſtattet. 4. Es muß endlich der Notſtand im engeren Sinne (StGB. §. 54) ein unverſchuldeter, d. h. ein nicht von dem Gefährdeten ſelbſt vorſätzlicher oder fahrläſſiger Weiſe herbeigeführter ſein. III. Der Notſtand (im Sinne der unter II beſprochenen geſetzlichen Beſtimmungen) ſchließt die Rechtswidrigkeit, nicht bloß die Strafbarkeit, der zur Rettung aus demſelben unternommenen Handlung aus. Das Recht verzichtet auf die Befolgung ſeiner Normen, weil es unter den ge- gebenen Umſtänden auf ihre Befolgung ohnehin nicht rechnen kann und die Beſtrafung daher keinen Zweck hätte. 3 Eine Norm aber ohne imperative Kraft iſt keine Norm. Das Recht verzichtet jedoch auf die bindende Kraft ſeiner Impe- 2 Dieſe ſchließt als phyſiſche (vis absoluta) den Begriff der „Handlung“ aus (oben §. 19 I 2a), gehört alſo gar nicht hieher. 3 Ueber die verſchiedenen Not- ſtandstheorien vgl. die bei Meyer Lehrb. S. 253 angef. Lit.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/119>, abgerufen am 23.11.2024.