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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen. §. 22.
Amtes schließt die Rechtswidrigkeit des Thuns aus. Man
denke an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme, Verhaftungen,
Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen usw. Jede
Ueberschreitung der Amtsbefugnisse dagegen macht die Hand-
lung bezüglich dieses Uebermaßes zu einer rechtswidrigen.

Da blinder Gehorsam gegenüber Befehlen des Vorge-
setzten, von ausdrücklichen gesetzlichen Anordnungen (z. B.
Mil. StGB. §. 47) abgesehen, in der Amtspflicht nicht be-
gründet ist, so wird durch solchen Gehorsam an dem rechts-
widrigen Charakter der Handlung nichts geändert.

2. Die Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft
einer besonderen Berechtigung und innerhalb der Grenzen
derselben vorgenommen wurde. Die verschiedensten Fälle ge-
hören hieher. Zu erwähnen sind:

a) Erlaubte Selbsthülfe. Ueber die deutschrechtliche
Privatpfändung vgl. die bei Windscheid §. 123 Note 7
angeführte Litteratur.

b) Erziehungs- und Disziplinargewalt; soweit
eine solche den Eltern gegenüber den Kindern, dem
Lehrer gegenüber seinen Schülern (vgl. RGR. 14. April
1880, R I 593, E II 10),1 dem Lehrherrn gegenüber dem
Lehrling (Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 §. 119),
dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (See-
mannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 79 Abs. 2), dem
Ehemanne etwa nach Landesrecht2 gegenüber der Ehefrau
(München 17. April 1875), der Kirche gegenüber ihren An-
gehörigen, der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde3 usw.
eingeräumt ist. Zu beachten ist, daß die Ausübung dieses

1 [Spaltenumbruch] Vgl. v. Schwarze GS.
XXIX.
2 [Spaltenumbruch] Ueber das gem. Recht vgl.[Spaltenumbruch] Windscheid §. 490 Note 11.
3 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 12. April 1880,
R I 573, E II 7.

Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen. §. 22.
Amtes ſchließt die Rechtswidrigkeit des Thuns aus. Man
denke an Hausdurchſuchungen, Beſchlagnahme, Verhaftungen,
Vollſtreckung von rechtskräftig erkannten Strafen uſw. Jede
Ueberſchreitung der Amtsbefugniſſe dagegen macht die Hand-
lung bezüglich dieſes Uebermaßes zu einer rechtswidrigen.

Da blinder Gehorſam gegenüber Befehlen des Vorge-
ſetzten, von ausdrücklichen geſetzlichen Anordnungen (z. B.
Mil. StGB. §. 47) abgeſehen, in der Amtspflicht nicht be-
gründet iſt, ſo wird durch ſolchen Gehorſam an dem rechts-
widrigen Charakter der Handlung nichts geändert.

2. Die Handlung iſt keine rechtswidrige, wenn ſie kraft
einer beſonderen Berechtigung und innerhalb der Grenzen
derſelben vorgenommen wurde. Die verſchiedenſten Fälle ge-
hören hieher. Zu erwähnen ſind:

a) Erlaubte Selbſthülfe. Ueber die deutſchrechtliche
Privatpfändung vgl. die bei Windſcheid §. 123 Note 7
angeführte Litteratur.

b) Erziehungs- und Disziplinargewalt; ſoweit
eine ſolche den Eltern gegenüber den Kindern, dem
Lehrer gegenüber ſeinen Schülern (vgl. RGR. 14. April
1880, R I 593, E II 10),1 dem Lehrherrn gegenüber dem
Lehrling (Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 §. 119),
dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (See-
mannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 79 Abſ. 2), dem
Ehemanne etwa nach Landesrecht2 gegenüber der Ehefrau
(München 17. April 1875), der Kirche gegenüber ihren An-
gehörigen, der Dienſtherrſchaft gegenüber dem Geſinde3 uſw.
eingeräumt iſt. Zu beachten iſt, daß die Ausübung dieſes

1 [Spaltenumbruch] Vgl. v. Schwarze GS.
XXIX.
2 [Spaltenumbruch] Ueber das gem. Recht vgl.[Spaltenumbruch] Windſcheid §. 490 Note 11.
3 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 12. April 1880,
R I 573, E II 7.
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[85/0111] Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen. §. 22. Amtes ſchließt die Rechtswidrigkeit des Thuns aus. Man denke an Hausdurchſuchungen, Beſchlagnahme, Verhaftungen, Vollſtreckung von rechtskräftig erkannten Strafen uſw. Jede Ueberſchreitung der Amtsbefugniſſe dagegen macht die Hand- lung bezüglich dieſes Uebermaßes zu einer rechtswidrigen. Da blinder Gehorſam gegenüber Befehlen des Vorge- ſetzten, von ausdrücklichen geſetzlichen Anordnungen (z. B. Mil. StGB. §. 47) abgeſehen, in der Amtspflicht nicht be- gründet iſt, ſo wird durch ſolchen Gehorſam an dem rechts- widrigen Charakter der Handlung nichts geändert. 2. Die Handlung iſt keine rechtswidrige, wenn ſie kraft einer beſonderen Berechtigung und innerhalb der Grenzen derſelben vorgenommen wurde. Die verſchiedenſten Fälle ge- hören hieher. Zu erwähnen ſind: a) Erlaubte Selbſthülfe. Ueber die deutſchrechtliche Privatpfändung vgl. die bei Windſcheid §. 123 Note 7 angeführte Litteratur. b) Erziehungs- und Disziplinargewalt; ſoweit eine ſolche den Eltern gegenüber den Kindern, dem Lehrer gegenüber ſeinen Schülern (vgl. RGR. 14. April 1880, R I 593, E II 10), 1 dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 §. 119), dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (See- mannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 79 Abſ. 2), dem Ehemanne etwa nach Landesrecht 2 gegenüber der Ehefrau (München 17. April 1875), der Kirche gegenüber ihren An- gehörigen, der Dienſtherrſchaft gegenüber dem Geſinde 3 uſw. eingeräumt iſt. Zu beachten iſt, daß die Ausübung dieſes 1 Vgl. v. Schwarze GS. XXIX. 2 Ueber das gem. Recht vgl. Windſcheid §. 490 Note 11. 3 Vgl. RGR. 12. April 1880, R I 573, E II 7.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/111>, abgerufen am 24.11.2024.