Und es unserer Stamm-Mutter noch in der Erde dancken, daß sie sich und ihre Nachkommen von einer so verdrießlichen Vollkommenheit entledigen wollen.
Der Hr. Prof. Manzel nun, und alle diejenigen, die mit ihm, so hohe Begrife von der Heiligkeit un- serer ersten Eltern haben, können dieses dem weibli- chen Geschlecht nicht zu einer sonderlichen Sünde deuten, so lange sie nicht eydlich dargethan haben, daß sie nur einmahl wenigstens in ihrem Leben den Ver- lust der Vollkommenheit, von welcher hier die Rede ist, aufrichtig und von Grund des Hertzens beseufzet haben. Jch weiß nicht, ob sie sich dazu verstehen wer- den. Das weiß ich aber, daß der Heil. Augustinus, wo- fern ich ihn recht kenne, es nimmer mit gutem Gewis- sen würde haben thun können. Dieser grosse Kirchen- Vater war, wie bekannt, so verliebter Natur, daß er, wann er GOtt um die Gabe der Keuschheit anrief, sich allemahl dabey ausbedung, GOtt möchte sie ihm doch ja nicht zu zeitig geben. "Da mihi, sagt er, ca- "stitatem & continentiam, sed noli modo. Denn ihm war bange, GOtt möchte kein Ehren-Wort verstehen; sondern gleich Ernst daraus machen. "Ti- "mebam enim ne me cito exaudires, & cito "sanares a morbo concupiscentiae (40). Es ist sehr glaublich, daß einem der so gesinnet, mit der Wie- derherstellung der verlohrnen Vollkommenheit, die dem Frauenzimmer so beschwerlich seyn würde, gleich- falls wenig gedienet gewesen wäre; und daß der heil. Augustinus, wann er die Unempfindlichkeit des ersten Menschen in Ansehung des Beyschlafes mit den süs-
sen
(40) Augustinus Confess. Lib. VIII. Cap. 7. §. 2.
B b b 3
(o)
Und es unſerer Stamm-Mutter noch in der Erde dancken, daß ſie ſich und ihre Nachkommen von einer ſo verdꝛießlichen Vollkommenheit entledigen wollen.
Der Hr. Prof. Manzel nun, und alle diejenigen, die mit ihm, ſo hohe Begrife von der Heiligkeit un- ſerer erſten Eltern haben, koͤnnen dieſes dem weibli- chen Geſchlecht nicht zu einer ſonderlichen Suͤnde deuten, ſo lange ſie nicht eydlich dargethan haben, daß ſie nur einmahl wenigſtens in ihrem Leben den Ver- luſt der Vollkommenheit, von welcher hier die Rede iſt, aufrichtig und von Grund des Hertzens beſeufzet haben. Jch weiß nicht, ob ſie ſich dazu verſtehen wer- den. Das weiß ich aber, daß der Heil. Auguſtinus, wo- fern ich ihn recht kenne, es nimmer mit gutem Gewiſ- ſen wuͤrde haben thun koͤnnen. Dieſer groſſe Kirchen- Vater war, wie bekannt, ſo verliebter Natur, daß er, wann er GOtt um die Gabe der Keuſchheit anꝛief, ſich allemahl dabey ausbedung, GOtt moͤchte ſie ihm doch ja nicht zu zeitig geben. „Da mihi, ſagt er, ca- „ſtitatem & continentiam, ſed noli modo. Denn ihm war bange, GOtt moͤchte kein Ehren-Wort verſtehen; ſondern gleich Ernſt daraus machen. „Ti- „mebam enim ne me cito exaudires, & citò „ſanares à morbo concupiſcentiæ (40). Es iſt ſehr glaublich, daß einem der ſo geſinnet, mit der Wie- derherſtellung der verlohrnen Vollkommenheit, die dem Frauenzimmer ſo beſchweꝛlich ſeyn wuͤꝛde, gleich- falls wenig gedienet geweſen waͤre; und daß der heil. Auguſtinus, wann er die Unempfindlichkeit des erſten Menſchen in Anſehung des Beyſchlafes mit den ſuͤſ-
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(40) Auguſtinus Confeſſ. Lib. VIII. Cap. 7. §. 2.
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Und es unſerer Stamm-Mutter noch in der Erde
dancken, daß ſie ſich und ihre Nachkommen von einer
ſo verdꝛießlichen Vollkommenheit entledigen wollen.
Der Hr. Prof. Manzel nun, und alle diejenigen,
die mit ihm, ſo hohe Begrife von der Heiligkeit un-
ſerer erſten Eltern haben, koͤnnen dieſes dem weibli-
chen Geſchlecht nicht zu einer ſonderlichen Suͤnde
deuten, ſo lange ſie nicht eydlich dargethan haben, daß
ſie nur einmahl wenigſtens in ihrem Leben den Ver-
luſt der Vollkommenheit, von welcher hier die Rede
iſt, aufrichtig und von Grund des Hertzens beſeufzet
haben. Jch weiß nicht, ob ſie ſich dazu verſtehen wer-
den. Das weiß ich aber, daß der Heil. Auguſtinus, wo-
fern ich ihn recht kenne, es nimmer mit gutem Gewiſ-
ſen wuͤrde haben thun koͤnnen. Dieſer groſſe Kirchen-
Vater war, wie bekannt, ſo verliebter Natur, daß er,
wann er GOtt um die Gabe der Keuſchheit anꝛief, ſich
allemahl dabey ausbedung, GOtt moͤchte ſie ihm
doch ja nicht zu zeitig geben. „Da mihi, ſagt er, ca-
„ſtitatem & continentiam, ſed noli modo. Denn
ihm war bange, GOtt moͤchte kein Ehren-Wort
verſtehen; ſondern gleich Ernſt daraus machen. „Ti-
„mebam enim ne me cito exaudires, & citò
„ſanares à morbo concupiſcentiæ (40). Es iſt
ſehr glaublich, daß einem der ſo geſinnet, mit der Wie-
derherſtellung der verlohrnen Vollkommenheit, die
dem Frauenzimmer ſo beſchweꝛlich ſeyn wuͤꝛde, gleich-
falls wenig gedienet geweſen waͤre; und daß der heil.
Auguſtinus, wann er die Unempfindlichkeit des erſten
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/849>, abgerufen am 22.11.2024.
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