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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
GOttes selbst, mit Gewalt beraubet, und ihn also
in die schädlichste Unwissenheit gesetzet hätte. Wer
dieses mit den Eigenschaften eines höchst-gerechten,
gütigen und weisen Wesens reimen kan, der muß
sehr künstlich seyn.

Jch getraue es mir nicht, und will daher lieber
sagen, daß, wenn der Mensch die unbegreifliche
Weißheit, welche man ihm beyleget, vor dem Fall
gehabt hätte, GOtt ihm dieselbe auch nach dem Fall
wohl würde gelassen haben.

Eben dieses kan ich mit noch mehrerm Fug von
der Erkänntniß der moralischen Wahrheiten sagen:
weil sie die nützlichste ist. Wiewohl ich nicht begreife,
was eine Ereatur, die ihrer Natur nach, das nützli-
che begehret, und das, was ihr schädlich ist, fliehet,
ausser diesem natürlichen Trieb, vor sonderbahre mo-
ralische Weißheit habe besitzen können.

V. Der Hr. Prof. Manzel sagt ferner der reine
und vollkommene Verstand der ersten Menschen, sey
bey allen vollkommen gleich gewesen. Er schliesset recht:
Denn der GOtt, der, wie wir schon von ihm gelernet
haben, in Kleinigkeiten, und z. E. in der äusserlichen
Bildung und Statur des Menschen die genaueste
Gleichheit beobachtet hat, der wird in wichtigern
Dingen nicht weniger auf eine Gleichheit gesehen ha-
ben: Allein er wiederspricht sich gleich, und stösset nicht
allein das, was er hier sagt, sondern auch das schöne
Argument, das er von der ungleichen Statur der
Menschen hergenommen hat, übern Haufen, wann
er fortfähret, und schreibt; es sey zwischen dem Ver-
stande der Kinder und erwachsenen Leute, der Alten
und der Jungen ein Unterscheid gewesen. Mich deucht,

er

(o)
GOttes ſelbſt, mit Gewalt beraubet, und ihn alſo
in die ſchaͤdlichſte Unwiſſenheit geſetzet haͤtte. Wer
dieſes mit den Eigenſchaften eines hoͤchſt-gerechten,
guͤtigen und weiſen Weſens reimen kan, der muß
ſehr kuͤnſtlich ſeyn.

Jch getraue es mir nicht, und will daher lieber
ſagen, daß, wenn der Menſch die unbegreifliche
Weißheit, welche man ihm beyleget, vor dem Fall
gehabt haͤtte, GOtt ihm dieſelbe auch nach dem Fall
wohl wuͤrde gelaſſen haben.

Eben dieſes kan ich mit noch mehrerm Fug von
der Erkaͤnntniß der moraliſchen Wahrheiten ſagen:
weil ſie die nuͤtzlichſte iſt. Wiewohl ich nicht begreife,
was eine Ereatur, die ihrer Natur nach, das nuͤtzli-
che begehret, und das, was ihr ſchaͤdlich iſt, fliehet,
auſſer dieſem natuͤrlichen Trieb, vor ſonderbahre mo-
raliſche Weißheit habe beſitzen koͤnnen.

V. Der Hr. Prof. Manzel ſagt ferner der reine
und vollkommene Verſtand der erſten Menſchen, ſey
bey allen vollkom̃en gleich geweſen. Er ſchlieſſet recht:
Denn der GOtt, der, wie wir ſchon von ihm gelernet
haben, in Kleinigkeiten, und z. E. in der aͤuſſerlichen
Bildung und Statur des Menſchen die genaueſte
Gleichheit beobachtet hat, der wird in wichtigern
Dingen nicht weniger auf eine Gleichheit geſehen ha-
ben: Allein er wiederſpricht ſich gleich, und ſtoͤſſet nicht
allein das, was er hier ſagt, ſondern auch das ſchoͤne
Argument, das er von der ungleichen Statur der
Menſchen hergenommen hat, uͤbern Haufen, wann
er fortfaͤhret, und ſchreibt; es ſey zwiſchen dem Ver-
ſtande der Kinder und erwachſenen Leute, der Alten
und der Jungen ein Unterſcheid geweſen. Mich deucht,

er
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[730/0822] (o) GOttes ſelbſt, mit Gewalt beraubet, und ihn alſo in die ſchaͤdlichſte Unwiſſenheit geſetzet haͤtte. Wer dieſes mit den Eigenſchaften eines hoͤchſt-gerechten, guͤtigen und weiſen Weſens reimen kan, der muß ſehr kuͤnſtlich ſeyn. Jch getraue es mir nicht, und will daher lieber ſagen, daß, wenn der Menſch die unbegreifliche Weißheit, welche man ihm beyleget, vor dem Fall gehabt haͤtte, GOtt ihm dieſelbe auch nach dem Fall wohl wuͤrde gelaſſen haben. Eben dieſes kan ich mit noch mehrerm Fug von der Erkaͤnntniß der moraliſchen Wahrheiten ſagen: weil ſie die nuͤtzlichſte iſt. Wiewohl ich nicht begreife, was eine Ereatur, die ihrer Natur nach, das nuͤtzli- che begehret, und das, was ihr ſchaͤdlich iſt, fliehet, auſſer dieſem natuͤrlichen Trieb, vor ſonderbahre mo- raliſche Weißheit habe beſitzen koͤnnen. V. Der Hr. Prof. Manzel ſagt ferner der reine und vollkommene Verſtand der erſten Menſchen, ſey bey allen vollkom̃en gleich geweſen. Er ſchlieſſet recht: Denn der GOtt, der, wie wir ſchon von ihm gelernet haben, in Kleinigkeiten, und z. E. in der aͤuſſerlichen Bildung und Statur des Menſchen die genaueſte Gleichheit beobachtet hat, der wird in wichtigern Dingen nicht weniger auf eine Gleichheit geſehen ha- ben: Allein er wiederſpricht ſich gleich, und ſtoͤſſet nicht allein das, was er hier ſagt, ſondern auch das ſchoͤne Argument, das er von der ungleichen Statur der Menſchen hergenommen hat, uͤbern Haufen, wann er fortfaͤhret, und ſchreibt; es ſey zwiſchen dem Ver- ſtande der Kinder und erwachſenen Leute, der Alten und der Jungen ein Unterſcheid geweſen. Mich deucht, er

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/822>, abgerufen am 25.11.2024.