Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
und sie so lächerlich zu machen, als sie es
verdienen. Aber man muß wahrlich, um
dieses zu glauben einen wunderlichen Be-
grif von der christlichen Liebe haben. Soll-
te sie uns verbinden auch die Thorheiten un-
sers Nechstens vor Weißheit zu halten, und
einen elenden Scribenten, zum Verdruß
aller ehrlichen Leute und zum Aergerniß der
Schwachen, nach eigenem Belieben, un-
gehindert schwärmen zu lassen? Man kan
ja diesen Leuten seine Liebe nicht besser bezeu-
gen, als wenn man sie zur Erkänntniß ih-
res Elendes zu bringen sucht, und sie irren
sich, wenn sie meinen, man hasse sie, wenn
man ihnen die Wahrheit saget. Jch habe
zum wenigsten meine Gegner, so ferne sie,
Menschen sind, nicht gehasset; sondern al-
lezeit den Scribenten von dem ehrlichen
Manne sorgfältig unterschieden. Daß mich
aber die christliche Liebe verbinden sollte, die
Thorheiten dieser Leute mit dem Mantel
der Liebe zuzudecken, die sie, als Weißheit,
vor den Augen aller Welt auskramen, und
mit welchen sie sich brüsten, das glaube ich
nicht.

Eine solche Aufführung macht auch die
elendesten und preßhaftesten Personen alles
Mitleidens unwürdig. Wenn der Lah-

me
e 5

(o)
und ſie ſo laͤcherlich zu machen, als ſie es
verdienen. Aber man muß wahrlich, um
dieſes zu glauben einen wunderlichen Be-
grif von der chriſtlichen Liebe haben. Soll-
te ſie uns verbinden auch die Thorheiten un-
ſers Nechſtens vor Weißheit zu halten, und
einen elenden Scribenten, zum Verdruß
aller ehrlichen Leute und zum Aergerniß der
Schwachen, nach eigenem Belieben, un-
gehindert ſchwaͤrmen zu laſſen? Man kan
ja dieſen Leuten ſeine Liebe nicht beſſer bezeu-
gen, als wenn man ſie zur Erkaͤnntniß ih-
res Elendes zu bringen ſucht, und ſie irren
ſich, wenn ſie meinen, man haſſe ſie, wenn
man ihnen die Wahrheit ſaget. Jch habe
zum wenigſten meine Gegner, ſo ferne ſie,
Menſchen ſind, nicht gehaſſet; ſondern al-
lezeit den Scribenten von dem ehrlichen
Manne ſorgfaͤltig unterſchieden. Daß mich
aber die chriſtliche Liebe verbinden ſollte, die
Thorheiten dieſer Leute mit dem Mantel
der Liebe zuzudecken, die ſie, als Weißheit,
vor den Augen aller Welt auskramen, und
mit welchen ſie ſich bruͤſten, das glaube ich
nicht.

Eine ſolche Auffuͤhrung macht auch die
elendeſten und preßhafteſten Perſonen alles
Mitleidens unwuͤrdig. Wenn der Lah-

me
e 5
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface" n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="73"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;o la&#x0364;cherlich zu machen, als &#x017F;ie es<lb/>
verdienen. Aber man muß wahrlich, um<lb/>
die&#x017F;es zu glauben einen wunderlichen Be-<lb/>
grif von der chri&#x017F;tlichen Liebe haben. Soll-<lb/>
te &#x017F;ie uns verbinden auch die Thorheiten un-<lb/>
&#x017F;ers Nech&#x017F;tens vor Weißheit zu halten, und<lb/>
einen elenden Scribenten, zum Verdruß<lb/>
aller ehrlichen Leute und zum Aergerniß der<lb/>
Schwachen, nach eigenem Belieben, un-<lb/>
gehindert &#x017F;chwa&#x0364;rmen zu la&#x017F;&#x017F;en? Man kan<lb/>
ja die&#x017F;en Leuten &#x017F;eine Liebe nicht be&#x017F;&#x017F;er bezeu-<lb/>
gen, als wenn man &#x017F;ie zur Erka&#x0364;nntniß ih-<lb/>
res Elendes zu bringen &#x017F;ucht, und &#x017F;ie irren<lb/>
&#x017F;ich, wenn &#x017F;ie meinen, man ha&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie, wenn<lb/>
man ihnen die Wahrheit &#x017F;aget. Jch habe<lb/>
zum wenig&#x017F;ten meine Gegner, &#x017F;o ferne &#x017F;ie,<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;ind, nicht geha&#x017F;&#x017F;et; &#x017F;ondern al-<lb/>
lezeit den Scribenten von dem ehrlichen<lb/>
Manne &#x017F;orgfa&#x0364;ltig unter&#x017F;chieden. Daß mich<lb/>
aber die chri&#x017F;tliche Liebe verbinden &#x017F;ollte, die<lb/>
Thorheiten die&#x017F;er Leute mit dem Mantel<lb/>
der Liebe zuzudecken, die &#x017F;ie, als Weißheit,<lb/>
vor den Augen aller Welt auskramen, und<lb/>
mit welchen &#x017F;ie &#x017F;ich bru&#x0364;&#x017F;ten, das glaube ich<lb/>
nicht.</p><lb/>
        <p>Eine &#x017F;olche Auffu&#x0364;hrung macht auch die<lb/>
elende&#x017F;ten und preßhafte&#x017F;ten Per&#x017F;onen alles<lb/>
Mitleidens unwu&#x0364;rdig. Wenn der Lah-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">e 5</fw><fw place="bottom" type="catch">me</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[73/0077] (o) und ſie ſo laͤcherlich zu machen, als ſie es verdienen. Aber man muß wahrlich, um dieſes zu glauben einen wunderlichen Be- grif von der chriſtlichen Liebe haben. Soll- te ſie uns verbinden auch die Thorheiten un- ſers Nechſtens vor Weißheit zu halten, und einen elenden Scribenten, zum Verdruß aller ehrlichen Leute und zum Aergerniß der Schwachen, nach eigenem Belieben, un- gehindert ſchwaͤrmen zu laſſen? Man kan ja dieſen Leuten ſeine Liebe nicht beſſer bezeu- gen, als wenn man ſie zur Erkaͤnntniß ih- res Elendes zu bringen ſucht, und ſie irren ſich, wenn ſie meinen, man haſſe ſie, wenn man ihnen die Wahrheit ſaget. Jch habe zum wenigſten meine Gegner, ſo ferne ſie, Menſchen ſind, nicht gehaſſet; ſondern al- lezeit den Scribenten von dem ehrlichen Manne ſorgfaͤltig unterſchieden. Daß mich aber die chriſtliche Liebe verbinden ſollte, die Thorheiten dieſer Leute mit dem Mantel der Liebe zuzudecken, die ſie, als Weißheit, vor den Augen aller Welt auskramen, und mit welchen ſie ſich bruͤſten, das glaube ich nicht. Eine ſolche Auffuͤhrung macht auch die elendeſten und preßhafteſten Perſonen alles Mitleidens unwuͤrdig. Wenn der Lah- me e 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/77
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/77>, abgerufen am 24.11.2024.