Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite
(o)

Jch tadele sie desfals nicht; sondern lobe sie viel-
mehr. Sie würden, wenn sie strengere Lehren gä-
ben, wenig Gehör finden; es müste dann bey melan
colischen und scheinheiligen Gemüthern seyn, die et-
wan so gesinnet sind, als der bekannte Mr. Pascal
(36). Und was würden sie also nicht vor Seufzer
auf sich laden, wenn sie die Empfindung der Lust im
Beyschlafe, als eine sündliche Sache, als einen mo-
tum pravum,
den Gläubigen untersagen wolten?
Die gantze Welt würde sich einer so harten Lehre
wiedersetzen, und auch die Frömmsten würden mit
den Aposteln sprechen: Stehet die Sache eines Man-
nes mit seinem Weibe also, so ists nicht gut ehelich
werden (37).

Ein Mann, der sich durch diese heuchlerische Lehre
zu einer heiligen Kaltsinnigkeit in Verrichtung des
ehelichen Wercks verführen lassen wolte, würde bey
seiner Hauß Ehre schlechten Danck verdienen; und
die Gemahlin eines Gelehrten z.E. würde es sehr übel
nehmen, wenn ihr Ehe-Herr sie mit eben der Gelassen-
heit careßiren wolte, mit welcher er in seinem Corpore
Juris
blättert. Ein Schneider kan seine Nehe-Na-
del einfädeln, und dabey ein Morgen-Lied anstimmen;
Wolte er aber mit so heiligen Gedancken sein Ehe-
Bett beschreiten, und bey derjenigen Arbeit, zu wel-
cher dasselbe gewidmet ist, gleichfals seine Stimme
zum Lobe GOttes erheben; So zweifele ich nicht,
daß seine Frau ihn erinnern würde, daß, wie der
Prediger sagt, ein jegliches seine Zeit, und

alles
(36) Bayle Dict. art. Pascal. not. G.
(37) Matth. XIX. 10.
B b b 2
(o)

Jch tadele ſie desfals nicht; ſondern lobe ſie viel-
mehr. Sie wuͤrden, wenn ſie ſtrengere Lehren gaͤ-
ben, wenig Gehoͤr finden; es muͤſte dann bey melan
coliſchen und ſcheinheiligen Gemuͤthern ſeyn, die et-
wan ſo geſinnet ſind, als der bekannte Mr. Paſcal
(36). Und was wuͤrden ſie alſo nicht vor Seufzer
auf ſich laden, wenn ſie die Empfindung der Luſt im
Beyſchlafe, als eine ſuͤndliche Sache, als einen mo-
tum pravum,
den Glaͤubigen unterſagen wolten?
Die gantze Welt wuͤrde ſich einer ſo harten Lehre
wiederſetzen, und auch die Froͤmmſten wuͤrden mit
den Apoſteln ſprechen: Stehet die Sache eines Man-
nes mit ſeinem Weibe alſo, ſo iſts nicht gut ehelich
werden (37).

Ein Mann, der ſich durch dieſe heuchleriſche Lehre
zu einer heiligen Kaltſinnigkeit in Verrichtung des
ehelichen Wercks verfuͤhren laſſen wolte, wuͤrde bey
ſeiner Hauß Ehre ſchlechten Danck verdienen; und
die Gemahlin eines Gelehrten z.E. wuͤrde es ſehr uͤbel
nehmen, wenn ihr Ehe-Herr ſie mit eben der Gelaſſen-
heit careßiren wolte, mit welcher er in ſeinem Corpore
Juris
blaͤttert. Ein Schneider kan ſeine Nehe-Na-
del einfaͤdeln, und dabey ein Morgen-Lied anſtimmen;
Wolte er aber mit ſo heiligen Gedancken ſein Ehe-
Bett beſchreiten, und bey derjenigen Arbeit, zu wel-
cher daſſelbe gewidmet iſt, gleichfals ſeine Stimme
zum Lobe GOttes erheben; So zweifele ich nicht,
daß ſeine Frau ihn erinnern wuͤrde, daß, wie der
Prediger ſagt, ein jegliches ſeine Zeit, und

