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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
so vollkommene und heilige Creatur, als der erste
Mensch gewesen seyn soll, an der Ermordung der ar-
men Thiere vor Vergnügen solte gefunden haben. Jch
bin zwar keine Pythagoräer, und gestehe gerne, daß
ich lieber einen gebratenen Capaun, als trocken Brodt
esse: Aber ich glaube doch, daß es unserer Gesundheit
weit zuträglicher seyn würde, wenn wir kein Fleisch
ässen. Jch kan nicht leugnen daß mir die Auffüh-
rung der Bramanen in Jndien weit erträglicher vor-
kömmt, als der Unsinn unserer Jäger. Wer viel
mit Blut umgehet, wird blutgierig, und wer sich erst
angewöhnet hat, die Thiere ohne Erbarmen zu mor-
den, und zu quälen, dem kan mit der Zeit die Lust
ankommen, es mit Menschen eben so zu machen.
Derjenige Weltweise, der wie uns Seneca (16)
berichtet, davor gehalten hat, "crudelitatis fieri
"consuetudinem, ubi in voluptatem adducta
"esset laceratio,
hat demnach sehr vernünftig gere-
der. Und es ist glaublich daß die ersten Menschen,
nach ihrer grossen Weißheit, eben solche Gedancken
gehabt, und sich vor eine so böse Gewohnheit gehü-
tet haben. Es war also nicht nöthig, daß die Thiere
von Natur so zahm waren, daß sie der Mensch greifen
konnte wann er wolte. Er bedurfte ihrer nicht.

VII. Gesetzt aber er hätte ihrer bedurft: War es
darum nöthig, daß alle Thiere gantz zahm waren? Jch
habe schon gewiesen, daß es ungereimt sey zu glauben,
der erste Mensch habe, diejenigen Dinge, die ihm zur
Nahrung dienen, ohne alle Bemühung haben kön-
nen. Es ist also ofenbahr, daß es seiner Ehre nicht zu

nahe
(16) Ep. 108.

(o)
ſo vollkommene und heilige Creatur, als der erſte
Menſch geweſen ſeyn ſoll, an der Ermordung der ar-
men Thiere vor Veꝛgnuͤgen ſolte gefunden haben. Jch
bin zwar keine Pythagoraͤer, und geſtehe gerne, daß
ich lieber einen gebratenen Capaun, als trocken Brodt
eſſe: Aber ich glaube doch, daß es unſerer Geſundheit
weit zutraͤglicher ſeyn wuͤrde, wenn wir kein Fleiſch
aͤſſen. Jch kan nicht leugnen daß mir die Auffuͤh-
rung der Bramanen in Jndien weit ertraͤglicher vor-
koͤmmt, als der Unſinn unſerer Jaͤger. Wer viel
mit Blut umgehet, wird blutgierig, und wer ſich erſt
angewoͤhnet hat, die Thiere ohne Erbarmen zu mor-
den, und zu quaͤlen, dem kan mit der Zeit die Luſt
ankommen, es mit Menſchen eben ſo zu machen.
Derjenige Weltweiſe, der wie uns Seneca (16)
berichtet, davor gehalten hat, „crudelitatis fieri
„conſuetudinem, ubi in voluptatem adducta
„eſſet laceratio,
hat demnach ſehr vernuͤnftig gere-
der. Und es iſt glaublich daß die erſten Menſchen,
nach ihrer groſſen Weißheit, eben ſolche Gedancken
gehabt, und ſich vor eine ſo boͤſe Gewohnheit gehuͤ-
tet haben. Es war alſo nicht noͤthig, daß die Thiere
von Natur ſo zahm waren, daß ſie der Menſch greifen
konnte wann er wolte. Er bedurfte ihrer nicht.

VII. Geſetzt aber er haͤtte ihrer bedurft: War es
darum noͤthig, daß alle Thiere gantz zahm waren? Jch
habe ſchon gewieſen, daß es ungereimt ſey zu glauben,
der erſte Menſch habe, diejenigen Dinge, die ihm zur
Nahrung dienen, ohne alle Bemuͤhung haben koͤn-
nen. Es iſt alſo ofenbahr, daß es ſeiner Ehre nicht zu

nahe
(16) Ep. 108.
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[694/0786] (o) ſo vollkommene und heilige Creatur, als der erſte Menſch geweſen ſeyn ſoll, an der Ermordung der ar- men Thiere vor Veꝛgnuͤgen ſolte gefunden haben. Jch bin zwar keine Pythagoraͤer, und geſtehe gerne, daß ich lieber einen gebratenen Capaun, als trocken Brodt eſſe: Aber ich glaube doch, daß es unſerer Geſundheit weit zutraͤglicher ſeyn wuͤrde, wenn wir kein Fleiſch aͤſſen. Jch kan nicht leugnen daß mir die Auffuͤh- rung der Bramanen in Jndien weit ertraͤglicher vor- koͤmmt, als der Unſinn unſerer Jaͤger. Wer viel mit Blut umgehet, wird blutgierig, und wer ſich erſt angewoͤhnet hat, die Thiere ohne Erbarmen zu mor- den, und zu quaͤlen, dem kan mit der Zeit die Luſt ankommen, es mit Menſchen eben ſo zu machen. Derjenige Weltweiſe, der wie uns Seneca (16) berichtet, davor gehalten hat, „crudelitatis fieri „conſuetudinem, ubi in voluptatem adducta „eſſet laceratio, hat demnach ſehr vernuͤnftig gere- der. Und es iſt glaublich daß die erſten Menſchen, nach ihrer groſſen Weißheit, eben ſolche Gedancken gehabt, und ſich vor eine ſo boͤſe Gewohnheit gehuͤ- tet haben. Es war alſo nicht noͤthig, daß die Thiere von Natur ſo zahm waren, daß ſie der Menſch greifen konnte wann er wolte. Er bedurfte ihrer nicht. VII. Geſetzt aber er haͤtte ihrer bedurft: War es darum noͤthig, daß alle Thiere gantz zahm waren? Jch habe ſchon gewieſen, daß es ungereimt ſey zu glauben, der erſte Menſch habe, diejenigen Dinge, die ihm zur Nahrung dienen, ohne alle Bemuͤhung haben koͤn- nen. Es iſt alſo ofenbahr, daß es ſeiner Ehre nicht zu nahe (16) Ep. 108.

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/786>, abgerufen am 25.11.2024.