alles
(36) Bayle Dict. art. Paſcal. not. G.
(37) Matth. XIX. 10.
B b b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0847" n="755"/>
          <fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
          <p>Jch tadele &#x017F;ie desfals nicht; &#x017F;ondern lobe &#x017F;ie viel-<lb/>
mehr. Sie wu&#x0364;rden, wenn &#x017F;ie &#x017F;trengere Lehren ga&#x0364;-<lb/>
ben, wenig Geho&#x0364;r finden; es mu&#x0364;&#x017F;te dann bey melan<lb/>
coli&#x017F;chen und &#x017F;cheinheiligen Gemu&#x0364;thern &#x017F;eyn, die et-<lb/>
wan &#x017F;o ge&#x017F;innet &#x017F;ind, als der bekannte Mr. Pa&#x017F;cal<lb/><note place="foot" n="(36)"><hi rendition="#aq">Bayle Dict. art. Pa&#x017F;cal. not. G.</hi></note>. Und was wu&#x0364;rden &#x017F;ie al&#x017F;o nicht vor Seufzer<lb/>
auf &#x017F;ich laden, wenn &#x017F;ie die Empfindung der Lu&#x017F;t im<lb/>
Bey&#x017F;chlafe, als eine &#x017F;u&#x0364;ndliche Sache, als einen <hi rendition="#aq">mo-<lb/>
tum pravum,</hi> den Gla&#x0364;ubigen unter&#x017F;agen wolten?<lb/>
Die gantze Welt wu&#x0364;rde &#x017F;ich einer &#x017F;o harten Lehre<lb/>
wieder&#x017F;etzen, und auch die Fro&#x0364;mm&#x017F;ten wu&#x0364;rden mit<lb/>
den Apo&#x017F;teln &#x017F;prechen: Stehet die Sache eines Man-<lb/>
nes mit &#x017F;einem Weibe al&#x017F;o, &#x017F;o i&#x017F;ts nicht gut ehelich<lb/>
werden <note place="foot" n="(37)"><hi rendition="#aq">Matth. XIX. 10.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Ein Mann, der &#x017F;ich durch die&#x017F;e heuchleri&#x017F;che Lehre<lb/>
zu einer heiligen Kalt&#x017F;innigkeit in Verrichtung des<lb/>
ehelichen Wercks verfu&#x0364;hren la&#x017F;&#x017F;en wolte, wu&#x0364;rde bey<lb/>
&#x017F;einer Hauß Ehre &#x017F;chlechten Danck verdienen; und<lb/>
die Gemahlin eines Gelehrten z.E. wu&#x0364;rde es &#x017F;ehr u&#x0364;bel<lb/>
nehmen, wenn ihr Ehe-Herr &#x017F;ie mit eben der Gela&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit careßiren wolte, mit welcher er in &#x017F;einem <hi rendition="#aq">Corpore<lb/>
Juris</hi> bla&#x0364;ttert. Ein Schneider kan &#x017F;eine Nehe-Na-<lb/>
del einfa&#x0364;deln, und dabey ein Morgen-Lied an&#x017F;timmen;<lb/>
Wolte er aber mit &#x017F;o heiligen Gedancken &#x017F;ein Ehe-<lb/>
Bett be&#x017F;chreiten, und bey derjenigen Arbeit, zu wel-<lb/>
cher da&#x017F;&#x017F;elbe gewidmet i&#x017F;t, gleichfals &#x017F;eine Stimme<lb/>
zum Lobe GOttes erheben; So zweifele ich nicht,<lb/>
daß &#x017F;eine Frau ihn erinnern wu&#x0364;rde, daß, wie der<lb/>
Prediger &#x017F;agt, ein jegliches &#x017F;eine Zeit, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b b 2</fw><fw place="bottom" type="catch">alles</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[755/0847] (o) Jch tadele ſie desfals nicht; ſondern lobe ſie viel- mehr. Sie wuͤrden, wenn ſie ſtrengere Lehren gaͤ- ben, wenig Gehoͤr finden; es muͤſte dann bey melan coliſchen und ſcheinheiligen Gemuͤthern ſeyn, die et- wan ſo geſinnet ſind, als der bekannte Mr. Paſcal (36). Und was wuͤrden ſie alſo nicht vor Seufzer auf ſich laden, wenn ſie die Empfindung der Luſt im Beyſchlafe, als eine ſuͤndliche Sache, als einen mo- tum pravum, den Glaͤubigen unterſagen wolten? Die gantze Welt wuͤrde ſich einer ſo harten Lehre wiederſetzen, und auch die Froͤmmſten wuͤrden mit den Apoſteln ſprechen: Stehet die Sache eines Man- nes mit ſeinem Weibe alſo, ſo iſts nicht gut ehelich werden (37). Ein Mann, der ſich durch dieſe heuchleriſche Lehre zu einer heiligen Kaltſinnigkeit in Verrichtung des ehelichen Wercks verfuͤhren laſſen wolte, wuͤrde bey ſeiner Hauß Ehre ſchlechten Danck verdienen; und die Gemahlin eines Gelehrten z.E. wuͤrde es ſehr uͤbel nehmen, wenn ihr Ehe-Herr ſie mit eben der Gelaſſen- heit careßiren wolte, mit welcher er in ſeinem Corpore Juris blaͤttert. Ein Schneider kan ſeine Nehe-Na- del einfaͤdeln, und dabey ein Morgen-Lied anſtimmen; Wolte er aber mit ſo heiligen Gedancken ſein Ehe- Bett beſchreiten, und bey derjenigen Arbeit, zu wel- cher daſſelbe gewidmet iſt, gleichfals ſeine Stimme zum Lobe GOttes erheben; So zweifele ich nicht, daß ſeine Frau ihn erinnern wuͤrde, daß, wie der Prediger ſagt, ein jegliches ſeine Zeit, und alles (36) Bayle Dict. art. Paſcal. not. G. (37) Matth. XIX. 10. B b b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/847
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/847>, abgerufen am 25.11.2024.